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Sechstes Kapitel.

Sie waren während des Gesanges dem Ufer so nahe gekommen, daß man aus dem Wirthsgarten, wo an vielen Tischen eine bunte Sonntags-Gesellschaft beisammensaß, das Flötenspiel hörten und sogar die Worte des Liedes verstehen konnte. Einige der Gäste hatten ihre Plätze verlassen, um die Musikanten sich näher anzusehen, und da Rosenbusch eine große Bekanntschaft hatte, wurde er von vielen Seiten lebhaft begrüßt und führte seine Dame, die auf einmal verlegen wurde, aus Furcht, auch sie möchte hier erkannt und beim Vater verklagt werden, mit munterem Selbstgefühl durch das Gedränge nach dem einzigen Tisch, der noch unbesetzt war. Die Anderen folgten, nur Felix blieb noch einige Zeit bei dem Schiffchen zurück, da am Steuerruder ein kleiner Schaden auszubessern war. Als er dann den Freunden nachging und durch das Gewühl von Tisch zu Tisch sie suchte und endlich Nanny's kokettes Hütchen mit den rothen Rosen neben dem weißen Familienstrohhut ihres Cavaliers entdeckte, – was wandelte ihn plötzlich an, daß er mitten in der schwülen Sonne stehen blieb, die Augen starr auf ein kleines Sommerhaus gerichtet, in welchem sechs Menschen um einen runden Tisch saßen?

Es war der schattigste Ort im Garten, und die Gesellschaft darin hatte, indem sie alle noch leeren Plätze mit Hüten, Schirmen und Stöcken belegt, deutlich zu verstehen gegeben, daß sie Niemand mehr hereinzulassen gesonnen sei. Gleichsam als Wächter aber saß dem Eingang zunächst die lange, hagere Figur des Oberlieutnants in dem bekannten grünen Reitfrack, und neben ihm eine schlanke junge Dame, die Augen gesenkt, wie wenn sie mitten unter diesen schwirrenden, summenden und kichernden Gesprächen nur mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt wäre.

Eben richtete Schnetz das Wort an sie, da blickte sie auf und ließ die Augen gegenstandslos über den Garten schweifen. Da geschah es, raß ihr Blick dem des jungen Mannes begegnete, der ringsum sichtbar mitten in der Sonne stand. Zwar schlug er sofort die Augen nieder; er war aber schon erkannt worden und konnte an einen unbemerkten Rückzug nicht mehr denken. Auch fühlte er sich in demselben Augenblick von Kohle am Arm berührt, der inzwischen im Wirthshause gewesen war, um den Kaffee zu bestellen.

Wo bleiben Sie denn? rief der Geschäftige. Kommen Sie und helfen mir die Frau Pathe unterhalten, die mich mit Gesprächen über die schwarze Madonna in Altötting todt macht, aus bloßem Aerger, daß Sie ihr gegenüber den heiligen Antonius spielen.

Felix stammelte ein paar unverständliche Worte und ließ sich mitfortziehen. Der Stuhl, den man ihm neben Tante Babette freigelassen, stand zum Glück mit dem Rücken gegen das Sommerhaus. Aber kaum hatte er sich darauf niedergelassen, als Rosenbusch anfing:

Haben Sie unsern Oberlieutnant schon gesehen, Baron? Dieses verehrliche Amphibium hat heute seinen trocknen Tag unter dem adeligen Geflügel und scheint sich, seiner mißtröstlichen Miene nach, in unser feuchtes Element herüberzusehnen. Es wäre eigentlich spaßhaft, wenn ich hinginge und ihn bäte, mich der alten Gräfin und der jungen Comtesse vorzustellen. Die Dritte wird sich unser wohl noch erinnern, von der Soirée bei der russischen Zukunftsgräfin, wo Sie mich allein ihr den Hof machen ließen.

