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91. Erste Verhandlung mit Herrn Eich

Hertha Eichs Vater war ein zierlicher Mann mit einem gelblichen Gesicht und einer hohen, sehr schönen Stirn, über der die dunklen Haare schon dünn zu werden anfingen. Er sah Karl Siebrecht aus dunklen Augen rasch, aber fest an, deutete mit seiner Hand auf einen Stuhl und sagte: »Hertha, am besten verschwindest du jetzt.«

»Am besten bleibe ich, Vater«, antwortete Hertha. »Ich störe euch bestimmt nicht.«

»Mich bestimmt nicht«, sagte Herr Eich und lächelte. »Aber bitte, setzen Sie sich doch, Herr Siebrecht!«

Wieder wurde Karl Siebrecht der Stuhl am Schreibtisch zugewiesen, er setzte sich. Hertha saß hinter seinem Rücken, er sah sie nicht. Herr Eich aber nahm nicht am Schreibtisch Platz. In einer Hausjoppe aus braunem Flausch und in weichen Hausschuhen fing er an, im Zimmer auf und ab zu wandeln. »Sie möchten Ihren Betrieb erweitern, Herr Siebrecht«, sagte er dabei. »Sagen Sie mir, wie Sie sich diese Erweiterung denken.«

Er sprach leise, aber deutlich und bestimmt. Karl Siebrecht hatte das Gefühl, daß jedes Wort dieses Mannes genau überlegt war. So suchte auch er möglichst knapp das zu schildern, was er beabsichtigte: eine lückenlose Gepäckabfuhr zwischen sämtlichen Berliner Bahnhöfen, die Beförderung von Gepäck aus allen Berliner Stadtteilen, Annahmeschalter auf den Bahnhöfen, feste Tarife, aber auch eine Monopolstellung, die Ausschaltung jeder Konkurrenz.

»Schön«, sagte Herr Eich. »Das ist etwa das, was Sie vor dem Kriege schon anfingen. Warum haben Sie nicht nach dem Krieg sofort wieder versucht, diese Pläne durchzuführen?«

Bei der Antwort hierauf war es schon schwerer, sich kurz zu fassen ... Persönliches spielte herein, und Karl Siebrecht hatte den Eindruck, daß Herrn Eich Persönliches unerwünscht war. So mußte er sich auf Allgemeinheiten über das Darniederliegen des Eisenbahnwesens und die wirtschaftlichen Folgen der Inflation beschränken.

»Schön«, sagte Herr Eich wiederum, aber diesmal war deutlich zu hören, daß er dies nicht schön fand. »Sie sind also nicht wieder in Gang gekommen. An anderen Stellen ist unterdes einiges geleistet worden: die Bahnen sind wieder in Gang, und die Rentenmark ist fest wie Eisen. Das stimmt doch?«

»Das stimmt«, antwortete Karl Siebrecht verlegen und rot.

»Immerhin, Sie glauben jetzt den Augenblick gekommen, Ihre alten Pläne wiederaufzunehmen. Warum eigentlich?«

Diese Frage kam so plötzlich, daß sie Siebrecht völlig verwirrte. Ja, warum eigentlich gerade jetzt? Weil er Hertha Eich kennengelernt hatte? Weil er dadurch Verbindung zu ihrem Vater bekommen hatte? Das konnte er kaum sagen. Er entschloß sich: »Ich habe alles mögliche versucht, aber nichts hat mir geschmeckt. Als ich früher nach Berlin kam, habe ich zuerst richtige Arbeit auf den Berliner Bahnhöfen gefunden, Arbeit, die mich freute. Seitdem sitzt das in mir fest, ich komme von den Bahnhöfen nicht los. Es ist gewissermaßen ein Traum von mir.«

»Das klingt schon besser«, sagte Herr Eich und nickte. »Aber der Krieg war neunzehnhundertachtzehn zu Ende, und wir schreiben jetzt neunzehnhundertvierundzwanzig. Sie lassen sich Zeit, Ihre Träume zu verwirklichen, Herr Siebrecht!«

»Ich kam erst neunzehnhundertneunzehn aus der Kriegsgefangenschaft heim, Ich habe lange Zeit gebraucht, mich wieder zurechtzufinden. Es waren wirklich verwirrte Zeiten.«

»Ja, das waren sie, verwirrt. Und Sie meinen, Sie haben sich nun zurechtgefunden?«

