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Zweites Kapitel.

Noch zwei andere Säulen des Paradieses waren wankend geworden und nicht im Stande, den Verfall aufzuhalten.

In der ersten Zusammenkunft nach dem verhängnißvollen Maskenfest waren Rosenbusch und Elfinger noch erschienen, aber in sichtbar gedrückter Stimmung und weder so witzig, noch so dankbar für den Witz der Anderen, wie sonst.

Auf dem Heimwege gestanden sie sich, daß die Sache sich überlebt habe; auch der Wein sei heute viel saurer gewesen, als in den guten Zeiten.

Nun war es freilich noch der nämliche Wein, aber seine Blume konnte den bittern Geschmack auf den Zungen der Trinker nicht bezwingen. Und dies hatte bei ihnen Beiden völlig entgegengesetzte Ursachen.

Der ernsten und unerschütterlichen Neigung Elfinger's war es in der That nicht gelungen, das Herz seines frommen Mädchens ihrem himmlischen Bräutigam abtrünnig zu machen. Bei einer jener Nachmittags-Andachten in dem bewußten Kirchlein war ihr unter vielen Thränen das Geständniß ihrer Gegenliebe entschlüpft, aber mit dem Zusatz, der Alles wieder zunichte machte, daß sie sich darum nicht minder durch ihr altes Gelübde gebunden fühle und jetzt nur um so unglücklicher sei, zumal auch ihr Beichtvater ihr klar gemacht habe: sie werde weder auf Erden glücklich, noch im Himmel selig werden, wenn sie der strafbaren Liebe zu einem Lutheraner nicht entsage, der obenein ein Komödiant gewesen sei.

Den beredtesten Einwendungen Elfinger's hatte das arme Kind nur Kopfschütteln und Thränen entgegengesetzt und die langen Briefe, die ihr Geliebter ihr fast täglich ins Haus schickte, mit kleinen, übrigens ganz zierlich und nicht allzu unorthographisch geschriebenen Zettelchen beantwortet, in welchen sie ihn aufs Rührendste anflehte, ihr das Herz nicht noch schwerer zu machen, sondern am liebsten in eine andere Wohnung zu ziehen und ihr nie wieder zu begegnen.

Dieser Briefwechsel hatte natürlich nur Oel ins Feuer gegossen, diesseits und jenseits der Straße. Aber die Pforten der Hölle schien ihre Liebe dennoch nicht überwinden zu sollen, und in dem Kummer darüber verlor Elfinger mehr und mehr den Geschmack an allen Paradiesesfreuden, saß die Abende meist zu Hause und brütete über Plänen zum Sturz der Priesterherrschaft, wobei er alle Schriften gegen das Vaticanische Concil durchstöberte und heftige Leitartikel für kleine Zeitungen über die Aufhebung der Klöster verfaßte.

Aber während er in diesen Nöthen schwebte, war sein Zimmernachbar noch übler daran, und zwar durch den allerweltlichsten Leichtsinn seines Schatzes. Um diese hatte sich, wie er durch die treue Magd wußte, der einzige Sohn eines reichen Bräuers aus einer der kleineren Städte des Landes beworben, und die hübsche Hexe schien Alles unterlassen zu haben, was selbst eine gehorsame Tochter aufzubieten pflegt, um ihre Abneigung gegen einen verhaßten Bewerber an den Tag zu legen. Rosenbusch, der noch immer das romantische Entführungsproject in seiner Seele gewälzt hatte, konnte Anfangs an diesen schnöden Verrath nicht glauben. Als aber seine Briefe unbeantwortet blieben, der letzte sogar uneröffnet durch die Stadtpost zurückkam, gerieth er in einen ungeheuren Zorn, verfaßte nächtelang die beleidigendsten Gedichte gegen Bräuerssöhne und Philistertöchter und ergab sich mehr und mehr einer ausschweifenden Melancholie, Menschenverachtung und Arbeitsscheu. Er verwilderte auch äußerlich in erschreckendem Maße, trug als einziges Kleidungsstück jenen weitläufigen Frack Eduard Rossel's, den dieser nach dem Hochzeitsabend ihm feierlich abgetreten hatte, darüber ein grobes, roth und blau carrirtes Plaid und ein Hütchen, das er selbst aus seinem ehemaligen Calabreser sich zugeschnitten hatte, da die breite Krämpe in einer Nacht, wo er den Käfig offen gelassen hatte, von den weißen Mäusen angefressen worden war und erheblich verkleinert werden mußte.

Allerdings ging er noch regelmäßig ins Atelier und schloß sich hier unter dem Vorwande einer geheimnißvollen großen Arbeit ein, rührte aber den ganzen Tag keinen Pinsel an, sondern hockte neben dem Ofen, in welchem er mit zusammengelesenen Fragmenten alter Gartenzäune und Bilderkisten ein unzulängliches Feuerchen unterhielt. So saß er in sein Plaid gewickelt, eine kalte Cigarre im Munde, starrte vor sich hin und spähte unter seinen Alterthümern herum, welches Stück er zunächst sich von der Seele reißen und dem Trödler überliefern sollte. Denn eine ansehnliche Zahlung, die er zu machen hatte, erschöpfte den letzten Rest seines baaren Vermögens. In der Rührung über den Opfertod des treuen Hundes hatte Rosenbusch, um Jansen damit zu überraschen, einen Grabstein auf den kleinen Hügel im Garten bestellt, mit der nachdenklichen Inschrift

 

HIC JACET HOMO
nihil humani a se alienum putans.

