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Fünftes Kapitel.

Sie waren kaum am Ende des Sees gelandet, als sie in der Ferne aus der Uferstraße drei weibliche Gestalten daherwandeln sahen, in denen sie die Erwarteten erkannten. Man spielte, auf Grußweile einander nahe gekommen, mit großer Ernsthaftigkeit die verabredete Komödie des zufälligen Begegnens und Erkennens, und es war der Frau Pathe durchaus nicht anzumerken, ob sie eine Rolle in diesem Lustspiel übernommen hatte, oder arglos daran glaubte, daß die Herren, die in der Stadt den Schwestern gegenüber wohnten, hier nur die Gelegenheit ergriffen, mit ihren schönen Nachbarinnen endlich einmal das erste Wort zu tauschen. Die Mädchen betrugen sich ihrem Temperament gemäß, die Aeltere still und wortkarg, die Jüngere bis zum Uebermuth lustig und neckisch. Sie waren zierlich, ja mit einer gewissen Eleganz gekleidet, nur daß Fanny dunkle Bänder trug, während Nanny's Hütchen mit einer rothen Rose und Schleifen von derselben Farbe aufgesteckt war.

Die Pathe, vor welcher schon bei Tische der Schlachtenmaler den guten Kohle gewarnt hatte, da sie eine Kunstschwärmerin sei und besonders dafür berüchtigt, als eine fromme Frau arglose Malerjünglinge der ernsten Richtung in ihre Netze zu locken, war in der That noch ein ganz artiges Weibchen gegen Ende der Dreißiger. Sie hatte ihren Mann, einen wohlhabenden Conditor, schon nach kurzer Ehe verloren und pflegte seufzend zu versichern, daß sie ihn nie und nimmer vergessen könne. Auch stand ein gothischer Tempel aus Tragant mit vielen Heiligenfiguren, den er ihr als eine Art Meisterstück zu ihrer Hochzeit verfertigt hatte, noch immer wohlerhalten unter einem Glassturz auf ihrer Commode. Gleichwohl sagte man ihr nach, daß sie den mancherlei Bemühungen, sie zu trösten, nicht immer ausgewichen sei, wenn sie sich auch klug genug aufführte, um jedes öffentliche Aergerniß fern zu halten. Etliche geistliche Herren, die bei ihr aus und ein gingen, gaben ihr das beste Leumundszeugniß, und wenn sie jüngeren Künstlern ihre Thür nicht verschloß, so sah sie darauf, daß es anständige, sittsame Leute waren, die Kirchenbilder mit langen Gewändern malten, den Hemdkragen nicht zu genial umschlugen und sich von allem heidnischen Kunstgräuel fern hielten. Diesem Gott wohlgefälligen Wandel hatte sie es zu verdanken, daß ihr auch ihre Gevatterin, die Handschuhmachersfrau, die »Kinder« auf einen Tag anvertraut hatte, obwohl böse Menschen wissen wollten, hier draußen »am Land«, wie die Münchener sagen, sei es für wohlconservirte Wittwen nicht ganz geheuer.

Sie war ganz tugendlich gekleidet, doch immerhin so, daß ihre schon etwas zur Fülle neigende Figur sich möglichst vortheilhaft ausnahm. In ihrem Benehmen hielt sie eine kluge Mitte zwischen der gestrengen Würde, die eine gottesfürchtige Frau in gewissen Jahren einer ausgelassenen Jugend gegenüber zu behaupten pflegt, und dem allzu freien Eingehen auf die Possen, die ihrem Pathenkinde durch den Kopf fuhren. Dabei ließ sie sich's deutlich anmerken, daß die schlanke Heldengestalt des schweigsamen Felix Eindruck auf sie gemacht hatte, wobei sie es jedoch klug verstand, ihrem Interesse einen schalkhaft mütterlichen Anstrich zu geben. Erst als der Undankbare, dessen arme Seele von dieser Eroberung nichts ahnte, in beharrlicher Zerstreutheit an ihrer Seite blieb und scheue Blicke umhersendete, ob er auch nicht der Einen, die er hier vermeiden mußte, geradezu in den Weg lief, erst da entzog sie ihm plötzlich ihre Gunst und wandte sie auf den unscheinbaren Kohle, den ihr Rosenbusch als einen Maler des strengsten Stils vorgestellt hatte, einen Jünger des großen Cornelius, aus dem sie nur noch einen besseren Christen zu machen brauche, um der kirchlichen Kunst in ihm eine neue Stütze zu gewinnen. Kohle ließ dies Alles mit dem geduldigsten Lächeln über sich ergehen und fing in der That an, so gut er es vermochte, der stattlichen Frau den Hof zu machen, nur um nicht als Spielverderber zu erscheinen.

