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Der helle Vogelgesang weckte ihn noch im ersten Morgengrauen, als unter ihm im Hause noch kein lebendiger Laut sich regte. Die Fichtenwipfel, die durch das breite Atelierfenster hereinsahen, erinnerten ihn daran, wo er sich befand und wie und warum er sich hierher verirrt hatte.
Am Nachmittage gestern war er dem Oberlieutenant begegnet, den er seit einer Woche nicht mehr gesehen hatte, obwohl er eifrig alle die Orte besuchte, wo Schnetz sonst zu finden war. Er wußte, daß Irene mit dem Oheim die Stadt verlassen hatte. In seiner dumpfen Bestürzung, als er im Hotel auf eine indirecte Anfrage diesen Bescheid erhielt, hatte er nicht einmal weiter nachgeforscht, welchen Weg sie eingeschlagen. Sie war vor ihm geflohen, das wußte er; seine bloße stumme Erscheinung hatte genügt, sie aufzuschrecken, ihr die Stadt zu verleiden, wo auch er sich aufhielt. Wohin sie geflüchtet war, ob nach Italien, wie sie anfangs geplant hatten, ob nach Ost oder West – was lag ihm daran, da er ihr nicht folgen durfte? Er wollte auch Schnetz, der unzweifelhaft darum wußte, nicht eigentlich ausfragen. Und doch war er begierig, den einzigen Menschen zu sehen, der vielleicht Nachrichten von ihr hatte.
Wie er ihm nun auf der Straße begegnete, nach einem düster verbrüteten Tage, an dem er auch Jansen nicht gesehen und seine Arbeit versäumt hatte, schlug ihm das Herz, und er wurde so dunkelroth, als müsse der ahnungslose Freund ihm all seine heimlichen Gedanken aus den Augen lesen. Wirklich fügte sich's, daß das erste Wort, das Schnetz auf die Frage, wie es ihm gehe, unwirsch hervorstieß, sich auf die Flüchtlinge bezog.
Nichtswürdig gehe es ihm! Er habe gehofft, seines Frohn- und Frauendienstes los zu werden, seit das launenhafte Prinzeßchen mit ihrem dienstthuenden Kammer-Onkel davongefahren sei. Aber kein Gedanke daran! Die Kette, an der er liege, reiche jetzt bis Starnberg, und just vor einer Stunde sei er unsanft daran gezupft worden. Ein Billet des Onkels habe ihn eiligst für den folgenden Tag hinausbeordert. Besuch von allerlei junger haute volée, gräflichen Cousinen und ihrem Anhang, habe sich auf den Sonntag angemeldet, der alte Löwenjäger sei aber zu einem Scheibenschießen nach Seefeld geladen, was er unmöglich wieder absagen könne, und das Nichtchen, das arme Kind, das ohnehin in der Landluft täglich blasser und nervöser werde, fühle sich gänzlich außer Stande, ohne Beistand eines galanten und rüstigen Cavaliers die Honneurs ihrer kleinen Villa zu machen. Also sei Schnetz ihre letzte Hoffnung, und er könne ihm Irenens freundlichstes Gesicht und seine eigne ewige Dankbarkeit in Aussicht stellen, wenn er komme und ihren Ritter mache.
Sie begreifen, bester Baron, schloß der ingrimmige Ritter, indem er mit der Reitpeitsche an seine hohen Stiefel klopfte, – es giebt moralische Unmöglichkeiten, die den Sclaven abhalten, die Kette zu brechen. Aber zu den hundert Malen, die ich schon diese algierische Zeltbrüderschaft verwünscht habe, ist heute das hundertunderste hinzugekommen. Zwar – eine gewisse Neugierde hätte ich schon, zu sehen, wie denn das »freundlichste Gesicht« unsrer kleinen stolzen Hoheit ausschauen mag. Sie wissen, ich habe eine geheime Schwäche für diese meine holde Tyrannin. Aber daß ich einen ganzen Tag lang mit ihren Schwert- oder Spillmagen mich vertragen soll, ist eine harte Zumuthung. Beklagen Sie mich, Sie Glücklicher, der Sie ganz dienstfrei sind und keine anderen Ordres empfangen, als vom Genius der Kunst.
