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Achtes Kapitel.

Sie waren indessen durch die mit Kränzen, Fahnen und Inschriften geschmückte Stadt, in deren Straßen die festlich aufgeregten Menschen wogten, bis nach dem Englischen Garten gekommen.

Wohin führst du mich? fragte Felix. Hier draußen ist doch weit und breit kein Lazareth. Oder hat man den chinesischen Thurm dazu eingerichtet?

Komm nur, erwiederte Schnetz. Du wirst dich bald zurechtfinden. Den Ort für das Lazareth hat die Königin-Mutter selbst ausgewählt, und freilich wird manch' armer Schächer mit Seufzen das alte Wort wahr machen: Hodie eris mecum in paradiso.

Im Paradiesgärtchen? In unserem Paradies? Das hätten sich die kühnsten Phantasten unter uns nicht träumen lassen, daß wir uns dort unter so veränderten Umständen wiedersehen würden.

Sic transit –! Uebrigens sind unsere Freunde zum Glück zu muntere Paradiesvögel, um nicht eines schönen Tages wieder hinauszufliegen.

Als sie an die Gartenpforte gelangten, sahen sie drinnen alle Bänke unter den Bäumen leer, obwohl in den übrigen Wirthschaften, an denen sie vorbeigekommen waren, das Volk Kopf an Kopf gedrängt saß. Eine Inschrift bezeichnete die veränderte Bestimmung des Hauses, und einzelne ernsthafte Menschen, die ihnen entgegenkamen, darunter Frauen mit verweinten Gesichtern, Kinder an der Hand führend, dann tiefer im Garten herumwankende blasse Gestalten von Halbgenesenen bildeten einen schroffen Gegensatz gegen das lustig lärmende Gewühl, das man sonst an Feiertagen hier zu finden pflegte. Die beiden Freunde gingen nachdenklich um das Haus herum und wurden ihrer Uniform wegen ohne Schwierigkeit eingelassen.

Manche Lazarethsäle hatten sie seit Jahr und Tag durchwandert und die Nachwehen des Krieges in schreckenvolleren Bildern geschaut, als diese reinlichen, stillen Säle ihnen darboten. Und doch, als sie die Räume, die sie im Carnevalsglanz verlassen, nun alles Schmuckes beraubt wiedersahen, an den langen Reihen der Wundbetten die leise hin und her gehenden Diaconissinnen, hie und da einen Schmerzenslaut beschwichtigend oder einen kühlenden Trank mischend, an den kahlen Wänden die grotesken Fresko-Landschaften, jetzt nicht mehr mit hohen Gewächsen zugedeckt, und draußen vor den Fenstern statt der mitternächtigen Sterne, die auf ihre lustigen Feste herabgeblickt, das reine Sonnenlicht über den grünen Wipfeln, – überschauerte sie ein so wunderlich gemischtes Gefühl, daß Keiner ein Wort über die Lippen brachte.

Sie fingen an, ihre Freunde zu suchen. Von diesen Schmerzenslagern blickten ihnen aber lauter fremde Gesichter entgegen. Ein junger Arzt gab ihnen endlich die gewünschte Auskunft. Die Säle hier unten seien schon gefüllt gewesen, als man die beiden Herren hertransportirt habe. So habe man ihrem Wunsch, ein eigenes Zimmer zu bekommen, gern willfahren können und sie im oberen Stock untergebracht.

Er erbot sich, den Führer zu machen, was Schnetz freundlich ablehnte, um ihn seinen Patienten nicht zu entziehen.

So erstiegen sie den Corridor des oberen Stockwerks, und gleich an der ersten Thür machte eine Stimme, die drinnen erklang, sie stutzen. Es war eine sanfte Mädchenstimme, die etwas vorlas – Verse, wie es schien.

Hier sind sie schwerlich! murmelte Schnetz. Oder sollten sie eine geistliche Anwandlung gespürt haben und sich von einer barmherzigen Schwester aus dem Gesangbuch erbauen lassen? Nun, man hat Beispiele – Aber nein, dies ist wenigstens ein Gesangbuch, das in keine Kirche mitgenommen wird.

Erstiegen ist der Wall, wir sind im Lager!
Jetzt werft die Hülle der verschwiegnen Nacht
Von euch, die euren stillen Zug verhehlte,
Und macht dem Feinde eure Schreckensnähe
Durch lauten Schlachtruf kund – Gott und die Jungfrau!

