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Stefan Zweig
geb. 28. Nov. 1881 in Wien
gest. 23. Februar 1942 in Petrópolis

Das fremde Lächeln

Mich hält ein leises Lächeln gebannt.
Es hing
Ganz licht und lose am Lippenrand
Einer schönen Frau, die vorüberging.

Die fremde Frau war schön und schlank,
Und ich fühlte gleich, es zielte ihr Gang
In mein Leben.
Und dies Lächeln, das ich in Glut und Scham
Von ihren zartblassen Lippen nahm,
Hat mir ein Schicksal gegeben.

Wie ist dies alles so wundersam,
Das Lächeln, die Frau und mein sehnender Traum
Versponnen zu törichten Tagen.
Mein Herz verirrt sich in Frage und Gram,
Woher dieses seltsame Lächeln kam,
Und weiß ich doch kaum,
Wieso mir das heimliche Wunder geschehn,
Daß ich, erglutend in Glück und Scham,
Ein Lächeln aus fremdem Leben nahm
Und in das meine getragen.

Ich fühle nur: seit
Ich das Lächeln der leisen Lippen getrunken,
Ist die Ahnung einer Unendlichkeit
In mein Leben gesunken.
Meine Nächte leuchten nun still und lau
Wie ein Sternengezelt
In beruhigtem Blau.
Und der zarte Traumglanz, der sie erhellt,
Ist das Lächeln der Frau,
Der viellieben Frau,
Der schönen, an der ich vorüberging,
Der fremden, von der ich mein Schicksal empfing.

Steigender Rauch

Träumerisch ins Abendwerden
Lehnt sich langsam Haus um Haus,
Asche dunkelt auf den Herden
Und löscht letztes Glühen aus.

Alles sinkt in Nacht zusammen,
Nur von stillen Dächern bebt
Noch ein Mahnen an die Flammen,
Rauch, der steil zur Höhe strebt.

Seiner Glut nicht mehr gehörend
Und von ihr doch hochgewellt,
Sich in seinem Flug verzehrend
Und schon Wolken beigesellt,

Eine weiße wunderbare
Schwebe ohne Schwergewicht,
Steigt er langsam in das klare,
Ruhevolle Sternenlicht. –

Ist nicht, was ich dumpf begehrte,
Seines Wesens tiefster Sinn,
Daß ich mich in Gluten klärte
Und gelöst zu Sternen hin,

Aus dem Dunkel in die Helle,
Schlacke nicht und nicht mehr Glut,
Heimwärts wehte in die Welle
Uferloser Lebensflut?

Herbstsonett

Die Tage stiegen längst die goldne Leiter
Des Sommers nieder. Spätglanz wärmt das Land.
Die Schatten wachsen früh und fallen breiter
Von allen Bäumen in des Abends Hand.

Im Laube glänzt noch, wie vom Wind verschlagen,
Manch reife Frucht. Der Felder Brust liegt bloß,
Und Wolken, die sich westwärts überjagen,
Machen den Himmel ernst und ruhelos.

Über die Wälder, die sich rasch entblättern,
Zittert schon unrastvoll der Schwalben Flug.
Und all dies mahnt: Nun sei dem Herbst bereit.
Beugst du dich morgen zu der Landschaft Buch,
So blinkt vielleicht schon aus den bunten Lettern
Des Lebens liebstes Wort: Vergänglichkeit.

Sonnenaufgang in Venedig

Erwachende Glocken. – In allen Kanälen
Flackt erst ein Schimmer, noch zitternd und matt,
Und aus dem träumenden Dunkel schälen
Sich schleiernd die Linien der ewigen Stadt.

Sanft füllt sich der Himmel mit Farben und Klängen,
Fernsilbern sind die Lagunen erhellt. –
Die Glöckner läuten mit brennenden Strängen,
Als rissen sie selbst den Tag in die Welt.

Und nun das erste flutende Dämmern.
Wie Flaum von schwebenden Wolken rollt,
Spannt sich von Turm zu Türmen das Hämmern
Der Glocken, ein Netz von bebendem Gold.

Und schneller und heller. Ganz ungeheuer
Bläht sich das Dämmern. – Da bauscht es und birst,
Und Sonne stürzt wie fressendes Feuer
Gierig sich weiter von First zu First.

Der Morgen taut nieder in goldenen Flocken,
Und alle Dächer sind Glorie und Glast.
Und nun erst halten die ruhlosen Glocken
Auf ihren strahlenden Türmen Rast.

Der dunkle Falter

Noch glüht, umwölkt von kühlen Abendrosen,
Vor mir die Heimat. Doch mein Herz erbebt
Vom Sehnsuchtslied der ewig Heimatlosen
Und fühlt den Schmerz, den es doch nie erlebt.

Wie eine milde, traurig-süße Mahnung
Umfängt mich dieses fremde Bruderleid.
Früh flügelt schon der dunkle Falter Ahnung
Über die Gärten meiner Jugendzeit.

So deutungsvoll ward mir das Stundenschlagen,
So müd mein Herz. Und selbst den tiefen Glanz
Der Frauenblicke weiß ich nur zu tragen
Wie bange Hände einen welken Kranz ...

 


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