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Dieser Tag war seit vielen Wochen der erste, an welchem er wieder warm und satt wurde. Er machte daher auch nur schwache Einwendungen, als Angelica darauf bestand, ihn überhaupt während der gemeinsamen Arbeit in die Kost zu nehmen, that sogar, als merke er nicht, daß sie echt Penelopeisch bei ihrem Werke verfuhr und unter allerlei Vorwänden die Vollendung immer wieder hinausrückte. Indessen wurde das Bild doch endlich einmal fertig, und der behaglich herausgefütterte Rosenbusch wäre nun wieder dem Fasten und Brüten verfallen, wenn seine Freundin nicht im Stillen vorgesorgt hätte.
Sie wußte es dahin zu bringen, daß sämmtliche Freundinnen der trostlosen Wittwe Lust bekamen, ihre todten oder lebendigen Gatten in ähnlicher Weise abconterfeit zu besitzen. So geschah es, daß unser Schlachtenmaler auf einmal sich vor Bestellungen von Reiterbildnissen nicht zu lassen wußte, worüber er in großen Zorn gerieth, da die modernen Uniformen seinen Wouvermann'schen Neigungen sehr zuwiderliefen. Indessen blieben immer noch die Pferde, an denen er sich schadlos halten konnte, wenn er auch beklagte, daß die neueren Vorurtheile über Pferdezucht die stilvolle flandrische und burgundische Race ausgerottet hätten. Er malte rüstig drauf los, »für die Küche«, wie er sich ausdrückte, und erst wenn er wegen der hereinbrechenden Dämmerung Feierabend machen mußte, gönnte er sich's, zu seiner Nachbarin herumzugehen und auf die teufelsmäßige Frohnarbeit zu schimpfen, bei der sein großes Bild gänzlich in die Brüche ginge.
Angelica schwieg ganz still zu seinen Klagen. Sie fand, wie sie ihm ein für allemal erklärt hatte, nichts Unwürdiges dabei, Militärporträts zu civilen Preisen dutzendweise zu verfertigen, wobei sie ihn auf das berühmte Beispiel der »mehreren Wehmüller« verwies. Um ihm aber auch wieder eine größere Aufgabe zuzuwenden, überredete sie die junge Wittwe, das Bombardement von Kissingen, bei welchem ihr Gatte gefallen war, bei Rosenbusch zu bestellen. Mit dieser Kriegslist kam sie aber an den Unrechten. Er weigerte sich entschieden, eine so prosaische Affaire, wie die Beschießung einer modernen Stadt durch moderne Truppen, die in gedeckten Stellungen unsichtbar ihre Kanonen abfeuerten, zu malen. Auch sei er nicht dabei gewesen. – Ob er denn die Lützener Schlacht in Person mitgemacht habe? fragte Angelica ordentlich boshaft. – Nein; aber damit verhalte sich's sehr anders. Jedermann wünsche bei so einem romantischen Handgemenge dabeigewesen zu sein und wisse es daher dem Künstler Dank, wenn er an bäumenden Streithengsten, blasenden Trompetern, hauenden und stechenden Lanzknechten das Menschenmögliche auf seine Leinwand male; dagegen nähmen sich die neueren Schlachten eben so gut auf einer Generalstabskarte aus, wo man die wissenschaftlich ausgeklügelten Schachzüge mit geometrischen Linien und bunten Fähnchen auf dem Tische nachziehen könne.
Hiervon war er nicht abzubringen, wie denn überhaupt Angelica's Einfluß auf ihn seine Grenzen hatte. Je mehr sie ihn dann ausschalt wegen seiner Halsstarrigkeit und die kräftigen Ausdrücke dabei nicht sparte, je wohler war ihr heimlich dabei, daß er sich so selbständig, so männlich und unvernünftig zeigte, und sie mußte sich oft Gewalt anthun, nicht aus der Rolle und ihm um den Hals zu fallen. Aber minder zufrieden war sie mit der Beharrlichkeit, mit der er an seiner stillen Melancholie festhielt, selbst als es das schönste Wetter geworden, an Geld kein Mangel mehr und der schlotternde schwarze Frack längst mit einem schmucken Sommerröckchen vertauscht war. Sie schob diese Schwermuth des sonst so Leichtsinnigen auf sein Verhältniß zu der schönen Nanny, von welchem er gegen seine Gewohnheit nie mit ihr sprach, das aber, wie sie wußte, nicht den besten Fortgang hatte. Und so saß sie manchen Tag recht trübselig hinter ihrer Staffelei, hinüberhorchend in das stumme Atelier ihrer Freundes, wo auch jetzt noch kein Flötenton erklang, während auch aus den verödeten Räumen unter ihr weder ein Meißelschlag noch sonst ein Ton des Lebens heraufdrang.