Heilige Jungfrau von Orleans, bitt' für uns! Ich müßte meine Leute nicht kennen, wenn nicht Elfinger in der Nähe wäre, wo man Schiller declamirt.

Ohne erst anzuklopfen, öffnete er leise die Thür und trat mit Felix ein.

Es war ein nicht sehr großes, aber hohes Gemach, dessen einziges Fenster auf den hinteren Theil des Gartens hinausging. Nur ein Streif der Nachmittagssonne drang durch das graue Rouleau bis zu dem einen Bette, das an der Wand zur Rechten stand, während die andere Lagerstatt gegenüber mit einer hohen spanischen Wand umstellt und ganz in den Schatten gerückt war.

Auf dem Bett zur Rechten lag Rosenbusch, mit einer leichten Decke zugedeckt, den Oberleib in halb sitzender Haltung durch Kissen aufgestützt, eine große Mappe gegen das eine Knie gelehnt und mit Zeichnen beschäftigt. Es war ihm bis auf eine bleichere Farbe von den überstandenen Strapazen nichts anzusehen, vielmehr blickten seine lebhaften Augen unter einem großen rothen Fez so munter hervor, er lag in der leichten Joppe mit dem wohlgepflegten Bart so säuberlich da, als habe er eigens Toilette gemacht, um Besuch empfangen zu können.

Ich hab' es doch gewußt! rief er den Eintretenden entgegen – die Vorleserin, die hinter dem Bettschirm saß, war sofort verstummt, – der erste Weg der Vaterlandserretter am heutigen Triumphtag würde nach dem Invaliden-Paradiese sein. Grüß' euch Gott, edle Seelen! Ihr findet uns hier so wohlaufgehoben, wie in Abraham's Schooß; Kunst, Poesie und Liebe verschönern unser bischen Leben, und die Verpflegung ist ausreichend, wenn auch leider curgemäß. Nein, was ich da kritzele, dürft ihr nicht anschauen. Oder meinetwegen beschaut euch den Kram, so viel ihr wollt. Ein Rosenbusch seconda maniera. oder eigentlich terza, wenn ich meine classische Periode, meine Iphigenien und Hectorsabschiede à la David, mitrechne. Jetzt, wie ihr seht, plätschern wir im allermodernsten Realismus – Vater Wouvermann wird sich im Grabe umdrehen, ich kann ihm nicht helfen. Und übrigens ist dieses Turcos- und Zuaven-Gesindel gar nicht zu verachten. Famos coloristische Sächelchen, dazwischen die Weinbergsscenerie, unsere blauen Teufel drüber her wie's Ungewitter – gelt, es wird sich nicht übel ausnehmen? Wißt ihr, was das ganze Geheimniß der modernen Schlachtenmalerei ist, das Wort des Räthsels, das zu finden ich mir erst ein Loch in den Schenkel schießen lassen mußte? Die Episode, meine Theuersten, nichts als die Episode. Massenentfaltung, taktische Finessen – Unsinn! Da thut's eine Landkarte auch. Aber in der Episode den Grundcharakter so einer ganzen Bataille zusammenzufassen, das ist der Witz. Die alten Herren hatten's bequem, da war so eine ganze Mordsschlacht nichts als eine Handvoll Episoden. Nun, Jeder streckt sich nach seiner Decke.

Die deine ist lang genug, dich warm zu halten, alter Kriegskamerad, versetzte Schnetz, der die sehr geistreich entworfene Skizze mit großem Vergnügen betrachtete. Im Uebrigen aber – wie steht's mit deinen leiblichen Fortschritten?

Ich danke. Es thut's. In sechs bis acht Wochen hoffe ich auf meiner Hochzeit einen ganz flotten Tänzer abzugeben. Ich wollte nur – fügte er mit leiserer Stimme hinzu, nach dem anderen Bett hinüberdeutend – daß da drüben auch so helle Aussichten –

Herr von Schnetz! hörte man jetzt Elfinger's klangvolle Stimme hinter dem Schirm hervortönen, Sie scheinen ganz zu vergessen, daß hinterm Berg auch Leute wohnen. Wen haben Sie denn da mitgebracht? Dem Gange nach ist es unser tapferer Freiherr. Werden die Herren nicht auch einem armen Blinden die Ehre geben? Sie finden hier noch Jemand, der sich sehr freuen wird, meine alten Freunde wieder zu begrüßen.

