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Fünftes Kapitel.

Ein paar Wochen nach dieser Begegnung schrieb Felix an Jansen folgenden Brief:

 

»Villa Rossel. Ende October.

»Es verlangt mich mit dir zu plaudern, mein alter Dädalus, und doch hat mir der Arzt die Schonung meiner Lunge noch so dringend zur Pflicht gemacht, daß ich dich weder aufsuchen, noch zu mir herauslocken mag. Ich muthe dir lieber zu, dich in diese unbeholfenen Schreibübungen hineinzulesen, in denen du die Hand deines Schülers so wenig wieder erkennen wirst, wie seinen sonstigen Stil.

»Denn unter uns gesagt: es sieht noch etwas blaß und lahm mit mir aus. Die Freunde werden dir nichts davon gemeldet haben; vor denen hab' ich den frischen, fröhlichen Heißsporn gespielt, um sie nur dahin zu bringen, daß sie es für unbedenklich hielten, mich hier draußen in der Einsamkeit zu lassen. Ich konnte es nicht mehr vor meinem Gewissen verantworten, meinen theuren Hauswirth, wenn er auch zum bösen Spiel die beste Miene machte, länger in der Verbannung von der Stadt zurückzuhalten, und auch Kohle, so schwer er sich von seiner »nackten Wand« trennte, kann nicht fortarbeiten, eh' er die n'öthigen Acte gezeichnet hat. Was fehlt mir auch hier draußen, außer dem Einen, was mir ein für alle Mal abhanden gekommen ist? Daß ich gleich der alten Kathi in Menschenhaß und Enzianschnaps versinken würde, braucht ihr nicht zu fürchten. Ich würde mich vor Homo schämen, der mich mit weisen, nüchternen und gutherzigen Augen ansieht, eben da ich dies schreibe. Vielleicht läßt er dich grüßen.

»Aber eine Weile ganz in der Stille zu bleiben, wird sowohl meiner langsam heilenden Brust, als auch meiner etwas zerfetzten armen Seele sehr dienlich sein. Laß dir nicht weismachen, alter Hans, was die Freunde hier sich in den Kopf gesetzt haben: die Sorge nage an mir, ob ich meine Hand so bald wieder im Dienst der Kunst würde brauchen können. Hier ist mehr verletzt, als ein Fingermuskel und ein Gelenk: das Vertrauen ist gelähmt, der Muth und Uebermuth, mit dem ich im Sommer zu dir kam. Wenn ich zehn gesunde Hände hätte, ich würde mich zehnmal besinnen, eh' ich sie wieder zu dir in die Schule schickte; denn ich bin jetzt so gut wie überzeugt, daß sie im besten Fall nur das Handwerk in ihre Gewalt bekämen, während zu einem richtigen Kunstwerk noch dies und das gehört, wozu sie schwerlich das Zeug hätten.

»Du hast es mir vorausgesagt, Liebster, in jener ersten Stunde des Wiedersehens. Damals wollt' ich klüger sein als der Meister. Kannst du nun rächen, woran ich es gemerkt habe, daß du Recht hattest? Es ist zwar beschämend, aber ich muß es nur beichten: all die schönen Wochen in deiner Werkstatt habe ich mir nicht so genug gethan, mich nicht so »auf der Höhe meiner Existenz gefühlt« – wie Rossel es nennen würde –, wie in den Augenblicken, wo ich einen ruderlosen Kahn sicher ans Land brachte und hernach mir einen wüthenden Mordgesellen Faust gegen Faust vom Halse halten mußte.

»Daß man ein leidlicher Raufbold und daneben ein großer Bildhauer sein könne, hat dein berühmter florentinischer Vorfahr Benvenuto bewiesen. Damals freilich waren die Zeiten des Faustadels noch nicht erloschen, und es wurde überhaupt von einem ganzen Manne so Manches verlangt, was bei der jetzigen Theilung der Arbeit an Verschiedene fällt. Künstlerisches Schaffen und praktisches Handeln sind heute geschieden, und du hast vollkommen Recht, daß der Thon, in welchem ich zu kneten berufen bin, das öffentliche Leben wäre.

»Aber wo finde ich einen Stoff, der mir nicht unter den Händen zerrinnt? Du wär'st mitten in einer Sandwüste nicht besser daran, als ich in unserer bureaukratisch geregelten und gemaßregelten Culturwelt, die nirgends erlaubt, ins Volle zu greifen und spröden Verhältnissen die eigene Physiognomie aufzudrücken, – was mir, wie ich nun einmal bin, doch allein eine persönliche Genugthuung gäbe, jenes Gefühl, das dem Künstlerischen verwandt ist, etwas geschaffen zu haben, was nicht jeder Andere eben so gut nach einem bloßen Schema zu Stande brächte.