Darüber war, wie gesagt, der Sommer herangekommen. Rossel hatte den alten Schöpf und seine Enkelin auf seine Villa am See eingeladen. Da aber der Alte es nicht für schicklich hielt, das Mädchen unter dieses Junggesellendach mitzunehmen, und sie selbst erst recht Nichts davon hören wollte, blieb auch der Dicke in der Stadt, was ihm ohnedies mehr zusagte. Nur Kohle siedelte zu der alten Kathi über, um sein Venusmärchen draußen an die Wand zu malen. – Von Florenz war die Pflegemutter zurückgekehrt, mit einem ganzen Koffer voll schöner Kunst- und Putzsachen für Angelica und tausend Grüßen des glücklichen Paars. Sie konnte nicht genug rühmen, wie herrlich die Beiden sich ihr Leben eingerichtet hätten, wie schöne neue Werke Herr Jansen angefangen, wie die Engländer und Franzosen sich darum rissen und wie wohl sich das Fränzchen bei seiner schönen Mama befinde. Auch den Baron und Irene hatte sie in Jansen's Hause gesehen, von dem jungen Freiherrn aber sei noch immer nichts verlautet.
Diese Nachrichten hatten die treue Seele ungewöhnlich aufgeregt. Als die muntere kleine Frau längst wieder gegangen war, saß Angelica noch immer vor dem Tisch, auf dem sie die Geschenke Juliens, die Photographieen nach den Bildern der Tribuna, die Mosaikbroche und die schönen seidenen Tücher ausgebreitet hatte, und dachte kummervoll darüber nach, ob sie nicht doch besser daran gethan hätte, wenn sie damals mit über die Alpen gereis't wäre, statt hier sitzen zu bleiben und ihre jungfräuliche Seele mit verlorener Liebesmühe zu foltern.
Da hörte sie Rosenbusch pfeifend die Treppe heraufstürmen, in ungewöhnlicher Hast. Gleich darauf trat er bei ihr ein. Sein Gesicht hatte wieder den sorglos übermüthigen Ausdruck, wie in seiner Glanzzeit, als er noch den veilchenfarbenen Sammetrock trug.
Was bringen Sie Neues, Rosenbusch? fragte die Malerin, der seine Munterkeit so wenig gefiel, wie seine frühere Schwermuth. Sie sehen gerade so aus, als ob Sie einen großen Fund gethan hätten, einen echten Wouvermann bei einem Salzstößler, oder die rothe Decke, von welcher Gräfin Terzky in Eger träumte. Nun?
Meine verehrte Freundin, versetzte er, Sie thun mir Unrecht, wie gewöhnlich. Was ich bringe, sind keine Alterthümer, sondern zwei große Neuigkeiten, eine ernsthafte und eine spaßhafte. Welche wünschen Sie zuerst zu erfahren?
Erst das Ernsthafte. Sie erschrecken mich, Rosenbusch. Sie sehen ja ganz feierlich aus.
Es ist auch eine verteufelt ernsthafte Geschichte: es giebt Krieg, einen richtigen und aufrichtigen Krieg, obwohl die Sache so verrückt klingt, daß man trotz der Kriegserklärung Frankreichs, die in allen Blättern steht, noch Wetten darauf macht, es müsse eine Zeitungs-Ente sein. Was sagen Sie nun, Angelica? Ist Ihnen diese Neuigkeit ernsthaft genug?
Himmlische Götter, rief die Malerin, eine solche Dummheit!
Das ist eine sehr kluge Aeußerung von Ihnen, verehrte Freundin; aber es hilft nichts, wegen solcher Dummheit haben die gescheidtesten Menschen ihr bischen Leben und ganze Nationen Gut und Blut verloren. Kriege müssen freilich sein, was fingen sonst die Schlachtenmaler an? Uebrigens kennen Sie meine Überzeugungen. Bei der jetzigen Manier des Artilleriekampfs und des Schnellfeuers – ist es nicht der Kunst wegen, daß ich mit will.
