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Siebentes Buch.

Erstes Kapitel.

Es war auf einmal sehr öde geworden im Paradiese. In den Räumen, die sonst von Gespräch und Lachen bis weit über Mitternacht wiederhallt hatten, fand sich jetzt nur eine Handvoll einsilbiger, frostiger Kameraden zusammen, die selbst beim Weine nicht aufthauten. Sie saßen schweigsam und mißtröstlich hinter ihren Römern, Jeder vom Andern erwartend, daß er plötzlich in die ehemalige Feststimmung ausbrechen solle. Denn bei dem großen Bedürfniß unseres deutschen Gemüths nach geselliger Vereinigung ist nichts merkwürdiger, als die Seltenheit des eigentlichen geselligen Talents, und mehr noch der Mangel an jedem geselligen Pflichtgefühl, das den Einzelnen antriebe, wenigstens sein Bestes zu thun und zu den Kosten der Unterhaltung nach Vermögen beizusteuern. Die Meisten gehen in Gesellschaft wie ins Theater, glauben ihre Schuldigkeit vollkommen gethan zu haben, wenn sie von ihrem Sperrsitz aus über die eigentlichen Spieler Glossen machen, und dünken sich berechtigt, sobald diese einmal schlecht aufgelegt sind, über Langeweile zu klagen.

Dieser unleugbare Verfall, der in jeder Genossenschaft bald nach ihrer höchsten Blüte einzutreten pflegt, wurde im Paradiese noch durch äußere Umstände beschleunigt. Allerdings war mit Jansen Derjenige geschieden, dessen bloße Gegenwart der Gesellschaft die charakteristische Stimmung verlieh. Gerade weil er nie zu herrschen begehrte, wurde ihm ohne Widerrede die Führung zuerkannt, zu der ihn seine Ueberlegenheit, Reife und Schlichtheit vor allen Anderen befähigte. Indessen hätte nach seinem Verschwinden noch Mancher unter den Freunden die Tradition aufrecht zu erhalten vermocht, wenn nicht gerade die Begabtesten oder Einflußreichsten persönliche Gründe gehabt hätten, sich zurückzuziehen.

Der alte »Gottvater« war seit dem Wiederfinden seines Enkelkindes nicht mehr zu bewegen, einen Abend außer dem Hause zuzubringen. Er widmete sich ganz und gar der Zähmung der kleinen Widerspänstigen, wobei er behutsam zu Werke gehen mußte, da das wunderliche Ding noch immer damit drohte, wieder zu entlaufen, wenn man ihre Freiheit nur im Geringsten beschränke. Auf regelmäßiges Lernen irgend welcher Art wollte sie sich durchaus nicht einlassen, glaubte das Ihre zu thun, wenn sie die kleine Wirtschaft führte, wozu sie ein großes Geschick zeigte, und in den freien Stunden für ihren Putz sorgte oder mit dem Großpapa spazieren ging. Nach dessen Freunden, Jansen und Schnetz, oder gar nach dem plötzlich verschwundenen Felix fragte sie nie. Das Gesicht war bei dem guten Leben und in der gesitteteren Umgebung ein wenig hübscher geworden, das Figürchen voller, und ihre Neigung, sich zierlich zu kleiden, konnte sie jetzt befriedigen, da der Großvater sie wie seine Puppe hielt. So war es kein Wunder, daß Rossel in seiner Leidenschaft nur mehr bestärkt wurde, zumal er es sich zur Regel gemacht hatte, sie täglich zu sehen.

Er kam des Abends und brachte gewöhnlich auch Kohle mit, der durch Jansen's Abreise am meisten verloren hatte. Sie gewöhnten sich nach und nach so sehr in das Familienzimmer des Alten, daß sie auch die Paradiesesnächte gern darum hingaben. Gewöhnlich zog der Dicke, wenn sie eine Weile geplaudert oder Kupferstiche und Photographieen besehen hatten, ein Buch aus der Tasche, einen Poeten oder sonst etwas, das Weisen und Kindern zugleich behagt, und fing an vorzulesen, scheinbar ohne Rücksicht auf das Mädchen zu nehmen, das sich kommend und gehend durch das Zimmer bewegte, recht geflissentlich wie um zu zeigen, sie frage weder ihm noch seinen Scharteken das Mindeste nach. Ereignete sich's dann, daß er den rechten Ton getroffen hatte, so kauerte sie sich wohl auf einem Stühlchen neben dem Ofen nieder und hörte mit großen, langsam aufdämmernden Augen und offenem Munde zu. Aber auf ein Gespräch über das Gelesene ließ sie sich niemals ein, blieb sich auch in ihrem Benehmen gegen ihren Verehrer immer gleich, sodaß er aus Kummer darüber sichtlich abmagerte.

