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Sie hatte kaum, von Irene begleitet, das Zimmer verlassen, als der Baron auf Schnetz zutrat.
Nun das gesteh' ich, rief er, mit dir ist nicht gut Kirschen essen! Sagt ums Himmelswillen, mon vieux, welcher Teufel reitet Euch, mit dieser alten Hofmumie dermaßen Fractur zu sprechen?
Schnetz sah ihm gelassen ins Gesicht, während er sich wieder das verstümmelte Ohrläppchen rieb.
Glauben Sie wirklich, daß sie mich verstanden hat?
Euch verstanden? Que diable! Ihr habt doch wahrhaftig an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig gelassen. Uebrigens, Bester, jetzt ganz unter uns: so excellent ich Eure Idee finde, die brouillirten Liebesleutchen unter der Decke der Maskenfreiheit wieder zusammenzubringen, – so wenig will mir die Manier gefallen, wie Ihr dabei vorgegangen seid. Mein Fräulein Nichte – mag sie nun durch die Aussicht auf Amerika noch so sehr in ihrer Marotte erschüttert sein und im Herzen dankbar für jeden Strohhalm, den man ihr bietet, um den losen Vogel wieder festzubinden, – aber bedenkt doch, wie Ihr die Sache ihr erschwert habt, indem Ihr die Ballfrage vor der Alten zur Debatte brachtet! Auch ich hätte aus dem Spiele bleiben sollen. Jetzt – wenn sie mich als Onkel und Vormund aufs Gewissen fragt –
Aufs Gewissen? Auf welches, wenn ich bitten darf? Auf Ihr Barons- oder Menschengewissen?
Hm! – ich dächte, zwei alte Zeltkameraden wie wir – über die Sache selbst wären wir einig. Aber Ihr werdet zugeben, daß mir als Junggesellen Manches höchst unverfänglich scheinen kann, was ich als Vormund – von Amts wegen, so zu sagen – nicht gerade billigen würde. Und überdies, scheint mir, giebt es doch auch wirklich zwei verschiedene moralische Standpunkte für Männlein und Weiblein, und was den Einen recht, ist den Andern nicht immer billig.
Das ist's eben, braus'te Schnetz hitzig auf, indem er seine Reitpeitsche auf den Teppich warf, darum kommen wir in unseren socialen Verhältnissen auf keinen grünen Zweig, darum schleppen wir uns mit Lügen, engbrüstigen Halbheiten und schnöden Hinterhalten ewig herum, weil wir doppeltes Maß und Gewicht führen und eine gottverdammte Achselträgerei für ein ganz herrliches Schutzmittel gegen alle Krebsschäden der Gesellschaft halten! Keines der beiden Geschlechter, wenn sie beisammen sind, hat den Muth seiner Meinung, keins sagt sein letztes Wort, jedes glaubt, mit seinen Pfiffen und Kniffen oder koketten Scheinheiligkeiten dem andern was weis zu machen, während doch Beide sehr gut wissen, woran sie miteinander sind, und sich eigentlich ins Gesicht lachen sollten über diese nichtswürdigen und so höchst erfolglosen Spiegelfechtereien. Und weil diese ganze Komödie so verwünscht insipide ist, dieser »gute Ton« der »guten Gesellschaft« die Weiber wie die Männer gähnen macht, darum entschädigen sich beide Theile hernach desto munterer für die ausgestandene Langeweile, jedes auf seine Manier, in Clubs oder schlimmeren Localen, oder unter intimen vier Augen, wo man alle Masken und Schnürleiber abwirft. Der alte Biedermann Sir John hat ganz Recht: Hol die Pest alle feigen Memmen! – und eher wird diese moderne Welt nicht gesund, bis die beiden Geschlechter der kindischen Mummerei satt werden und einander einen Schritt entgegen thun, mit dem ehrlichen guten Willen, es einmal ohne Prüderie und ohne Brutalität mit der Wahrheit zu versuchen, der man ja immer noch ein letztes Hemde gönnen kann, wenn ihre complete Nacktheit gar zu sittenlos erscheinen sollte!
Er tobte in diesem Stil noch eine gute Weile fort, ohne daß der Baron nur eine Silbe dazwischenwerfen konnte. Erst als ihm der Athem ausging und er schon nach seinem Hute griff, wagte der Andere eine kleinlaute Erwiederung.
