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Fünftes Kapitel.

Er trat eben auf die Schwelle, als aus der Ecke, wo auch heute das Fäßchen unter grünen Oleanderbüschen lag, eine wohlbekannte Stimme an sein Ohr schlug. Buenas tardes, Señor Don Felix! Ihr erscheint ein wenig spät, aber doch nicht zu spät, um Euch noch müde zu tanzen. Ich habe die Ehre, Euch hier mit einer Landsmännin bekannt zu machen, einer echten Gitana. Señorita –

Felix hörte längst keine Silbe mehr. Vor ihm stand – Irene.

Unglaublich reizend sah sie aus in ihren malerisch lose umgehängten Tüchern und Gewandstücken, die Haare mit einer dicken Korallenschnur und goldenen Schaumünzen durchflochten, große silberne Reifen in den Ohren, die Brauen leicht geschwärzt und mit einem feinen Strich über der stolzen kleinen Nase vereinigt! Und wie die Glut ihr in den Wangen brannte, bei dem plötzlichen Begegnen mit Dem, den sie doch erwartet hatte, dem zu Liebe sie sich so geschmückt hatte; wie sie die Augen niederschlug – und mühsam athmete – und zu lächeln versuchte und doch heimlich mit den Thränen zu schaffen hatte, die ihr dicht hinter den Wimpern standen!

Einige Minuten lang weidete sich Schnetz an dem lieblichsten aller stummen Schauspiele. Dann kam er den Rathlosen zu Hülfe.

Die Herrschaften sind einander nicht mehr ganz unbekannt, sagte er mit seinem trockensten Ton. Das Fräulein Gitana verdankt diesem edlen Andalusier die Rettung ihres Lebens aus den empörten Fluten des Starnberger See's. Er wird sie jetzt eben so sicher durch die Brandung des Walzers hindurchsteuern, besser jedenfalls, als meine herzoglichen Gnaden, deren Hahnenschritt ihr allzu spanisch vorkommen würde. Also frisch, Junker, ermuntert Euch und führt die Gitanilla zum Tanz. Eure Zukunft kann sie Euch hernach aus der Hand weissagen.

Felix ermannte sich gewaltsam. Wollen wir tanzen? stammelte er halblaut, indem er auf Irene zutrat.

Sie nickte, und die Glut auf ihrem Gesicht wurde brennender, sie sprach aber kein Wort und schlug auch die Augen nicht auf. Sie schien ihm so völlig verwandelt, daß er selbst jetzt, da er ihre Hand auf seinem Arm ruhen fühlte und sie schwebend neben ihm hinschritt, wieder zweifeln konnte, ob sie es wirklich sei. Er hatte sie nie so willenlos, so zitternd scheu, so keines Wortes mächtig gesehen, und während er sie nun fest an sich geschmiegt durch den Wirbel der Tanzenden schwang, war ihm mehr als einmal zu Muth, als drehe er sich in einem seltsam seligen Traum, der die bekanntesten Züge räthselhaft verändert und das Unerreichbarste uns in den Arm führt. Dabei war ihm aber so wundersam wohl, daß er alles Grübeln ließ und einzig daran dachte, das Wunder möglichst eng an seine Brust zu drücken und wenigstens, so lang der Traum dauerte, die Wonne dieses Wiederfindens zu genießen. Sie wehrte ihm auch gar nicht, ja es schien ihr selbst ein Bedürfniß zu sein, ihren Kopf, ihr glühendes Gesicht ganz eng an seine Schulter zu drücken und sich mit geschlossenen Augen seiner Führung zu überlassen. Er konnte ihr Gesicht, da sie es so tief gesenkt hatte, nicht sehen, aber seine Augen ruhten auf ihrem braunen Haar, und seine Hand, um ihren Leib geschlungen, fühlte, wie ihr Herz klopfte. Kein Wort kam von den Lippen dieser beiden glücklichen Menschen, nicht einmal ihre Hände drückten sich in stillem Einverständniß, gerade weil es Beiden war, als hätten sie sich nichts Besonderes mehr mitzutheilen, da aus Zweien wieder Ein Mensch geworden. Sie sahen auch nicht, was die Andern um sie her thaten, die gleich bei ihrem Eintritt in den Saal auf das herrliche Paar neugierig hingeblickt hatten, die Fremden mit bloßem Wohlgefallen oder gelegentlichem Neide, die Eingeweihten mit der herzlichsten Zufriedenheit über das so schön gelungene Werk. Für sie selbst gab es in diesen Augenblicken keine Menschenwelt, nicht Freunde noch Gleichgültige. Nur noch die Musik empfanden sie außer ihrem eignen Herzschlag, und es schien ihnen eine himmlische Wohlthat des Glücks, daß sie jetzt miteinander tanzen durften, statt sprechen zu müssen, daß ihnen durch den tollen und lustigen Klang der Instrumente gleichsam Flügel wuchsen, die sie über den platten Erdboden hinweghoben, Eins so fest an das Andere geschmiegt, wie es sonst vor so viel Zeugen nicht thunlich und erlaubt gewesen wäre.

