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Viertes Buch.

Erstes Kapitel.

Eine halbe Stunde von Starnberg entfernt, dicht am Ufer des schönen See's steht ein unscheinbares Landhäuschen, dessen Hauptschmuck ein schattiger, ziemlich verwilderter und verwachsener kleiner Park von Buchen und Fichtenbäumen ist. Derselbe zieht sich von der Landstraße, die Starnberg mit dem Schlößchen und den Fischerhütten Possenhofen's verbindet, bis an den See hinab, ein schmaler Streifen Waldlandes, nur durch Stangenzäune von den Nachbargärten getrennt, so daß man darin herumwandelnd seiner Gränzen kaum gewahr wird. Das Haus selbst ist nicht minder eng und schmucklos und enthält außer einem größeren Gemach und einigen Kammern rechts und links nur noch ein Thurmzimmer im Obergeschoß, das durch ein großes Nordfenster sich sofort als ein Atelier ankündigt. Von hier aus sieht man über die Fichtenwipfel hinweg ein Stück des See's und dahinter die weißen Starnberger Häuser und Villen am Fuß der Anhöhe, auf welcher das alte Herzogsschloß jetzt vom Landgericht in Beschlag genommen, sich als ein ungefüger stumpfeckiger Kasten erhebt.

Ein Landschaftsmaler hatte sich vor Zeiten dieses bescheidene Sommernest erbaut und da oben aus dem Thurmfenster seine Luft- und Wolkenstudien gemacht. Als er kinderlos starb, beeilte sich die Wittwe, die Besitzung Demjenigen unter den Bekannten ihres Mannes anzutragen, der für einen Krösus galt; so war das Häuschen an Eduard Rossel gekommen, zu großer Verwunderung und Ergötzung aller seiner Freunde. Denn der Dicke war als ein unheilbarer fanatischer Verächter des Landlebens bekannt, der die Leidenschaft der Münchener, zur Sommerfrische ins Gebirge zu gehen, mit unerschöpflichen Spöttereien lächerlich zu machen pflegte und selbst in der heißesten Zeit, wo keiner der Freunde in der Stadt aushielt, lieber ganz ohne Menschenverkehr sich behalf, als daß er die Bequemlichkeiten seines hübschen Stadthauses nur auf Wochen hätte entbehren mögen.

Er behauptete, dies empfindsame Angaffen einer Berg- oder Waldlandschaft, das Außersichgerathen vor einer grünen Wiese oder einem verwitternden Schneefelde, das Verhimmeln in Morgen- und Abendröthen und aller sonstige moderne Natur-Götzendienst sei nichts mehr noch minder als eine verschämte Form des gemeinen gedankenlosen Müßigganges und als solcher gewiß nicht zu verwerfen, am wenigsten von einem so eifrigen Vertheidiger des beschaulichen Nichtsthuns, wie er selbst. Nur solle man sich nicht anstellen, als wäre gerade diese Form der Trägheit der höchste und menschenwürdigste Zustand; im besten Falle stehe der Gewinn, den Seele und Geist davon hätten nicht höher, als wenn man in einem Bilderbuche blättere oder stundenlang Tanzmusik mitanhöre. Die Natur – möge man noch so viel von ihrer Erhabenheit, Lieblichkeit oder poetischen Stimmung faseln – sei und bleibe nur Coulisse, und die Bühne dieser Welt fange erst an, das Entrée zu verlohnen, sobald Menschengestalten darin aufträten. Wer im Parterre sitzend den ganzen Abend auf die leere Scene starren, die Wald- oder Berg-Decorationen betrachten und das Stimmen des Orchesters mitanhören möge, den beneide er nicht um seine Anspruchslosigkeit.

