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Zwischenspiel:
In der fremden Heimat

51. Bowle und Bild

»Nein, nein«, sagte Herr Gollmer und strich mit der flachen Hand über seinen kahlen Schädel, »fahren Sie nur ruhig für ein paar Tage in Ihre Heimat. Ich habe da gar keine Bedenken. Wenn wirklich Krieg kommt, müssen Sie doch Ihren Laden zumachen.«

»Aber dann ist soviel zu tun«, widersprach Karl Siebrecht.

Sie saßen im Garten der Grunewaldvilla. Es war Juli geworden, Juli im Jahre des Unheils 1914.

»Dann ist gar nichts zu tun«, meinte Herr Gollmer. »Ihre Autos liefern Sie an die Heeresverwaltung ab, und Sie selbst marschieren in die nächste Kaserne. Zu alldem kommen Sie immer noch zurecht. Sie werden doch auch mündig in diesen Tagen, nicht wahr? Sie müssen doch schon wegen der Vormundschaftsabrechnung dorthin!«

»Werden Sie wirklich schon mündig?!« rief Ilse Gollmer lachend. »Ich kann es gar nicht glauben! Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie Sie mit einer Schürze herumliefen! Und nun sind Sie ein richtiger erwachsener Mann – nein, so was!«

Sie hatten sich ein paarmal seit jenem entscheidenden Maitage gesehen, immer nur ganz kurz – über kleine Sticheleien waren sie noch nicht hinausgekommen.

»Ja, Fräulein Gollmer«, antwortete Karl Siebrecht ernsthaft, »und ich war noch so klein, als wir uns kennenlernten, daß ich alles kaputtriß, was mir in die Hände kam, Papier, Bilder, einfach alles!«

»Schweigen Sie!« rief Ilse Gollmer zornig und warf ihre Locken zurück. »Sie sind taktlos! Nun wollte ich einmal nett zu Ihnen sein und Sie fragen, wann Sie Geburtstag haben, aber jetzt tue ich es nicht! Sie und mündig –? Sie werden nie mündig, das sage ich Ihnen!«

»Streitet euch nicht, Kinder«, sagte Herr Gollmer behaglich. »Ilse, gieß mir lieber noch ein Glas Bowle ein. Was hat er dir denn zerrissen? Ein Bild? Schenkt er dir einfach ein neues!«

Die beiden sahen sich an und mußten lachen.

»Seht ihr, das höre ich lieber! Nein, fahren Sie getrost! Die fünf bestellten neuen Autos werde ich kaum noch an Sie abliefern ...«

Herr Gollmer sprach behaglich fort, und schließlich versöhnten sich die beiden. Die Bowle schmeckte so gut, und die Nacht war so warm, und es war viel schöner, zu lachen als sich zu streiten.

Sie nahm sogar sein Bild in Gnaden an, ein Duplikat des Bildes aus dem Führerschein, auf dem merkwürdig lang, schmal und fest sein Kopf unter einer Ledermütze und über einer Lederjacke zu sehen war. »Mit Lederschürze würden Sie ganz hinreißend sein«, sagte sie, als sie das Bild in ihre Tasche steckte.


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