Nun gab er den Mädchen und der Frau Pathe eine ausführliche Schilderung jenes musikalischen Abends und seiner Unterhaltung mit Irene. Die kleine Nanny, die vielleicht auch von den Vorurtheilen des Papa's gegen die Kunst angesteckt war, sollte erkennen, wie man in den höheren Kreisen der Gesellschaft von einem Schlachtenmaler denke und welche ehrenvolle Stellung ihr an seiner Seite beschieden sein würde. Das muntere Mädchen schien aber von seinen Erfolgen keine übermäßige Vorstellung zu haben.

Wissen Sie ganz gewiß, Herr Rosenbusch, sagte sie lachend, daß man Sie wiedererkannt hat? Das schöne Fräulein wenigstens, als Sie den Hut vor ihr abnahmen, bewegte kaum den Kopf, als ob sie sagen wollte: Sie irren sich wohl in der Person, mein Herr.

Es war nur die Ueberraschung und eine kleine Verstimmung darüber, daß sie mich in so reizender Gesellschaft daherkommen sah. Sie mochte den Artigkeiten, die ich ihr damals sagte, eine wärmere Bedeutung beigelegt haben. Diese vornehmen Fräuleins sind teufelsmäßig empfindlich, und darum vermeide ich es auch jetzt, sie anzureden. Warum aber Sie nicht hinübergehen und sich den Damen vorstellen, bester Baron, da Sie ja auch blaues Blut haben –

In diesem Augenblick trat Schnetz in seiner ganzen Länge um ihren Tisch und begrüßte mit feierlicher Höflichkeit die Damen, während er den Freunden die Hände schüttelte. Daß er Felix hier begegnete, schien ihm nicht aufzufallen.

Ihr Glücklichen! brummte er, seine Cigarre zerbeißend und das Hütchen tiefer über die Augenbrauen hereinziehend, während er sich mit Felix und Elfinger ein wenig von den Uebrigen entfernte, ihr seid hier so hübsch unter euch, und es thut einem wohl, euch so herzlich lachen zu hören, indessen wir die übliche Conversation machen, die darin besteht, beileibe nichts zu sagen, was die Andern nicht auch gesagt haben könnten. Sie wundern sich jetzt eben hinter meinem Rücken, daß ich mit euch, die man für mauvais genre hält, überhaupt mich einlasse. Ein paar »Kunstmaler« und zwei hübsche Kinder, bei denen die Gräfin Mutter ihre Handschuhe kauft, – quelle horreur! Aber die Damen gehen noch an; selbst das junge Comteßchen mit den versteinerten Grübchen in den hochrothen Wangen – die kleine Fanny drüben sieht bei Gott zehnmal gräflicher aus – » au fond« ist sie ein gutes Kind, und der rechte Mann würde noch was aus ihr machen. Aber dieser ihr Vetter, mit dem sie so gut wie verlobt ist, und der andere junge Standesherr mit dem Zwicker und der süffisanten Miene – unter uns gesagt, er ist sterblich verliebt in meine kleine Prinzeß, die ihn kaum eines Blickes würdigt – tonnerre de dieu, was für Muster-Exemplare unserer hochgeborenen Jugend! Und ich dazu verdammt, mit ihnen umzugehen, ohne ihnen auf die Hühneraugen zu treten! So werden die Sünden der Väter an den Urenkeln heimgesucht. Der erste Schnetz, der einem Agilolfinger als Stallmeister oder Stallknecht aufs Pferd half, hat es auf dem Gewissen, daß ich Unwürdigster seiner Descendenten »mit dazu gehöre«, so sehr ich mir Mühe gebe, durch ein böses Maul mich unbeliebt und endlich unmöglich zu machen.

Sie verabredeten, auf den Abend in der Villa des Dicken sich wiederzusehen, und kehrten dann zu ihren verschiedenen Gesellschaften zurück. Unsere Freunde aber hielten es nicht lange aus, um den Kaffeetisch still zu sitzen. Das nahe Wäldchen lockte die Liebespaare, sich dort ein wenig freier zu ergehen, und Tante Babette horchte viel zu begierig auf die künstlerischen Bekenntnisse des »interessanten jungen Mannes«, wie sie Kohle nannte, um Anstoß daran zu nehmen, daß Röschen und Nanny zuweilen völlig unsichtbar wurden, während Fanny ängstlich darauf hielt, den Anderen nicht aus den Augen zu kommen.