Sie wollen mit? Sie sind wohl nicht bei Trost, Rosenbusch! Sie ein Krieger und Held? Das ist wohl gar Ihre zweite Neuigkeit, die spaßhafte?
Sie sind abermals im Irrthum, und natürlich wie immer zu meinem Nachtheil, meine theure Gönnerin. Die zweite Neuigkeit hat mit der ersten gar nichts zu schaffen, ist vielmehr, wenn man jene eine öffentliche Calamität nennen darf, als ein frohes Privat-Ereigniß zu bezeichnen: Fräulein Nanny und Herr Franz Xaver Niederhuber empfehlen sich als Verlobte; in drei Wochen ist die Hochzeit.
Sein Gesicht hatte bei diesen Worten den gleichmüthigen Ausdruck nicht verloren, und doch klang etwas in seiner Stimme, als sei noch nicht Alles in Richtigkeit.
Lieber Freund, sagte sie endlich, ich bin seit einigen Monaten so wenig mehr au courant Ihrer Herzensangelegenheiten, daß ich wirklich nicht weiß, ob ich Ihnen gratuliren oder Sie meines stillen Beileids versichern soll. Ich habe Ihre Passion für dieses unbedeutende, kokette und nicht einmal besonders reizende Püppchen – (die Eifersucht gab ihr selbst jetzt noch, da die Ungetreue nicht mehr gefährlich war, diese herbe Kritik auf die Zunge) – kurz, gerade diese unter Ihren vielen verliebten Launen habe ich niemals begreifen können. Und daß nun gar der Kummer über die Entlarvung einer solchen kleinen Heuchlerin Sie den Tod und Verderben speienden Karthaunen in den Rachen jagt –
Nichts weniger als das! unterbrach er sie mit einem Stoßseufzer. Es ist durchaus kein Galgenhumor, wenn ich diese Rache des Schicksals spaßhaft finde. Sie möge nur ihren Bräuerssohn beglücken, sein Bier und seine Bräuerpferde meinem Oel und meinen Schlachtrossen vorziehen. Diese unglückliche Liebe ist schon längst nur noch ein Spuk, ein bloßes Phantom gewesen, wie sich am deutlichsten an den Versen zeigte, die ich darüber gedichtet habe. Elfinger hat es mir längst auf den Kopf zugesagt: Du liebst sie gar nicht; je stärker die Liebe, je schwächer die Liebesgedichte, und die deinigen sind diesmal ungewöhnlich gut. Indessen – daß ich aus unglücklicher Liebe mit zu Felde ziehen will, darin haben Sie doch nicht ganz Unrecht, Angelica. Es ist dieselbe hoffnungslose Neigung, die mich schon die ganze letzte Zeit um meine gewöhnliche Munterkeit gebracht hat. Nun, das Pulver gegen diese Thorheit ist ja jetzt erfunden.
Eine neue unglückliche Liebschaft? O Sie Ungeheuer! Fast möchte ich jetzt für die schöne Nanny Partei nehmen; sie hat sicher gewußt, was für ein Schmetterling mit blausammtnen Flügeln sie umflatterte.