Hierauf wurde ihm regelmäßig von den Land-Enthusiasten erwiedert: man wisse schon, daß er der Natur nur darum grolle, weil nicht an allen schönen Punkten für ein bequemes Sopha und einen französischen Koch gesorgt sei. Gegen solche Neckereien suchte er sich durchaus nicht zu wehren, stimmte ihnen vielmehr in allem Ernste bei und führte mit vielem Scharfsinn die Behauptung durch, daß ein denkendes Wesen mehr Naturgenuß und eine tiefere Einsicht in die Größe und Herrlichkeit der Schöpfung aus einer Trüffelpastete gewänne, als aus der Betrachtung des Sonnenaufgangs vom Rigi aus, mit verschlafenen Augen, nüchternem Magen, die frostklappernden Glieder in eine lächerliche Bettdecke gewickelt, gleich seinen Nebenmenschen ein trauriges Opfer des Alpenwahnsinns. Er pflegte dann die antiken Völker zu citiren, die eine solche Ueberschätzung der landschaftlichen Natur überhaupt nicht gekannt und im Uebrigen doch ihre fünf Sinne in beneidenswerther Klarheit und Richtigkeit besessen hätten, auch sehr geistreiche Leute gewesen seien. Freilich, das berühmte germanische Gemüth hätten sie nicht gekannt; wahrscheinlich aber datire der Verfall der Künste gerade von dem Aufkommen und Umsichgreifen dieser Epidemie, weßhalb es auch für Künstler sich am wenigsten schicke, die »Berghuberei« – wie man das Landfieber in München nennt – zu begünstigen, bis auf Diejenigen freilich, die davon leben müßten, Landschafts-, Thier- und Bauernmaler – eine Abart des Künstlerthums, von welcher der Dicke überhaupt nur mit herabgezogenen Mundwinkeln sprach.

So sehr er nun aber das germanische Gemüth zu verdächtigen pflegte, so wenig konnte er es übers Herz bringen, die Wittwe jenes Landschaftsmalers abzuweisen, als sie ihm das Haus am See um einen nicht gerade niedrigen Preis zum Kauf anbot. Unbesehens schloß er den Handel ab und ließ das Hohngelächter, das über ihn hereinbrach, ruhig austoben, ohne eine Miene zu verziehen. Etwas besitzen, heiße noch nicht, von Etwas besessen sein, sagte er gleichmüthig. Er werde darum nicht mitrasen, weil er sich unter die Verrückten und Verzückten begebe. Und richtig führte er auch, so oft er draußen war, sein gewohntes beschauliches Sybaritenleben fort und behauptete, die Natur habe ganz eigene Reize, wenn man sie mit dem Rücken ansehe.

Er hatte das im Bauernstil möblirte Häuschen aufs bequemste mit einer Menge Sophas, Teppichen und Polsterstühlen einrichten lassen, und immer war dieser oder jener seiner Freunde bei ihm zu Gast, so daß auch das Atelier über den Wipfeln, in das er selbst nie einen Fuß hineinsetzte, seiner Bestimmung nicht ganz entfremdet wurde. Die göttliche Ruhe, pflegte er zu sagen, wäre lange nicht so erhaben, wenn es nicht Menschen in der Welt gäbe, die sich abzappelten und im Schweiß ihres Angesichts das Feld der Kunst bebauten.

In diesem Jahre nun hatte er seinen ästhetischen Gegenfüßler, den guten Philipp Emanuel Kohle, mit hinausgenommen, ihm das Zimmer zur Linken neben dem Speisesälchen in der Mitte eingeräumt, während er selbst in dem zur Rechten schlief, und überdies, wie sich von selbst verstand, die ausschließliche Benutzung des Ateliers. Sie sahen sich übrigens nur Mittags und Abends, da der Morgenschlaf des Wirths dem fleißigen Gast zu lange währte, um mit dem Frühstück auf ihn zu warten. Auch konnten sie nie beisammen sein, ohne in Streit zu gerathen, was dem Dicken zu jeder Tageszeit willkommen und seiner Verdauung, wie er behauptete, höchst ersprießlich war, außer in den Morgenstunden. Er fand je länger je mehr Gefallen an dem wunderlichen, nach innen gekehrten Menschen, der, ein so blutarmer, unansehnlicher und unweltläufiger Gesell er war, dennoch ein wahrhaft königliches Selbstgefühl und das Bewußtsein unermeßlicher Freuden und Besitzthümer mit sich herumtrug, ohne dabei zu verlangen, daß nur irgend ein Mensch seine heimlichen Hoheitsrechte anerkennen solle. Auch benahm er sich seinem Wirth gegenüber, so anspruchslos er auftrat und so herzlich er die angebotene Gastfreundschaft ihm dankte, mit völliger Freiheit, da er über die irdischen Güter, die ihm fehlten und Jenem so reichlich zu Gebote standen, die erhabensten Grundsätze hatte.