Die Rede war lang genug, daß Felix sich auf eine paffende und hinlänglich muntere Antwort besinnen konnte.
Sie irren sich gewaltig, lieber Freund, sagte er, wenn Sie glauben, ich trüge keine Fesseln. Die Kunst, sagen Sie? Die ist nur Dem eine gnädige Herrin, der so weit gekommen ist, sie zu beherrschen, indem er ihr dient. Aber ein armseliger Anfänger und Stümper, dem sie noch nicht einmal ihren kleinen Finger zu küssen giebt, – kein Flößer und Holzfäller in den Bergen trägt solche Knechtslasten. Tausendmal denk' ich: ob es nicht doch eine Thorheit war, in meinen Jahren noch unter die Abece-Schützen zu gehen, und ob ich nicht am Ende von so und so viel mühsamen Jahren mit Schrecken einsehen werde, daß die ganze schöne Zeit zu Jansen's Atelierfenster hinausgeworfen war. Groß genug dazu ist es freilich.
Hm! brummte der Lange, seinen schwarzen Knebelbart zausend, Sie singen da ein böses Lied, nach bekannter Melodie. Verfehlte Existenzen – dergleichen laufen einem nirgend häufiger über den Weg, als in so einer Kunststadt, 's ist zu verdammt verführerisch, zu singen:
Ein freies Leben führen wir,
Ein Leben voller Wonne.
Und Sie haben das rechte Wort schon gesagt: wer die Kunst nicht zwingt, den knechtet sie, und schlimmer als irgend eine andere Lebenspflicht. Sie, wie ich Sie kennen gelernt, Sie sind gleich mir nicht an Ihrem Platz. Wir hätten ein paar Jahrhunderte früher auf die Welt kommen sollen, wo ich als Bandenführer, so eine Art Castruccio Castracani, und Sie als ein politischer Charakter im alten zugreifenden und gelegentlich zuschlagenden Stil keine üblen Figuren gespielt hätten. Jetzt müssen wir uns behelfen, wie's eben gehen will. Wissen Sie was? Sie sind überreizt und haben Ihren Humor verloren. Kommen Sie morgen mit an den See hinaus. Ich stelle Sie der jungen Hoheit vor, vielleicht verlieben Sie sich in sie und finden Gnade vor ihren Augen, dann ist uns Beiden und unsrer kleinen Prinzeß auf Einen Schlag geholfen.
Felix schüttelte in steigender Verwirrung den Kopf. Er tauge nicht in diese Gesellschaft, sagte er stotternd. Schnetz würde wenig Ehre mit ihm einlegen. Daß er auch an den See hinauskomme, wolle er nicht verschwören: es sei ihm allerdings recht nöthig, sich einmal zu lüften. Er könne ihm aber leider nicht behülflich sein, mit so und so viel jungen Gräfinnen, Baronessen und Junkern fertig zu werden.
Dann hatten sie sich die Hände geschüttelt und waren auseinandergegangen.
Aber sobald Felix sich allein sah, überfiel ihn sein leidenschaftlicher Kummer und seine alte Sehnsucht mit solcher Gewalt, daß er alle seine Vorsätze über den Haufen warf und an nichts Anderes dachte, als wieder in ihre Nähe zu kommen. Der Abendzug ging erst in einigen Stunden. Es war ihm unmöglich, den abzuwarten, die Zeit bis dahin auf irgend eine menschliche Weise hinzubringen. Er miethete sich ein Pferd, bestieg es so wie er ging und stand und verließ, ohne nur zu Hause sein Ausbleiben anzukündigen oder von Jansen Abschied zu nehmen, im raschesten Trabe die Stadt.