So waren sie ein Viertelstündchen am Ufer auf und ab geschleudert, als der Vorschlag einer Wasserfahrt scheinbar vom Zaun gebrochen und nach einigem gutgespielten Widerstreben der Frau Pathin und lebhaftem Bitten, Schmeicheln und Schönthun der blonden Nanny auch angenommen wurde. Bald fuhr das Boot mit seiner lustigen Fracht mitten in den sonnengoldigen See hinaus, jetzt von Felix gerudert, der diese edle Kunst in manchem Gewässer der alten und neuen Welt zu üben Gelegenheit gehabt hatte.

Kohle saß am Steuer und dachte trotz der Nähe der hübschen Kunstfreundin, die ihm gegenübersaß, an seine Frau Venus. Die beiden Liebespaare nahmen die mittleren Bänke ein, Elfinger andächtig in das liebliche Gesicht seiner Nachbarin versunken, die mit den blassen Händchen die grüne Flut furchte und sich heut von Herzen der Schönheit dieser Welt zu erfreuen schien. Sie hielt ihren großen Sonnenschirm dergestalt über ihrem Haupt, daß ihr Nachbar von dem Schatten mit profitiren konnte, eine erste Gunst, die sie ihm zu Theil werden ließ, und die den Bescheidenen sehr beglückte. Ihre muthwillige Schwester dagegen behauptete, Rosenbusch's großer Hut sei eigentlich ein Familienstrohhut und könne eine ganze Schiffsmannschaft gegen den Sonnenstich schützen. Sie gab ihr lachendes Gesicht der Sonne preis, band ein weißes Tüchlein an ihren Sonnenschirm, den sie als Flaggenstange zwischen sich und ihren Anbeter aufpflanzte, und erklärte, sie freue sich nur auf den Sturm, der unfehlbar losbrechen und sie sämmtlich in die Tiefe des Sees begraben würde, Diejenigen ausgenommen, die schwimmen könnten, was ihre Passion sei. Auch erbot sie sich, einen der Herren zu retten, nur nicht Rosenbusch, dessen Sammtrock zu schwer sei und seinen Besitzer unrettbar hinabziehen würde.

Tante Babette, wie die Frau Pathe genannt wurde, versuchte dann und wann eine mißbilligende Miene zu machen. Als aber Niemand darauf achtete, entschloß sie sich, ebenfalls wieder jung und weltlich zu werden, zumal die Hitze allen Zwang doppelt lästig machte. Sie band das Flortuch von ihren runden Schultern, zog die Handschuhe aus und lös'te die Hutbänder, so daß sie in dieser Ungebundenheit fast so jung und jedenfalls lebenslustiger aussah, als die ernste Fanny. Auch lachte sie noch lauter, als die beiden Mädchen, über die Späße und Kunststücke, die der Schlachtenmaler zum Besten gab. Er war berühmt für sein Talent, den Wachtelschlag, das Gackern eines Huhns, das Kreischen einer Säge nachzuahmen, erzählte lange schnurrige Geschichtchen in verschiedenen Mundarten und hielt mit dem feierlichsten Kanzelton eine Predigt im einem ganz sinnlosen Kauderwälsch, das er für Englisch ausgab. Sein Hauptstück aber war eine pantomimische Scene, die das nächtliche Beten der Nonnen im Chor einer Klosterkirche vorstellte. Er band sich dazu ein Tuch um den Kopf, vermummte sich in ein Damenmäntelchen dergestalt, daß nur Augen und Nasenspitze und die über der Brust gefalteten Hände sichtbar blieben, und begann dann mit scheinheiligem Eifer und immer wechselndem Ausdruck des Augenaufschlagens und Kopfnickens den Rosenkranz herunterzumurmeln, dazwischen emsig Kreuze schlagend, jetzt als eine halb schlafende uralte Nonne, die zwischen dem Beten immer wieder einnickt, jetzt als eine tiefzerknirschte, unmäßig bußfertige Sünderin, dann als eine wohlhäbige im Kloster ergraute Schwester, die der Sache schon die leichtere Seite abgewonnen, sich nicht unnöthig anstrengt und zwischendurch mit einer verstohlenen Prise sich munter zu halten sucht.