Ein kleiner Altan war in den See hinausgebaut, mit einem auf hölzernen Säulchen ruhenden Dach, rings mit wildem Wein umrankt. Ein Tisch und einige Gartenstühle standen dort, und man sah von hier aus weit über den schönen, windstillen See und das ferne Gebirg, und Nachts war es lieblich über dem Geländer zu lehnen und Mond und Sterne auf der Welle tanzen zu sehen. Noch waren die Nächte warm, aus den Gärten dufteten die Rosen herüber; man konnte bis Mitternacht wie heut im Freien sitzen. Der Dicke hatte sich mit dem Rücken gegen den See in einen amerikanischen Schaukelstuhl gelegt, eine Wasserpfeife stand neben ihm, auf dem Tisch in einem Kühlgefäß eine Flasche mit weißem Wein, aus der er von Zeit zu Zeit sich und seinem Gast einschenkte. Kohle saß ihm gegenüber am Tisch, die Ellnbogen aufgestemmt, das schäbige schwarze Hütchen über die Stirn gedrückt, unter der die Augen wie die eines Nachtvogels starr und ernsthaft aus dem Schatten hervorglommen. Sie schienen von dem weißen Silberstreifen, der den See durchfurchte, magisch gefesselt zu sein, und nur wenn er sprach, richteten sie sich langsam auf die hohe, weiße Stirn seines Wirthes, von der das griechische Mützchen weit zurückgesunken war. Rossel trug seinen kaftanartigen Schlafrock, der weiche schwarze Bart hing malerisch über die Brust herab. Selbst in der Mondscheinbeleuchtung nahm sich Kohle sehr dürftig neben ihm aus, wie ein Derwisch neben einem Emir. Er hatte überhaupt nur einen einzigen Rock für alle Jahres- und Tageszeiten.

Sie mögen nun sagen, was Sie wollen, lieber Freund, schloß der Dicke einen längeren Disput über den Charakterunterschied der Süd- und Norddeutschen – er selbst war aus Passau, Kohle aus dem Erfurtischen: – ein Talent geht euch Leuten jenseits der Mainlinie ab: ihr könnt vortrefflich schwimmen, aber nicht auf dem Rücken liegen und euch treiben lassen. Habe ich Sie nicht in diese langweilige Sommerfrische hinausgeschleppt, weil Ihr Anblick für einen Fleischmaler nachgerade unerträglich wurde, Ihre Haut zu einem würdigen Pergament eintrocknete und Gefahr im Verzüge war, wenn Sie sich nicht ins frühe Grab componiren sollten? Und nun treiben Sie's hier draußen nicht besser, consumiren eine Elle Cartonpapier nach der andern, und die Schatten in Ihrem Gesicht werden immer schwärzlicher. Hat es denn solche Eile damit, lieber Kohle, Dinge zu produciren, auf die kein Mensch in der Welt wartet?

Der Blasse veränderte keine Miene. Er trank langsam ein paar Tropfen von dem Wein in seinem Glase und sagte dann ruhig: Verbiete du dem Seidenwurm zu spinnen!