Diesen aus Leichtsinn und Beharrlichkeit seltsam gemischten Charakter bewahrte sie auch ihrem leiblichen Vater gegenüber. Nach der Einwilligung des alten Schöpf, dem Baron wenigstens die äußerlichsten seiner Vaterrechte einzuräumen, hatte zwischen den beiden Männern eine Zusammenkunft stattgefunden, bei welcher die aufrichtige Niedergeschlagenheit des sonst so flotten Cavaliers ihren Eindruck auf den grimmigen alten Mann nicht verfehlt hatte. Da dieser sich selbst nicht von jeder Schuld freisprechen konnte, kam man zu einem zwar nicht herzlichen, doch nicht mehr eisigen Verhältniß, und die Angelegenheit wurde nach den Wünschen des Barons zum Besten seiner Tochter geordnet. Wie er dies vom Herzen hatte, vergab er sich plötzlich selbst all seine Sünden und erwartete nichts anderes, als daß auch seine Tochter endlich wieder ein Herz zu einem so exemplarischen Vater fassen würde; diese aber wollte jetzt so wenig von ihm wissen, wie vorher. Sie saß die halbe Stunde, die sie dem Großpapa für ein Wiedersehen mit ihrem Erzeuger bewilligt hatte, stocksteif und fast wie wenn sie Audienz gäbe, neben dem Papa, der all seine Liebenswürdigkeit erschöpfte, um ihr Herz zu rühren. Sie fühle nicht das Mindeste für ihn, äußerte sie immer wieder. Ehe sie ihn gesehen, habe sie ihn gehaßt; jetzt sei er ihr vollkommen gleichgültig, und sie begreife nicht, wie ihre todte Mutter ihn habe lieben können. Er solle sich auch nicht einbilden, daß sie jemals anders empfinden würde. Gesichter, wie seins, habe sie nie leiden können; es thue ihr leid, aber sie pflege immer die Wahrheit zu sagen, und weil er ihre Mutter belogen, werde sie jetzt nicht etwa ihn auch belügen. Sein Geld möge er nur behalten. Sie denke nicht ans Heirathen; aber wer sie nur darum nähme, weil sie einen reichen Vater habe, für den bedanke sie sich.

Daß das schöne Fräulein ihre Cousine sei, schien ihr allerdings merkwürdig. Erst lachte sie darüber, wie über einen drolligen Einfall, dann wurde sie blutroth, man wußte nicht warum, stand plötzlich auf, machte ihrem Vater ein steifes Compliment und eilte hinaus.

Der Baron verließ seufzend die Wohnung des alten Mannes, um seinem Waffenbruder Schnetz Bericht über den gescheiterten Aussöhnungsversuch abzustatten.

Auch der Oberlieutnant hatte sich seit dem Hochzeitsabend in einer menschenfeindlichen und gedrückten Stimmung befunden, die ihn monatelang zu Hause hielt und ihn um so mehr des Paradieses vergessen machte, als ihm vor Allen Jansen's Gegenwart dort unentbehrlich schien. Sein künstlerisches Talent war doch nur gleichsam der Schlagschatten, den sein Naturell warf, wenn es gerade in humoristischer Beleuchtung stand. Er hatte sich den Künstlern genähert, da ihre Gesellschaft ihm noch als die erträglichste in der großen Leere seiner sonstigen Lebenskreise schien, weniger weil sie schöne Werke schufen, als weil sie die Menschen dazu waren, etwas hervorzubringen, was außerhalb des übrigen von ihm verachteten öffentlichen Wesens stand. Auch sie entgingen seiner Thersites-Laune nicht. Daß er aber Einen darunter fand, über den zu schimpfen ihm schlechterdings unmöglich war, dem er nicht einmal mit seiner Schwarzkunst etwas anzuhängen übers Herz brachte, das hatte ihn mit einem ganz eigenen Gefühl für Jansen erfüllt; als ob, wenn die übrige verrottete Gesellschaft auf dieser Erde plötzlich zu Grunde ginge und nur dieser Eine übrig bliebe, eigentlich nichts verloren und das Menschengeschlecht nach diesem Muster weit herrlicher wieder herzustellen wäre. Ihn hatte er wirklich geliebt, so sorgfältig er solche »sentimentale« Anwandlungen vor Jedermann, am liebsten auch vor sich selbst verleugnete. Nun saß er in seiner Timonischen Verbitterung wieder allein, im Schatten Schattenrisse schneidend, und schmollte mit allen übrigen Menschen, daß sie alle zusammen ihm den einen nicht ersetzen konnten.

Den Baron empfing er äußerst schlecht, hörte die Erzählung von dem lieblosen Kinde mit sardonischem Grinsen an und versicherte, das sei bei der ganzen verfaulten Weltordnung der einzige Trost, daß es immer noch einzelne Menschen gebe, sogar weiblichen Geschlechts, die sich keinen blauen Dunst vormachen ließen und kein Blatt vor den Mund nähmen. Er rathe ihm, nach Afrika zu gehen, eine Löwin zu schießen und ihr Junges zu adoptiren, – worauf er gleich anfing, den Baron als Bonne einer wilden Katze in schwarzes Papier zu schneiden, um ihm dies Andenken mit auf den Weg zu geben.

Denn obwohl Irene noch keine förmliche Erlaubniß ertheilt hatte, war der Onkel dennoch entschlossen, ihr nachzureisen. Er konnte sich ja auch vor der alten Gräfin nicht mehr sehen lassen, die ihm, als er ihr Irenens Abschiedsgrüße gebracht, eine erbauliche Predigt über ihr unglaubliches Benehmen gehalten und seine burschikose Antwort sehr übelgenommen hatte. Von Felix Näheres zu erfahren, war in München nicht die geringste Aussicht. Niemand wußte, wohin das vermeintliche Duell ihn verschlagen hatte. So zog den Baron die alte Gewohnheit, unter seines Nichtchens Pantoffel zu stehen, und die Zweck- und Freudlosigkeit seines hiesigen Aufenthalts nach dem Süden, und die unwirsche Art, womit Schnetz sich plötzlich gegen ihn äußerte, machte ihm den Abschied vollends leicht.

Er steckte die Silhouette ohne ein Lächeln in seine Brieftasche, schüttelte dem alten Freunde die Hand und verließ ihn, indem er die Hoffnung äußerte, sie würden noch einmal unter wärmerer Sonne sich wieder zusammenfinden.


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