Felix hatte sich bald in einen einsamen Seitenpfad verloren. Das Herz brannte ihm fieberhaft, unruhige Pläne wogten aus und ab in seinem Hirn. Er war sich nur zu klar darüber, daß es nicht so fortgehen könne, daß dieser Zustand der qualvollen Unentschiedenheit nach der Entscheidung ihn zu Grunde richten müsse. Wenn wirklich die alte Welt nicht groß genug war, um darin einem einzigen Mädchen auszuweichen, so mußte der Ocean sie zum zweiten Mal und diesmal für immer trennen. Was freilich drüben werden sollte, wie dieser Entschluß vor Jansen, vor seinem Künstlerberuf, vor seinem eigenen Stolz bestehen möchte, blieb noch in Dunkel gehüllt. Aber wehrlos stillhallen, sich von dem hinterlistigen Zufall narren lassen, der es förmlich darauf anzulegen schien, die beiden Getrennten immer wieder zusammenzuführen, – nimmermehr!

Ob er selbst nicht gestern dem Zufall ein wenig in die Hände gearbeitet hatte, fragte er sich freilich nicht.

Aus diesen unselig wühlenden Gedanken riß ihn plötzlich ein ferner Donnerton, der von Westen herüberklang. Er blickte auf. Der Himmel über den Wipfeln war noch blau, aber mit jenem leichten, bleifarbenen Dunst überzogen, der einem heraufziehenden Gewitter vorangeht. Es war keine Zeit zu verlieren, wenn man vor Ausbruch des Wetters noch über den See kommen wollte. Denn schon hielt die Luft so beklommen den Athem an, daß kein Blatt an den Bäumen sich bewegte und kein Vogel mehr einen Laut von sich gab. Der See, an dessen Ufer Felix hastig hinabeilte, war noch ungefurcht von einem Windhauch, färbte sich aber schon purpurschwarz in der Mitte, unter dem schweren, tiefherabhangenden Gewölk, das wie eine riesige Platte aus einem einzigen Schieferstück gefährlich in der Höhe schwebte. Dahinter blitzte noch am Horizont das scharfe Sonnenlicht, und die Kette des Gebirges leuchtete in zarten grünlichen Tönen frühlingshell und wie in ewigen Frieden getaucht herüber.

Man hatte im Wirthsgarten das heranziehende Wetter wohl bemerkt, die meisten der Gäste aber waren auf dem Dampfboot, das eben abfuhr, sicher eingeschifft und jetzt schon auf dem halben Wege nach Starnberg zurück. Als Felix mit seinen Freunden wieder zusammentraf, war es zu spät, gleichfalls diesen kürzeren Weg zu wählen. Auch lag ja die Villa des Dicken noch um ein gut Stück näher als der Starnberger Bahnhof, und Rosenbusch, der immer den Kopf voll Abenteuer hatte, träumte schon von einem improvisirten Nachtquartier, das den Damen im Speisesaal bereitet werden sollte. Er hütete sich aber wohl, diesen romantischen Gedanken zu äußern, sondern betrieb eilig die Abfahrt aus keinem anderen Grunde, als um dem Regen zuvorzukommen.

Wie sie an den Landungsplatz hinunter kamen, trafen sie dort Schnetz mit seiner Gesellschaft in einem ärgerlichen Auftritt.

Der junge Schiffer, der sie herübergerudert hatte, weigerte sich heftig, Angesichts des Sturms, der auszubrechen drohe, die Rückfahrt anzutreten. Das Schiff sei zu schwer beladen, um rasch vom Fleck zu kommen, und sein Herr habe ihm ein paar schlechte Ruder gegeben, da die neuen mit einem andern Kahn schon am Morgen fortgeschickt worden. Die Herrschaften könnten ihm bieten, was sie wollten, er fahre nicht, er wisse, was er sage und was davon zu denken sei, wenn der See und der Himmel sich so ins Gesicht schauten.

