Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Kapitel.

So neigte das Jahr sich seinem Ende zu, und Weihnachten stand vor der Thür.

In den Jahren vorher war ein Christbaum im Paradiese angezündet worden. Diesmal aber stand den Freunden der Sinn auf ein häuslicheres Fest im engeren Kreise. Sie waren im Laufe dieses Jahres einander nähergekommen und den anderen Paradiesgenossen fernergerückt. Auch war Angelica nicht mehr die Einzige ihres Geschlechts und als solche von den Männerfesten ausgeschlossen. So wurde denn bestimmt, daß der Heiligabend im Atelierhause gefeiert, der Baum bei Rosenbusch angezündet, der Tisch bei Angelica gedeckt werden sollte, was diese beiden Wandnachbarn als ihren gemeinsamen Einfall zur Sprache gebracht hatten. Jeder steuerte seinen Beitrag zu den Vorbereitungen in eine Casse, die Angelica in Verwahrung nahm.

Auch Rosenbusch blieb mit dem seinigen nicht im Rückstand, obwohl Angelica unter allerlei Vorwänden ihn daran zu hindern suchte. Wie er plötzlich wieder zu Gelde gekommen war, da er keine Arbeit verkauft hatte, war ihr ein Räthsel, bis sie ihm das Atelier aufräumen half, um für die Weihnachtsdecoration Platz zu schaffen. Da vermißte sie das silberbeschlagene Kästchen, sein theuerstes Besitzthum. Als sie ihm Vorwürfe darüber machte, erwiederte er:

Was wollen Sie, liebe Freundin? Ich bin ein lediger Mensch, das ist mein Unglück. Wenn ich ein Familienvater wäre und den Zins nicht bezahlen könnte, wäre ich aus aller Noth. Sie wissen ja, der Kunstverein sieht mehr auf die Nahrungssorgen, als auf das Talent Derer, denen er Bilder abkauft. Helfen Sie mir zu einer Frau, und ich verspreche Ihnen, kein Stück mehr aus meinem Nationalmuseum herzugeben.

Er war dann mehrere Tage in der fröhlichsten Stimmung, hämmerte und wirthschaftete, als ob er das Atelier zu seiner eigenen Hochzeit herrichten sollte, und holte in den kurzen Ruhepausen auch die Flöte wieder aus ihrem Futteral.

So kam der Heiligabend heran. Am Nachmittage war auch der Einsiedler vom See endlich wieder in die Stadt zurückgekehrt, in Homo's Gesellschaft, der jetzt von ihm unzertrennlich blieb. Felix' erster Gang war zu Jansen gewesen. Sie blieben ein paar Stunden mit einander allein, die sie in die Zeiten ihrer ersten Jugendfreundschaft zurückversetzten, so ging Jedem das Herz gegen den Anderen auf, so lebhaft empfanden sie wieder, was sie einander waren und für alle Zeit bleiben würden. Doch vermieden es Beide, von ihren alten Schicksalen im Einzelnen zu reden, als verstände sich's von selbst, daß Jeder genau um die Vorgeschichte des Anderen Bescheid wisse. Nur daß Jansen ungeduldig danach ringe, sich aus seinen Banden zu befreien, und Felix jede Hoffnung auf ein Wiederfinden des alten Glücks aufgegeben, gestanden sie einander. Dann gingen sie Arm in Arm, Julie zu besuchen, die den Freund ihres Geliebten mit ihrer ganzen Holdseligkeit und Güte empfing. Es wurde ihm sehr wohl bei den Glücklichen, und er sprach diese seine Stimmung mit solcher Wärme aus, daß Julie ihn höchst liebenswürdig fand und das Gespräch absichtlich aus seinen Auswanderungsplan lenkte, um ihn wo möglich davon abzubringen. Er blieb aber unerschütterlich und schien trotz aller guten Freundschaft die Zeit nicht erwarten zu können, bis er den Fuß wieder auf das andere Ufer des Oceans setzte. Was ihn forttrieb, wurde mit keiner Silbe erwähnt.