Erst als er mit dieser virtuosen Kunstleistung zu Ende war, die so unwiderstehlich wirkte, daß selbst die würdige Frau. Pathe vor Lachen beinahe das Gleichgewicht verlor und von Kohle gehalten werden mußte, schien es dem Schalk aufs Gewissen zu fallen, daß er vielleicht mit dieser tollen Parodie-Eifingers Himmelsbräutchen gekränkt haben möchte. Er 6at nun Fräulein Fanny in scheinbarer Zerknirschung tausendmal um Verzeihung, während er sich's im Stillen als ein gutes Werk anrechnete, ihr diesen Vorschmack der Freuden, die im Kloster ihrer warteten, verschafft zu haben. Gleichsam zur Sühne seines Frevels fing er plötzlich an, auf der Flöte das O sanctissima zu blasen, so schön und herzbeweglich, daß selbst die wilde Nanny ernsthaft wurde, leise mitzusingen begann und auch ihre Schwester mit fortriß. Es klang gar schön in der lautlos brütenden See-Einsamkeit, so daß es bei diesem ersten Liede nicht blieb, sondern Eins das Andere ablös'te, sein Lieblingsstück anzustimmen. Elfinger hatte einen trefflichen Tenor und gab sich alle Mühe, sich seiner Nachbarin ins Herz zu singen. Nur die Beiden an den Rudern, obwohl sie dieselben auf der Mitte des See's einzogen, verhielten sich stumm. Kohle krächzte wie ein Rabe und Felix war die Brust wie mit sieben Reifen umschnürt.

So schwammen sie friedlich und wonniglich dahin, und der Kahn trug sie unvermerkt, da der Westwind sich aufmachte, dem Ufer drüben entgegen, wo ein vielbesuchter Lustort aus dem Grün der sanft ansteigenden Ufer ihnen winkte. Elfinger schlug vor, hier ans Land zu steigen und Kaffee zu trinken, wogegen Niemand etwas einzuwenden hatte. Und während sie nun langsam dem Ufer zutrieben, stimmte er ein Lied an, das Rosenbusch einmal für eins ihrer Feste im Paradiese gedichtet hatte. Es ging auf eine bekannte Melodie, und der Verfasser begleitete es kunstreich aus seiner Flöte:

Als Gott der Herr den Adam hieß
Sich trollen aus dem Paradies,
In saurem Schweiß er gräbt und pflügt,
Kaum einen Sonntag sich vergnügt
Und seufzt: O Evchen, welche Pein,
Das erste Menschenpaar zu sein!

Doch als versöhnt des Herren Zorn,
Ihr Acker reifte Frucht und Korn,
Es wuchs der lieben Kinder Schaar,
Auch Kain noch kein Mörder war,
Herr Adam und sein treues Weib
Sich gönnen manchen Zeitvertreib.

Ein Täflein nimmt er dann und wann
Und malt darauf so gut er kann
Den Garten grün, der Thierlein Brut
In wonn'ger Paradieseshut,
Malt sich und seine Liebste traut.
Schön wie er sie zuerst erschaut.

Nicht welk und alt im Bauernstaat,
Nein, wie sie Gott erschaffen hat,
Des Mannes Trost und Augenlust.
Da ward ihm wohl und warm die Brust,
Und formt zum Dank das Bild des Herrn
In Holz und Stein; es glich von fern.

Wie aber dies Frau Evchen schaut,
Lobsingt sie plötzlich hell und laut,
Choral' und Psalmen wundersam,
Der Himmel weiß, woher sie's nahm.
Die Engel selbst sind sehr erbaut,
Cäcilia applaudiret laut.

So trieben's Beide frohgemuth,
Und bald auch lernt's die junge Brut,
Und wie's nun sang und klang im Feld,
Ihr Häuschen prangt gar wohlbestellt,
Verwandelt aller Künste Zier
Zum Paradies das Weltrevier.

Und wer ersann dies Liedchen fein?
Ein Münchner Künstler sang's beim Wein;
Und macht die Welt ihm Ueberdruß,
Er sattelt seinen Pegasus
Und trabt auf ihm – o lust'ge Reis'!
Heim ins verlorne Paradeis.


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