Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zehntes Kapitel.

Und jetzt zu Angelica! sagte Schnetz. Du hast nicht mehr weit zu ihr und wirst sie sicher zu Hause treffen.

Felix blieb stehen.

Erlaß mir diesen Besuch! sagte er mit plötzlich verdüstertem Gesicht. Hilf mir irgend einen Vorwand ersinnen, daß ich das gute Mädchen nicht kränke, du weißt, wie ich sie schätze, aber sie ist die Einzige, von der ich sicher glauben muß, – sie weiß Alles. Die Andern mögen sich mit dem Märchen von dem Duell zufrieden gegeben haben. Sie aber, Juliens beste Freundin –

Was sie weiß oder nicht weiß – Possen! Du kannst dich ja so kurz fassen, als es dir beliebt. Also deine Hand darauf. Schön! Und dort ist ihr Haus. Ich sage dir hier adieu; ich habe noch einige Geschäfte, und heut Abend hole ich dich im Gasthof ab zur Illumination.

Sie meinen es alle so gut mit mir! rief Felix, als er mit sich allein war; sie möchten mir alle helfen, über das Bittere, Unabänderliche hinweghelfen! Aber es ist Zeit, daß ich die Luft wechsle. Hier – wo sie sich alle so hübsch und behaglich ihr Leben zurecht gemacht haben, Jeder freier und gesunder athmet, nachdem das Kriegsgewitter die alten Dünste und Nebel verjagt hat – nur ich – Und mit solchem Gesicht unter diesen guten, zufriedenen Menschen herumgehn – Nein, fort von hier, je eher, je lieber. Wenn ich heute noch abreise, die Nacht durch fahre – übermorgen könnte ich schon mitten in der Arbeit sitzen. Ich werde Angelica bitten, mich bei Schnetz zu entschuldigen. Sie am ehesten wird begreifen, daß mir nicht nach Illuminationen zu Muthe ist.

Kaum hatte er diesen Entschluß gefaßt, so athmete er auf und beschleunigte seine Schritte nach dem Hause, das Schnetz ihm bezeichnet hatte. Die Dämmerung war schon hereingebrochen, in einzelnen Fenstern erglommen schon die ersten Lichter der Illumination, aber die Fenster Angelica's waren dunkel. Oben öffnete ihm die alte Wirthin, bei der die Malerin zur Miethe wohnte. Das Fräulein sei drinnen, sagte sie und wies auf die nächste Thür. Mit einem Herzklopfen, dessen er sich selber schämte, pochte er an. Eine weibliche Stimme rief »Herein«. Als er eintrat in das halbnächtliche Zimmer, erhob sich eine schlanke Gestalt von dem Sopha, auf welchem sie müßig wie auf ihn wartend gesessen hatte. Ist es erlaubt, liebe Freundin, noch so spät? – sagte er und näherte sich ihr zögernd. Die Gestalt schwankte ihm entgegen, jetzt erst konnte er die Züge des Gesichts erkennen – Irene! O mein Gott! rief er – und blieb unwillkürlich stehen; aber im nächsten Augenblick fühlte er sich von zwei Armen umschlungen und einen Mund auf dem seinigen glühen, der ihm jedes Wort erstickte und seine Besinnung in einem Taumel der höchsten Seligkeit untergehen ließ.

Es war, als wollte sie ihn überhaupt nicht wieder zu Worte kommen lassen, als fürchte sie, er möchte ihr wieder für immer aus den Armen schwinden, sobald sie ihn losließe. Auch als ihre Lippen sich endlich von den seinigen lösten und sie den Betäubten glühend und zitternd neben sich auf das Sopha zog, sprach sie beständig allein, mit einer so fieberhaften Hast, als könne jedes Wort, das er dazwischen würfe, den Zauber zerstören, der ihr den Geliebten endlich wieder an die Seite geführt hatte. Nie hatte er sie so gesehen; von ihrem stolzen Mädchenherzen war die letzte Rinde weggeschmolzen, und ein hingegebenes, in süßester Leidenschaft lachendes und weinendes Weib lag an seinem Halse.