Das Pferd war keins von den ausdauerndsten und durch anderen Dienst schon ein wenig ermüdet. Er mußte daher bald seine Eile mäßigen und auf der Mitte des Wegs den Eisenbahnzug an sich vorüberbrausen sehen. Aber es fiel ihm auch nicht einmal schwer, die letzte Strecke im Schritt zurückzulegen. Je näher er seinem Ziele kam, je unsicherer wurde sein inneres Gefühl. Was wollte er im Grunde draußen, da er wußte, daß sie ihn vermied, daß sie unfehlbar auch diese Zuflucht wieder verlassen würde, wenn ihr nur der leiseste Verdacht käme, er verfolge sie und suche Gelegenheit, ihr wieder gegenüberzutreten?
Und in welchem Lichte mußte er selbst, sein Stolz, sein Zartgefühl vor ihr erscheinen, wenn er nicht sorgfältig auch den Schein vermied, als dränge er sich in ihren mühsam erkämpften Frieden wieder ein? Wenn sie ihn entbehren konnte, durfte er sich merken lassen, wie schmerzlich er sie immer noch entbehrte?
Er riß sein Pferd so jählings an den Zügeln zurück, daß es zitternd stille stand. Rings um ihn war einsamer Wald, die Straße neben dem Schienengeleise völlig verödet. Er sprang ab, warf dem Gaul den Zügel über den Rücken und streckte sich am Wege in das tiefe, trockene Moos, aus dem eine Wolke von heißdurchsonntem Waldduft hervorquoll.
Hier lag er, und wenn das Gefühl, seiner Männlichkeit nichts vergeben zu dürfen, ihn nicht gestärkt hätte, – er hätte am liebsten die Hellen heißen Thränen geweint, wie ein hülfloses, unglückseliges Mutterkind, dem man sein Liebstes gezeigt und wieder genommen hat. Statt solcher mädchenhaften Schwäche erquickte und sättigte er sein ungeberdiges Herz endlich am Trotz, welcher die Schwäche der männlichen jungen Gemüther ist. Er knirschte mit den Zähnen, schoß drohende Blicke in die Föhrenwipfel und gegen die blaue Wölbung hinauf und betrug sich im Ganzen so wenig erwachsen und des großen Staatsmanns würdig, den Schnetz in ihm gewittert haben wollte, daß selbst das Pferd, da es die abgerissenen wilden Worte und das seltsame Toben und Knirschen vernahm, verwundert von seinem Grasen abließ und den Kopf mit der Miene stillen Beileids nach seinem Reiter umwendete.
Kann ich dafür, wüthete er vor sich hin, daß ein lächerlicher Zufall sie gerade dahin gebracht hat, wo ich ein neues Leben anzufangen im Begriff war? Soll ich wie ein Narr vor ihr her fliehen, sobald das verrückte Schicksal sie mir wieder nahe bringt? Die Welt ist doch wahrlich groß genug für uns Beide, und jetzt, da sie weiß, weßhalb ich gerade hier mein Zelt aufgeschlagen habe, muß sie dennoch in der nächsten Nähe bleiben, daß ich keinen Schritt aus den Thoren machen kann, ohne befahren zu müssen, ihr vor die Augen zu kommen? Wie? Nicht einmal an den See hinaus dürft' ich, Licht und Lust soll mir abgeschnitten werden, daß ich im Münchener Staube erstickte? Das hieße, für ein Verbrechen, das man nicht einmal bereuen kann, sich selbst zu ewiger Gefangenschaft verurtheilen. Nein, auch ich bin mir etwas schuldig! Warum soll ich nicht zeigen, daß ich's hinter mich geworfen habe, ganz und gar, und nun fortlebe, als wären gewisse Augen gar nicht mehr in der Welt? Kann man nicht aneinander vorbeisehen? Soll das ewig währen, diese Gespensterfurcht, als ob eine tobte und begrabene Liebe um jede Straßenecke herum einem wieder begegnen könnte? – Er sprang plötzlich auf, strich sich das zerzaus'te Haar zurecht und klopfte das Moos vom Rock. – Und wenn aus jedem Fenster in Starnberg mich ihre Augen ansähen, rief er, ich reite mitten durch und lache aller Gespenster!