Sie vergessen, lieber Gevatter, daß jener Wurm, den Sie als Ihr Vorbild citiren, wenigstens die Entschuldigung hat, daß er Seide spinnt. Wenn Sie es dahin brächten, hätte das Ding noch einen praktischen Zweck. Ihr Gespinnst aber –

Nun sprechen Sie einmal wieder gegen Ihre bessere Ueberzeugung, versetzte der Andere gelassen. Leute, die einen praktischen Zweck mit ihrer sogenannten Kunst verfolgen, giebt es heutzutage mehr als genug. Hören Sie doch nur einmal zu, wenn unsre Collegen von ihren »Interessen« sprechen. Es geht da zu wie an der Börse: für dies Bild fünftausend Gulden, für jenes zehntausend, oder gar zwanzig und fünfundzwanzig, und daß ein Gewisser eine jährliche Rente von so und so viel und einige Häuser obenein besitzt, das ist die bewegende Kraft für eine unzählbare Menge. Diese Bilder haben keinen Werth mehr, nur noch einen Preis. Wie man es anstellen müsse, es auch so weit zu bringen mit der Fabrikation von bemalter Leinwand, darum dreht sich alle Arbeit der Künstlerphantasie, statt von Rechts wegen aus die Sache selbst gerichtet zu sein. Nun, mit diesem Gewürm, das sich im Staube wühlend nährt, habe ich nichts gemein. Ob ich aber Seide spinne oder nur schlichte Fäden, die mich allein freuen und aus denen ich dann mit Flügeln mich ins Freie schwinge, was soll mir daran liegen?

Sie sind für dieses Bank- und Börsen-Jahrhundert tausendmal zu gut, theurer Schwärmer! rief der Dicke mit einem Seufzer ehrlicher Bewunderung. Aber wenn Sie auch die goldnen Früchte am Baum des Lebens verachten, es blüht daran doch noch allerlei Anderes, was schön und begehrenswerth zu finden auch dem Besten keine Schande macht! Zum Beispiel der Ruhm, oder die Liebe, denen Sie ebenfalls mit erhabener Verachtung den Rücken kehren. Ihr Leben ist gerade so ernst, wie Ihre Kunst, und Sie wissen doch, was Schiller sagt. Wenn Sie's noch ein paar Jahre so fort treiben, hat Ihre Lebensflamme allen Docht verzehrt, und die Bilder der laterna magica, die das Licht an die dunkle Wand Ihres Daseins geworfen, tauchen mit Ihnen in die ewige Nacht hinab.

Nein! rief der Andere, und in seinem gelblichen Gesicht zuckte plötzlich eine rothe Glut auf, diese Furcht ist mir fern. Non omnis moriar! Etwas von mir wird bleiben, und wenn Sie Recht haben, daß mir im Leben kein Ruhm blühen sollte, – ein sanfter Schimmer des Nachruhms wird mein Gebein unter dem schlechten Hügel erwärmen, dessen bin ich gewiß. Denn es kommen bessere Zeiten, oder ein Gott erbarmt sich dieser armseligen Welt und schlägt sie in Scherben, ehe sie zu einem Kehrichthaufen wird, dem keine lebendige Blume mehr entsprießen will. Ich sage mir manchen Tag, wenn mir selber vor dieser schnöden Gegenwart bange werden will, die Trostverse meines Hölderlin vor:

Aber weh! es wandelt in Nacht, es wohnt wie im Orcus
Ohne Göttliches unser Geschlecht. Ans eigene Treiben
Sind sie geschmiedet allein, und sich in der tosenden Werkstatt
Höret Jeglicher nur, und viel arbeiten die Wilden
Mit gewaltigem Arm, rastlos; doch immer und immer
Unfruchtbar, wie die Furien, bleibt die Mühe der Armen.
Bis, erwacht vom ängstigen Traum, die Seele den Menschen
Ausgeht, jugendlich froh, und der Liebe segnender Odem
Wieder, wie vormals oft, bei Hellas' blühenden Kindern,
Wehet in neuer Zeit, und über freierer Stirne
Uns der Geist der Natur, der fernherwandelnde, wieder
Stilleweilend der Gott in goldnen Wolken erscheinet.