Schnetz war bei dem ersten Ton dieser heiteren Worte, die ihn schmerzlich bewegten, hinter den Schirm getreten und hatte die Hände ergriffen, die der Kranke ihm suchend entgegenstreckte. Auch Felix näherte sich jetzt. Elfinger durfte den Kopf nicht vom Kissen erheben, wegen des Eisumschlages, der ihm beide Augen bedeckte. Darunter aber lächelte das edelgeformte, blasse Gesicht so freudig, daß die beiden Freunde vor Rührung kaum einen nothdürftigen Gruß hervorzubringen vermochten.

Eine schlanke junge Gestalt hatte sich von dem Stuhl am Bett erhoben, um den Männern Platz zu machen. Das Buch, aus dem sie gelesen, hielt sie noch in der Hand, ihr feines Gesicht röthete sich, als Schnetz sich zu ihr wandte, um ihr treuherzig die Hand zu drücken.

Ich brauche euch einander nicht erst vorzustellen, sagte Elfinger. Auch Baron Felix entsinnt sich meiner kleinen Fanny von jener denkwürdigen Wasserfahrt her. Damals waren wir Zwei noch nicht so gut mit einander bekannt, wie heute, aber freilich:

»Nacht muß es sein, wenn Friedland's Sterne strahlen!« Ich hatte immer noch ein Auge zu viel. Erst seit ich ganz im Finstern sitze, ist ihr selbst die Erleuchtung gekommen, daß ihr Himmelsbräutigam es ihr nicht übel nehmen wird, wenn sie ihm untreu wird, um einem armen Krüppel durchs Leben zu leuchten. Nicht wahr, Schatz?

Prahle doch nicht so gottlos, hörte man Rosenbusch herüberrufen. Als ob es deinetwegen wäre, pour tes beaux yeux, wie die Herrn Erbfeinde sagen, daß sie sich zu unsrer schlechten Gesellschaft bekehrt hat! Gelt, Fräulein Fanny, es geschah bloß als Sühne für Ihre treulose Schwester und um die Münchnerinnen wieder zu Ehren zu bringen?

Stille da drüben, flatterhaftester aller Sterblichen! rief Elfinger; oder ich werde dich bei Angelica verklagen. Sie wechseln nämlich in unsrer Pflege ab, diese beiden guten Engel, und obwohl der Leichtfuß drüben Gott danken sollte, daß ein so vortreffliches Frauenzimmer ihn noch zu Gnaden angenommen hat, macht er jetzt beständig über den Schirm weg meinem Schatz die Cour. Zum Glück habe ich ein für allemal alle Eifersucht abgeschworen, die auch für einen blinden Menschen –

Ich hoffe, Sie übertreiben, Elfinger, unterbrach ihn Felix. Als wir in Versailles von einander Abschied nahmen, gab doch der Arzt die beste Hoffnung –

Der Weg war ein bischen lang, und der Schneesturm, der uns hier im lieben Valerlande bewillkommte – basta! Wenn es wahr ist und ich nur noch so viel Dämmerung behalte, um die Umrisse eines gewissen Gesichts in nächster Nähe zu erkennen, will ich glücklich sein. Wenn aber auch das nicht mehr möglich ist, soll ich darum nicht dennoch mein Loos preisen? »Ich besaß es doch einmal« – ich sage euch, ich kann mir alle Gesichter, die ich gern habe, so deutlich vorstellen, wie wenn ich ein paar ganz perfecte Augen im Kopf hätte. – Er haschte nach der Hand der Erröthenden und zog sie an seine Lippen. Und nun, sagte er, genug von meiner werthen Person. Seit wir uns nicht gesehen, sind ja noch die größten Dinge geschehen. Das deutsche Reich und der deutsche Kaiser! Herr Gott, dich loben wir. Wißt ihr, daß ich seitdem in allem Ernst wieder Hoffnungen gefaßt habe für das deutsche Theater?

Deine Herren Collegen haben wenigstens lernen können, wie man Heldenrollen mit Anstand spielt, ohne das Maul aufzureißen, die Augen zu rollen und Arme und Beine zu spreizen! rief Rosenbusch.