So schwang er sich wieder in den Sattel und legte in kurzem Trabe die noch übrige kleine Stunde zurück durch die wechselnde Waldlandschaft, die tiefer und tiefer in Dämmerung versank. Als endlich ein blauer Streif des Sees über den Wipfeln aufblitzte und dann die Häuser des Orts hervortraten, war ringsum schon so grauliches Sternenzwielicht, daß er ohne Furcht erkannt zu werden die Straße zwischen den hellen Fenstern der Landhäuser entlang reiten konnte.
Gleichwohl war es ihm fast eine Erleichterung, als er an allen drei Gasthöfen den Bescheid erhielt, daß für diese Nacht kein Zimmer mehr zu haben sei. Er dachte sofort an das Landhäuschen des Dicken, von welchem unter den Freunden öfters die Rede gewesen war. Wie man ihm den Weg beschrieb, konnte er noch bei Zeiten dort anlangen, ehe die Freunde Nacht gemacht. Also begnügte er sich mit einem hastigen Trunk nach dem schwülen Waldritt, übergab sein Thier einem Knecht, der es gut zu pflegen versprach, und brach sogleich wieder auf.
Er hatte nicht das Herz gehabt, nach Irenens Wohnung zu fragen, obwohl er einen Augenblick daran dachte, nur um sie desto sicherer zu vermeiden. Er brachte aber den Namen nicht über die Lippen. Die Zähne zusammenbeißend ging er seines Wegs an den Gartenzäunen und Stacketen entlang.
Die warme Nacht hatte alles Lebendige aus den Zimmern ins Freie gelockt; in den Lauben und Sommerhäuschen, auf den Gartenbänken und Balconen saß, stand und spazierte Alt und Jung, und hie und da hörte man jenes Helle und doch heimliche Mädchengelächter, wie es aus geflüsterten Gesprächen oder auch aus tiefem Schweigen plötzlich hervortritt, ähnlich einer Rakete, die aus dem niederen Feuerwerk plötzlich gegen den Nachthimmel steigt. Eine Cither wurde gespielt, und eine Männerstimme sang halblaut dazu, während aus einem andern Hause ein voller Sopran zum rauschenden Flügel den Schubert'schen Erlkönig sang, und wieder aus einem Hause ein Geigenconcert mit obligater Clarinette sich hören ließ. Das Alles vertrug sich so harmlos miteinander, wie im Walde die verschiedenen Vogelstimmen, da die Klänge von der schwülen Nachtluft ineinandergeschleift wurden. Unwillkürlich blieb Felix stehen und horchte umher. Er hatte die Augen zufällig auf ein sang- und klangloses Häuschen gerichtet, das von schönen Rosenstöcken umblüht war, während die hohen Malven und Sonnenblumen des Vorgärtchens über den Zaun nickten. Im oberen Geschoß war ein Balconzimmer durch eine Kugellampe erleuchtet, die Thür ins Freie stand offen, das helle Gemach schien aber völlig leer zu sein. Auf einmal, als eben die Clarinette eine Solofigur zu machen hatte, trat ein Schatten oben in den hellen Rahmen der Balconthür. Eine schlanke weibliche Gestalt blieb einen Augenblick an der Schwelle stehn, trat dann vollends hinaus und lehnte sich, wie um besser zu lauschen, über die Brüstung. Die Züge waren von der Straße aus nicht zu unterscheiden, und noch immer wollte der Späher unten seinem klopfenden Herzen nicht glauben. Jetzt aber regte sich der Schatten oben und wandte das Gesicht nach der hellen Thür, als wenn er vom Zimmer aus angerufen würde. Ein paar Minuten lang zeigte sich der Umriß eines feinen Profils scharf abgeschattet gegen den lichten Hintergrund – sie war's – das klopfende Herz hatte sie früher erkannt, als die offenen Augen, und klopfte jetzt um so ungeberdiger, als die Erscheinung rasch, wie sie gekommen war, wieder ins Innere des Zimmers verschwand.