Einer der jungen Herren fuhr den Burschen, der ein ganz schmucker Mensch war und vielleicht auch sein Sonntagsgewand zu schonen wünschte, mit derben, gebieterischen Worten an und verlangte, daß er ohne Weiteres gehorchen und die Verantwortung ihnen überlassen solle. Der See sei spiegelglatt, und das Gewitter werde bei der Windstille noch eine Stunde brauchen, um heraufzukommen. Als er aber, da der Schiffer fest blieb, dem Trotzigen das Ruder aus der Hand riß und sagte: wenn so ein Bauernkerl keine Schneid' habe, soll er wenigstens aus dem Wege gehen und sich zum Teufel scheeren, – braus'te die ganze Wuth und das beleidigte Ehrgefühl des Burschen heraus; nach einer hitzigen Erwiderung in landüblichen Kraftausdrücken warf er das Ruder dem jungen Grafen vor die Füße, nahm seine Jacke aus dem Kahn, wünschte den Herrschaften mit grimmigem Hohnlachen eine glückliche Reise und wandte sich nach der Landstraße, die dem Ufer entlang um den See führt.

Dem kommt das Donnerwetter auch gerad' recht, sagte das Schenkmädchen, das von dem Streit herbeigelockt worden war und jetzt dem trotzig Davonstürmenden nachsah. Die Herrschaften müssen nicht meinen, der Hiesl würd' jetzt zu Fuß zu seinem Vater zurücklaufen; der weiß, daß in Ambach eine Hochzeit abgehalten wird, da hätt' er längst gern hin wollen; denn die rothhaarige Kellnerin im Wirthshaus dort, die hat ihm den Kopf verrückt, grad' weil sie nichts von ihm wissen will, obwohl er sie gleich vom Fleck weg heirathen thät', wenn sie ihn möcht', und sauber ist er doch so weit und hat auch sein Auskommen. Nun hat er's zum Vorwand genommen, das Wetter würde da sein, eh die Herrschaften wieder in Starnberg wären, und lauft jetzt, was er laufen kann, um nur trocken bis Ambach zu kommen, 's ist noch ein kleine Stund'. Ja, die Mannsleut'!

Sie schien zu denken, daß es sehr thöricht sei, weit zu laufen, wo man es näher haben könne. Auf die Frage aber, ob es denn wirklich mit dem Wetter so gefährlich sei, gab sie die beruhigendsten Versicherungen: es könne noch ein paar Stunden hergehen, und vielleicht, wenn der Wind umspringe, verziehe sich's wieder ganz.

Der junge Graf, der es jetzt als Ehrensache ansah, die Fahrt zu wagen und mit seinen feineren Ruderkünsten den ungeschlachten Burschen auszustechen, beschwichtigte alle Zweifel und Aengste der alten Gräfin, und die jungen Leute scheuten einen kleinen Seesturm nicht, zumal auch Schnetz, dem der Gedanke, hier zu übernachten, Entsetzen einflößte, jede Sorge für überflüssig erklärte. Er selbst wolle, wie auf der Hinfahrt, das Steuerruder führen, und in einer halben Stunde seien sie ohne Zweifel wohlaufgehoben am anderen Ufer.

Die ganze Scene hatte so nahe bei der Stelle gespielt, wo sich die Maler mit ihren Damen einschifften, daß denen kein Wort entgangen war. Doch befanden sie sich noch weniger in der Laune, sich von dem fernen Murren des Himmels einschüchtern zu lassen, schwammen vielmehr schon ein gutes Stück auf offenem See, als das aristokratische Boot erst vom Lande abstieß. Felix legte sich mit verdoppelter Kraft in die Ruder, um möglichst viel Wasser zwischen sich und seine feindliche Liebste zu bringen, und es hatte den Anschein, als ob sie in der Hälfte der gewöhnlichen Fahrzeit das Ufer drüben erreichen sollten.