Nein, in allem Ernst. Erinnern Sie sich, lieber Baron, unseres ersten Gesprächs? Nun sehen Sie, ob ich nicht Grund zu hoffen habe. Die Hauptschuld an unsrer Bühnenmisère trug ja unsere Zersplitterung. Sechsunddreißig Hofbühnen, die sich um die paar wirklichen Talente raufen! Jetzt, denk' ich, werden sie da oben in der Reichshauptstadt, wenn sie erst die militärischen Schauspiele ein bischen satt haben, dahinter kommen, daß eine große Nation auch ein Nationaltheater braucht, nicht eins dem Namen nach, sondern eins, das in der That alle besten Talente vereinigt. Eine Musterdirection, Musterrepertoire, Mustervorstellungen, nicht öfter, als höchstens einen Tag um den andern, und nicht mit Einem Auge auf Melpomene und Thalia, mit dem andern auf die Casse geschielt, so daß ein elender Quark, der gerade Mode ist, weil ein paar Schauspielerinnen siebenmal darin Toilette machen, dreißig Abende hintereinander über die entweihten Bretter geht. Aus altem und modernem Vorrath nur das Erlesenste, nur mit den ersten Kräften besetzt, jedes wirkliche Talent um jeden Preis engagirt, und wenn drei Franz Moore und sieben Ophelien gleichzeitig in die Wette spielen sollten, und das Ganze von allen Hofeinflüssen befreit, als eine Reichsangelegenheit unter dem Cultus-Minister, der der Nation gegenüber verantwortlich ist. Was sagen Sie zu einer solchen Bühne?

Daß sie noch eine ganze Weile zu schön für diese Welt bleiben wird, antwortete Schnetz. Aber wer weiß! Auch diese Welt kann sich bessern, wir haben's ja schon auf andern Gebieten erlebt. Nur fürcht' ich, selbst im besten Falle, die übrigen einigen Deutschen werden sich sehr bedanken, in majorem Imperii gloriam für ein Theater Geld herzugeben, das nur den Herren Berlinern zu Gute kommt.

Natürlich! rief Elfinger, immer lebhafter gesticulirend. Und sie hätten alles Recht dazu. Darum geht mein Plan eben darauf hinaus, diese Musterbühne dem ganzen Reich zugänglich zu machen. Wozu haben wir die Eisenbahnen und die Gesammtgastspiele, die schon hie und da versucht worden sind? Es müßte nur eine regelmäßige Institution daraus werden. Sechs Wintermonate in Berlin, einen Monat Ferien, vier Monate Triumphzug der Reichsschauspieler durch alle Städte Deutschlands, in denen sich ein würdiger Musentempel befindet, dann wieder ein Ruhemonat und so mit Grazie in infinitum. Reden Sie mir nicht dagegen. Das Ding hat seine Schwierigkeiten, aber wenn wir nur unsern artistischen Bismarck erst einmal bekommen, Sie sollen sehen, es geht, und dann werden sich Alle wundern, daß es nicht längst gegangen ist. Müssen nicht auch in einem Volke, das endlich Selbstgefühl gewonnen hat, das gehen und stehen und mitreden gelernt hat, die Talente für Menschendarstellung reichlicher werden? Ich – nun ja, ich bin von der Scene abgetreten. Aber ich thue darum dennoch mit. Ich werde Unterricht geben in der Declamation; den jungen Mimen den Sinn aufzuschließen, ihnen vorzumachen, wie man Verse spricht und Stil in die Prosa bringt, – Rhapsoden sind ja von alten Zeiten her blind gewesen, und mit Hülfe meiner kleinen Frau und meines riesigen Gedächtnisses –

In diesem Augenblick trat der junge Arzt herein. Er hatte Elfinger's eifrige Rede draußen im Gang gehört und kam, um ihn vor allzu lebhafter Erregung zu warnen. Die Freunde verabschiedeten sich rasch. Ich hoffe doch, Sie werden München nicht verlassen, ohne Angelica wiedergesehen zu haben! sagte Rosenbusch, und Felix, obwohl er am liebsten keinen Menschen weiter aufgesucht hätte, konnte nicht umhin, es zu versprechen. Er sah den eigenthümlich schlauen Blick nicht, den der Maler Schnetz zuwarf. Doch obwohl er die beiden guten Menschen nicht wiederzusehen glaubte, verließ er sie doch mit beruhigter Empfindung. Er wußte Jeden nach seiner Art am Ziel seiner Wünsche.


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