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Anton Wildgans
geb. 17. April 1881 in Wien
gest. 3. Mai 1932 in Mödling

Adagio für Cello

Alles Tagverlangen
Ist zur Ruh gegangen
Rosenrot im Rohr –
Aus den Birkenzweigen,
Wo er still gehangen,
Bleich und netzgefangen,
Hebt in sanftem Steigen
Sich der Mond empor.

Leise, weiße Seiden
Kleiden jetzt die Weiden,
Schläfernd schlürft der Bach –
Schober auf den Wiesen
Hocken wie die Riesen,
Und die dunkeln Hunde,
Ruhlos in der Runde,
Wandern wach.

Tiefer Blick

Oh, du kannst einsam sein, daß Gott erbarm
Und es dich mitten in dem Fliegenschwarm
Der Menschen jäh befällt wie Scham und Grauen.
Und manchmal mußt du vor den Spiegel gehn
Und voller Angst nach deinem Bilde spähn,
Um in ein Antlitz, das dich kennt, zu schauen.

Und Freunde kannst du haben, Weib und Kind,
Und so allein sein, wie ein Baum im Wind,
Der zitternd steht auf namenloser Heide –
Und mit den Freunden hast du viel verbracht,
Und mit dem Weibe schläfst du jede Nacht,
Und jenes Kind ist deiner Seele Weide.

Sie aber fassen deine Rede kaum,
Als sprächest du aus einem irren Traum,
Der nicht Bewandtnis hat in ihrem Leben –
Zu deiner Freude sind sie fremd und kühl,
Für deine Drangsal ohne Mitgefühl,
Neugier ist alles, was sie höchstens geben.

Da wirst du selbst dir mählich unbekannt
Und wie ein minderer Komödiant,
Der jede Miene einlernt und Gebärde –
Nur manchmal hörst du's rauschen innerlich
Und hältst erschrocken inne: »Bin das ich?« –
So einsam kann man sein auf Gottes Erde.

Vor dem Bilde meines Vaters

Warum, O Gott, warum denn noch einmal
All seinen Jammer und die ganze Qual
In die verjüngte Form verschwenden?! – Ist
Deinem Hasse nicht genug geschehen – Bist
Du so unersättlich, daß ein einzeln Leben
Nicht ausreicht, dir genug Tribut zu geben?
Sind deine Krüge denn noch immer voll,
Die bitteren – daß ich sie leeren soll –?

Jetzt weiß ich langsam, wie das alles war –
Denn, was ich damals sah, des Mitleids bar,
(Weil noch zu jung, zu wenig noch gegerbt
Von deiner Fuchtel) jetzt, da ich's geerbt,
Faßt mich Entsetzen erst vor seinem Leid.
Vor seinem unsäglichen Leid –
Jetzt erst, da an dem eigenen Nerv der Wurm
Schon nagt, erfüllt mich sein Geschick wie Sturm,
Reißt mich wie jähe Brandung in die Flut
Und wühlt wie Glut in meinem eigenen Blut,
Aus dem ich ragte, steinern wie ein Turm –

Mein Gott, ich hab' ihn einmal weinen sehen,
Als mir die Mutter starb und ihm das Weib –
Oh, dieses irre Hin- und Widergehen
Und dieses Schluchzen durch den ganzen Leib
Den langen Nachmittag und manche Nacht,
Da ich, ein Kind, an seinem Bette schlief!

Da bin ich oft ganz heimlich aufgewacht
Und hörte, wie er leise nach ihr rief
Und mit ihr sprach, als läge sie bei ihm –
Doch dir im Anschaun deiner Cherubim
War dieses Leid nicht schwer genug und tief –

Du mußtest erst, den du mit Meisterhand
Zu einem hohen Hort des Geistes schufst,
Mählich zerfallen sehen wie die Wand,
Die birst und niederstürzt, wenn du sie rufst.
Fürwahr, es weinten Steine, die es sah'n,
Wie er verfiel –: Erst die gewölbte Veste
Der Stirne, dann das Menschliche der Geste,
Dann Blick und Sprache, nimmer untertan
Dem Halbbewußtsein, diesem Bettelreste,
Den du ihm ließest, daß er sein Gebreste
Auswägen könne bis zum letzten Gran,
Daliegend, ehe ihn das Dunkel barg,
In seinem toten Fleische wie im Sarg – – –

 


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