Ehe das abendliche Fest sie wieder vereinigte, trennten sie sich noch auf einige Stunden. Jansen und Julie mußten erst dem Fränzchen und seinen Pflegegeschwistern den Christbaum anzünden. So war es acht Uhr geworden, als sie vor dem Atelierhause wieder anlangten. Sie kamen aber noch nicht zu spät, mußten vielmehr mit den anderen Freunden unten in Jansen's Atelier noch eine gute Weile warten, bis Rosenbusch, der an dem Aufputz der Weihnachtsstube immer noch etwas nachzubessern hatte, mit einer alten heiseren Handglocke – gleichfalls einem historisch beglaubigten Hausgeräth des Friedländers – das Zeichen zum Beginne gab.

Außer den Allernächsten, Felix, Rossel, Elfinger, Schnetz und Kohle, war nur noch der alte Schöpf geladen worden. Es hatte Mühe gekostet, den alten Mann, der gerade heute sein verschwundenes Enkelkind schmerzlicher als je vermißte, zum Kommen zu bewegen. Nun aber war er in einer beständigen still dankbaren Rührung, bemühte sich aber, die heitere Laune der Anderen in keiner Weise zu stören. Es gab auch in der Weihnachtsstube so viel zu sehen, zu bewundern, zu belachen, Rosenbusch hatte so sehr sich selbst übertroffen, so sinnreiche Decorationen angebracht, so viel Verse geschmiedet und Attrappen präparirt, daß es eine volle Stunde dauerte, bis die eigentliche Bescherung vorüber war. Als dann die Lichter am Tannenbaum nach und nach knisternd erloschen, zog Schnetz plötzlich einen Kasten hervor, in welchem er seine Bescherung bis dahin verborgen gehalten hatte. Es war eine Reihe der ergötzlichsten Schattenrisse, die er jetzt mittelst einer Zauberlaterne auf einem weißbespannten Blendrahmen vorüberziehen ließ: die Ereignisse und Abenteuer des letzten Jahres, wobei Keiner der Anwesenden leer ausging. Daß der Spötter sich selbst nicht geschont und seine Ritterschaft von der traurigen Gestalt aufs Unbarmherzigste Preis gegeben hatte, braucht kaum erwähnt zu werden.

Während dieses Schattenspiel stürmisch dacapo verlangt wurde, hatte sich Angelica entfernt, um als sorgsame Wirthin nach ihrem Souper zu sehen. Sie erschien endlich wieder und lud zu Tische, wobei Rosenbusch sich die Bemerkung erlaubte, es sei hohe Zeit, daß eine Thür durch die Wand gebrochen würde, damit man sich freundnachbarlich besuchen könne, ohne über den kalten Gang zu gehen. Der Tumult des Aufbruchs erlaubte der Malerin, die den leichtsinnigen Rothbart sonst streng in gewissen Schranken hielt, diese etwas freie Aeußerung zu überhören.

So betraten sie die andere Festhalle, in deren Mitte eine zierlich gedeckte Tafel voll blanker Schüsseln, Teller und Gläser stand, mit Blumen geziert und von einem kleinen schlanken Weihnachtsbäumchen überragt, an welchem der süße Nachtisch befestigt war. Leider müssen wir darauf verzichten, die Tafelfreuden zu schildern, denen die auserlesene Gesellschaft sich hingab. Es genüge zu wissen, daß es einer jener seltenen glücklichen Abende war, an denen Alles gelingt, der Ernst nicht zu schwer und der Scherz nicht zu leicht, die Rührung nicht zu weich und der Rausch nicht zu lärmend wird. Niemand konnte dem Zauber dieser heiteren Gegenwart widerstehen und trüben Gedanken an Vergangenes und Künftiges nachhängen, und selbst Felix und der alte Schöpf brauchten sich bald keinen Zwang mehr anzuthun, um in das helle Lachen über Schnetz' ingrimmige Späße und Rosenbusch's Tausendkünste mit einzustimmen. Dazu kam noch, daß die häuslichen Talente der beiden Damen sich aufs Rühmlichste bewährten. Angelica's einfache Bewirthung fand selbst vor Rossel Gnade, und in Julien wurde ein verborgenes Talent entdeckt: einen unvergleichlichen Punsch zu brauen, nach einem Recept, das sie von ihrem Vater, dem General, ererbt hatte. Es war daher nur der Ausdruck der allgemeinen Gefühle, als Rosenbusch sich erhob und in zierlichen Versen, die leider nicht aufbewahrt worden sind, die Gesundheit der beiden Freundinnen ausbrachte, der Nähr- und Pflegeschwestern dieses Kreises, die des ewig weiblichen Amts, für die irdische Bedürftigkeit der armen Menschheit zu sorgen, so klug gewaltet hätten.

