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40. Ein Vertrag mit Herrn von Senden

»Da haben wir also den Eroberer von Berlin!« sagte der Rittmeister und nahm seine langen Beine, eines nach dem anderen, vorsichtig vom Kamingitter. »Karl, mein Sohn, ich freue mich!«

»Ich freue mich auch, Herr Rittmeister!« antwortete Karl Siebrecht und schüttelte herzlich die lange, schmale Hand. »Sie sind aber ganz weiß geworden!«

»Ja, mein Junge«, sagte der Rittmeister und strich sich unwillkürlich über den vollen, aber wirklich schneeweiß gewordenen Scheitel. »Die Jahre kommen, von denen es heißt, sie gefallen uns nicht mehr. – Übrigens haben mir die Jahre vorher auch schon nicht übermäßig gefallen.«

»Es steht Ihnen aber gut«, meinte Karl Siebrecht und sah mit ehrlicher Sympathie in das Gesicht des Mannes, gegen dessen Zuneigung er sich so lange gewehrt hatte.

»Doch ich nenne dich noch immer du und sage Junge zu dir! Du bist ein Mann geworden, ein junger Mann, wollen wir sagen, und so werden wir uns jetzt zu dem Sie entschließen müssen, nicht wahr, Herr Siebrecht?«

Aber dagegen protestierte der junge Mann: »Nein, nein, Herr Rittmeister. Wir wollen es genauso lassen, wie es früher war, mit ›du‹ und ›mein Sohn‹ und ›Karl‹. Das ist mir am liebsten. Außerdem bin ich erst zwanzig Jahre alt, und das ist noch gar kein Alter!«

»Du mußt viel Erfolg gehabt haben, mein Sohn«, lächelte der Rittmeister, »sonst wärest du nicht so milde zu mir. Vor vier Jahren hättest du es am liebsten gesehen, ich hätte dich mit ›Herr‹ und ›Sie‹ angeredet. Wie ist es dir ergangen in diesen vier Jahren? Erzähle doch!«

Sie saßen beide in tiefen Sesseln vor dem Kamin, in dem aber kein Feuer brannte. Die Fenster standen offen, und der warme Maiwind blähte sanft die Gardinen. Der Herr von Senden hatte seine Füße wieder auf das Kamingitter gesetzt, und Karl sah die untadeligen Lackschuhe und rosenrote seidene Socken. Wie gut ihm das tat! Wie ihn das an alte Zeiten erinnerte! Wie diese Socken, die er damals als faxig gefunden hatte, den Abstand zwischen damals und heute begreiflich machten! Heute fand er sie völlig berechtigt und sogar hübsch.

»Ach, Herr Rittmeister!« rief Karl Siebrecht. »Bitte, sagen Sie mir doch erst, wie steht es auf der Zeichenstube? Was macht Herr Oberingenieur Hartleben? Und wie geht es dem Dicken mit den Schmissen, der mich eine Zeitlang so geschunden hat – wie hieß er doch? Ich glaube, Senftlein?«

»Ich kann es dir nicht sagen, mein Sohn«, antwortete der Rittmeister. »Ich sehe meinen Schwager nur noch selten, und mit seinen Geschäften habe ich gar nichts mehr zu tun. Fast gar nichts«, verbesserte er sich. »Man baut nicht ungestraft im Westen. Herr Kalubrigkeit hat sich dabei ein wenig übernommen, es gab etwas zuviel Anstände mit der Baubehörde, kurz, mir wurde die Chose zu langweilig, und ich zog mich zurück.« Er betrachtete nachdenklich die Glanzlichter auf seinen Lackschuhen. »Aber mein Schwager hat sich bestens arrangiert, muß ich sagen. Zur Zeit ist er, wie ich höre, ein großer Mann, sogar ein Orden soll ihm winken. Er baut nämlich nur noch Kirchen. Kirchen sind augenblicklich das Feinste, noch viel feiner als Warenhausbauten.«

»Und Herr Hartleben?«

»Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht, mein lieber Sohn. Er hat dir damals irgendwie geholfen, nicht wahr? Er sprach mir mal davon. Ich habe ihn aus den Augen verloren, man lernt so viele Menschen kennen, er wird wohl auf irgendeiner anderen Zeichenstube sitzen, ich will es hoffen.«

»Ich hätte Herrn Hartleben gerne einmal wiedergesehen«, sagte Karl Siebrecht nachdenklich. »Er war immer sehr nett zu mir.«

»Ja, du möchtest ihn gerne wiedersehen«, meinte der Rittmeister mit seiner alten Skepsis, »weil du Erfolg hast und vorangekommen bist; wenn es bei ihm aber unterdes zurückgegangen ist, wäre dies Wiedersehen nicht sehr erfreulich für ihn, nicht wahr? Nun, lassen wir das, mein Sohn, ich möchte dir nichts von der Taufrische deiner Gefühle nehmen. Ich sehe schon, du besitzt noch deine alte Empfindlichkeit. – Und wie steht es mit dir? Du arbeitest jetzt auf einem Büro?«

