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83. Abschied von einem Arzt

»Nein«, sagte der Arzt. »Es ist alles wieder in bester Ordnung, mein Lieber. Von Ihrem Korpus aus können Sie sich sofort in das nächste Abenteuer stürzen.«

Er beugte sich über seinen Koffer und fing an, das Gerät einzupacken.

»Von den Abenteuern bin ich erst einmal geheilt«, antwortete Karl Siebrecht. »Ich glaube beinahe, für immer. Ich werde in Berlin ganz brav und bürgerlich ein kleines Geschäft anfangen.«

»Und an welche Art Geschäft denken Sie da?« fragte der Arzt. »Ein bißchen Waffenschmuggel? Etwas Gegenspionage? Ein kleiner Putsch?«

»Bloß eine Art Speditionsgeschäft, Herr Doktor. Ich hatte so etwas schon einmal vor dem Kriege. Es hat mir damals viel Spaß gemacht.«

»Und was werden Sie spedieren? Handgranaten? Flammenwerfer? Maschinengewehre?«

»Ich werde Koffer spedieren, Koffer mit Wäsche und Kleidern, schlichte Koffer von einfachen Reisenden. Ich weiß wirklich nicht, warum Sie durchaus einen wilden Landsknecht aus mir machen wollen, Herr Doktor –?!«

»Ich doch nicht!« rief der Arzt. »Aber Sie sind ein Landsknecht, Sie sind ein Abenteurer! Warum bleiben Sie eigentlich nicht hier sitzen? Ich finde, Sie sitzen hier ganz gut. Es ist der schönste Hof weit und breit, und ich für meinen Geschmack muß sagen: es ist auch das schönste Mädchen weit und breit.«

»Ich möchte aber nicht gerne nur der Mann sein, der in einen schönen Hof einheiratet«, antwortete Siebrecht. Und etwas versöhnlicher fügte er hinzu: »Außerdem sind Fräulein Gerti und ich uns völlig einig, daß ich heute noch abreise.«

»So«, sagte der Arzt und sah ihn spöttisch unter der gebuckelten Stirn her an. »So. Sie sind ganz sicher, daß Sie sich über Gertis Meinung nicht täuschen, Herr Siebrecht!«

»So sicher«, sagte Karl Siebrecht, »daß ich Sie sogar bitte, mich jetzt in Ihrem Wagen zur Bahn mitzunehmen. Fräulein Gerti und ich haben uns schon adieu gesagt.«

»Schön«, sagte der Arzt brummig. »Sehr schön!« Er schlug den Koffer mit einem Krach zu. »Das war auch das letzte Mal in meinem Leben, daß ich einen Hornochsen daran hindern wollte, sich wie ein Hornochse zu benehmen. Sonst noch was?«

»Ja, Herr Doktor, sonst noch was.« Einen Augenblick war Karl Siebrecht verlegen, der Arzt sah ihn mißtrauisch an. »Es ist da Ihre Liquidation, Herr Doktor. Sie sind alle diese Wochen und Monate zu mir gekommen, und ich glaube sogar, Sie haben die Medikamente für mich in der Apotheke bezahlt. Sie wissen, ich habe jetzt kein Geld, aber später ...«

»Hören Sie auf, Mensch!« rief der Arzt ärgerlich. »Hören Sie auf mit dem Unsinn! Meine Liquidationen verschicke ich und nicht Sie, verstanden? Im übrigen habe ich mein Geld längst bekommen.«

»Herr Doktor, das sagen Sie jetzt so.«

»Wollen Sie mich zum Lügner machen?! Wenn ich Ihnen sage, ich habe mein Geld bekommen, so habe ich es bekommen! Verstanden? Aber etwas anderes: haben Sie denn Reisegeld nach Berlin?«