Ob sie es nun mit Recht oder Unrecht gethan hat, jedenfalls ist uns Beiden ein Gefallen damit geschehen. Aber gerade weil ich so lange als irgend möglich die Treue in mir zu conserviren suchte, wurde ich melancholisch, als ich merkte, wie viel Mühe ich hatte, über den Treubruch dieser jungen Philistertochter, dieser Delila, für die ich mir einst Bart und Locken geschoren hatte, irgend welche Schmerzen zu fühlen. Und wenn ich jemals von meinem Gerechtigkeitssinn ungebührlich verführt worden bin, den verschiedensten Reizen zu gleicher Zeit oder kurz nach einander zu huldigen, – jetzt werde ich grausamer bestraft, als ich verdient habe. Indessen – da ist nichts zu machen. Und hoffentlich dauert's nicht lange. Zwar, als freiwillige Krankenpfleger, wozu wir uns melden wollen – denn Elfinger hält's auch nimmer aus – kommen wir nicht gleich ins ärgste Feuer, und jetzt noch als Gemeine einzutreten, uns einexerciren zu lassen und dann nachzurücken, wenn der Hauptspaß vorüber ist, kann uns Niemand zumuthen. Aber während der Schlacht – wenn Alles drunter und drüber geht – wenn rechts und links die Menschen wie Bleisoldaten über einander purzeln – da findet sich wohl auch für Unsereinen –
Reden Sie nicht so gottloses Zeug, Rosenbusch. Es ist hübsch und tapfer von Ihnen, daß Sie mitwollen; gewiß, es macht Ihnen Ehre. Aber gerade weil es eine so heiligernste Sache ist, lassen Sie doch nun auch die Possen zu Hause, vergessen Sie »leises Flehn, süßes Wimmern« – und – wenn Sie im Felde sind – und wirklich –
Sie brach plötzlich ab. Die Vorstellung, daß er von ihr gehen, daß ihn Gefahr umringen und er dann ihrer Hülfe entbehren würde, überkam sie mit solcher Gewalt, daß sie mühsam ihre Thränen niederkämpfen mußte.
Er hatte mit einem traurigstillen Gesicht zu Boden gesehen und ihre Bewegung nicht wahrgenommen.
Sie sind einmal wieder in Ihrer Spottlaune, sagte er, auf eine große Photographie des Cellini'schen Perseus starrend. Auch will ich Ihnen gern erlauben, all meine früheren »Amuren und Courtoisieen« lächerlich zu machen und für Ariostische Possen zu halten, aus reiner Abenteuersucht entsprungen. Diese meine jetzige letzte und definitive Neigung aber sollen Sie mir nicht antasten. Sie ist von ganz anderem Kaliber, und wenn ich Ihnen den Namen nennen dürfte, würden Sie selber gestehen, daß diese Flamme mit den Nannys, Reseis, Annerln und Babetterln, die ich früher geliebt, nicht die mindeste Verwandtschaft hat. Aber ich werde der Narr nicht sein, Sie ins Vertrauen zu ziehen. Sie würden erst recht die Schalen Ihres Spottes über mich ergießen, und es liegt mir daran, daß wir als gute Freunde von einander Abschied nehmen.
Sie sprechen in Räthseln, Rosenbusch. Wenn Sie endlich einmal auf eine vernünftige Weise den Verstand verlieren, ich meine, um einen Gegenstand, der der Mühe werth ist, warum sollt' ich Sie da verhöhnen?
Weil – aber nein, es ist doch Alles umsonst. Sagen Sie ums Himmelswillen: hätten Sie dem Monsieur Ollivier dieses perfide Spiel, diese abgeschmackte Corpsburschen-Renommisterei zugetraut? Ein Mensch, der noch vor Kurzem –
Keine Winkelzüge, Herr von Röschen! Sie haben mir zu Viel gesagt, um jetzt ein Schloß vor den Mund zu nehmen. Als Frauenzimmer und Ihre aufrichtige gute Freundin habe ich nicht nur ein Recht, sondern auch die Pflicht, neugierig zu sein. Heraus damit: wer ist diese neueste Flamme, und wenn ich Ihnen irgend mit Rath und That beistehen kann –
Ihre Stimme wurde wieder unsicher. Sie wagte es nicht, ihn anzusehen; auch er ließ seine Augen nach einer anderen Richtung im Atelier herumschweifen.
Wenn Sie es denn durchaus wissen wollen, stammelte er endlich – und eigentlich ist ja auch nichts damit zu gewinnen oder zu verlieren –: die Person, von der ich rede, ist das einzige weibliche Wesen, dem jemals gefährlich werden zu können ich mir nicht im Traum würde einfallen lassen, eben so wenig wie sie selbst weder Liebe noch Haß gegen mich zu fühlen im Stande ist. Sie hat mir das unzweideutig bewiesen, theils durch beständiges Schelten, Spotten und Höhnen, theils durch die liebenswürdigste, brüderlichste Freundschaft, wie man sie nur einem Menschen erzeigt, bei dem man ganz sicher ist, daß man sich nie in ihn verlieben könnte. Ich hätte mich dadurch warnen lassen und mein Herz besser in Acht nehmen sollen. Aber weil mir ein solches Verhältniß völlig neu war, bin ich eben blind hineingetappt und sitze nun bis über die Ohren fest in der hoffnungslosesten, unsterblichsten und unzweckmäßigsten Verliebtheit. Da haben Sie meine Beichte. Ich glaube, Sie werden mich davon dispensiren, Ihnen auch noch den Namen der Betreffenden zu nennen. Uebrigens will ich Sie nicht länger stören. Ich sehe, Sie haben schon die Palette hergerichtet. Adieu!
