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Vieltheure Freund' und Kunstgenossen,
Die ihr von Waldesgrün umschlossen
Statt Schäferspiel und Tandaradei
Mit Wundbalsam und Arzenei
In seiner Schwachheit müsset pflegen
Den freiherrlichen jungen Degen –
(Notabene: Schnetzens Telegramm
Uns hocherwünscht zu Händen kam;
Freuen uns, daß dem Junker werth
All' edlern Theile unversehrt) –:
Hier stellt sich Rosenbusch euch vor,
Zum Trotz der Jahrszeit nicht in Flor,
Vielmehr ein besendürrer Wicht,
Der, weil's an Sonn und Thau gebricht,
Sich mühen muß im Isarkies,
Statt drauß zu blühn im Paradies.
Denn Nachts heimkehrend fand ich leider
Ein Brieflein vor von Braun und Schneider
Zur Arbeit mahnend mit siegenden
Gründen für ihre »Fliegenden«,
Da ich versprochen vor Monden schier,
Bildlein zu liefern drei oder vier
Zu etlich romantischen Landsknechtliedern.
Maßen ich nun meinem Wirth, dem biedern
Die Miethe schulde vom letzten Ziel
Und hier so gleichsam wie im Spiel
Ein Geldlein kann zusammenhexen
In Tagen sieben oder sechsen,
Zumal mir auch die Lützner Schlacht
Noch unverkauft entgegenlacht,
Hab' ich beschlossen, bis auf Weitres
Weder Ernstes zu thun noch Heitres,
Weder zu weinen noch zu lachen,
Weder Verse noch Cour zu machen,
Ja – hör' es, Dicker, du Misoflaute! –
Zu meiden die süßen Flötenlaute,
Bis ich mein Pensum absolvirt,
Die Verslein säuberlich illustrirt.
Mußt' also aus dem Sinn mir schlagen,
Zum Krankenwärter mich anzutragen,
Wie's unter Freunden recht und billig.
Doch desto fleißiger beten will ich,
Auch unsres Junkers Leib und Seelen
Der frommen Fanny anempfehlen.
O schöner Tag so schlimm verstört!
O Lust so jäh in Leid verkehrt!
Nach Hochzeitjubel Kampf und Blut,
Verkühlt die Abenteuerglut.
Die Schätzchen beide still und stumm,
Wir Zwei verteufelt blöd und dumm;
Vor Augen schwebt' uns Allen nur
Im Ufersand die dunkle Spur,
Zu Küssen, Kosen und Entführen
Thät Keins mehr ein Gelüst verspüren,
Wären am liebsten unverwandt
Zu unserm Siechen zurückgerannt,
Mußten indeß vor allen Dingen
Die Mägdelein nach Hause bringen.
Lebt ihr nun wohl, so gut ihr könnt,
Und werd' uns bald ein Wort gegönnt
Zu unsrer Sorgen Trost und Heil.
Dies Brieflein sendet euch in Eil,
Der hier am Rand in Banden sitzt,
Im Dienst der Kunst sich plagt und schwitzt,
Um seine Sünden abzubüßen.
Postscript. Angelica läßt grüßen.
Postscriptum Nummer Zwei.
Mit Schrecken
Mußt' ich erst unterwegs entdecken,
Daß ich, auf Elfinger vertrauend
Und in gewisse Augen schauend,
Meine Zeche draußen schnöd vergaß.
O Kohle! – Freund! – bericht'ge das!
Der Aufbruch kam in solchem Husch. –
Allzeit der Eure!
Auf der dritten Seite dieses mit tollen Schnörkeln und Initialen verzierten Briefes hatte der Schreiber sich selbst abconterfeit, auf einem dürren Klepper reitend, dem zwei ruppige Flederwische statt der Flügel aus den mageren Flanken herauswuchsen; er hatte eine Reißfeder statt des Schwerts, eine Palette statt des Schildes in Händen; auf dieser war ein entblätterter Rosenbusch als Wappenzeichen zu erkennen. Das störrige Thier wurde von zwei Männern, deren einer vorn am Zügel riß, während der andere hinten an dem dünnen Schwanz zerrte, gegen die Thür eines Hauses gezogen, über welcher die Inschrift stand »Redaction der Fliegenden Blätter«. Ein dicker Münchner Bürger – unverkennbar der oben erwähnte »biedere Hauswirth« – stand daneben und hielt sich vor schadenfrohem Lachen die Seiten.
