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113. Zu zweien

»Wohin soll ich dich also führen, Ilse?« fragte Herr von Senden mit sanfter Ergebung, behielt aber den Wagen, in dem Karl Siebrecht mit Maria Molina Platz genommen hatte, scharf im Auge.

»Wir wollen sie ruhig noch abfahren sehen, Onkel Bodo«, sagte Ilse Gollmer tröstend. »Wir haben Zeit. Ich möchte gerne, daß du mit mir durch die große Passage bummelst.« Aber der Rittmeister hörte nicht. Er sah zu, wie Maria Platz nahm. Sie schien Karl Siebrecht Weisungen zu geben, wie ihr Umhang zu legen war. Dann mußte er hinten aus dem Wagen eine Decke holen. Schließlich öffnete er das Verdeck. »Sie wird ihn schon in Atem halten!« lachte Ilse Gollmer vergnügt.

»Sie will im offenen Wagen fahren!« meinte der Rittmeister besorgt.

»Warum nicht? Es ist ganz warm! Und sie tanzt doch nicht mit ihrer Kehle!«

»Aber sie singt doch auch!« rief der Herr von Senden vorwurfsvoll.

»Richtig, Onkel Bodo, sie singt auch, das hatte ich wirklich ganz vergessen!« antwortete Ilse Gollmer, aber nicht sehr reuig. »So, nun sind sie endgültig weg, und wir beide können in die Passage pilgern. Die ist meine Leidenschaft seit Kindertagen, es gibt da so wunderbare Bilder zu sehen und die schönsten Geschenkartikel und Bijouterien. Bijouterie! Wie das schon klingt! Und dann das Schaufenster von dem Zauberladen mit all den Überraschungsartikeln, auch für Herrenabende!«

– – –

»Wohin fahren Sie mich eigentlich?«

»Bis zum Funkturm und wieder zurück.«

»Bei dem Tempo wird das aber keine Stunde dauern.«

Eine Weile fuhren sie. Dann sagte Maria Molina: »Sie sind wohl sehr wütend?«

»War ich. Jetzt nicht mehr.«

»Und warum jetzt nicht mehr?«

»Weil ich annehme, daß Fräulein Gollmer dem Herrn von Senden jetzt einige Bemerkungen über Sie machen wird, Sie haben einen schweren Fehler begangen, die beiden allein zu lassen.«

»Ach, was mir das piepe ist!« sagte sie plötzlich mit einer ganz anderen Stimme. »Was denken Sie, was dem Bodo schon über mich geklatscht worden ist! Wenn ich aber einen festhabe, dann habe ich ihn fest! Und einen Alten nun schon ganz sicher!«

»Endlich reden Sie wie ein Mensch! Und was wollen Sie mit ihm anfangen? Zum Beispiel, wenn Sie verheiratet sind? Herr von Senden ist nicht der Mann, sich Geschichten gefallen zu lassen!«

»Wenn Sie die Art Geschichten meinen – von mir aus gerne! Ich bin nicht scharf auf so was! Das ist mehr was für euch! Sie sind doch wohl verheiratet, wie?«

»Und glauben Sie«, fuhr Karl Siebrecht fort, »daß er Sie weiter so tanzen läßt? Aber bestimmt nicht!«

»Wir haben andere Pläne ...«

»Ja, mit dem Film, ich weiß schon, aber daraus wird nichts!«

»Was wissen Sie schon?! Und warum wird daraus nichts?«

»Weil dazu Geld gehört!«

»Der Bodo hat Geld genug.«

»Nein, ich habe es, in meinem Geschäft nämlich. Und ich brauche es ihm erst in anderthalb Jahren auszuzahlen. Und anderthalb Jahre, mit einem alten Mann, sind eine verdammt lange Zeit! Ich glaube, am Schluß dieser anderthalb Jahre wird er eine andere Verwendung für sein Geld wissen.«

– – –

Sie gingen den stilleren Mittelweg Unter den Linden entlang.

»Warum willst du sie denn durchaus heiraten, Onkel Bodo? Es muß doch nicht immer gleich geheiratet sein!«

»Weil sie mir sonst ein anderer fortholt, mein Kind!«

»Hat eine Heirat je einen gehalten, der fort wollte?«

»Nein. Aber ich glaube nicht, daß sie dann noch fort will. Sie könnte nur verlieren, denn ich biete ihr einen Mann, Aussicht auf Vorwärtskommen, Vermögen ...«

»Und was bietet sie dir, Onkel Bodo?«

»Jugend, Ilse, und Liebe.«

»Liebe?«

»Oder was sie für Liebe hält, und was ich für Liebe halte.«

»Vielleicht hast du recht, Onkel Bodo. Hast du je einen Zweifel daran, daß du recht hast?«

