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Der harte Kriegswinter war vergangen, der Frühling hatte den Frieden gebracht und das Aufblühen des deutschen Reichs. Der Hochsommer sah die siegreichen Schaaren wieder in ihre Heimath zurückkehren.
Es sind gerade zwei Jahre seit jenem Tage, wo unsere Erzählung begann. Wieder ist es heiß und still über der Theresienwiese, so still, daß man ein Flötenconcert aus dem Fenster des Malerhauses weit umher vernehmen könnte. Aber die Flöte schweigt. Es liegt überhaupt, obwohl ein Werkeltag ist, eine tiefe Sonntagsstille über die weite Runde verbreitet. Kein Wagen fährt, keine Menschen eilen geschäftig durch die Straßen der Vorstadt. Dennoch scheint die große eherne Frau vor der Ruhmeshalle über diese feierliche Oede und Stille sich nicht zu wundern. Sie kann freilich, ohne sich auf den Zehen zu recken, hinausschauen über die Häuser der Stadt bis an das Thor, auf welchem ihr kleineres Ebenbild steht, auf dem Siegeswagen, von vier schwerhinwandelnden Löwen mit gravitätischen Mähnenhäuptern gezogen. Daher weiß sie den Grund, weßhalb in ihrer Nähe Alles wie ausgestorben erscheint. Wie das Blut eines großen Körpers, wenn ein erschütternder Schlag des Schreckens oder der Freude das Herz trifft, eilig gegen diesen Sitz des Lebens zusammenströmt, daß die äußeren Gliedmaßen erstarren und leblos scheinen, so hat sich die gesammte Bevölkerung dahin zusammengeschaart, wo heute ihr Herz ist, zu dem Triumphbogen, durch welchen die heimkehrenden Sieger einziehen sollen. Die große eherne Frau sieht früher als alle Andern auf der Heerstraße draußen Waffen blitzen und Fahnen wehen, und wie ein Lächeln gleitet es sonnig über ihre strenggeschürzten Lippen. Wer in dieser Stunde genauer hingeschaut hätte, würde gesehen haben, daß sie den Arm höher erhob als sonst, und den Kranz in ihrer Hand, dem Triumphzuge entgegen, leise winkend und grüßend bewegte. Dies geschah gerade, als von allen Thürmen der Stadt die Glocken läuteten und hunderttausendstimmiger Jubel die Ankunft des Vortrabs verkündigte.
Unter den Einziehenden sind zwei uns wohlbekannte Gesichter. An der Spitze eines Regiments, das fast die Hälfte seiner Leute in dem kühlen Grunde bei Bazeilles und Orleans zurückgelassen hat und darum den doppelten Blumendank aus den Fenstern rechts und links in Empfang nehmen muß, reitet, die Brust mit Ehrenzeichen geschmückt, die hagere Gestalt strack im Sattel aufgerichtet, der Hauptmann von Schnetz, ganz mit Blumensträußen und Kränzen bedeckt, die ihm die nebenherlaufenden Knaben aufs Pferd gereicht, wenn sie wohlgezielt von dem Reiter abgeglitten sind. Er hat seinen Degen damit geziert und seinen Helm und das Wehrgehenk und das Riemenzeug seines Pferdchens, obwohl er sonst kein Liebhaber von Blumen ist. Auch thut er es nicht zu seinem eigenen Ruhm oder Vergnügen. Sondern er weiß: an dem Fenster dort im ersten Stock jenes stattlichen Hauses sitzt eine Frauengestalt, schmächtig und frühgealtert, aber die sonst so blassen Wangen tragen heut ein festliches Roth, und die vom vielen Kummer ausgeblichenen Augen leuchten wieder ganz jung und lebenszuversichtlich. Dieser Frau möchte er sich in seinem Blumenschmuck zeigen. Sie hat bisher eine Dornenkrone getragen, jetzt will er ihr die blühende Zukunft zeigen, die er sich und ihr erkämpft hat. Aber sie sieht ihn nur von ferne. Wie das gute, ehrliche, gelblederne Gesicht mit dem schwarzen Knebelbart jetzt dicht vor dem Hause vorbeireitet, werden ihr die Augen so umflort, daß sie nur wie durch einen Nebel erkennt, wie er den Degen salutirend gegen sie neigt und leise mit dem bekränzten Helm nickt. Der Kranz, den sie selbst in Bereitschaft gehalten, fällt ihr aus der zitternden Hand über die Brüstung auf die Köpfe der dichtgedrängten Volksmenge. Aber man scheint zu wissen, wem er bestimmt war. Im Nu haben zwanzig Hände ihn weiter befördert, und jetzt wird er zu dem Reiter hinaufgehoben, der alle andern von seinem Degen gleiten läßt, um nur diesen einen herumzuwinden.