Alles gut und schön, Bester, Alles zugegeben in der Theorie. Aber in praxi, da nun einmal die Welt noch nicht zur Vernunft gekommen ist, – wird man nicht doch noch eine Weile die Vorurtheile der dummen Mehrheit respectiren müssen? Wird unsere junge Dame – jetzt, da die alte gräfliche Klatschbase darum weiß – ohne Bedenken eure paradiesische Nacht besuchen dürfen, wo die zweifelhaftesten Evastöchter ihr begegnen, wo vielleicht das Mädel, das unserem Felix nachgelaufen ist, die kleine rothhaarige Kellnerin, Gott weiß in welchem Costüm wieder Mord und Todtschlag anstiftet?
Schnetz war an der Thür stehen geblieben. Er ließ jetzt die Klinke wieder fahren, sah den eifrigen Sprecher erst eine Weile starr an, lachte dann bitter auf und trat wieder in das Zimmer zurück.
Diese Kellnerin? sagte er, indem er den Baron bei der Schulter faßte. Nun bei allen Humoren der Hölle, alter Freund, – wißt Ihr, wer diese Kellnerin ist, die den Junker Felix so treu gepflegt hat, während andere Leute von fern zusahen? Diese Kellnerin, dies Kind des Volks, das keine passende Gesellschaft für ein junges Baroneßchen wäre – nun denn: sie ist Eure leibliche Tochter, Baron, und die rechte Cousine Eurer eigenen hochgeborenen Fräulein Nichte! –
Der Baron fuhr zwei Schritte zurück. Trève de plaisanteries, mon cher! stammelte er, indem er zu lachen versuchte. Was für einen tollen Roman tischt Ihr mir da auf! Ich – ich sollte plötzlich – hahahaha! Eine kostbare Farce!
Ich gratulire Ihnen und dem guten Kinde zu der heiteren Stimmung, in die Sie das unverhoffte Wiederfinden versetzt, sagte Schnetz trocken. In der That ist die Sache nicht mehr ganz so tragisch, wie sie hätte werden können, wenn die Mutter noch lebte. Diese arme Verlassene – er trat ganz dicht an den Versteinerten heran und nannte ihren Namen, – dieses Opfer unserer doppelten Moral ist seit einem Jahre nicht mehr unter den Lebenden; auch hat das Kind keine Ahnung, daß sein lieber Papa in derselben Stadt mit ihr ein fröhliches Junggesellenleben führt.
Der Baron war auf das Sopha gesunken, die Arme hingen ihm schlaff an den Seiten herab, das einzig Lebendige an ihm schienen seine kleinen, beweglichen Augen, die ohne auf irgend einem Gegenstande zu haften, ängstlich und unstät im Zimmer herumirrten. Indessen ging Schnetz mit langen Schritten geräuschlos auf und ab und schien abwarten zu wollen, ob der schwer Erschütterte irgendwie seines Raths oder seiner Hülfe bedürfen würde. Es vergingen aber zehn Minuten, ohne daß Jener irgend einen Laut von sich gab.
Sie erlauben, daß ich mir eine Cigarre anstecke, brummte Schnetz endlich zwischen den Zähnen. Die Dame des Hauses scheint sich nicht mehr sehen zu lassen –
In diesem Augenblick öffnete sich die Thür des Nebenzimmers, und Irene trat herein, noch bleicher als vorhin und mit einem so tiefverstörten, traurigen Ausdruck in dem jungen Gesicht, daß Schnetz sie betroffen ansah.
Bei dem ersten Knarren der Thür war der Onkel aufgesprungen, hatte dem Freunde hastig die Hand gedrückt und ihm zugeraunt, daß er ihn hernach nothwendig sprechen müsse; dann war er ohne einen Blick auf seine Mündel zu werfen hinausgerannt.
Die seltsame Hast, mit der er sich zurückzog, schien Irenen nicht einmal aufzufallen. Sie ging rasch auf das Fenster zu, an welchem Schnetz stehen geblieben war, und sagte:
War es Ihnen wirklich Ernst mit der Einladung zu Ihrem Maskenball?