Dabei war es dennoch seltsam, wie auf die laute Lust, mit der sie herüber gerudert waren, nun auf der Rückfahrt eine so tiefe Stille gefolgt war. Selbst Rosenbusch sprach kein Wort, sah nur mit seinen beredtesten Blicken zu seinem Schatz hinüber, der jetzt neben der Schwester saß und sich still und nachdenklich an ihre Schulter schmiegte. Elfinger und sein Mädchen blickten von einander weg in die dunklen Wellen, und nur die Tante Babette gab von Zeit zu Zeit einen kleinen Schrei von sich, wenn ein jäher Blitz im Zickzack die blauschwarze Wolkenwand zerriß und die Wälder am Ufer in grellem grünem Schimmer aufleuchteten.

Der gräfliche Ruderer hielt sich wacker. Er war ein schöner, ritterlicher Jüngling, der die Geringschätzung, mit der Schnetz von ihm gesprochen, wahrlich nicht verdiente. Um die Damen, die sich ihm anvertraut, bald in Sicherheit zu bringen, schien er es darauf abzusehen, das andere Boot, das vor ihnen ausgelaufen, noch einzuholen. Aber die gewaltsame Anstrengung hatte einen ungeahnten bösen Erfolg. Das eine der beiden altersschwachen Ruder brach plötzlich mitten entzwei; in demselben Augenblick fuhr ein erster, unheimlich heulender Windstoß über die Fläche des See's, die auf einen Zauberschlag verwandelt wie ein empörtes kleines Meer zu branden anfing.

Schnetz erhob sich von seinem Sitz am Steuerruder.

Ich ersuche die Damen, ihrer bisherigen Kaltblütigkeit nicht untreu zu werden wegen dieses kleinen Zwischenfalls, sagte er. Unzweifelhaft kämen wir allenfalls auch ohne das zweite Ruder hinüber. Aber besser ist besser. Ich werde drüben bei meinen Freunden, den Künstlern, anfragen, ob sie etwa ein Ruder in Reserve haben.

Er trug eine kleine metallene Pfeife an einer grünen Schnur in die Weste eingeknöpft. Auf dieser ließ er jetzt eine Art Bootsmann-Pfiff erschallen.

Elfinger horchte auf. Das ist Roland's Ruf! sagte er ernsthaft. Was mag er von uns wollen?

Felix hob die Ruder aus dem Wasser; die beiden Kähne näherten sich einander.

Erlauben die Herrschaften, sagte Schnetz, daß ich sie zunächst mit einander bekannt mache, so gut es auf diesem schwankenden Parket ohne die nöthigen Verbeugungen sich thun läßt. Ich habe die Ehre, meine Damen, Ihnen meinen Freund, Baron Felix von Weiblingen, vorzustellen, der von der diplomatischen Carrière zu den freien Künsten übergegangen ist und, wie Sie sehen, das Ruder so kunstreich handhabt, wie Meißel und Modellirholz; – Herr Graf **, Herr Baron **, die Herren Rosenbusch und Elfinger – die Damen sind, wie ich höre, einander bereits bekannt. Sagen Sie, Baron, könnten Sie uns nicht mit einem Ruder aushelfen? Eins der unsern ist uns abhanden gekommen. Wir haben einige Havarie gelitten.

Felix war aufgestanden. Seine kraftvoll schlanke Gestalt zeichnete sich fest und stattlich, obwohl die Wellen das kleine Fahrzeug heftig schüttelten, von dem schwarzen Gewitterhimmel ab. Er hatte mit der Nähe der Gefahr seine ganze Ruhe und Sicherheit wiedergewonnen, die er auf abenteuerlichen Streifzügen durch die Einöden der neuen Welt oft genug zu erproben Gelegenheit gefunden. Auch das Gesicht drüben in dem anderen Boot, das blasse Oval von der Kapuze eines grauen Regenmäntelchens eingerahmt, aus welcher eine braune Locke sich vordrängte, auch der Blick jener Augen, die selbst in dieser bangen Stunde sich lieber in die dunkel aufgewühlte Tiefe senkten, um nur nicht den seinen zu begegnen, – nichts konnte ihm jetzt, wo es auf die Beherrschung des Moments ankam, seine Kaltblütigkeit erschüttern.