Weder er noch sie ermüdeten in diesem Taumel und dachten an Ausruhen. Ja, als endlich die Musiker den Schluß machten, kam es ihnen vor, als wären sie eben erst angetreten, und sie standen mitten im Saal betroffen und fast traurig still, sich noch umschlungen haltend wie beim Tanz; sein Arm lös'te sich zögernd von ihrer Gestalt, seine Hand aber wollte ihre schlanke Linke überhaupt nicht freigeben. Es schien das übrigens Niemand aufzufallen, da auch die anderen Pärchen ziemlich zärtlich mit einander umgingen und genug mit ihren eignen Angelegenheiten zu thun hatten. Von den näheren Freunden aber kreuzte Keiner ihren Weg. So konnte der Majo seine Zigeunerin unangefochten in den Nebensaal führen, aus welchem auch Schnetz sich fortgestohlen hatte. Sie gingen Arm in Arm, während sie sich lebhaft Luft zufächelte, an den grünen Wänden des Saals entlang und den kleinen Tischen vorbei und standen plötzlich, ehe sie es dachten, vor dem Buffet, das am andern Ende aufgeschlagen war und wo kalte Speisen, Kuchenwerk, Eis und allerlei Getränke von einigen Kellnerinnen verkauft wurden.

Willst du etwas trinken? sagte er.

Es war das erste Wort, das er an sie richtete. Daß er ihr nichts Wichtigeres zu sagen hatte nach so langem Verstummen, kam ihm selbst sehr einfältig vor. Sie aber schien nichts dabei zu finden.

Sie schüttelte ernsthaft den Kopf, zog den Handschuh aus und nahm eine große Orange von einem Teller. Das ist besser nach dem Tanzen, sagte sie leise. Komm, wir wollen sie zusammen essen.

Sie setzten sich an das nächste Tischchen, und sie zog auch den zweiten Handschuh aus und fing an mit den blassen Fingerchen die schöne Frucht zu schälen und zu zertheilen. Dabei sah sie ihn noch immer nicht an.

Irene! flüsterte er jetzt – ist es denn möglich! Du bist hier – ich – wir haben uns so unerwartet wiedergefunden –

Nicht unerwartet! erwiederte sie noch leiser. Ich habe gewußt, daß du kommen würdest – und nur darum bin ich selbst gekommen. Glaubst du, daß es mir um Tanz und Masken zu thun war? Mit diesem Herzen –!

Ihre Stimme stockte – es trat ihr feucht in die Augen. Er neigte sich näher zu ihr und drückte seine Lippen auf die kleinen Hände, die emsig in ihrer Arbeit fortfuhren.

Sie zuckte leicht zusammen. Bitte, bitte! sagte sie dringend – nicht so – nicht hier – man sieht uns – O Felix, ist es denn wahr? Du willst fort – fort für immer?