Hier also! – nun wußte er's – nun konnte er sich das Haus merken, um es sorgfältig in weitem Bogen zu umgehen. Er zitterte am ganzen Leibe, und die Füße gehorchten ihm nicht sogleich, als er sich losreißen und seine Wanderung fortsetzen wollte. In dem Aufruhr seines Gemüths verfehlte er die offene Straße am See und gerieth seitab auf den Weg zu den »sieben Quellen«. Hier erst, mitten im feuchten Dickicht, wurde er seines Irrthums inne und begann nun, der Himmelsgegend nach, sich auf die rechte Bahn zurückzutasten. Aber von Neuem lief er in die Irre, der Schweiß rann ihm von der Stirn, mit schwerathmender Brust rang er sich gewaltsam durch das zähe Unterholz durch und brach endlich, keuchend wie ein angeschossener Hirsch, auf eine Waldblöße vor, wo er den Schienenweg zu seinen Füßen und jenseits über den schwarzen Wipfeln die weite Seefläche schimmern sah.
Ein Bahnwärter, der ihm entgegenkam, wies ihn zurecht. Er erkannte, daß er schon weit über sein Ziel hinausgestürmt war, und die Sorge, zu so später Nachtzeit dem Freunde ungelegen zu kommen, beflügelte seinen Schritt. So war er in der Verstörung, wie wir ihn gesehen, bei Eduard angelangt.
Aber die Kraft seiner Jugend riß ihn über Nacht aus diesen Nöthen heraus. Am Morgen erwachte er mit erfrischten Sinnen aus den heitersten Träumen, mit denen die Seele, ihrem stillen Heilverfahren gemäß, das erschütterte Gleichgewicht wieder herzustellen sich bemüht hatte. Auch wich diese morgenhelle Stimmung nicht von ihm, da er sich nun im Wachen sagen mußte, daß die Dinge heut um nichts besser ständen als gestern. Ein Gefühl des Muths belebte seine Adern, eine innige Freude am Leben und eine stille Zuversicht, daß er nicht verderben könne, die von seinem gestrigen überschäumenden Trotz himmelweit verschieden waren. Er öffnete das Fenster und sog lange den frischen Duft der Fichtenwipfel ein. Dann trat er vor die Staffelei, auf welcher Kohle's Carton stand, die erste ausgeführte Scene des Venus-Märchens, dessen Entwurf in flüchtigen Umrissen auf einem langen zusammengerollten Streifen daneben lag. Felix war Künstler genug, um sich auch ohne Erklärung in der wundersamen Dichtung zurecht zu finden, die ihn in seiner abenteuerlich erregten Stimmung mächtig anzog. Er hatte sich aus den hölzernen Schemel vor die Staffelei gesetzt und vertiefte sich in das Anschauen des fast vollendeten ersten Blattes. Das schöne Götterweib mit dem Bübchen an der Hand war halb aus dem Schatten einer wild überwachsenen Kluft herausgetreten und blickte betroffen nach der Seite, wo man die gothisch bezinnte und bethürmte Stadt auf einer Anhöhe liegen sah. Ein Fluß, der sich um den Hügel wand, trug eine alterthümliche Brücke, über die ein langer Zug von Kaufleuten mit bepackten Wägen, von einigen Reisigen geleitet, sich in Bewegung setzte. Etwas mehr im Mittelgründe sah man einen Schäfer bei seiner Heerde liegen und auf einer Schalmei zu den leichten Sommerwölkchen emporblasen. Die Figuren waren mit festen, ein wenig trockenen Linien umrissen, aber ein gewisser strenger Zug des Ganzen half dazu, den phantastischen Reiz der Erfindung zu erhöhen und die Erinnerung an die alltägliche Wirklichkeit fern zu halten.