»Kann sein, daß die Erfahrungen in meinem engeren Vaterländchen mir einen falschen Begriff gegeben haben von dem, was ein auf Thatkraft angelegter Mensch in unsrer alten Welt zu hoffen und zu fürchten hat. Vielleicht, wenn ich im Norddeutschen Bunde eine Stelle fände! – aber damit wäre mir auch nicht eben geholfen; wenigstens habe ich preußische Landräthe kennen gelernt, mit denen ich nicht getauscht hätte; und als letztes Ziel des Ehrgeizes eine Ober-Präsidentenstelle mit grauem Kopf und einer in Actenstaub ergrauten Seele –

»Nein, Theuerster, Schnetz hat in der That das rechte Wort gesprochen: ich bin in ein falsches Jahrhundert gerathen; ins Mittelalter hätt' ich getaugt, wo noch mitten in der aufkeimenden Civilisation die alte Wildheit und Unbotmäßigkeit aller Orten aufflackerte und man ein guter Bürger sein konnte und zugleich bis an die Zähne bewaffnet. Da aber diesem leidigen Anachronismus nicht mehr abzuhelfen ist, will ich wenigstens das Mögliche thun und mir einen Ort suchen, wo ein Kauz mit meinem Gefieder nicht wie ein fremder Vogel im Hühnerhof angegafft und von jedem wohlconditionirten Hahn übertrumpft wird.

»Ich habe von der neuen Welt gerade genug gesehen, um zu wissen, daß ich mich dort mehr an meinem Platz befinden werde, als hier. Ich überschätze jenes gelobte Land durchaus nicht; die positiven, humanen, herzerquickenden Güter und Genüsse, die es zu bieten hat, sind gering. Aber eben an dem gemüthlosen Nichts, aus dem sich etwas machen läßt, ist dort ein gesegneter Ueberfluß.

»Darum habe ich meinen mind aufgemacht, wie die Yankees sagen, wieder über das große Wasser zu gehen und mich drüben fest anzusiedeln. So heilsam und nothwendig mir das erscheint, so weiß ich doch, daß Abschiednehmen keine leichte Sache ist. Deßhalb will ich hier in der tiefsten Einsamkeit meine Vorstudien dazu machen, mich darin üben, Mancherlei zu entbehren und dabei auch meinen Körper wieder so hart werden zu lassen, wie man ihn drüben braucht.

»In einigen Monaten hoffe ich damit zu Stande zu kommen. Dann aber, eh' ich den Staub der alten Welt von meinen Schuhen schüttle, komm' ich noch einmal zu dir, mein Alter, Bester und Getreuester! Es war nicht Alles zwischen uns, wie es sein sollte, und freilich, Niemand hatte Schuld, als das Leben, das uns nicht so ließ, wie wir vor zehn Jahren uns trennten, sondern Jedem allerlei Fremdes anhing, was man miterleben muß, um es selbst mit dem nächsten Freunde zu theilen. Und wie Viel brachte noch die allerjüngste Zeit, was Jeder zunächst für sich allein behalten mußte: dir ein so schönes Glück, mir allerlei neuen Verzicht und bittere Erfahrungen. Das taugte nicht wohl zusammen. Jetzt aber, da es mit mir zu Ende geht, gönne mir wenigstens mehr als bisher, an deinem Glück Theil zu nehmen, in unsrer alten Freundschaft mich zu guter Letzt noch einmal recht zu sonnen. Ich werde hernach Zeit genug haben, im Schatten zu sitzen.

»Grüße mir deine Freundin. Ich habe nur wenige Worte mit ihr gewechselt. Wenn ich aber sage, daß ich dich ihr gönne, kannst du ermessen, wie hoch ich sie halte.

»An diesem Brief kritzle ich schon den dritten Tag. Nach einer halben Seite fängt die Wunde doch wieder an zu rumoren. Indessen, einen Degen zu halten oder einen Flintenhahn zu spannen, ist nicht so angreifende Arbeit, wie eine Feder zu führen. Der alte Berlichingen hat sich ja noch kümmerlicher beholfen.

»Grüße die Freunde; ich freue mich herzlich darauf, sie alle wiederzusehen und zum letzten Mal deutsche Weihnachten mit euch zu feiern.

»Und somit leb' wohl, mein Alter!

Hic et ubique
Dein Felix


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