Führen Sie nur nicht Ihren Hölderlin als Gewährsmann für sich an! rief Rossel. Er war allerdings gerade so unpraktisch und so wenig zeitgemäß, wie Sie, auch so ein erratischer Block, der sich aus der hohen Heiden- und Griechenvorwelt in unsere flache Gegenwart verlaufen hatte, ein Künstler um der Kunst willen, ein Träumer und Geisterseher am hellen Tag. Aber daneben wußte er doch sehr wohl, was das Leben lebenswerth macht, und wenn er das Gold verachtete und dem Ruhm nicht hitzig nachjagte, mit der Liebe nahm er es so ernst, daß er sogar den Verstand darüber verlor. Sie aber, theurer Philipp Emanuel, –

Wissen Sie so gewiß, ob ich nicht auch aus dem besten Wege dazu bin? unterbrach ihn Kohle mit einem eigenen, halb verschmitzten, halb schüchternen Lächeln. Zwar – nicht dieses oder jenes schöne Weib hat mir bis jetzt um mein bischen Vernunft bange gemacht. Aber das Weib und die Schönheit überhaupt, die ich, wie ich nun einmal bin –

Er stockte und drehte sich auf seinem Stuhl herum, so daß er dem Freunde nur das Profil zuwandte.

Ich verstehe Sie nicht, Gevatter! sagte Jener.

Das Ding ist simpel genug. Ich habe nie ein schönes Weib gefunden, das so wenig Ansprüche an einen Verehrer gemacht hätte, um mit meiner Wenigkeit vorlieb zu nehmen, das heißt – denn Almosen veracht' ich – sich in diese grau in grau getuschte Skizze einer Menschenfigur, die meinen Namen führt, im Ernst zu vergaffen. Und da auch ich nicht die Kunst verstehe, vorlieb zu nehmen und mir ein Schätzchen zu suchen, das allenfalls zu mir paßte und den gleichen schnöden Fabrikstempel trüge, so hat's mit der Liebe eben gute Wege. Sie werden mich auslachen, Rossel, aber es ist mein heiliger Ernst: die Venus von Milo wäre mir gerade schön genug.

Eine kleine Pause trat ein. Dann sagte der Dicke: Nun ich Sie verstanden habe, muß ich bekennen, daß ich Sie erst recht nicht verstehe. Auch schätzen Sie die Weiber sehr falsch. Was die wollen, ist ein Mann, einer, der ihnen den Herrn und Meister zeigt, nicht eine blanke Gliederpuppe. Legen Sie Ihre Demuth und Ihren Hochmuth zugleich ab und greifen Sie zu, wo das heitere Leben Ihnen in den Weg gelaufen kommt. Uebrigens wie Sie wollen. Wer weiß, ob nicht einmal die Venus von Milo in eigenster Person sich Ihrer erbarmt und Sie dafür belohnt, daß Sie alles geringere Weibervolk verschmäht haben, um auf die Göttin zu warten.

Und wenn sie mir schon erschienen wäre, ja Tag für Tag da oben über den Wipfeln mich besuchte? sagte Kohle mit heimlichem Lächeln.

Er deutete mit der Hand nach dem Atelier hinauf, dessen Fenster leise im Sternenlicht schimmerte.

Rossel sah ihn groß an.

Sie fürchten, der heilige Wahnsinn sei nah am Ausbrechen, lachte der Kleine. Ich verwechsle aber noch nicht Traum und Wirklichkeit. Daß ich sie gesehen habe und allerlei von ihr erfahren, was andere Sterbliche bis jetzt noch nicht wissen, steht fest. Aber ich glaube selbst, daß mir das Alles nur geträumt hat. Es war gleich am ersten Morgen hier draußen. Ich hatte Abends vorher den »letzten Centaur« gelesen. Die Vögel weckten mich sehr früh, ich lag dann noch ein paar Stunden mit geschlossenen Augen, und da ist mir die ganze Geschichte so in Einem Zuge vorübergegangen.

Welche Geschichte?