Nicht weit hinter diesem Braven reitet ein Anderer, auf den sich gleichfalls die Blicke der Frauen und Mädchen in den Fenstern mit Vorliebe richten, obwohl er allen fremd ist und seinerseits seine dunklen Augen nur selten auf einem dieser blühenden Gesichter verweilen läßt. Wen hätte er hier suchen sollen? Und wen unvermuthet wiederzuerkennen hätte ihn gefreut? Nur widerstrebend und um Schnetz nicht zu kränken, der es als einen besonderen Freundschaftsbeweis von ihm verlangte, hatte er endlich eingewilligt, den Einzug mitzumachen, die Stadt wiederzusehen, an die sich so bittere Erinnerungen für ihn knüpften. Diese zwei Jahre, seit er sie als ein Kunstjünger betreten, – was hatten sie aus ihm gemacht! Und doch, obwohl er fest davon überzeugt war, daß in seinem Innersten die Quelle jeder Freude versiegt und hinfort nur noch eine dürre Genugthuung über erfüllte Pflichten ihm beschieden sei, – dennoch konnte er sich der Jubelstimmung dieser wundervollen Stunde nicht ganz erwehren. Sein schönes, noch kühner und schärfer durch den Krieg gehärtetes Gesicht hatte jenen traurig versteinerten Ausdruck verloren, der ihm durch das ganze Kriegsjahr treu geblieben war; eine sichere Klarheit, ein ruhiger Ernst leuchteten aus seinen Augen. Wie er durch die blumenbestreute Triumphstraße dahinritt unter dem Kanonendonner und Glockengeläut und freudetrunkenen Zuruf, verlor er ganz das Bewußtsein des eigenen hoffnungslosen Geschickes und tauchte gleichsam unter in die große allgemeine Stimmung einer einzigen, erhabenen, nie wiederkehrenden Feier, an welcher Theil nehmen zu dürfen, das Kreuz an der Brust und ehrenvolle Wunden darunter, die kaum vernarbt waren, wohl ein Ersatz sein konnte für anderes verscherztes Glück eines jungen Lebens.
Er lenkte, nachdem die Einzugsfeierlichkeiten vorüber waren, seine Schritte nach dem Wirthsgarten am Dultplatz, wo er heut' am wenigsten fürchten durfte, Bekannte zu finden. Hier unter dem Landvolk, das in hellen Haufen in die Stadt geströmt war, saß er im Schatten der Eschenwipfel, und wie in Einem großen Traum zogen die Schicksale dieser beiden Jahre an ihm vorüber, von jenem Sonntag-Mittag an, wo er hier zuerst mit Jansen und den neuen Freunden getafelt hatte, bis zur heutigen Stunde, wo er einsam unter der Menge saß, von keinem Freundesauge gesucht, nur angegafft als Einer der großen Schaar, die dem Vaterlande Ehre gemacht hatte.
Der Garten hatte sich schon wieder gelichtet, als Schnetz dem Träumenden auf die Schulter klopfte. Er sprach kein Wort von dem Wiedersehen, das er inzwischen gefeiert, aber eine so ungewohnte Freudigkeit war in seiner Miene und Stimme zu erkennen, daß Felix zum ersten Mal ein stiller Neid beschlich auf den Glücklichen, der heute von etwas Geliebtem erwartet und empfangen worden war. Er selbst hätte am liebsten noch vor Nacht die Stadt wieder verlassen, da nach der ersten Erhebung seine Stimmung doch wieder so düster geworden war, daß er den abendlichen Festjubel sich gern erspart hätte. Aber er hatte Schnetz einen ganzen Tag zugesagt und war ihm zu viel schuldig geworden in den harten Feuerproben des Winters, um ihm nicht dies Wenige zum Opfer zu bringen.
Ich dispensire dich natürlich von allen Höflichkeits-Visiten, sagte der Freund, als sie jetzt den Wirthsgarten Arm in Arm verließen. Aber unsere Invaliden müssen wir doch begrüßen und hernach unserm Dicken die Hand schütteln. Der würde dir's nie verzeihen, wenn du es nicht der Mühe werth hieltest, ihn in seinem neuen Stande zu beglückwünschen, und um dein Incognito ist es nun doch einmal geschehen. An dem Fenster, aus welchem Freund Eduard den Spectakel mit ansah, saß noch Jemand, der vor Zeiten an deiner werthen Person Gefallen fand, und obwohl Großpapa und Gatte hinter ihr standen, hat sie dennoch ihrer patriotischen Begeisterung sehr unumwunden Luft gemacht und alle Blumen in ihrem Korb auf einmal gegen dich abgefeuert. Du aber, wie Hans der Träumer, bist natürlich ahnungslos an deinem Glück vorbeigeritten.