»Ja. Ich hatte noch etwas Geld in der Tasche, als das passierte.«

»Die paar Scheine Papiergeld!« schnaufte der Arzt verächtlich. »Damit werden Sie gerade weit kommen! Da, das ist für Sie!« Er griff in die Tasche, zog einen Umschlag hervor und warf ihn auf den Tisch. »Ich soll Ihnen auch Grüße bestellen – von Ihren Herren Mitabenteurern. Jawohl, man hat sich dann und wann nach Ihnen erkundigt. Ich habe Ihnen absichtlich nichts davon gesagt«, erklärte der Arzt, als er sah, Karl Siebrecht wollte sprechen. »Ich habe gedacht, Sie würden hier warm werden und die Erinnerungen störten bloß. Aber Sie werden nie irgendwo warm werden, mein Herr, so wie ich Sie jetzt kenne! – Machen Sie den Briefumschlug ruhig auf, sonst denken Sie, ich beschwindele Sie noch immer. Vielleicht liegt die Einladung zu einer neuen Autofahrt drin!« Der Arzt hatte sich in einen richtigen Zorn geredet, Siebrecht mußte ihm den Willen tun und den Brief öffnen. Aber es lag keine Zeile darin, kein Wort, kein Name. Nur fünf glatte blaugraue Scheine, jeder lautend auf hundert Rentenmark. »Na also!« meinte der Arzt etwas ruhiger. »Nun glauben Sie mir hoffentlich! Oder denken Sie, ich schenke Ihnen fünfhundert Rentenmark? Das ist heute ein kleines Vermögen, mein Lieber, nichts ist knapper als dies verfluchte Geld.«

»Fünfhundert Mark«, sagte Karl Siebrecht. »Und als ich – krank wurde, rechneten wir nach Milliarden! Nehmen die Leute denn das? Kann man denn dafür etwas kaufen?«

»Das werden Sie alles noch erleben. Wir haben auch noch nach Billionen gerechnet, aber da haben Sie gerade in der Schule gefehlt! – So, und nun nehmen Sie gefälligst Abschied von Ihren Gastgebern, in fünf Minuten fahre ich, und wenn Sie dann nicht fertig sind, bleiben Sie doch hier!«

Aber Karl Siebrecht war in fünf Minuten fertig. Gerti hatte sich nicht mehr sehen lassen, und er hatte auch keinen Versuch gemacht, sie noch einmal zu sehen. Er saß neben dem Arzt im Wagen, schnell änderte sich die vertraute Landschaft in eine fremde. Schnell lag der Hof, der ihm so lange ein Heim gewesen war, weit hinten. Es ließ sich jetzt auch ganz ruhig mit dem Arzt reden. Das Rentenmarkwunder machte Karl Siebrecht viel Kopfzerbrechen, und immer wieder ließ er sich erzählen, wieviel man jetzt für eine Mark kaufen konnte. Es war wirklich kaum zu begreifen, daß heute nichts knapper war als das Geld, das man noch vor einem halben Jahr in Waschkörben aufbewahrt hatte.

Wenn es aber wirklich so ist, auch in Berlin, dachte Karl Siebrecht, so bringe ich in einem halben Jahr meine Gepäckfuhren wieder in Gang! Wenn bloß mein Lastwagen unterdes nicht verschwunden ist! Damit war er nun schon weit von dem westfälischen Freihof und seiner Erbin und wußte im ersten Augenblick wirklich nicht, was er sagen sollte, als ihn der Arzt auf dem Bahnsteig fragte: »Soll ich die Gerti nun noch von Ihnen grüßen oder nicht? Von selbst scheinen Sie ja nicht daran zu denken!«

»Doch ja! Natürlich! Oder nein, lieber nicht!« sagte er überstürzt. Der Arzt sah ihn vernichtend an und sagte nicht eher wieder ein Wort, als bis Siebrecht aus dem Abteilfenster sah. Da fragte der Doktor – der Zug fuhr schon an: »Kennen Sie übrigens einen gewissen Bomeyer?«

»Ich? Keine Ahnung! Bomeyer? Nie gehört!«

»Na, denn ist es ja gut«, rief der Arzt. »Ich soll dem Mann nämlich telegrafieren, mit welchem Zug Sie ankommen. Sie können es sich ja immer noch einrichten, wie Sie mögen, ob Sie den Kerl sehen wollen oder nicht.« Die letzten Worte schrie der Arzt, und nun war er schon weit hinten, winkte aber noch gewaltig – trotz allem Zorn.


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