Er antwortete eine ganze Weile nicht, so versunken war er in das Glück, daß er ihr so nah' gegenüber saß, ihre Stimme hörte, den Hauch fühlte, der von ihren lieblichen Lippen kam. Eine übermüthige Freude füllte sein Herz, eine berauschende Kühnheit, es nun mit Allem aufzunehmen, was ihm das Schicksal noch vorbehalten mochte.

Warum wollen wir von so traurigen Dingen reden? sagte er endlich, da sie die ängstlich gespannten Blicke nicht von ihm abwandte und über seine strahlende Heiterkeit fast an ihm irre zu werden schien. Dazu ist später noch Zeit, wenn das Fest vorbei ist, der Rausch verflogen, das harte böse Tageslicht wieder in unser Leben hereinfällt. Dies ist seit vielen Monaten mein erster glücklicher Abend; ich danke dir, daß du ihn mir gegönnt hast. Ich habe es immer gewußt, daß du mich lieb hattest, und wenn ich nur ein Anderer sein könnte, als ich leider bin –

O Felix! bat sie und sah ihn an. Du thust mir weh; es ist nicht gut von dir, daß du mich noch beschämst, da ich selbst so viel gelitten habe, bis ich in mir klar geworden bin – und mich selbst plötzlich gesehen habe, wie du mich lange hast sehen müssen. O Felix, daß du mich dennoch hast lieb haben können – um mich hast leiden können – Aber still! Ich habe dir tausend, tausend Dinge zu sagen – ich muß sie dir heute noch sagen – gleich jetzt – aber hier unter diesen lustigen Menschen – und dort seh' ich deine Freunde kommen – sage mir nur, wie und wo –

Er hatte nicht Zeit zu antworten, denn in diesem Augenblick kam Jansen, Julie am Arm führend, auf sie zu, beide mit Gesichtern, die ihren Antheil an diesem heimlichen Glück nicht zu verhehlen suchten. Sie enthielten sich aber jeder Aeußerung, die das junge Paar hätte verlegen machen können, sondern luden sie nur ein, in einer Française, die eben beginnen sollte, ihre Gegenüber zu sein. Ein Händedruck Jansen's war Alles, was zwischen den Freunden über das Ereigniß ausgetauscht wurde. Nun aber mußten sie erst helfen, die Apfelsine zu verzehren, die in schmalen Streifchen von Irene auf der Schale herumgeboten wurde; dann traten sie, wieder gepaart, in den Saal, wo die Uebrigen sich bereits geordnet hatten. Sie waren nicht unzufrieden damit, allein zu bleiben und an der Fensterseite eine Quadrille für sich auszuführen, die von Schnetz und Angelica einerseits, von dem Kapuziner und dem kopflosen Heiligen andererseits vervollständigt wurde.

Und freilich waren diese acht Gestalten danach angethan, sich unter einander zu einem unerschöpflichen Schauspiel zu dienen, ja der Reiz des Gegensatzes zwischen den beiden schönen und den beiden grotesken Tänzerpaaren zog auch von den Andern alle Diejenigen heran, die aus irgend einem Grunde an diesem Tanz nicht Theil nahmen. Man konnte nichts Pracht- und Anmuthvolleres sehen, als diese blonde, in Fülle reifer Schönheit blühende venezianische Gestalt, wenn sie der schlanken, fremdartig schimmernden Zigeunerin entgegenschritt und die Hände der beiden Liebenswürdigen sich faßten und die Augen sich anlachten. Dagegen war es eine der abenteuerlichsten Farcen, die man nur denken konnte, wenn der hagere Alba mit steifen Spinnenschritten auf den Heiligen losging und der Kapuziner indessen in allerlei Heuchlergeberden sich um die muntere Schwäbin drehte. Diese schien von der ganzen Gesellschaft am seligsten über den gelungenen Anschlag zu sein, von dem ihr Schnetz vorher einen Wink gegeben. Sie machte beständig Confusion bei den einzelnen Figuren der Quadrille, da sie entweder die Venezianerin oder die Spanierin studirte und ihre Beobachtungen über die einzelnen Schönheiten ihrem Tänzer sogleich zuraunen mußte. Ein noch geneigteres Ohr fand sie nachher bei Rossel, der sich in nächster Nähe als Zuschauer niedergelassen hatte, Homo zwischen seinen Knieen und dann und wann mit nachlässigem Finger die Saiten der Guitarre streifend, die das wackre alte Thier noch immer auf dem Rücken trug.