Kein Wort wurde gesprochen über das, was ihn so lange von ihr fern gehalten. Es war, als habe nur der Krieg ihn von ihrer Seite gerufen, und nun kehre er endlich zurück, und Alles werde gut und schöner, als es ohne dieses Prüfungsjahr, ohne sein junges Heldenthum und die ehrenvollen Narben hätte werden können. Nur daß er in all der Zeit keine Kunde von sich gegeben hatte, darüber mußte er zärtliche Klagen und Vorwürfe hören. Sobald er aber ein Wort zu seiner Vertheidigung sagen wollte, schloß sie ihm mit Küssen den Mund.

Sei nur still! rief sie. Du bist freilich ein großer Sünder, mein geliebter Held, ich aber – was könnte ich dir an diesem Tage, diesem herrlichen Fest- und Glückstage, nicht vergeben! Und siehst du, es hat dir doch nichts geholfen. Du hast vor mir sicher zu sein geglaubt und dachtest recht unbelauscht hier deinen Einzug halten zu können, während ich am Lungarno in meiner altjüngferlichen Zelle säße und schmollte. Aber dies ist nun einmal eine Zeit der Wunder. Meinen schönen Freifräuleins-Hochmuth, alle meine gute Erziehung, die ich mir selbst verdanke, – in den Winkel habe ich sie geworfen wie alten Plunder und bin zum Onkel gegangen und hab' ihm gesagt: Wenn der Berg nicht zu Mohamed kommt, muß Mahomed zum Berge kommen. Der böse Mensch, der Felix, will mich sitzen lasten; aber dazu gehören Zwei. Komm, Onkel, wir wollen nach München, ich muß meinen Schatz durch das Siegeschor einreiten sehen, Schnetz schreibt, er sähe prachtvoll aus in der Uniform, und wenn auch die alte Gräfin es nicht schicklich finden sollte, daß ich diesem Ungetreuen nachlaufe, ich kann mir nicht helfen, er ist lange genug mir nachgelaufen, daß wir nun einmal die Rollen tauschen können. Und da bin ich nun, und sitze hier schon drei Stunden auf demselben Fleck und warte auf einen gewissen jungen Helden, und habe sehr auf Schnetz geschimpft, der doch versprochen hatte, ihn so bald als möglich in diese Liebesfalle zu locken. Und nun fällt sie wirklich über dir zusammen, und du sollst lebenslänglich nicht wieder freigegeben werden. – – – – – – – – – –

Die Lichter draußen in den Straßen waren längst in vollem Glanz entfacht, unter den Fenstern wogte ein froher Menschenschwarm vorbei, der inneren Stadt zu, wo die Illumination am schönsten sein sollte, aber die beiden Glücklichen hatten Alles vergessen über der langentbehrten Wonne, Eins in des Andern Augen die Flamme unauslöschlicher Lieb' und Treue leuchten zu sehen. Sie fragte nach seinen Kriegsfahrten, er nach den Freunden, die sie in Florenz zurückgelassen hatte. Aber Keines achtete recht auf die Antwort des Andern; es war ihnen nur darum zu thun, sich sprechen zu hören, auch durch den Klang der Stimmen sich zu versichern, daß sie einander wiederhatten.

Eine Stunde mochte so hingegangen sein, da klopfte es sacht an die Thür. Erst beim dritten Mal hörten sie es, und Irene lief nach der Thür, um zu öffnen. Angelica flog herein, die Mädchen fielen sich um den Hals, das gute Geschöpf hatte die Kehle so voll verschluckter Thränen, daß sie zuerst lange nicht sprechen konnte.