Felix war noch in die Betrachtung dieser Märchenwelt wie in einen zweiten Morgentraum versunken, als er einen vorsichtigen Schritt das enge Treppchen Heraufschleichen und an seiner Thür stillhalten hörte. Er rief »Herein!« und mußte lachen, als er Kohle's ehrliches Gesicht mit einer Miene hereinspähen sah, wie wenn er hier oben einen Todkranken zu finden fürchte. Als er dem Hocherstaunten erklärte, er befinde sich vortrefflich, und wahrscheinlich habe das Gnadenbild der himmlischen Frau dieses Wunder bewirkt, verklärten sich die Züge des Künstlers, und er fing in derselben hochgestimmten Begeisterung, in der er Abends eingeschlafen war, gleich am nüchternen Morgen wieder an, von seiner Arbeit zu sprechen und zu den Skizzen, die aufgerollt die ganze Breite des Ateliers einnahmen, seine Erklärungen zu machen. Auch daß Rossel ihm die Wände des Eßzimmers einräumen und selbst beim Malen mithelfen wolle, mußte Felix alsbald erfahren. Von den beiden Andern erzählte er dann, sie seien längst aufgestanden und ohne das Frühstück abzuwarten gen Starnberg gewandert, Rosenbusch in Liebschafts-Angelegenheiten, um für den Nachmittag Abrede zu treffen, wo man sich finden solle, Elfinger dagegen, der ein leidenschaftlicher Angler sei, nach einem Forellenbach bei den »sieben Quellen«, dessen Besitzer er kenne, da er sich's nicht nehmen lasse, für das heutige Mittagessen seinen Beitrag zu liefern. Der Hausherr selbst pflege vor neun oder zehn Uhr nicht zum Vorschein zu kommen; er sei gewohnt, im Bette zu frühstücken, zu lesen und zu rauchen, und behaupte, der Tag sei ohnehin viel zu lang, um ihn nicht mit jeder erlaubten List ein paar Stunden zu verkürzen.
Er hatte aber noch nicht ausgeredet, als die Treppe abermals erklang, diesmal unter einem langsameren und schwerfälligeren Tritt. Der Dicke hatte sich gegen seine Gewohnheit früh herausgemacht, um nach Felix' Zustand zu forschen. Er hatte sich nicht einmal Zeit genommen, Toilette zu machen, sondern kam in Hemd und Schlafrock, die Pantoffeln über die nackten Füße gestreift. Nun war er sichtbar erleichtert, als Felix ihm frisch und rüstig entgegentrat und ihm mit einer Art Rührung, daß der besorgte Freund um seinetwillen seiner Bequemlichkeit entsagt, die Hand schüttelte. Es giebt noch gute Menschen in dieser bösen Welt, rief er, und ich will ein Schuft sein, wenn ich ihnen das Leben sauer mache! Es ist wahr, Freunde, es steht nicht Alles in mir und um mich, wie es sollte. Aber wer mich heute das Maul verziehen und ein Jammergesicht schneiden sieht, der soll mich einen Nazarener schelten und einen Malstock auf meinem Rücken zerschlagen.
Der Dicke nickte bei diesen Worten nachdenklich vor sich hin, da ihm der rasche Umschlag in der Stimmung des Junkers nicht ganz geheuer schien; er sagte aber kein Wort, sondern setzte sich, nachdem er ein Kissen untergelegt, auf den Schemel vor der Staffelei, um Kohle's Entwürfe zu betrachten. Hm! Hm! – So! So! – Schön! Schön! – war Alles, was er eine Viertelstunde lang an kritischen Bemerkungen von sich gab. Dann aber fing er an, ins Einzelne einzugehen, wobei die ganze sonderbare Anlage seiner Natur zum Vorschein kam.
Denn da seine eigene Phantasie unerschöpflich darin war, Blüten zu treiben, die niemals Früchte ansetzten, war ihm auch den Arbeiten Anderer gegenüber nach und nach die Geduld abhanden gekommen, dem ruhigen Ausreisen eines Gedankens nach innerem Gesetz und stillem Naturtrieb zuzusehen. Besonders jüngeren Leuten, die er zuerst mächtig anregte und in einem wahren Taumeltanz durch eine Welt von malerischen Problemen herumtrieb, war er gefährlich, da, sobald sie nun mit einer einzelnen Aufgabe Ernst machten, seine scharfe Klugheit und überlegene Kenntniß ihnen das ergriffene Problem wieder verleidete, indem er ihnen eine Menge anderer Arten und Weisen vordemonstrirte, wie das Thema immer noch glücklicher zu behandeln sein möchte. Entschlossen sie sich dann, ihren Anfang umzustoßen und auf eine dieser Arten von Neuem zu beginnen, so waren sie um nichts gebessert, da die eine, entscheidende und letzte Lösung immer wieder in unerreichbarere Ferne gerückt wurde. Darüber verloren sie die Lust am frischen, fröhlichen Zugreifen, wurden Räsonneure und Theoretiker im Stil ihres Vorbildes, oder ergaben sich, wenn sie hierzu nicht Geist oder Geld genug besaßen, aus reiner Desperation einer völlig gedankenlosen Handwerkerei, die sie ganz in der Stille betrieben, sich wohl hütend, jemals wieder mit einer künstlerischen Frage an die Pforte ihres ehemaligen Orakels anzuklopfen.