Wir führen allerdings ein paar Reserveruder mit uns, rief er mit erhobener Stimme zurück, da der Sturm lauter und lauter zu heulen anfing. Aber ich würde es vorziehen, sie in unserm Kahn zu Hülfe zu nehmen – Elfinger ist ein vortrefflicher Ruderer – und Ihr Fahrzeug an das unsere zu befestigen. Wir nehmen Sie dann ins Schlepptau, und die Fahrt ist sichrer und rascher, da Ihr Kahn ein schlechtgebautes flaches Ding ohne Kiel und scharfen Schnabel ist und die Herren sämmtlich zum ersten Mal darin fahren.

Einverstanden! rief Schnetz zurück. Also bewerkstelligen wir in schleunig möglichster Eile die Verbindung mit unserm Remorqueur und dann vogue la galère!

Das wohlausgestattete Fahrzeug Rossel's bewahrte zum Glück auch einen hinlänglichen Vorrath an Stricken, so daß Kohle von seinem Steuersitz aus das meisterlose Boot bald an das seine herangezogen und eine dauerhafte Verknotung zu Stande gebracht hatte. Dann griffen Felix und Elfinger zu den Rudern, und ihre vier kräftigen Arme schienen die beiden Kähne spielend über die ungestüm bewegte Fläche fortzutreiben.

Kein Wort wurde hüben und drüben gesprochen. Auf die geflüsterte Frage der Gräfin an Irene: ob dieser junge Baron zu den bekannten Weiblingens in D. gehöre, kam keine Antwort. Die junge Gräfin war so blaß geworden, als es ihr vollblütiger Teint irgend zuließ. Ihr Vetter versuchte, seine Verstimmung über den Unfall mit dem Ruder dadurch zu verdecken, daß er sich eine Cigarre anzuzünden bemühte, was der Sturmwind jedoch vereitelte. Auch in dem vorderen Boot war eine athemlose Stille eingetreten. Nur Rosenbusch neigte sich von Zeit zu Zeit vor und flüsterte seinem blonden Schatz ein paar Worte zu, die spurlos im Wind verflatterten. Dabei ras'te das Wetter über ihren Häuptern mit wachsender Wuth, Blitz und Krach fuhren aus der schwarzen Wolke fast ohne Pause, und der Sturm, der das Unwesen über den weiten Himmel wälzte, war so heftig, daß die Wolken keine Zeit behielten, sich in Regen aufzulösen. Ringsum lagen die Ufer in Nacht versunken, und im Süden, wo die Regenstreifen Luft und See ineinander mischten, war jede Spur der Berglinie verschwunden.

Plötzlich hörte man vom äußersten Ende der kleinen Flotille Felix' Stimme: Ich hielte es für gerathener, Schnetz, wenn wir den Cours änderten. Wir arbeiten uns umsonst an dem Gegenwind ab und kommen in der Richtung nach Westen nicht vom Fleck. Trotz aller Anstrengung sind wir noch nicht bis zur Mitte des See's gelangt, und da man jeden Augenblick einen Wolkenbruch erwarten kann, möchte ich im Interesse der Damen vorschlagen, umzukehren und nur um jeden Preis rasch wieder das Land zu gewinnen. Was halten die Herren von diesem Vorschlage?

Daß wir Andern überhaupt hier nichts mitzureden haben! rief Schnetz zurück. Im Sturm commandirt der Capitän auf eigne Verantwortung, und damit holla!

Ein kräftiger Ruck des Steuerruders zeigte, daß auch Kohle sich für stummen Gehorsam entschied. Sofort empfanden Alle die Wohlthat der veränderten Richtung; denn wie beflügelt durchschnitten jetzt beide Kähne, dem Wind und der Strömung folgend, die hochgehenden Wellen.

Sie waren aber schon zu weit nach Süden hinausgetrieben worden, um den alten Hafen wieder zu erreichen. Als sie sich dem Ufer hinlänglich genähert hatten, um Bäume und Häuser darauf zu unterscheiden, sahen sie eine unbekannte Scenerie, ein Wirthshaus nahe am See, aus dessen Fenstern Lichter blinkten und trotz des Aufruhrs zwischen Himmel und Erde lustige Tanzmusik erscholl.