Er wandte sich nach der Thür. Aber er hatte die Schwelle noch nicht erreicht, als sein Name an sein Ohr klang und zugleich an sein Herz, durch den ungewöhnlich sanften Klang, mit dem er gesprochen wurde.
Er blieb wie angewurzelt stehen und wartete, was die Stimme noch weiter sagen würde. Er mußte aber noch eine gute Weile darauf warten und betrachtete indessen die Wand, die diesen Raum von dem seinigen schied und groß genug war, um bequem eine Thür durchzubrechen.
Lieber Rosenbusch, fing endlich die Stimme wieder an, noch ein wenig sanfter als vorhin – was Sie mir da gesagt haben, ist mir so neu, so ganz überraschend – und dann wieder so beschämend – kommen Sie, lassen Sie uns wie ein paar verständige Menschen und gute Kameraden –
Er machte wieder eine Bewegung, als ob er gehen wolle. Der Anfang schien ihm nicht sehr tröstlich. »Verständige Ueberlegung und gute Kameradschaft« – wenn man ihm nichts Besseres anzubieten hatte –!
Nein, fuhr sie fort, hören Sie mich nur erst aus. Sie sind immer so hitzig, Rosenbusch! – Wenn Sie mir versprechen, mir nichts übel zu nehmen, – denn ich möchte ganz offenherzig sein – wollen Sie mir's also versprechen?
Er nickte dreimal hastig vor sich hin und warf ihr einen fast furchtsamen Blick zu, worauf er rasch wieder zu Boden sah. Sie mußte mitten in ihrer eigenen Verwirrung und Beklommenheit lächeln über die scheue Armsündermiene des sonst so selbstgewissen Verführers.
Ich kann es nicht leugnen, sagte sie: in der ersten Zeit unserer Bekanntschaft hab' ich wirklich nicht Viel von Ihnen gehalten; Sie waren mir – verzeihen Sie – eher unangenehm, als gefährlich. Schon der Name Rosenbusch, der so parfümirt und sentimental klingt –
Nun, wagte er einzuwerfen, »Minna Engelken« ist auch ein verteufelt süßer Name.
Aber er klingt wenigstens nicht so jüdisch. Ich hielt Sie für einen heimlichen Juden.
Seit hundert Jahren sind wir getauft, und schon meine Großmutter war aus christlicher Familie und eine geborene Fliedermüller.
Dann fand ich Sie auch zu – wie soll ich sagen? – zu hübsch für einen Mann, und die anderen Alle sagten, Sie seien liebenswürdig. Hübsche und liebenswürdige Männer sind mir immer unausstehlich gewesen. Sie pflegen es zu wissen, und in unbewachten Augenblicken sehen sie in den Spiegel und kämmen ihren Bart oder gar ihre Augenbrauen. Dabei lieben sie nur sich selbst, und wenn sie vorgeben, für ein Frauenzimmer zu schwärmen, geschieht es mit einer so herablassenden Manier, daß die arme Auserwählte, wenn sie das Herz auf dem rechten Fleck hat, lieber eine Ohrfeige hinnähme, als eine solche Huldigung. Werden Sie nicht böse, Rosenbusch; Sie können nichts dafür, daß Sie eine so zierliche kleine Nase haben und nebenbei wirklich liebenswürdig sind – denn das sind Sie. Aber Sie begreifen: ein altes Mädchen, das nicht mehr hübsch ist und nie für liebenswürdig gegolten hat –
Aber Angelica! –
Nein, Sie dürfen mich nicht unterbrechen. Es wäre ja dumm von mir, wenn ich nicht so klug wäre, zu wissen, wie ich aussehe und welchen Eindruck ich auf die Menschen mache, nachdem ich bald dreißig Jahre Zeit gehabt habe, meine eigne Bekanntschaft zu machen. Wie alt sind Sie, Rosenbusch?
Ich werde am fünften August einunddreißig.