Ich bin gerade dabei, sie zu skizziren, so in meiner Manier, über die Sie wieder räsonniren werden; es giebt einen Cyclus von sechs oder acht Bildern. – Soll ich Ihnen das Märchen wirklich so hererzählen, wie ich's aus dem Stegreif zusammenbringe? Es müßte eigentlich in Versen geschehen, aber ich bin nun einmal kein Dichter. Genug, es thut sich irgendwo eine Bergwand auf, etwa der Hörselberg oder sonst eine mythologische Felsenkluft, in der eine Göttin ein paar Jahrtausende von der Welt zurückgezogen gewohnt haben könnte. Heraus tritt unsere liebe Frau von Milo in eigner Person und hält an ihrer Hand ein halbwüchsiges Bübchen, das kein Geringerer ist, als der kleine Amor. Sie sind Beide nur nothdürftig bekleidet und sehen sich mit fremden Augen in der Welt um, die sich seither gewaltig verwandelt hat. Eine Stadt liegt vor ihnen mit Zinnen und Thürmen, die wunderlich gezackt in die Luft starren. Reiter und Fußwanderer kommen aus dem Thor in bunten Gewändern eines seltsamen Schnitts, der zur Zeit, da man noch die alten Götter verehrte, nirgend in der Welt landüblich war. Der Himmel ist trübe, ein Strichregen macht sich sachte auf, der die hohe Frau und ihr Knäbchen, da sie den Rückweg in ihren Versteck nicht finden, nöthigt, ein anderes Obdach zu suchen. Nur getrauen sie sich nicht, die menschenwimmelnde Stadt zu betreten. Aber droben auf dem Berg liegt ein hoher steinerner Bau, von welchem ein Thurm mit schöner Glockenstimme über das ganze Land zu rufen scheint, daß man nur kommen möge. Dies freilich ist nicht in der Zeichnung auszudrücken, aber das Klösterchen droben muß etwas Heimliches haben, daß man begreift, wie die Flüchtlinge, die unten im Regen unter einem Lorbeergebüsche stehen, sich hinaufsehnen. Nun, wie die Sonne wieder vorbricht, klopfen sie auch richtig an die Klosterpforte. Die Nönnchen stürzen heraus, auf den Lärm, den die Schwester Pförtnerin aufschlägt, wie sie die königliche Frau mit dem schwarzäugigen Götterknaben an der Schwelle stehen sieht, beide halbnackt und die blonden Haare nothdürftig um ihre Schultern geschlagen. Auch versteht das Nönnchen natürlich kein Griechisch, daß sie sich die Bitte der Fremden um Gastfreundschaft deuten könnte. Eben so wenig kann die Aebtissin aus der Herkunft und dem Aufzuge der Fremden klug werden; nur so viel ist ihr klar, daß es nicht eine Landstreicherin des gewöhnlichen Schlages sein könne. Also sieht man im dritten Bilde, wie die Frau Venus im Refectorium sitzt und ihren Hunger stillen möchte, aber die Speisen sind ihr zu grob, und nur vom rothen Klosterwein kostet sie. Man hat ihr ein derbes wollenes Nonnenkleid angeboten, das verschmäht sie aber. Nur das dünne Gewand einer Bettlerin, die vor Kurzem im Kloster gestorben, war noch bei der Hand, das hat sie sich anlegen lassen, und wenn auch hie und da durch einen Riß der alten Lumpen ihre schöne weiße Haut durchscheint, däucht ihr das besser, als in den schwarzen Kleidersarg der Schwestern eingeschnürt zu sein. Ihr Knäbchen ist auch mit einem Hemd begabt worden und geht nun von Hand zu Hand und von Schooß zu Schooß, da jede Nonne es herzen möchte. Wie sie so im besten Einvernehmen sind, kommt der Pfarrer des Orts herauf, mit der Aebtissin etwas abzureden. Der wittert Unrath und bleibt starr vor Entsetzen auf der Schwelle stehen und verschlingt die wundersame Bettelfrau mit den Augen. Aber der kleine Spitzbube macht sich an ihn und bringt es dahin, daß Se. Hochwürden sich in die fremde Dame vernarrt und die älteren Rechte der Aebtissin in den Wind schlägt. Ein viertes Blatt zeigt ihn, wie er mit Frau Venus im Klostergärtlein lustwandelt und ihr eifrig den Hof macht. Am Fenster steht die fromme Klostermutter und verzehrt sich vor Neid, und es läßt sich denken, daß der geistliche Freund kaum den Rücken gewendet hat, so muß der gefährliche Gast unter schlechten Vorwänden aus dem Hause, schimpflich hinausgestoßen in die weite Welt mitsammt dem Knaben, der müde ist und gern geschlafen hätte, statt durch die stürmische Nacht zu wandern. Es findet sich aber nirgend ein Haus oder eine Hütte, dagegen streift verdächtiges Gesindel an ihnen vorbei, Zigeuner, die nach dem schönen Kinde schielen, und Eine darunter, eine böse zahnlose Hexe, hat ihn schon beim Schlafittchen gefaßt. Da gleitet er ihr noch zum Glück wie ein Aal aus den Händen und flieht ins Dickicht, und die Mutter ihm nach, die so in Gedanken versunken ist, daß sie der Gefahr kaum achtet. Wo nur die Andern hingekommen? – darüber grübelt sie beständig.