»Ja.«

»Keine Neigung zu Extratouren mehr? Keine Lastwagenfahrten mehr über Land?«

»Nein. Das alles ist zu Ende.«

»Sie wissen vielleicht, es gibt Akten über Sie – oder wissen es auch nicht. Jedenfalls müßte es wirklich zu Ende sein. Man kann nur mit einem verläßlichen Mann einen Vertrag schließen. Was in einer verwirrten Zeit übersehen werden kann, ist in einer sicheren unentschuldbar. Sind Sie verläßlich?«

»Ja.«

»Schön!« sagte Herr Eich zum drittenmal. »Aber wenn Ihnen eine Monopolstellung eingeräumt wird, müssen Sie auch einiges zu bieten haben – außer sich selbst. Sie sind ein Mann in den Dreißigern, Sie sind kein Anfänger mehr. Soviel ich weiß, fahren Sie jetzt nur mit einem Lastwagen, haben keinen einzigen Angestellten. Stimmt das?«

»Ja.«

»Haben Sie Vermögen?«

»Nein.«

»Sie müßten mit zehn, mit zwanzig Wagen fahren! Haben Sie Menschen, die Ihrer Tatkraft vertrauen, die in Ihr Geschäft Geld stecken würden?«

»Ich glaube, ja.«

»Nein, nicht glauben, sondern wissen! Wissen Sie es oder glauben Sie es?«

»Ich weiß es.«

»Und an welche Summe denken Sie da etwa?«

Einen Augenblick zögerte Karl Siebrecht, dann gab er sich einen Stoß. Sie hatte dies vorausgesehen, sie hatte es ihm gesagt, er wagte es!

»Ich denke etwa an hunderttausend Mark«, sagte er.

»Schön!« sagte Herr Eich wieder, »sehr schön!« Er war stehengeblieben und spielte mit dem Schnürenbesatz seiner Flauschjacke. »Wenn Ihnen in dieser Zeit hunderttausend Mark anvertraut werden, sind Sie der Mann, den wir brauchen! Wann können Sie mir darüber festen Bescheid geben?«

»Wahrscheinlich schon morgen abend!«

»Gut! Rufen Sie mich an, sobald es soweit ist, wir sprechen dann weiter über die Sache. – Noch eins, warum haben Sie sich nicht schon früher an Ihre Freunde gewendet?«

Einen Augenblick überlegte Siebrecht, dann sagte er: »An meinem einen Lastwagen steht die Firma: Siebrecht & Niemand. Ich wollte immer gern alles allein machen, ich wollte mir von niemand helfen lassen!«

»Und jetzt wollen Sie sich helfen lassen?«

»Ich will nur stille Teilhaber!« rief Karl Siebrecht. »Ich will mir von niemandem hereinreden lassen!«

Herr Eich betrachtete ihn mit einem unbestimmten Lächeln. Er sagte: »Wenn aus unserem Vertrag etwas wird, Herr Siebrecht, so werde ich bestimmt kein stiller Teilhaber sein. Ich werde Ihnen bestimmt in vieles hereinreden.« Wieder lächelte er.

Karl Siebrecht machte eine Bewegung, die fast drohend war. »Ich will nichts für mich!« sagte er. »Ich will nur einen erstklassigen Betrieb in Gang bringen!«

Herr Eich sah ihn belustigt an. »Und wenn ich mich Ihnen dabei widersetze, so schmeißen Sie mich hinaus?« – Siebrecht nickte nur. – »Nun, wir werden dann ja sehen, wer der Stärkere ist«, lächelte Herr Eich. »Die Auffassungen, was einem Betrieb förderlich ist, sind manchmal verschieden. Es könnte auch sein, daß Sie derjenige sind, der hinausgesetzt wird!«

»Wenn ich erst die Monopolstellung habe, werden Sie mich nie wieder los!« sagte Karl Siebrecht siegesgewiß.

Herr Eich sah ihn lange und nachdenklich an: »Wir werden einen sehr vorsichtigen Vertrag mit Ihnen abschließen müssen, Sie junger Waffenschmuggler, Sie! Mich sollen Sie nicht von Ihrem Lastauto werfen!« Und aus diesem Satz sah Karl Siebrecht, daß Herr Eich seine Wissenschaft aus einer anderen Quelle als von seiner Tochter Hertha bezogen hatte, denn von dem heruntergeworfenen französischen Kapitän hatte er ihr nicht ein einziges Wort erzählt.


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