Ich komme gewiß noch zu früh, sagte sie endlich. Aber wann wäre man hier nicht zu früh gekommen? Seien Sie tausendmal gegrüßt, lieber Felix – verzeihen Sie, der »Herr Baron« will mir heute nicht über die Lippen – und nun machen Sie, daß Sie noch ein Stück von der Beleuchtung zu sehen kriegen, es ist wundervoll, wir kommen eben davon her, und Irene ist doch nicht hundert Meilen weit gereis't, um hier im Dunkeln zu sitzen, während München in einem Strahlenmeer schwimmt. Sie hat ohnedies vom Einzug heut Morgen blutwenig profilirt, da sie nur für einen einzigen Vaterlandsvertheidiger Augen hatte. In einer halben Stunde könnt ihr euch satt gesehen haben, ich erwarte die Herrschaften dann wieder hier unter meinem niedern Dach zu einer bescheidenen Tasse Thee. Schnetzens werden auch erscheinen, und der Onkel Baron hat mir feierlich sein Wort gegeben, heute nicht etwa sich von irgend einer Champagnerfête fesseln zu lassen. Schade, daß Rosenbusch noch nicht so weit ist. Der arme Schelm hat zur Belohnung für all seine Bravheit nur ein lahmes Bein und ein ältliches Mädchen zur Frau. Aber finden Sie nicht auch, daß er sein Schicksal mit unglaublich viel Fassung erträgt? –

Längst waren alle Lichter des Festes ausgelöscht und die letzten Jubelrufe des schönen Tages verhallt, als Felix in die enge Kammer trat, die in dem ganzen großen Hôtel allein noch frei gewesen war. Auch jetzt noch dachte er nicht an Schlaf. Er setzte sich auf das Bett, zog einen Brief aus der Tasche, den Irene ihm mitgegeben, als er sich vor ihrer Wohnung von ihr trennte, und betrachtete – mit wie inniger Bewegung! – die Handschrift des Freundes, den er für immer verloren zu haben glaubte und den zu allem anderen unerwarteten Segen dieser Tag ihm wiedergeschenkt hatte.

Dann las er die folgenden Zeilen:

 

»Dieses Blatt soll dir unsere Glückwünsche bringen, mein Theuerster. Wenn es in deine Hände gelangt, haben sich die letzten Schalten gelichtet über deinem Leben. Du wirst durch den Mund deiner Geliebten Alles von uns hören, was dir für unser Glück Bürgschaft leisten kann. Nur das Eine vielleicht scheut sie sich auszusprechen: auch nach außen hin ist unser Besitz nun gegen jede Störung gesichert. Vor einigen Wochen ist die Scheidung gerichtlich vollzogen und unserm Bunde, der freilich durch keine Urkunde erst noch befestigt zu werden brauchte, der Kinder wegen auch die äußere Sanktion zu Theil geworden. Die Unselige hat selbst die Hand dazu geboten, von Athen aus, wo sich ein reicher Engländer um sie beworben hatte. Der letzte Funke von Groll gegen sie ist in mir erloschen. Ich kann ihrer wie einer Todten gedenken. Möge sie in dem Jenseits, das sie sich selbst erwählt, zur Ruhe kommen, so weit ein Wesen ihrer Art Ruhe finden und sie überhaupt nur ertragen kann.

»Laß nun endlich wieder einmal von dir hören, mein Alter. Alles, was wir über dich vernommen, hat uns von Herzen gefreut. Du wirst das Leben zu gestalten, das Stück Welt, das auf dich angewiesen ist, zu ordnen unternehmen. Viel Glück dazu! Es ist denn doch dein eigentlichster Beruf, und wenn Freund Eduard's Weisheit Recht hat, daß das eigentliche Glück nichts Anderes sei, als eine Lage, in welcher wir unserer Persönlichkeit am meisten bewußt werden, so bist du glücklich zu preisen und wirst das edle Herz, das sich dir ergeben, glücklich machen. Liebster, was hat jeder von uns für ein großes Loos gezogen! Daß wir's nachträglich uns haben sauer genug verdienen müssen, ist um so besser. Alles Unverdiente demüthigt. Und ein Ueberschuß von Gnade der Götter, denen wir zu danken doch nicht zu stolz sein dürfen, bleibt immerhin.