Ob ich von ihren Abenteuern unterwegs noch etwas zeigen soll, weiß ich selbst noch nicht. Jeden Tag fällt mir was Neues ein, womit man ganz lustig und nachdenklich illustriren konnte, wie verstoßen und heimathlos die Schönheit sich durch unsre nüchterne Welt durchbetteln muß. Wo sie aber vor den Thüren einfacher und natürlicher Menschen erscheint, braucht sie kein Wort zu sagen, nicht einmal die Hand auszustrecken, sie rührt Allen das Herz, und Jeder, wenn auch hie und da mit einem heimlichen Grauen, reicht ihr von seiner Armuth, was er kann und vermag. Junge Leute, die sie nur einmal angeblickt, verlassen Haus und Herd und ihr nahrhaftes Gewerbe und wandern ihr nach durch bewohnte Gegenden wie durch Wildnisse, bis sie in ihrer Traumblindheit in Felsklüfte stürzen oder in reißende Ströme, oder sonst ein böses Ende nehmen. Sie selbst aber wandert immer trübseliger ihres Wegs und gedenkt der Zeiten, wo die Menschen froh und selig wurden, die sie sahen, nicht aber unselig, und wo man ihr große Feste feierte und die schönsten Opfergaben weihte und sie eine große Göttin war mit einem unermeßlichen Hofstaat.

Darüber kommt sie nun eines Abends an eine berühmte Wallfahrtskapelle, die in einem lieblichen Thälchen liegt, rings von immergrünen Bäumen umschattet, und es ist so spät, daß Niemand sie gewahrt, wie sie in das leere Heiligthum eintritt, der Knabe, der sich langweilt und dem die Füße vom Marschiren wehthun, immer an ihrer Bettlerschürze hangend.

Vor dem Altar brennt nur noch die ewige Lampe, aber der Mond scheint durch die Spitzbogenfenster, und es ist taghell da drinnen. Die göttliche Frau sieht in einem hohen Thronsessel eine braune Holzfigur sitzen, lebensgroß, zwei Glasaugen starren sie an, auf dem Haupte flimmert eine goldene Krone, ein Mantel von rothem Sammet ist um die spitzen Schultern gehängt, und auf den Knieen liegt ein wächsernes Kind in goldne Windeln gewickelt. Sie tritt ganz nahe herzu und befühlt den Mantel und zupft an den schweren Falten; da löst sich oben die Spange am Halse des Bildes, und der dürre Holzleib kommt schauerlich zum Vorschein. Die schöne Frau überläuft ein Schauder, wie sie die Puppe so in ihrer dürren, wurmstichigen Gestalt vor sich sieht. Ei, denkt sie, mir geziemt dieser Fürstenmantel besser, als dem alten Schnitzwerk! – und fängt an sich in die schweren Falten zu hüllen, die ganz von Weihrauch duften, und auch die Krone setzt sie sich auf und fragt dann ihren Knaben, ob sie ihm gefalle. Der aber blinzelt sie nur ein wenig an, weil er todmüde ist. Da jammert sie das arme Kind, sie hebt die Puppe von ihrem vergoldeten Thronsitz, und das Wachskind rollt zur Erde und zerbricht in tausend Stücke. Sie aber achtet es nicht, sondern besteigt die Stufen und läßt sich in dem Sessel unter dem Baldachin nieder, und der kleine Amor kauert sich warm auf ihrem Schooß zurecht und schläft, vom sammtnen Mantel halb zugedeckt, an ihrem göttlichen Busen ein. Es ist ganz still rund um sie herum, nur die Fledermäuse schwirren unter dem hohen Gewölbe hin und her, wagen sich aber nicht in die Krone der Fremden, wie sie es bei dem hölzernen Bilde zu thun pflegten, sondern ängstigen sich vor dem Leuchten ihrer Augen, bis die endlich langsam sich schließen und Mutter und Sohn ruhig schlafend da über dem Altar thronen.