So sind wir kaum dreizehn Monate auseinander. Sehen Sie, das ist schon allein ein Hinderniß. Aber um fortzufahren: Ihr Flötenspiel, Ihre weißen Mäuse, Ihre vielen Liebschaften – können Sie mir's verdenken, daß ich Sie für einen mir wenigstens ganz ungefährlichen Menschen hielt? Ich hatte eine andere Vorstellung von dem Manne, der mein Herz gewinnen sollte, und wenn ich dann einmal so Einen fand, wußte ich gleich, daß es eine unglückliche Geschichte werden würde, wenn ich's ernst nähme. Denn solche Männer wollen ganz andere Weiber und haben darin auch vollkommen Recht. Da habe ich meine arme Seele mit Humor gepanzert, und sehen Sie, das war gut und schlimm zugleich; gut, weil es mir über manches Bittere weghalf, und wieder schlimm, weil es mich noch weniger liebenswürdig erscheinen ließ, als ich im Grunde bin. Ein Frauenzimmer, das Humor hat, das seine Worte nicht auf die Goldwage legt, – wo sind die Männer, die noch glauben, dahinter stecke ein gutes weibliches Herz? Die eitlen Männer, wie Sie zum Beispiel, werden nun vollends von so Einer abgestoßen. Wenn wir nicht in süßer Schüchternheit zusammenschauern vor euren großen Worten und großen Bärten, find wir nicht würdig, von euren großen Seelen geliebt zu werden. Darum bin ich wahrhaftig nie über Etwas mehr erstaunt gewesen, als über das, was Sie mir eben gesagt haben. Ich zwar – ich habe seither – schon seit Jahr und Tag, kann ich sagen – eine ganz andere Meinung von Ihnen gewonnen, das bin ich Ihnen nun auch zu beichten schuldig, nachdem ich Ihnen das Andere so ehrlich ins Gesicht gesagt habe. Ich habe Sie sehr schätzen gelernt, Rosenbusch; ich – ich glaube sogar, ich muß einen stärkeren Ausdruck brauchen: ich habe eine herzliche Liebe und Zuneigung zu Ihnen gefaßt – nein, Sie dürfen kein Wort dazwischen sagen, es muß erst Alles heraus. Wissen Sie, daß ich in jener Nacht, wo Sie sich so unartig betrugen – Sie entsinnen sich noch – Sie nahmen sich etwas heraus, was Ihnen nur als die Scheidemünze der Galanterie gilt, aber einem Mädchen, das etwas auf sich hält, – obwohl ich keine philiströsen Ansichten habe, wenn man sich wirklich liebt – und eben das that mir weh, daß Sie sich's herausnahmen, ohne mich wirklich zu lieben, und ich glaube, ich habe die halbe Nacht kein Auge zugethan und viele heimliche Thränen darum geweint, daß – daß ich Ihnen trotz alledem nicht böse sein konnte!
Angelica! rief er jetzt lebhaft und näherte sich ihr, um ihre Hand zu ergreifen, die sie aber entschieden zurückzog, – warum sprechen Sie so, wenn Sie mich doch nicht glücklich machen, mir jetzt nicht einmal erlauben wollen, Ihre Hand zu küssen? Nein, ich lasse mir nicht länger das Reden verbieten; denn was Sie auch noch über meine schlechten Eigenschaften auf dem Herzen haben mögen: daß Sie mich gern haben, daß Sie gut von mir denken, das können Sie jetzt nicht mehr zurücknehmen, und das ist die Hauptsache und tausendmal Mehr, als ich mir zu hoffen getraute. Liebe, beste Angelica, glauben Sie doch nur, daß selbst ein einunddreißigjähriger Schlachtenmaler sich noch bessern kann. Meine Flöte will ich mit Blei ausgießen, meinen Mäusen Strychnin in einem Stück Schweizerkäse zu fressen geben und ein Futteral über meine Nase tragen, daß ich dadurch zum Kinderschreck werde. Was aber endlich meine Liebschaften betrifft – können Sie mir wirklich, um von allen edleren Trieben zu schweigen, die Geschmacklosigkeit zutrauen, daß ich mich noch in solche Dutzendlärvchen vergaffen könnte, nachdem ich das Urbild aller Lieb' und Güte, aller Klugheit und Anmuth in diesem Gesicht gefunden habe?