»So rede ich von unsern Schicksalen, und der großen, ungeheuersten Weltgeschicke, die sich eben vollzogen haben, denk' ich mit keinem Wort. Aber freilich reicht kein Wort an ihre Macht und Bedeutsamkeit heran. In dem Gefühl dieses Verstummens und Staunens kann auch die Empfindung kaum sich geltend machen, daß die Musen, die unter den Waffen zu schweigen gewohnt find, auch im Frieden wohl so bald noch nicht wieder zu Worte kommen werden. Ihr Männer der That habt noch eine gute Weile den Vortritt; denn die Umwälzung des öffentlichen Geistes, die Bewegung, in die alle Verhältnisse des Lebens und der bürgerlichen Gesellschaft gerathen sind, ist weit unberechenbarer, weit folgenreicher, als ihr selbst, die ihr mitgehandelt, in der ersten Ruhepause unmittelbar nach den letzten Schlägen ermessen könnt. Wir hier draußen übersehen die Dinge mit einem freieren Blick, da wir auch den Rückschlag auf die Nachbarn mitempfinden, von dessen Größe ihr keine Ahnung habt. Es ist eben eine Zeit der Neubildung aller staatlichen und gesellschaftlichen Zustände, das Nothwendige setzt sich durch und das Wirkliche erinnert überall an sein ungeheures Naturrecht. Da haben Diejenigen das erste und letzte Wort, die das Leben zu gestalten berufen sind, und diejenigen, die sich mit Träumen abgeben, wie unsereins, stehen beiseite und danken es dem Zufall, wenn noch hie und da von ihnen die Rede ist. Du kennst meine Ueberzeugungen. Du weißt, daß ich mit allem Respect vor der Politik sie nicht als eine höchste Aufgabe des Menschengeistes anzusehen vermag. Das Mögliche und Nützliche, das Zweckmäßige und Nothwendige sind und bleiben relative Ziele; die Aufgabe des Staatsmannes muß es sein, sich mehr und mehr entbehrlich zu machen, den öffentlichen Rechtssinn so zu erziehen, daß möglichst viel freie Individuen sich miteinander vertragen, und Jeder auf seine Hand oder im Verein mit Gleichstrebenden sich mit ewigen Aufgaben beschäftigen könne. Ob wir eine Zeit erleben, in welcher die Künste, die bisher wie Wucherblumen auf Ruinen geblüht, nun auch die geregelten, wohnlichen und gesunden Mauern der neuen Staatengebäude mit ihrem immergrünen Laube schmücken? Wer kann es sagen! Die Menschheit lebt rasch in diesen Tagen. Einstweilen thue Jeder das Seine.

»Lebwohl, und gedenke zu leben, und laß die Mitlebenden davon erfahren. Ich wollte, ihr könntet auf einem Faustmantel euch in diesem Augenblick zu uns her versetzen, all ihr Guten, Lieben und Treuen. Ich schreibe dies in einer Villa am Abhang des herrlichen Hügels, der das alte Fiesole trägt. Julie geht im Garten auf und ab, unsere Bimba auf dem Arm, Fränzchen neben ihr, eifrig ihre kleine Lection lernend. Wie schön ist die Welt um mich her! Und mit welcher stillen, hohen und ruhigen Freude kann ich zu euch hinüberdenken, ihr Geliebten! Kommt und gönnt uns den Anblick eures Glücks und freut euch des unsern.

»Und dann wollen wir das alte Paradies unter einem anderen Himmel und auf einem neuen Boden wieder aufleben lassen.«


Druck der Union Deutsche Verlagsgesellschaft
in Stuttgart.

 


 << zurück