Am frühen Morgen, ehe noch einer von den Wallfahrern, die draußen um das Kirchlein lagern, aufgewacht ist, kommt ein junger Mensch des Weges und tritt, an nichts Arges denkend, in das offene Portal, durch das eben der Morgen hereingraut. Er hat das wunderthätige Bild, das hier verehrt wird, oft gesehen, aber niemals eine besondere Wunderkraft an ihm wahrgenommen. Auch jetzt will er nur in einem Winkel niederknieen und sich im Herzen mit seinem Gott besprechen. Wie er aber so verloren die Augen durch die Kapelle schweifen läßt, erblickt er die himmlische Erscheinung auf dem Altar und erschrickt ins tiefste Herz hinein, vor Wonne und Sehnsucht, Andacht und entzücktem Grauen. In diesem Augenblick schlägt die hohe Frau die Augen auf, macht eine Bewegung, von der auch der Knabe erwacht, und muß sich besinnen, wo sie ist, und wie sie hiehergekommen. Da trifft ihr Blick den Jüngling, und weil er so schön und ernst und völlig wie zur Bildsäule geworden ihr entgegenstarrt, lächelt sie ihm mit ihrem holdseligsten Lächeln zu und bewegt grüßend die rechte Hand. Da übermannt ihn der heilige Schauder, daß er aus der Kirche flieht und erst im einsamen Walde sich besinnt, was er gesehen, welch ein Wunder sich ihm offenbart hat. Und sogleich wacht die Sehnsucht wieder in ihm auf; wie ein Trunkener taumelt er den Weg zurück, er findet das Kirchlein und die Wallfahrer schon bei ihrer ersten Messe. Vom Altar aber ist die wunderschöne Frau mit dem Knaben verschwunden, die hölzerne Madonna thront wieder unter dem Baldachin, sogar ein Wachskind liegt ihr auf dem Schooß, da die Priester statt des zerbrochenen ein frisches in Vorrath hatten, Alles ist in der alten Ordnung, nur die Krone sitzt etwas schief auf der braunen Holzstirn, da der Küster in der Eile die räthselhafte Zerstörung auf dem Altar nicht bester wieder herstellen konnte.

Der Jüngling aber wendet sich hinweg und trägt den Nachglanz dieser Wundererscheinung durch sein ganzes Leben mit sich, immer bemüht, den Menschen, die das nicht auch mit Augen gesehen, eine Vorstellung davon zu geben, wie herrlich das himmlische Gesicht, erst ernsthaft und träumerisch und dann liebreich lächelnd, ihn angeblickt, und wie der Knabe mit seinen befremdeten Blicken wie mit großen Flammen umhergeleuchtet habe. Ueber diesem Bemühen ist er, da er ein Maler war, zu immer größerer Kunst und Macht über die Menschen gelangt und hat immer bester verstanden, das Gesicht nachzubilden, und das ist das Geheimniß, was in keiner Kunstgeschichte steht, warum dieser junge Rafael der größte von allen Malern geworden ist und seine Madonnenbilder an Wunderkraft der Schönheit alle anderen überstrahlen.


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