Es giebt Niemand, der sich so rasch in ein Bild hinein, aber auch wieder hinaussieht, wie Rossel, hatte Jansen einmal gesagt. Dies erlebte nun Felix bei Kohle's Entwürfen in ungewöhnlichem Maße. Denn da der Kritiker hier selbst mit Hand anlegen wollte, war seine Phantasie sofort noch weit eigenwilliger thätig, an dem Vorhandenen herumzubilden, um es sich nach Möglichkeit anzueignen. Wie der Lichtgang aus jedem Bilde anzuordnen, welche Farbenprobleme dabei ins Spiel kämen, wie etwa Giorgione die Staffage im Hintergründe componirt haben würde und was es für Wirkung machen würde, wenn man etwa die ganze erste Scene statt am hellen Tag in die Abenddämmerung verlegte, – all diese Fragen wurden aufs Ernsthafteste erwogen, dabei die Stellung der Figuren, die Raumvertheilung und der landschaftliche Hintergrund so erbarmungslos umcomponirt, daß endlich die neue Fassung der Aufgabe mit dem ersten Entwurf nicht viel mehr als den bloßen Inhalt gemein hatte.
Gleichwohl sollte auch das noch nicht als das Letzte betrachtet werden, sondern nur als Grundlage für weitere Erwägungen. Aber während Kohle's Gesicht immer länglicher und bänglicher dreinschaute, leuchtete das seines Mitarbeiters von wachsender Befriedigung. Jede Muskel darin war von geistigem Leben gespannt, und die schwarzen Augen glänzten unter der weißen Stirn von wahrhafter Begeisterung. Als er endlich ausstand, reckte er die Arme in die Höhe und rief: Es geht nichts über eine rechte Aufgabe, die man beim rechten Ende angefaßt hat! Sie werden sehen, Kohle, das Ding macht sich. Ich habe ein solches Pläsir daran, daß ich gleich heute anfangen könnte, wenn nicht gerade Sonntag wäre und ich vor Allem den liebenswürdigen Wirth zu spielen hätte. Nun, Sie haben ja immer noch zu thun, die Aenderungen auf dem Carton zu machen. Ich will indessen mit meinem Hausdrachen den Küchenzettel componiren, der wird mehr Kopfbrechens kosten, als unsere Frau Venus.
Als er hinaus war, sahen die beiden Anderen sich an, Felix konnte nicht umhin, in ein helles Lachen auszubrechen, in welches der Blasse wenigstens mit einem wehmüthigen Lächeln einstimmte.
Da sehen Sie, wohin es führt, wenn man zu klug aus einer Sache wird, sagte er, seine Zeichnung mit einem Seufzer betrachtend. Als ich noch recht dumm damit ins Zeug ging und so meiner certa idea oder auch bloß meiner Nase nachschlenderte, ist doch immerhin Etwas zu Stande gekommen. Nach diesen Aufklärungen aber, die ja alle ganz schön und gut und sehr zutreffend waren, fürchte ich, es geht wieder Alles in die Brüche! Wenn die schönen Wände unten nicht wären, sagte ich ihm rund heraus, daß ein so ungleiches Gespann, Stier und Gaul, den Pflug nicht weit ziehen würden. Besser, das magere Pferd spannt sich allein vor, wenn dann auch die Furche nicht ganz so glatt wird. Oh, oh, oh, meine arme Frau Venus!