Auf diesen mit stürmischem Beifall aufgenommenen Toast folgten eine Menge spaßhafter, galanter und sinniger Trinksprüche, und sogar die beiden Damen ermannten sich zu artigen kleinen Reden, die sie freilich nicht ohne einiges Erröthen und Steckenbleiben zu Ende brachten. Nur Kohle hatte noch keinen Spruch gethan. Als nun auf eine schlichte, fast etwas wehmüthige Dankrede des alten Schöpf, daß die Jugend ihn noch unter sich dulden möge, eine kleine Pause eintrat, stand er aus und bat um die Erlaubniß, ein Gedicht vorlesen zu dürfen, das er mit zitternder Hand aus der Tasche zog.

Heut ist Alles erlaubt, theurer Venusliebling! rief Rossel schon mit etwas taumelnder Zunge, da ihm das würzige Getränk zu Kopf zu steigen anfing. Wir wissen es längst, daß auch Sie ein heimlicher Poet find, trotz unserm unheimlichen Lyriker Röschen. Fülle mir erst noch einmal das Glas, Schnetz, damit die feurige Kohle mich nicht versenge!

Kohle aber las die folgenden Verse:

Steigst du herab
In geweihter Nacht
Zu sterblich Geborenen,
Liebelächelnder Gott
Der heiligen Schönheit?
Trittst mit zagendem
Kinderfuß
Die rauhe Erde,
Dem Stern vertrauend,
Der über der Wiege
Dir freudekündend erglänzt?

Arme, bäurische Hirten,
Nur bedacht, ihr Schäflein zu scheeren.
Staunen dir dumpf entgegen.
Das breitstirnige Kind
Und das geduldige Grauthier
Umschnobern deine Wiege;
Die Mächtigen der Erde
Stellen dir nach,
Dich zu sahen,
Dich zu verderben:
Denn sie hassen,
Was aus dem Niedern
Emporgeblüht
Stillgewaltig
Sie überglänzet.
Dich aber retten
Einfalt und Liebe
In ein sicheres Land,
Wo unter den Palmen
Du zum Sieger reifst.

Aber du kehrst zurück
Und breitest dein Reich
Königlich heiter
Ueber die armuthsel'ge
Verworrene Welt.
Ein zweites Leben, hocherhaben
Ueber dem winselnden Kummerdasein
Im Koth und Staube,
Entfachst du in deiner Jünger Busen,
Daß sie nicht gieren nach Gold und Glanz,
Nicht nach der raschzerpflückten
Eintagsblume der Lust,
Mit welcher Knecht und Gewaltherr
Sich thöricht schmücken.

Denn uns durchduftet
Das tiefste Gemüth
Deines Paradieses
Unverwelklicher Kranz.
Wir wandeln enthoben
Der Erdenschwere
In goldner Wolke
Ueber das Gemeine hin,
Das unter unsrer Ferse
Sich knirschend bäumt.

Hast du den Deinen
Alles zugeeignet,
Heiliger Genius,
Und sie vergäßen zu danke«,
Was dies Sonnenstäubchen
Ihres Daseins
Allein verklärt
Mit demantenem Farbenspiel?

Ich, so lange
Mein Athem bildet
Stammelnde Worte,
Will dich preisen und feiern
In allen Stunden,
Wo dein Hauch
Flammen herabsprüht
Auf schönheitstrunkene Stirnen.
Und nicht ein Becher
Festlicher Nächte
Netze die Lippe mir,
Daß ich die ersten Tropfen
Nicht dir, du Beseelender, sprengte.

Komm herab, o komm
In geweihter Nacht
Zu uns, den Deinen,
Und bleibe bei uns,
Wenn unsere Seele zagt!
Lehr uns die Botschaft
Deiner welterlösenden
Holden Gewalt
Ausbreiten unter den Menschen,
Ob auch Begier und Tücke
Und stumpfer Knechtssinn
Lästern und höhnen;
Doch ihnen vergieb,
Den Unwissenden, was sie freveln.

Uns aber bleib ein Tröster
Bis an das Ende;
Und den letzten Strahl
Des brechenden Auges –
Laß ihn begegnen
Dem milden Stern,
Der von Anbeginn
Zu dir die Pfade gezeigt
Hirten und Königen!


 << zurück weiter >>