Die rothe Zenz? Und sie hat mich erkannt?
Trotz der Uniform und dem kurzgeschorenen Haar. Aber gewöhne dir eine respectvollere Benennung an. Man spricht jetzt von Frau Crescentia Rossel, geborenen Schöpf. Diese Geschichte hat man mir schon vor Jahr und Tag geschrieben. Du wolltest aber ein für allemal nichts von Münchener Neuigkeiten hören, und so habe ich dir auch dieses Ereigniß unterschlagen. Es muß ganz im Stile des tollen Geschöpfs von ehemals, ich meine, ehe sie durch das Ehejoch gezähmt war, curios genug dabei zugegangen sein. Du weißt doch – oder weißt auch das noch nicht – daß Rossel vor Jahr und Tag sein ganzes Vermögen verlor. Er hatte es im Geschäft seines Bruders stecken, der in der Pfalz einem Handlungshause vorstand und lebhafte Verbindungen mit Frankreich unterhielt. Dieser Bruder machte nun in Folge des Krieges Bankrott, und unser Dicker wäre über Nacht ein ganz armer Teufel geworden, wenn er nicht das Haus in der Stadt und die Villa draußen am See besessen hätte. Das Haus verkaufte er auf der Stelle, sammt allem Inventar, natürlich schlecht genug, da Niemand in Kriegszeiten viel Geld übrig hat. Aber es war doch immer ein so rundes Sümmchen, daß ihn die Zinsen nothdürftig über Wasser halten, wenn er auch nicht mehr als Grandseigneur davon leben kann. Für das Landhäuschen hätte sich auch ein Liebhaber gefunden. Um aber dem guten Kohle nicht den Spaß zu verderben, der mitten in seinen Venusfresken steckte, hat er der Versuchung widerstanden und lieber – wer hätte es gedacht – sich von seiner Bärenhaut aufgerafft, um, freilich mit Stöhnen und Fluchen, wieder einmal den Pinsel in die Hand zu nehmen. Dieser heroische Aufschwung scheint zum ersten Mal das Eis, mit welchem die Brust des rothen Trotzkopfs umpanzert war, zum Schmelzen gebracht zu haben. Zumal da er für sich selbst den Verlust des Vermögens keinen Augenblick beklagte, sondern nur lebhaftes Mitgefühl mit seinem Bruder äußerte. Kurz, da er überdies sichtlich abmagerte, theils aus Liebesgram, theils weil er seine allzuunwirthschaftliche Köchin hatte abdanken müssen, so erbarmte sich das wunderliche Geschöpf seiner Leiden, erschien eines Tages in der nothdürftig möblirten Wohnung, in der sich der ehemalige Sardanapal jetzt behelfen mußte, und erklärte ihm ohne Umschweife, sie habe sich's überlegt, sie wolle ihn heirathen. Sie fühle zwar keine Spur von verliebter Liebe für ihn – eine solche habe sie nur ein einziges Mal in ihrem Leben kennen gelernt, und es sei ihr schlecht damit gegangen –, aber er sei ihr auch nicht mehr zuwider, und da er jetzt eine Frau brauche, die was vom Haushalten verstehe, so möchte er nur zuschaun, ob nicht noch ein Zimmer und eine Küche auf demselben Flur zu haben seien, dann könnten sie gleich hier wohnen bleiben.
Es soll auch wirklich bis jetzt ganz gut gegangen sein, der alte Schöpf ist natürlich zu ihnen gezogen, Onkel Kohle, der inzwischen die Hand der Tante Babette ausgeschlagen und sein Venusmärchen trotz Sedan und Paris ruhig fertig gemalt hat, wohnt und ißt ebenfalls mit ihnen, und Rossel malt ein herrliches Bild übers andere, wobei er beständig über den unnützen Aufwand von Kräften räsonniren soll und die Zeiten herbeisehnen, wo er sich erst zur Ruhe setzen kann. Im Stillen hab' ich ihn im Verdacht, daß er dennoch mit seinem jetzigen Leben, ganz abgesehen von seinen ehelichen Freuden, zufriedener ist, als mit der unfruchtbaren Gedankensaat, die er ehemals auf dem Rücken liegend in alle Winde streute.