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Josef Adolf Bondy
geb. 23. Juni 1876 in Prag
gest. 1946

Heimkehr

Wieder zog ich in die schmale
Graue, winkeltiefe Gasse,
Wo mich alle Leute kennen,
Deren Namen ich vergessen,
Und dieselben alten Hüte
Mich gevattermäßig grüßen.
Kehr' ich spät und immer später,
Mag ich draußen König werden
Und den Erdball umgestalten:
Sie sind immer noch dieselben,
Und ich wuchs auf ihrem Pflaster,
Und ich spielte ihre Spiele,
Und so bin ich ihresgleichen.
Und es ist, als wär' Verwirrung
Draußen aller Kampf gewesen,
Und ich wär' von langem Fieber
Diese Stunde erst genesen.
Und da stehn sie in den Toren
Mit den Frauen, mit den Kindern,
Um mir linde Luft und Sonne,
Mut auf neuem Weg zu wünschen.
Wenn ich Dankesworte streue
Wie Dukaten für die Güte,
Heben sie die alten Hüte
Und verneigen sich aufs neue.

Prag

Tauche auf in Abendschöne
Über Türmen, altes Prag,
Und mit goldnen Fenstern kröne
Der Hradschin den Werketag!

Von den Kirchen in die Gassen
Rinnt des Schweigens dunkle Flut,
Nur der Moldau Wogenmassen
Kochen wie empörtes Blut.

Und ein Heer von Schatten reitet
Über Brücken, hoch von Stein,
Und es teilt sich, und es gleitet
In die Winkelstadt hinein.

Friedhofstür geht auf. Die spitzen,
Alten Blöcke dicht gedrängt,
Kaum, daß sich in schmalen Ritzen
Moos durch grauen Marmor zwängt.

Tausend Köpfe ohne Regung,
Wie geduckt vor der Gefahr –
Doch auf einmal kommt Bewegung
In die ungeheure Schar.

Steine springen aus der Erde,
Schwere Steine aus der Gruft,
Schon zerreibt die wilde Herde
Fledermäuse in der Luft.

Plötzlich stürzt der Tanz der Steine,
Alle ragen kunterbunt ...
Stehen spät im Dämmerscheine
Noch wie taumelnd auf dem Grund.

 


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