Er hatte sich inzwischen einer ihrer Hände bemächtigt und drückte dieselbe so inständig, wobei er ihr mit den treuherzigsten Schelmenaugen ins Gesicht sah, daß sie ganz roth wurde und beinahe ihre Standhaftigkeit verloren hätte. Sie faßte sich aber rasch und sagte:
Sie sind wahrhaftig ein gefährlicher Mensch, Rosenbusch. Ich erlebe es jetzt an mir selbst. Wenn ich nicht mein Bischen Vernunft und Selbsterkenntniß zu Hülfe nähme, so fielen wir uns jetzt in die Arme, und das Verderben ginge seinen Gang. Auf Ihrer Liste stände ein Name mehr, Sie zögen in den Krieg und hätten die allerschönste Entschuldigung, wenn Ihnen über der großen Weltgeschichte diese kleine Herzensaffaire vollständig aus dem Gedächtniß käme. Nein, mein Freund, dazu bin ich mir selbst doch zu Schade. Ich glaube zuversichtlich, meine werthe Person ist Ihnen nur darum von Wichtigkeit geworden, weil ich Ihrer Liebenswürdigkeit bisher ganz unbegreiflicher Weise widerstanden habe. Sobald Sie überzeugt wären, daß auch ich nur ein schwaches Weib sei, würde ich Ihnen wieder sehr gleichgültig werden. Nun habe ich das freilich aus dummer Ehrlichkeit nicht verschweigen können; aber so unrettbar geb' ich mich noch nicht verloren. Ziehen Sie jetzt in den Krieg, so steht unsre Partie gleich. Wir Beide haben die schönste Zeit und Gelegenheit, uns wieder zu vergessen. Ich zwar, hier in dem todtenstillen Hause, wo ich nur Ihre Mäuse pfeifen höre, – ich werde es etwas schwerer haben. Aber vielleicht zieht nebenan irgend ein anderer gefährlicher Jüngling ein, so ein schwarzbrauner Ungar oder Pole – ich habe immer eine Vorliebe für das Brünette gehabt, schon darum ist es eine rechte Verirrung, daß ich Sie mit Ihrem rothen Bart –
Sie mußte sich abwenden, es wurde ihr unmöglich, länger mit erzwungenen Späßen ihre Bewegung niederzukämpfen, – sie drückte verstohlen ihre Locken gegen die überfließenden Augen, aber sie schüttelte dennoch den Kopf, als er den Arm um sie schlang und sie an seine Brust zog.
Nein, nein, flüsterte sie, ich glaube es noch immer nicht! Sie werden sehn, es nimmt ein unglückliches Ende, es ist nur so einfältig von den dummen Thränen, daß sie meine vernünftigsten Worte Lügen strafen, und auch das unsinnige Herz, das alt genug wäre, um sich nicht hinters Licht führen zu lassen – – – – – – – – – – – – – –
Am Abend desselbigen Tages schrieb Angelica einen langen Brief an Julie.
Nachdem sie ihr Herz über tausend Dinge ausgeschüttet, die nur die Freundin betrafen, und schon am Ende der zwölften Seite angelangt war, faßte sie sich endlich einen ganz besonderen Muth, nahm noch einen frischen Bogen und schrieb folgende Nachschrift:
»Ich wollte wahrhaftig so feige und hinterhältig sein, diesen Brief abzuschicken, ohne dir von dem großen Ereigniß dieses Tages zu sprechen. Ich meine nicht die Kriegserklärung Frankreichs, die längst nichts Neues mehr sein wird, wenn dieses Blatt in deine Hände kommt, sondern das Schutz- und Trutzbündniß, das ich heute geschlossen habe. Mit Wem, ließe ich dich am liebsten selbst errathen. Aber da es mir zu lange dauert, bis ich erfahre, ob du richtig gerathen hast oder nicht, – und man soll ja, wie es heißt, an Scharfsinn verlieren, was man an Glück gewinnt, – so will ich nur selber berichten, daß der listige Mensch, der meine berühmte Standhaftigkeit und Klugheit überrumpelt hat, Niemand anders ist, als – Rosenbusch. Ich hoffe, du siehst nicht so weit, um zu erkennen, wie ich bei diesem Geständniß roth werde, so daß ich meinem zukünftigen Namen, bis auf die etwas verblühte Rosenhaftigkeit, schon jetzt alle Ehre