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Rainer Maria Rilke
geb. 4. Dez. 1875 in Prag
gest. 29. Dezember1926 in Val-Mont bei Montreux

Mondnacht

Süddeutsche Nacht, ganz breit im reifen Monde,
Und mild wie aller Märchen Wiederkehr.
Vom Turme fallen viele Stunden schwer
In ihre Tiefen nieder wie ins Meer, –
Und dann ein Rauschen und ein Ruf der Ronde,
Und eine Weile bleibt das Schweigen leer;
Und eine Geige dann (Gott weiß woher)
Erwacht und sagt ganz langsam: Eine Blonde ...

Landschaft

Im flachen Land war ein Erwarten
Nach einem Gast, der niemals kam;
Noch einmal fragt der bange Garten,
Dann wird sein Lächeln langsam lahm.

Und in den müßigen Morästen
Verarmt im Abend die Allee,
Die Äpfel ächzen an den Ästen,
Und jeder Wind tut ihnen weh.

Der Abend

Oft fühl' ich in scheuen Schauern,
Wie tief ich im Leben bin.
Die Worte sind nur die Mauern.
Dahinter in immer blauern
Bergen schimmert ihr Sinn.

Ich weiß von keinem die Marken,
Aber ich lausch' in sein Land.
Hör' an den Hängen die Harken
Und das Baden der Barken
Und die Stille am Strand.

Ich fürchte mich so ...

Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort.
Sie sprechen alles so deutlich aus:
Und dieses heißt Hund, und jenes heißt Haus,
Und hier ist Beginn, und das Ende ist dort.

Mich bangt auch ihr Sinn, ihr Spiel mit dem Spott,
Sie wissen alles, was wird und war;
Kein Berg ist ihnen mehr wunderbar;
Ihr Garten und Gut grenzt grade an Gott.

Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern.
Die Dinge singen hör' ich so gern.
Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm.
Ihr bringt mir alle die Dinge um.

Mädchen

Ich war ein Kind und träumte viel
Und hatte noch nicht Mai;
Da trug ein Mann sein Saitenspiel
An unserm Hof vorbei.
Da hab' ich bange aufgeschaut:
»O Mutter, laß mich frei ...«
Bei seiner Laute erstem Laut
Brach etwas mir entzwei.

Ich wußte, eh' sein Sang begann:
Es wird mein Leben sein.
Sing' nicht, sing' nicht, du fremder Mann:
Es wird mein Leben sein.

Du singst mein Glück und meine Müh',
Mein Lied singst du und dann:
Mein Schicksal singst du viel zu früh,
So daß ich, wie ich blüh' und blüh', –
Es nie mehr leben kann.

Er sang. Und dann verklang sein Schritt, –
Er mußte weiterziehn;
Und sang mein Leid, das ich nie litt,
Und sang mein Glück, das mir entglitt,
Und nahm mich mit und nahm mich mit –
Und keiner weiß, wohin ...

Gebet der Mädchen zur Maria

Schau, unsre Tage sind so eng
Und bang das Nachtgemach;
Wir langen alle ungelenk
Den roten Rosen nach.

Du mußt uns milde sein, Marie,
Wir blühn aus deinem Blut,
Und du allein kannst wissen, wie
So weh die Sehnsucht tut;

Du hast ja dieses Mädchenweh
Der Seele selbst erkannt:
Sie fühlt sich an wie Weihnachtsschnee
Und steht doch ganz in Brand ...

Der Blinde

Sieh, er geht und unterbricht die Stadt,
Die nicht ist auf seiner dunkeln Stelle,
Wie ein dunkler Sprung durch eine helle
Tasse geht. Und wie auf einem Blatt

Ist auf ihm der Widerschein der Dinge
Aufgemalt; er nimmt ihn nicht hinein.
Nur sein Fühlen rührt sich, so, als finge
Es die Welt in kleinen Wellen ein:

Eine Stille, einen Widerstand –,
Und dann scheint er wartend wen zu wählen:
Hingegeben hebt er seine Hand,
Festlich fast, wie um sich zu vermählen.

Ritter

Reitet der Ritter in schwarzem Stahl
Hinaus in die rauschende Welt.
Und draußen ist alles: der Tag und das Tal
Und der Freund und der Feind und das Mahl im Saal
Und der Mai und die Maid und der Wald und der Gral,
Und Gott ist selber vieltausendmal
An alle Straßen gestellt.

Doch in dem Panzer des Ritters drinnen,
Hinter dem finstersten Ringen,
Hockt der Tod und muß sinnen und sinnen:
Wann wird die Klinge springen
Über die Eisenhecke,
Die fremde, befreiende Klinge,
Die mich aus meinem Verstecke
Holt, drin ich so viele
Gebückte Tage verbringe, –
Daß ich mich endlich strecke
Und spiele
Und singe.

Der Fahnenträger

Die andern fühlen alles an, rauh
Und ohne Anteil: Eisen, Zeug und Leder.
Zwar manchmal schmeichelt eine weiche Feder
Doch sehr, allein lieblos ist ein jeder;

Er aber trägt – als trüg' er eine Frau –
Die Fahne in dem feierlichen Kleide.
Dicht hinter ihm geht ihre schwere Seide,
Die manchmal über seine Hände fließt.

Er kann allein, wenn er die Augen schließt,
Ein Lächeln sehn: er darf sie nicht verlassen.

Und wenn es kommt in blitzenden Kürassen
Und nach ihr greift und ringt und will sie fassen –:

Dann darf er sie abreißen von dem Stocke,
Als riß er sie aus ihrem Mädchentum,
Um sie zu halten unterm Waffenrocke.

Und für die andern ist das Mut und Ruhm.

Du darfst nicht warten ...

Du darfst nicht warten, bis Gott zu dir geht
Und sagt: Ich bin.
Ein Gott, der seine Stärke eingesteht,
Hat keinen Sinn.
Da mußt du wissen, daß dich Gott durchweht
Seit Anbeginn,
Und wenn dein Herz dir glüht und nichts verrät,
Dann schafft er drin.

 


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