Diese Zeichnung war nicht etwa bloß flüchtig hingeworfen, sondern mit sorgfältiger Federschraffirung so vollendet ausgeführt, daß sie nur gerade auf den Holzstock hätte übertragen werden können. Brief und Illustration hatten dem Künstler einen vollen Vormittag gekostet. Aber seine Freunde wußten schon, daß er sich nie mehr Zeit nahm zu überflüssigen Possen, als wenn ihm die nothwendigste Arbeit auf den Nägeln brannte.
Er übergab das Kunstwerk unversiegelt seiner Nachbarin Angelica, die am Nachmittag ihre Freundin und Jansen nach Rossel's Villa hinausbegleiten sollte. Da sie ihn gewöhnlich zu moralisiren pflegte, konnte sie nicht umhin, ihm auch diesmal über seine heillose Zeitvergeudung eine kleine Strafpredigt zu halten.
Sie sind freilich unverbesserlich, Herr von Röschen, schloß sie ihren eifrigen Spruch.
Ich muß es wohl sein, erwiederte er, ihre Hand küssend, da selbst die Nähe und das Beispiel einer so musterhaften Freundin drei Jahre lang umsonst auf mich eingewirkt haben. O Angelica, »wenn wir beide vereint« – ich meine, Ihre Tugenden und meine Untugenden – »wär's für die Erde zu schön!«
Sie gab ihm einen leichten Schlag mit ihrem Malstock und versprach lachend, das Briefchen eigenhändig zu überliefern und seine mündlichen Grüße hinzuzufügen.
Das sollte ihr indessen nicht vergönnt werden. Denn als sie nach einer einsilbigen und beklommenen Fahrt, da Jansen durch das Ereigniß sehr erschüttert, Julie aber in seine Seele hinein mit betrübt war, in Rossel's Landhause anlangten, kam ihnen dieser mit ernstem Gesicht entgegen und berichtete, daß der Arzt die strengste Schonung anbefohlen und jeden aufregenden Besuch untersagt habe. Er führte die Damen unten in den kleinen Saal hinein und ließ durch die Zenz, die Julien mit großen Augen unverhohlen bewunderte, einige Erfrischungen herbeischaffen. Keine war in der Stimmung, etwas davon anzurühren. Sie warteten mit Herzklopfen, was Jansen bringen würde, der sich nicht hatte abhalten lassen, in das Krankenzimmer hinaufzusteigen.
Felix lag wieder im Halbschlummer, so daß Schnetz, der eben die Wache hatte, es für unbedenklich hielt, den Freund hereinzulassen. Sie begrüßten sich aber nur mit einem stummen Kopfnicken. Dann trat der Bildhauer an das Wundbett seines Icarus und stand, dem Anderen abgewendet, wohl zehn Minuten unbeweglich an seinem Kopfende. Schnetz, der sich wieder auf den Schemel vor der Staffelei gesetzt hatte und eine Silhouette schnitt, bemerkte, daß ein Zittern, wie von unterdrücktem Weinen, Jansen's feste Gestalt durchzuckte. Er wunderte sich darüber, da er nicht wußte, wie nahe die Beiden sich gestanden hatten. Es hat keine Gefahr, warf er mit halblauter Stimme hin. Ein paar Wochen, und er kann wieder zu Pferde steigen. Wie's mit dem Thonkneten werden wird, ist minder gewiß. Der Hieb über die rechte Hand war zu massiv. Aber ich denke, das wird Euer geringster Kummer sein. – Er stand mit Jansen auf dem Ihr-Fuß.
Der Bildhauer sprach kein Wort.
Aber der Verwundete schien etwas von dem Geflüster vernommen zu haben. Er öffnete langsam die fieberschweren Augenlider und lallte mit einem träumerischen Lächeln, das seinem bleichen Gesicht einen trotzig lieblichen Ausdruck gab:
Kummer? Wer braucht Kummer zu haben? Die Welt ist so schön – auch die Schmerzen thun so wohl – nein, nein, wir wollen lachen – lachen und trinken, auf die Gesundheit –
Er machte eine Bewegung, und der stechende Schmerz, den er dabei fühlte, ermunterte ihn vollends. Da erkannte er die schweigsame Gestalt neben seinem Lager.
Hans, mein alter Dädalus! rief er und bewegte die linke Hand nach ihm. Du bist's? Sieh, das ist schön, das freut mich – unaussprechlich! Hast du dein Paradies verlassen, um hier draußen – O wenn du wüßtest – siehst du, ich soll nicht viel schwatzen – ich könnt's auch nicht, wenn ich wollte, sonst – Himmel, was hätt' ich dir alles zu sagen! Und du mir auch, nicht wahr, Alter? Unter uns gesagt: es war nicht Alles, wie es sollte – man wußte ja gar nichts mehr von einander – du hattest den Kopf voll und ich auch. Jetzt aber, wenn ich nur wieder reden darf – du weißt ja, von allen Menschen ist mir Keiner, was du mir bist – bis auf Eine – bis auf Eine, und auch die –
Schnetz erhob sich mit einigem Geräusch, trat an das Bett und sagte: Frisches Eis ist hier nöthiger, als warme alte Freundschaft. Und damit holla!