Wir kommen gerade zur Hochzeit recht, brummte Schnetz. Wenn wir nicht vorher ausgewaschen werden, können wir uns die Zeit mit Tanzen vertreiben – die beste Art, allen bösen Folgen des Schreckens vorzubeugen. Darf ich Sie um eine Française bitten, gnädigste Gräfin?

Die alte Dame, die große Angst ausgestanden und im Stillen ihrer Schutzheiligen allerlei Gelübde gethan hatte, athmete mit einem tiefen Seufzer auf und sagte, nervös lachend: Wenn wir ein Unglück gehabt hätten, mon cher Schnetz, wäre Ihre Gottlosigkeit Schuld daran gewesen, daß so viel gute Menschen hätten mit zu Grunde gehen müssen. Nun, Dieu soit loué, nous voilà sains et saufs. Mélanie, dein Haar ist affrös chiffonirt. Wie haben Sie es überstanden, liebe Irene?

Ich habe mich nicht gefürchtet. Dennoch bin ich froh, daß wir ans Land kommen.

In der That fielen eben die ersten schweren Regentropfen, einzeln über die weite Seefläche versprengt.

Noch eine Viertelstunde emsiger Ruderarbeit, dann fuhr der vordere Kahn durch die Brandung des flachen Ufers auf dem Sande auf. Felix sprang ans Land und half den Schwestern und der Frau Pathe hinaus. Als die Reihe an die Gesellschaft des zweiten Bootes kam, überließ er die Pflicht, die Damen trocknen Fußes ans Land zu setzen, seinen Freunden, indem er sich mit der Befestigung der Fahrzeuge an den Uferpfählen zu schaffen machte.

Die alte Gräfin kam auf ihn zu, überströmend von lebhaften Versicherungen ihrer Dankbarkeit, die er höflich ablehnte. Als sie unmittelbar darauf ihre Frage nach seiner Familie wiederholte, erwiederte er trocken:

Ich komme von jenseits des Meeres, Frau Gräfin, und habe meinen Stammbaum in den Urwäldern gelassen. Uebrigens möchten Sie naß werden, wenn Sie länger hier draußen verweilen. Mein Freund, Herr Kohle, wird die Ehre haben, Sie ins Haus zu geleiten. Der Capitän verläßt bekanntlich sein Schiff erst, wenn es sicher vor Anker liegt.

Die gute Dame wunderte sich im Stillen, daß ein junger Mann, der so durchaus comme il faut zu sein schien, die Ehre, ihren Ritter zu machen, einem Bürgerlichen überließ. Da sie aber ein wenig confus und unbehülflich war und Sohn und Schwiegersohn nicht gleich zu finden wußte, nahm sie den Arm des Malers mit herablassender Freundlichkeit an und eilte, immer nach ihrer Tochter umblickend, dem Hause zu, in welchem die Tanzmusik keinen Augenblick aufgehört hatte.

Schnetz hatte sich der beiden Schwestern bemächtigt, der junge Graf näherte sich Irenen, sie ins Haus zu führen. Sie lehnte aber seinen Arm mit einer dankenden Geberde ab, wickelte sich fester in ihr Mäntelchen und eilte den Anderen nach.

Sie hatte sich nicht nach Felix umgesehen. Nur auf der Schwelle der Hausthür zögerte sie. Ihr klopfendes Herz mochte ihr heimlich zureden, umzukehren, hinauszustürzen in Sturm und Regen und den Einsamen draußen am Ufer bei seinem Namen zu rufen.

In diesem Moment wendete sich ihre Cousine mit einer gleichgültigen Frage an sie, legte den Arm in den ihren und zog sie durch den Flur nach dem Gastzimmer. Sie warf mit einer hastigen Bewegung den Kopf in den Nacken, daß die Kapuze zurückfiel; das junge Gesicht, das nur allzu gut gelernt hatte, sich in der Gewalt zu haben, wurde wieder kühl und herb, und der Augenblick, der das Eis brechen konnte, war wieder einmal versäumt.


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