»Ja und nein.« Und Karl Siebrecht fing an zu erzählen. Zuerst glaubte er, er könne es mit ein paar Sätzen abtun, nur ganz kurz Umfang und Zweck seiner Firma schildern. Aber entweder machte es dies Wiedersehen oder der eben überstandene Streit mit Wagenseil, oder der Rittmeister war ein so guter Zuhörer, oder das Fräulein Bruder hatte ihn so aufgekratzt – plötzlich war Karl Siebrecht in einer genauen Schilderung seines Werdegangs. Er erzählte von Kiesow und Küraß, von Wagenseil und Kupinski, von Kalli, Rieke und dem alten Busch – nur von der heutigen Kriegserklärung erzählte er kein Wort.

»Soso«, sagte der Herr von Senden endlich. »Ich erkläre mich besiegt und geschlagen, mein Sohn. Ich glaubte immer, es hülfe dem Menschen, wenn man ihm ein wenig hilft. Aber ich sehe, der Mensch kommt ohne Hilfe viel weiter. Du wenigstens hast allein viel mehr erreicht, als ich dir hätte helfen können. Es ist ja ganz egal, ob du sieben Wagen oder siebzig fahren hast. Zahlen sind nie ein Erfolg. Aber du hast erreicht, daß du auf eigenen Beinen stehst, daß du nur dir selbst vertraust, daß du durch dich allein etwas geworden bist – zu dem allen hätte ich dir nie verhelfen können, Karl!« Er betrachtete Karl Siebrecht, ein wenig ironisch lächelnd, aber die Ironie galt wohl mehr dem Rittmeister selbst als dem jungen Mann. »Du hast mich geschlagen«, fing er wiederum an, »und ich will meine Lehre daraus ziehen. Ich verspreche dir jetzt, ich werde dir nie wieder meine Hilfe oder Geld anbieten, ohne Scheu davor kannst du mich besuchen. – Ja, ich gehe sogar so weit, daß ich sage: ich werde dir nicht einmal Geld geben, wenn du mich darum bittest, denn du würdest es mir hinterher doch nicht verzeihen!« Er unterbrach sich. »Nanu!« rief er. »Was machst du denn für ein Gesicht, Karl?! Ich glaube gar, ich habe wieder einmal im falschen Moment das Richtige gesagt. Wolltest du mich etwa um Geld angehen? Brauchst du Geschäftskapital? Willst du die Firma vergrößern? – Dann habe ich nichts gesagt. Hier hast du einen Teilhaber, einen so stillen Teilhaber, daß er sich vier Jahre lang nicht einmal erkundigen wird, ob die Firma überhaupt noch besteht. Und nun sage mir die Summe, und in zwei Minuten sollst du einen Scheck in der Tasche haben. Wir aber reden von etwas anderem.«

»Nein, nein, Herr Rittmeister!« rief Karl Siebrecht, und ihm war so leicht, daß sich wieder eines jener feigen Rückzugstore verschlossen hatte. »Sie haben das richtige Wort genau im richtigen Augenblick gesagt. Vielleicht habe ich sogar so etwas gedacht, nicht für heute, aber für später. Doch Sie haben recht, wenn ich mir von Ihnen helfen ließe, würde ich es Ihnen nie verzeihen. Aber vor allem würden Sie es mir nie verzeihen. Sie mögen mich ja doch nur so lange leiden, solange Sie stolz auf mich sein können, und käme ich zu Ihnen um Hilfe, wäre es mit diesem Stolz sofort vorbei.«

»Das war nicht dumm geredet, Karl«, sagte der Rittmeister nach einem kurzen Schweigen. »So wollen wir es denn bei dem lassen, was ich gesagt habe: jeder für sich und Gott für uns alle! – Sofort aber durchbreche ich all meine Schwüre und lade dich ein, mit mir mein Mittagessen zu teilen. Du wirst zugeben, daß ich dein Feingefühl weitgehend geschont habe: außer einem Sessel habe ich dir bisher nichts angeboten. Also iß schon mit mir, es ist dann nicht so langweilig. Meine Frau«, meinte er lächelnd, und Karl Siebrecht sah, der Rittmeister hatte ihn mal wieder durchschaut, »meine Frau macht nämlich in der Stadt Besorgungen, als müsse sie sich für eine Jahresreise ins Innerste Afrikas ausrüsten. Wir fahren aber nur für vier Wochen auf meine Klitsche in Vorpommern. Also komm, mein Sohn, es ist einer Firma recht gut, wenn sie sich auch einmal ohne ihren Chef behelfen muß!«


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