»Doch, manchmal; wenn ich alt und müde bin.«

»Heute abend nicht?«

»Doch, gerade heute abend.«

»Du wirst wohl nicht Offizier bleiben können?«

»Nein, das nicht, aber ich bin schon an sich an der Grenze. Es ist nur eine Frage der Zeit.«

»Und du glaubst wirklich, daß sie beim Film etwas leisten wird?«

»Ich weiß es nicht. Manchmal glaube ich, sie ist sehr begabt. Aber dann, wie heute abend wieder, verstehe ich nicht mehr, was ich gesehen habe. Dann kommt mir alles wie eingelerntes kindisches Gehopse vor. Ilse, sag, war es das? War es nur eingelerntes kindisches Gehopse?«

»Ich fürchte ja, Onkel Bodo.«

»Sie hat doch soviel Erfolg! Ihr Vertrag wird immer wieder verlängert.«

»Das Fleisch, Onkel Bodo, vergiß nicht das Fleisch.«

»Freilich, Ilse, das Fleisch ...«

– – –

»Warum weinen Sie eigentlich?« fragte er böse und gereizt. »Konnten Sie irgendeine andere Haltung von uns erwarten, noch dazu nach Ihren läppischen Manieren vorhin?« Sie weinte immerfort. Er wollte nicht mehr hinhören nach diesem Weinen, das konnten sie alle! Weinen ändert nichts. Aber er hörte doch hin, und dabei fiel ihm ein, daß weder Rieke noch Gerti, noch Hertha je so geweint hatten. Sie hatten es nicht gekonnt. Sein Ärger verstärkte sich. »Vielleicht wird Herr von Senden Sie doch noch heiraten«, sagte er brutal. »Aber Sie werden schon sehen, daß nichts dabei für Sie herausschaut, nur vertane Jahre. Ich würde mir die Sache noch einmal überlegen – jetzt sind Sie wenigstens noch jung!«

»Und ich hatte gedacht, jetzt hätte ich es geschafft!« sagte sie plötzlich tonlos. »Ich dachte, ich hätte den Fuß auf der Leiter!« Eine dunkle Erinnerung kam ihm – hatte er nicht auch einmal mit diesen Worten, mit genau solchen Worten, sein Tun verteidigt, das zweifelhaft gewesen war? »Ich könnte etwas leisten«, sagte sie. »Ich fühl das. Wenn ich nur einen Filmmenschen dazu kriegte, Probeaufnahmen von mir zu machen! Dann hätte ich gesiegt, dann könntet ihr mir alle gestohlen bleiben! Aber Sie haben mich hübsch wieder in den Dreck gestoßen, Sie, gerade Sie!«

Und wieder kamen die Erinnerungen, sie bedrängten ihn. So hatte er auch einmal gedacht und gefühlt, genauso! Das war auch seine Angst gewesen, daß er im Dreck steckenbleiben könnte! Milder sagte er: »So wie Sie denken heute Zehntausende. Zehntausende glauben sich wie Sie berufen, ein großer Filmstar zu werden. Zehntausende denken, es braucht nur das Auge eines Filmmannes auf sie zu fallen, und sie haben es geschafft.«

»Aber ich, ich habe recht! Ich fühle das ...«

»Wenn Sie so begabt wären, wie Sie glauben, müßte man das auch fühlen«, sagte er. »Aber man fühlt nichts bei ihnen, gar nichts! Sie können weder tanzen noch singen! Sie haben uns die große Dame vorspielen wollen, und Sie waren einfach lächerlich in dieser Rolle! Nicht einmal als Frau fühlt man Sie, Sie sind kalt, Sie können nicht einmal lieben ...«

»Halten Sie!« rief sie zornig. »Auf der Stelle halten Sie! Ich fahre nicht länger mit Ihnen!« Sie riß ihren Umhang um sich zusammen, sie griff nach der Wagentür. Sie war so zornig, daß sie in voller Fahrt aus dem Wagen gesprungen wäre. Er bremste scharf, lenkte den Wagen an die Straßenkante und hielt.

»Ich habe mir geschworen«, sagte er, »daß ich Herrn von Senden von Ihnen befreien will. Ich werde diese Heirat verhindern – mit allen Mitteln, verstehen Sie? Mit allen Mitteln!«

Sie sah ihn an, ihr geschminktes Gesicht mit den dünnen hohen Augenbrauen wirkte wie eine Maske. »Sie haben es fertiggebracht!« sagte sie. »Ich werde jetzt Bodo heiraten, nur, um mich an Ihnen zu rächen, auch wenn er keinen Pfennig hat! Und ich werde ihn quälen, und wenn es ihm schlecht geht, werde ich an Sie denken! Auf Wiedersehen!« Sie nickte ihm kurz zu und ging nach der nächsten Taxihaltestelle. Er sah noch, wie sie in ein Auto stieg und fortfuhr. Dann fuhr auch er.


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