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Fünftes Kapitel.

Wenn der alte Erderschütterer Vesuv seines friedlichen Schlummers müde wird und mit plötzlich ausbrechender Wuth viele Stunden weit durch die Nacht seine Brandfackel leuchten läßt, daß rings in Purpur schimmern

Von Capri die Marina,
Der Hafen Napoli's und Mergellina,

wird nicht nur die Hütte des ärmsten Winzers vom Wiederschein der hohen Glut geröthet, sondern es rührt sich auch in dem Brunnen hinter derselben das Wasser, und ein zeichenkundiger Mann vermöchte die Stärke der Erschütterung an dem Kochen und Brodeln der eng ummauerten Welle so sicher zu erkennen, wie an dem Branden des offenen Meers, das den Fuß der versunkenen Städte umspült.

So spiegelt sich auch im Leben unscheinbarer Sterblicher der Wechsel des Lichts, das von unsterblichen, weltbewegenden Thaten und Leiden ausstrahlt, und es wäre keine geringe Aufgabe, der Signatur einer solchen Zeit nicht bloß auf den Schlachtfeldern, sondern in den Häusern und Hütten der Zurückgebliebenen nachzuspüren. Eine Psychologie des Krieges, die wir von einem Berufneren erwarten, wird auch diese Rückseite der Denkmünze scharf und treffend auszuprägen haben. Der Roman aber tritt bescheiden zurück, wo sein älterer Bruder, das Epos, in schimmernder Rüstung und mit waffenklirrendem Gang einmal wieder den Schauplatz der Welt beschritten hat. Wo jedes Einzelgeschick so gewaltig von den Schicksalen der Nation verschlungen wurde, würden wir unseren Freunden, deren Abenteuer wir erzählt, ein bedenkliches Zeugniß ausstellen, wenn wir sie mit sich selbst, ihren persönlichen Zwecken, Aufgaben und Interessen beschäftigt zeigten. Daß auch von ihnen ein Jeglicher nach seiner Art und Begabung sich wacker hielt, hat der Brief Angelicas uns schon verrathen. Um so mehr thut es uns leid, die treffliche Schreiberin selbst nicht ganz auf der Höhe der Zeit zu finden.

Zwar fiel es auch ihr nicht ein, es zu beklagen, daß der paradiesische Zustand eines vom Weltlärm abgekehrten Künstlerlebens, wo der schöne Schein das höchste Ziel alles Strebens ist und Das allein ein Recht zum Dasein hat, »was sich nie und nirgend hat begeben«, nun plötzlich zerstört und einer harten, schonungslosen Wirklichkeit gewichen war. Im Großen und Ganzen hatte sie ein warmes Gefühl für die Größe der weltgeschichtlichen Entscheidung, und es erfüllte sie mit begeisterter Freude, zu sehen, wie ernst es Alle, die ihr nahe standen, gleich dem gesammten Volk mit dem alten Worte nahmen, daß man aus der Noth eine Tugend machen müsse.

Gleichwohl gelang es ihr nicht, die heroische Stimmung, die selbst die Schwächeren mit fortriß, durch die lange Zeit der Prüfung in ihrer sonst so tapferen Seele festzuhalten.

Noch beim Abschiede von Rosenbusch hatte sie sich stark genug gezeigt. Sie fühlte es als ihre Pflicht, dem Scheidenden das Herz nicht schwer zu machen, sondern ihm in ihrer eigenen Person ein Musterbild aufzustellen, wie man seine Lieblingswünsche auf dem Altar des Vaterlandes mit lächelnder Größe zum Opfer bringen soll. Aber dieses Paete, non dolet rächte sich an ihr. Kaum sah sie sich allein, so machte sie sich's selbst zum Vorwurf, daß sie eine unweibliche Härte und Strenge geheuchelt habe, die den zartfühlenden Freund eher von ihr abschrecken, als ihr fester verbinden müsse. Sofort schrieb sie ihm einen langen Brief, worin sie ihm zum ersten Mal ohne alle Clauseln ihre zärtliche Liebe gestand, ihm die rührendsten Bitten aussprach, sein Leben nicht leichtsinnig auszusetzen, alle ihre Recepte gegen Rheumatismen, Magenkatarrh und wundgelaufene Füße mitschickte und ihn beschwor, ihr wenigstens jede Woche einmal ein Lebenszeichen zu geben.

Diese seine wöchentlichen Briefe waren nun das Einzige, wofür sie noch zu leben schien, abgesehen von der mehr mechanischen Geschäftigkeit, mit der sie sich den Liebeswerken in Frauenvereinen und auf ihre eigene Hand hingab. Sie ließ sich auch bei den Freunden nur sehen, so oft ein solcher Feldpostbrief eben eingetroffen war, kam dann mit freuderothen Wangen zu dem alten Schöpf gelaufen, um zu berichten, wie es Rosenbusch und Elfinger ergehe, ließ sich auf den Specialkarten, die Rossel in die Wohnung des Alten gebracht hatte, den Punkt genau bezeichnen, wo ihr Geliebter jetzt sich befinden müsse, hatte aber für alles Andere nur ein geringes Interesse, wie sie denn auch ihren Humor gänzlich verloren zu haben schien. Sie wurde nur amüsant, wenn sie auf die Franctireurs und die Tücke der Einwohner zu sprechen kam, von denen sie ihren Freund beständig überfallen, ausgeplündert, mißhandelt oder gar getödtet sah, trotz des rothen Kreuzes im weißen Felde, das sie ihm selbst verfertigt und an den Rockärmel festgenäht hatte. Sie erging sich dann in so drolligen Verwünschungen des welschen Volkscharakters und erzählte von ihrer eigenen Feigheit und Gespenstersichtigkeit, besonders in den Nächten, so unglaubliche Beispiele, daß sie endlich in das Lachen der Anderen mit einstimmen mußte und etwas erleichterten Herzens nach Hause ging.

Einen Pinsel hat sie in dieser ganzen Kriegszeit nicht angerührt. Da Niemand Blumenstücke begehrte, war es eine offenbare Ersparniß, wenn sie die Leinewand lieber verschnitt, vernähte und verzupfte, als Oelfarben darauf verquistete.

Von den Feldpostbriefen, die ihr barmherziger Freund ihr schrieb, ließ sie keinen je in andere Hände kommen. Es seien Liebesbriefe, behauptete sie, die nur ihr allein gehörten, keine Zeitungsblätter. Nur einen einzigen riß sie sich vom Herzen, um damit ihrer Freundin in Florenz eine Weihnachtsfreude zu machen, da Julie wußte, daß sie nichts Theureres auf der Welt besaß und wegzuschenken hatte, als solch' eine Lebens- und Liebes-Urkunde von der Hand ihres Verlobten. Daß diese Epistel weniger zärtlich klinge, als die anderen, erklärte sie Julien dadurch, daß noch ein Extrablättchen in Prosa dabeigelegen habe, auf welchem die intimeren Herzensangelegenheiten verhandelt würden. Getreu dem tiefsinnigen Ausspruche Elfingers: »Je stärker die Liebe, je schwächer die Verse« – hatte sich unser Liebender wohl gehütet, seine eigentlichen Liebesbriefe in Reimen abzufassen, was Angelica ihm im Stillen Dank wußte.

Diesem Weihnachtsbrief aber wollen wir ein eigenes Kapitel einräumen.


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