mache. O Liebste, was ist unser Herz? Es scheint wahrhaftig, als lebe dieses unberechenbare und unverantwortliche Etwas in uns, das doch den Blutumlauf in seiner Gewalt hat und unsre Hand kalt oder warm macht, wenn wir sie in eine andere legen, in ziemlich abgesondertem Verhältniß mit allen übrigen Mächten, welche die kleine Welt, Individuum genannt, regieren. Wie oft habe ich diesen meinen geliebten Nächsten zum Gegenstand meiner unbarmherzigsten Einfälle gemacht, alle seine Schwächen und Menschlichkeiten – er hat sich freilich sehr verändert, seit du ihn nicht mehr gesehen, – unter vier Augen mit dir karikirt und mich über den Rattenfänger mit Flöte und blauem Sammtrock lustig gemacht. Und während dessen saß das Herz mäuschenstill in seiner Zelle und rührte sich nicht, ja sogar das Gewissen regte sich nicht bei meinen gottlosen Verleugnungen der Nächstenliebe. Und jetzt auf einmal – frailty, thy name is woman! Liebste, versprich mir nur, alle meine Bosheiten so schnell wie möglich zu vergessen und daran zu glauben, daß ich, noch ehe dieser böse Mensch mir seine Gefühle gestanden, lange schon von dem sehr bedenklichen Zustande meines Herzens überzeugt war. Ich habe dir nichts davon geschrieben, weil ich natürlich die Geschichte für eine recht erbärmliche Dummheit besagten Herzens hielt, und auch heute noch kann ich nicht ganz daran glauben. Du weißt, mit dem eigentlichen Glück habe ich nie rechtes Glück gehabt. Und darum glaube ich auch jetzt noch: wenn es wahr ist und er mich wirklich auf Tod und Leben lieb hat, wie er betheuert, so hab' ich doch nichts davon, und er wird mir gewiß todtgeschossen, da er als freiwilliger Johanniter mit in den Krieg will. Und doch habe ich ihn nicht in seinem mannhaften Entschluß irre machen wollen. Daß ich ihn nicht recht männlich fand, war ja immer mein Hauptvorwurf gegen ihn. Jetzt soll es obenein die Feuerprobe für seine Liebe sein, ob er sie aus dem Pulverdampf und Schlachtengräuel unversehrt wieder heimbringt. Ach, Julie, welche Prüfungen! Wie werde ich die Trennung überstehen! Ich werde wenige und schlechte Bilder malen und graue Haare kriegen, und wenn er wiederkommt, wird er erst recht seinen Irrthum einsehen. Aber »wie Gott will, ich halte still«. Die Zeit ist so groß, wer darf da an seine kleine Person denken? Alles rührt sich, auch Elfinger geht mit (seine kleine Nonne scheint ihn zur Verzweiflung gebracht zu haben) und, was euch freuen wird: Schuetz ist wieder bei seinem alten Regiment eingetreten und sieht als ein neuer Mensch ins Leben. Es war mir rührend, wie der gute Kohle, der heute Nachmittag bei mir war, seine schlechte Gesundheit verwünschte, die ihn von allen Kriegsstrapazen ausschließt. Er hat ein prachtvolles Tableau entworfen: Germania auf der Höhe des Lurleifelsens, von dem sie die Hexe heruntergestoßen hat, um all ihre Söhne mit ihrem Siegesgesang zum Kampf gegen den Feind zu begeistern. – Rossel, der fern von seinem Schaukelstuhl natürlich zu nichts zu brauchen wäre, hat wenigstens sofort tausend Gulden für die Pflege der Verwundeten gezeichnet. Jeder nach seinen Kräften. Ich werde meine Mal-Lumpen zu Charpie verwenden und mein Herzblut auf andere Weise dabei zum Opfer bringen.
»Lebewohl! Freue dich deines unverwelklichen paradiesischen Friedens im schönen Süden, und schreibe mir bald, meine geliebte, einzige, schönste, glücklichste, beglückendste Schwesterseele! Rosenbusch grüßt. Noch vierzehn Tage, – dann klopft in dem Hause, wo so viel theure Menschen fröhlich gelebt und geschafft haben, nur noch das einsame Herz deiner
Angelica.«