Er gab Jansen einen Wink, ohne Abschied das Gemach zu verlassen, und machte sich dann, während Felix' Blicke und Worte sich wieder verwirrten, mit seiner Pflege zu schaffen.
Es dauerte eine Weile, bis Jansen unten bei den Damen wieder eintrat, die inzwischen mit dem Hausherrn eine ziemlich einsilbige Unterhaltung geführt hatten. Julie sah es ihrem Verlobten sogleich am Gesicht an, wie sehr ihn das Wiedersehen mit dem kranken Freunde ergriffen hatte. Sie erbot sich, mit Angelica hier zu bleiben, im Hause, oder doch in der Nähe, um den Männern die Mühe der Krankenpflege nach Möglichkeit zu erleichtern. Lassen Sie uns hier, lieber Herr Rossel, bat sie. Ein Zimmer wird wohl noch hier in der Nähe aufzutreiben sein, Angelica macht Waldblumenstudien, ich schneidere Verbandzeug und zupfe Charpie – ein talentloses Frauenzimmer, wie ich bin, ist in solchen Zeiten unschätzbar.
Der Dicke lehnte alle diese Anerbietungen ab und wollte auch von Jansen's Hülfeleistung nichts wissen. Was Männer zu verrichten im Stande seien, dazu würden sie nach wie vor zu Dreien genügen. Und die weiblichen Geschäfte seien ebenfalls in den besten Händen. Er fing dann an, die unermüdliche Dienstwilligkeit und das rasche Zugreifen der rothen Zenz, die sich seitdem nicht wieder hatte blicken lassen, mit großer Wärme herauszustreichen, und daß er es dem guten Kinde schuldig sei, sie nicht zu verstimmen, indem er noch andere Hülfe, als die ihre und die der alten Haushälterin, in Anspruch nähme. So mußten die Freunde mit all ihrem guten Willen zurückstehen, ließen sich aber das feste Versprechen mit auf den Heimweg geben, daß man sich sogleich an sie wenden würde, sobald die Ausgabe schwerer werden, oder die Kräfte nicht mehr ausreichen sollten.
Ueberdies versprach Kohle, täglich Nachricht zu geben.
Noch Eines kam bei diesem Besuch zur Sprache: Schnetz hatte gleich in der ersten Aufregung darauf gedrungen, Anzeige von dem Vorfall zu machen und den Mordgesellen, den Fischer-Hiesl, dem Gericht zu überliefern. Derselbe ging, als wäre nichts geschehen, kecklich in Starnberg herum und seinem Gewerbe nach, ja er sollte sich des ganzen Handels in der Schenke gerühmt und geäußert haben: für ein paar Wochen hoffe er dem gnädigen Herrn den Spaß versalzen zu haben. Dieser kaltblütig triumphirende Hohn empörte den Oberlieutenant, und er hätte dem Burschen gern eine nachdrückliche Lection zugezogen. Dem widersetzte sich jedoch Rossel, – zunächst um die Zenz zu schonen, die jedenfalls mit vernommen und vor die Geschworenen gestellt worden wäre, – Jansen dagegen, weil er überzeugt war, daß es dem Verwundeten durchaus gegen den Sinn gegangen wäre, einen Menschen, mit dem er, obwohl er ihn nicht für einen ebenbürtigen Gegner halten mochte, denn doch immerhin einen Kampf Mann gegen Mann bestanden, nachträglich als Verbrecher angeklagt und um seinetwillen Strafe leiden zu sehn. Da auch Kohle sich dieser Ansicht zuneigte, beschloß man, vorläufig nichts in der Sache zu thun, sondern wo möglich einer selbständigen Einmischung der Gerechtigkeit vorzubeugen.
Die Freunde nahmen Abschied, alle von dem Ernst der Lage so tief durchdrungen, daß Angelica sogar vergaß, die ihr übertragene Botschaft auszurichten. Erst als sie wieder im Waggon saßen, fand sie den Brief des Schlachtenmalers in ihrer Tasche und konnte nun nichts mehr thun, als ihn bei der Ankunft im Münchener Bahnhof sorgfältig recommandirt auf die Post geben.