 

Es war nur ein einfacher, aber mit einem zierlichen Profil versehener Granit und die Buchstaben nicht einmal vergoldet. Dennoch überstieg die Rechnung des Steinmetzen um das Doppelte den Voranschlag, so daß er Degen und Wehrgehenk eines Wallonischen Kürassiers, eine rostige Trense aus dem Schwedenkriege und seine letzte Hellebarde verkaufen und obenein das Porträt der Frau des Steinmetzen in Oel malen mußte, um diesen Act der Pietät schuldenfrei zu vollbringen.

Keinem der Freunde, nicht einmal Elfinger, sagte er ein Wort von seiner Lage und betrug sich bei der Einweihungsfeier des Monuments, die er veranstaltete, so gelassen und würdig, daß Alle glaubten, er habe wirklich einen unbekannten Gönner aufgetrieben, der ihm Vorschüsse auf sein neues großes Bild gemacht. Daß er dabei trotz der bittern Winterkälte im Frack erschien, schob man auf die Feierlichkeit, mit der er überhaupt die ganze Sache behandelte.

Er selbst suchte sich Anfangs noch bei guter Laune zu erhalten. Er verfaßte eine Beschreibung der Feier in seinen gefühlvollsten Versen, begleitete sie mit einer Zeichnung des Grabsteins und anderen auf die Enthüllung bezüglichen Illustrationen und sandte dies Document nach Florenz, wo Jansen und Julie einstweilen Station gemacht hatten.

Das Porto für diese Sendung kostete ihn seinen letzten Kreuzer. An diesem Tage aß er erst um neun Uhr Abends auf Credit zu Mittag und ging dennoch hungrig zu Bett.

Wenn er aber Alle täuschte durch die lächelnde Miene, mit der er sich in sein Plaid und seinen Liebeskummer hüllte, so waren doch zwei Augen in seiner Nähe, die er nicht hinters Licht zu führen vermochte.

Dies waren die Augen seiner Atelier-Nachbarin Angelica, die auch nicht mehr so heiter in die Welt blickten, wie um die Weihnachtszeit. Ihr leidenschaftliches Bedürfniß, irgend etwas zu vergöttern und ihrer Verehrung in unerschöpflichen Kraftausdrücken Luft zu machen, fand seit dem Scheiden des glücklichen Paars keine Nahrung mehr. Sie hätte es sich allerdings selbst verdacht, wenn sie, nachdem ihr in Jansen das Ideal wahrer Künstlerschaft, in Julien die Blüte der Schönheit und Liebenswürdigkeit begegnet war, nun mit etwas Geringerem vorlieb genommen hätte. Zu Anfang bemühte sie sich, das Fränzchen schwärmerisch zu lieben und die Begeisterung für seine Eltern auf das Kind zu übertragen. Da dies aber wegen des weiten Weges und einer gewissen Zurückhaltung des kleinen Wesens seine Schwierigkeiten hatte, kam sie nach und nach wieder davon zurück und begnügte sich, alle Sonntage das Kind zu besuchen und gegen die Pflegemutter enthusiastische Reden über seine Talente zu führen. Die gescheidte kleine Frau nahm sie immer etwas kühl auf, theils, weil sie alles Überschwängliche von sich abwies, theils, weil es ihr weh that, daß ihre eignen Kinder gänzlich übersetzen wurden. Es war ihr einzig darum lieb, als gegen das Frühjahr ein Brief von Julien kam, mit der Bitte, das Kind, sobald es die Witterung erlaube, zu seinen Eltern nach Florenz zu bringen. Sie konnten es leider nicht, wie sie gehofft, selbst abholen, der Arzt habe ihr »aus gewichtigen Gründen« das Reisen verboten. Doch hätten sie zu große Sehnsucht nach dem Kinde, um noch länger zu warten, und bäten seine treue Pflegerin, ihnen auch noch dieses Opfer zu bringen und bei der Gelegenheit einen Blick in ihre italienische Häuslichkeit zu thun.

Reiche Geschenke für die anderen Kinder waren beigefügt und ein Brief an Angelica, in welchem die Freundin sie aufs Herzlichste bat, die Reise mitzumachen und womöglich einen ganzen Sommer bei ihnen zuzubringen. Jansen hatte diese Einladung in einer sehr freundschaftlichen Nachschrift bekräftigt; das überschickte Reisegeld war auf drei Personen berechnet.

Wie der guten Seele zu Muth war, als sie diesen Brief las und die Aussicht sich vor ihr aufthat, Alles, was sie liebte und bewunderte, nun wieder mit Augen zu sehen und mit Armen umfangen zu können, ist unnöthig zu schildern. Sie saß mit klopfendem Herzen und glühenden Wangen wohl eine Stunde lang unbeweglich vor ihrer Staffelei und hatte sich in ihrem ganzen Leben nie so glücklich-unglücklich, so von widersprechenden Wünschen bestürmt gefühlt. Als sie endlich zu dem klaren Entschluß gekommen war, das ihr dargebotene Glück auszuschlagen, kam sie sich bei allem Heldenmuth der Tugend so bedauernswürdig vor, daß sie bitterlich zu weinen anfing und es nicht achtete, wie ihre Thränen auf einem Aquarellblatt, an dem sie gerade malte, das schöne Blumengewinde mit einem allzu naturalistischen Thau befeuchteten.


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