Als der Tanz vorbei war, konnte sich Julie, der das Herz vor Freude und Liebe brannte, nicht enthalten, Irene in ihre Arme zu schließen und den Glückwunsch, den sie nicht auszusprechen wagte, ihr auf die Lippen zu küssen. Erröthend verstand sie das Freifräulein, erwiederte aber die Umarmung mit herzlicher Vertraulichkeit und nickte auch Angelica wie einer alten Freundin zu. Dann nahm sie Felix' Arm und ließ sich von ihm in den Speisesaal führen.

Wollen wir wieder an unser Tischchen? fragte sie.

Er schüttelte den Kopf.

Ich muß noch mehr allein mit dir sein, sagte er. Komm nur dreist mit. Die Luft hier fängt an drückend zu werden.

Wohin willst du?

Hinaus. Es ist ganz windstill draußen und das schönste Thauwetter. Auch bist du gar nicht echauffirt. Ich wickle dich in meinen Mantel – verlaß dich auf mich, nicht einmal einen Schnupfen holen wir uns.

Hinaus – in den dunklen Garten? Sie hemmte unwillkürlich ihren Schritt. Was werden sie von uns denken?

Daß wir uns lieb haben, Herz, und es uns unter vier Augen sagen wollen. Hier unter diesen harmlosen Menschen wird es überhaupt sehr Wenigen einfallen, uns zu vermissen und Glossen darüber zu machen. Und da du es doch einmal mit der schlechten Gesellschaft gewagt hast und Niemand weiß, was morgen geschieht und ob dann noch Zeit sein wird –

Du hast Recht, unterbrach sie ihn rasch. Verzeih! Es war nur noch ein Rest der dummen alten Gewohnheit. Komm! ich glaube selbst, ich wäre morgen nicht mehr am Leben, wenn die Nacht verginge, ohne daß ich dir Alles gesagt hätte.

Er drückte sie lebhaft an sich, während er den Saal mit ihr verließ. Der Engel mit dem feurigen Schwerte draußen war über seinem Kruge eingeschlafen, aber da Felix zuletzt gekommen war, fand er auch ohne Fridolin's Hülfe seinen Hut und Mantel leicht in der Garderobe heraus. Ein großes wollenes Tuch, das er für Angelica's Eigenthum erkannte, hüllte er sorgfältig um Kopf und Schultern seiner Liebsten und schlang seinen eigenen Mantel noch darüber, so daß sie selbst für eine rauhere Nacht wohlverwahrt gewesen wäre. Nur das Gesicht nicht ganz zugemummt; ich muß doch deinen Mund finden können! flüsterte er, und küßte sie rasch wie zur Probe. Aber sie hielt ihn fest, und mit einer leidenschaftlichen Hingabe, deren er sie kaum fähig geglaubt, erwiederte sie seinen Kuß und hielt ihm das flammende Gesichtchen entgegen, seine stürmischen Liebkosungen in seliger Verwirrung duldend und immer neu herausfordernd.

Erst als ein Geräusch sie aufschreckte, wehrte sie ihm bittend ab. Da schlang er den Arm um sie und trat mit ihr in die umschleierte weiche Schneenacht hinaus, wo kein Stern vom Himmel sah, aber den einsam unter den Bäumen Hinwandelnden zu Muth war, als stände die Welt um sie her in Flammen und sie schritten unversehrt hindurch, da sie die stärkere Glut in ihren Herzen trugen.


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