Er betheuerte, daß es ihm eine große Freude machen würde, sie zu geleiten, jetzt um so mehr, da er es, nach Allem, was darüber gesprochen worden, als einen Beweis ihres besonderen Vertrauens zu ihm, ja als ein Zeichen wahrer Freundschaft und Achtung ansehen müsse, wenn sie seine Einladung nicht ausschlüge.
Ob man im Domino kommen und eine Gesichtsmaske tragen dürfe, fragte sie weiter, immer mit halb abwesendem Blick und Ausdruck.
Er erwiederte, daß nur Charaktermasken zugelassen würden. Als sie die Frist von vier Tagen für die Herstellung eines vollständigen Anzugs zu kurz fand, schlug er ihr vor, da sie nun doch einmal mit der Bohème sich einlassen wolle, als Zigeunerin zu kommen; er erbot sich, ihr durch seine Malerfreunde die schönsten echten Stoffe zu verschaffen; bunten Korallen- und Perlenschmuck und Rechenpfennige, ihr Haar damit zu durchflechten, würden sie leicht auftreiben, zu welchem Zweck er sie in einige Läden führen wolle. Diese Maske, schloß er, hat außer der Bequemlichkeit, daß man sie aus ein paar bunten Fähnchen und Flittern zusammenstoppeln kann, noch den Vortheil, daß man dabei, da Gesichtslarven untersagt sind, seine Haut färben, die Augenbrauen schwärzen und sich möglichst unkenntlich machen darf. Ich selbst komme immer spanisch, als Ritter von der traurigen Gestalt, oder als Herzog Alba. Wenn ich nun eine Gitana am Arm führe, so bleibe ich vollständig im Charakter und werde zum ersten Mal Aufsehen machen; denn man ist nicht gewohnt, mich mit einer schönen Tänzerin erscheinen zu sehen.
Er küßte bei diesen Worten dem Fräulein schon ganz in spanischer Hofmanier die Hand und wollte sich beurlauben. Sie hielt ihn aber noch fest.
Wird – jenes Mädchen auch kommen? sagte sie zögernd.
Welches Mädchen, mein gnädiges Fräulein?
Sie sah still vor sich hin.
Ich habe Alles gehört! sagte sie mit einem leisen Zittern der Stimme. Die Wände im Hôtel sind so dünn, man kann mit dem besten Willen nichts dafür, wenn man die Gespräche nebenan mitanhört. O sagen Sie mir offen: ist es wirklich wahr?
Unzweifelhaft. Wenn Sie das Leben und die Gesellschaft, die Sie umgiebt, ein wenig besser kennten, mein theures Fräulein, würde Ihnen dieser Fall nicht eben wunderbar erscheinen. Uebrigens – die Umstände sind diesmal noch günstig genug. Der eigne Großvater behütet jetzt seine wiedergefundene Enkelin, und zwar so eifersüchtig, daß er sie ihrem Vater nicht einmal abtreten würde, wenn der es wünschen sollte, und das Mädchen selbst läßt sich ganz rechtschaffen an. Sie ist –
Ich kenne sie! unterbrach ihn Irene erröthend. Und doch – es würde mich sehr aufregen, wenn ich auf dem Maskenfest mit ihr zusammenträfe. Es ist allerlei – ich werde Ihnen ein andermal, wenn es Sie interessirt –
Sie verstummte, und er sah, daß sie mit Thränen kämpfte.
Seien Sie ganz ruhig, mein theures Fräulein, sagte er, Hut und Stock ergreifend. Das gute Kind wird nicht von der Partie sein. Sie ist in einer so wunderlichen Stimmung, seit sie beim Großpapa wohnt, vermeidet es so sorgfältig, Jemand zu begegnen, der sie in ihren früheren Verhältnissen gekannt hat, daß man sie mit keiner Gewalt der Welt in unser Paradies brächte. Nun aber im Ernst – a Dios, wie wir Spanier sagen. Haben Sie guten Muth, ich denke, es soll sich noch Alles besser lösen, als wir jetzt uns träumen lassen.
Er drückte der ganz Verstummten zum Abschiede kräftig die Hand und ließ sie mit ihrem rathlosen Herzen allein, das zunächst nichts Klügeres zu beginnen wußte, als sich in einem Strom von Thränen Luft zu machen.