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Drittes Kapitel.

Um dies zu erklären, müssen wir ein Geheimniß enthüllen, das unsere Künstlerin bisher sorgfältig vor Jedermann und, so gut es anging, vor sich selbst gehütet hatte.

Das Schicksal des einzigen Menschen, mit dem ihre friedfertige Seele immer auf dem Kriegsfuße stand, und der, wie es schien, keine von all den Eigenschaften besaß, durch die man sich sonst ihre Liebe und Bewunderung erwerben konnte, war im Laufe der Zeit ihr so wichtig geworden, daß ihr eigenes Wohl und Wehe und selbst ein so großes Glück, wie das ihr jetzt dargebotene, unbedenklich dagegen zurückstehen mußten.

Daß heftiger Haß in heiße Liebe umschlägt, ist eine Thatsache, die nicht mehr wunderbar erscheint. Aber die Verwandlung einer ganz ehrlichen und offenbaren Geringschätzung in ihr Gegentheil, ohne daß der Gegenstand dieser widerstreitenden Gefühle sich selbst sonderlich verändert hätte, bleibt ein schwerer zu ergründendes Räthsel. Zumal diese Geringschätzung ihres Nachbarn sich gar nicht gegen seinen Charakter als Künstler und Mensch kehrte, dessen achtbare Eigenschaften ihr mit der Zeit klarer werden konnten, sondern auf Widerspruch des Geschlechts-Charakters beruhte, der ihr auf die verkehrteste Weise zwischen ihnen Beiden ausgetauscht schien. So wenig sie selbst vom Mannweib in sich hatte, so fühlte sie sich dennoch Rosenbusch gegenüber als die Stärkere, Resolutere, Mannhaftere, und da sie ein großes Bedürfniß nach Hingebung an etwas Höheres und Stärkeres hatte, wäre ihr nichts lächerlicher erschienen, als der Gedanke, ihr flöteblasender, verskritzelnder und sich wie ein bärtiges Mädchen mit Sammt und Seide putzender Kunstgenüsse könne ihr je gefährlich werden.

Als daher seit jenem geraubten Kuß in der Weihnachts-Mitternacht, so unschuldig derselbe war, das Bild des Räubers ihr öfter als zuvor gegenübertrat, wobei ihr jedesmal ein gewisser verschämter Schrecken durch das jungfräuliche Blut lief, wehrte sie sich mit aller Macht gegen diese Schwäche und gab sich Mühe, die Fehler und Thorheiten des leichtsinnigen Verführers vor sich selbst zu übertreiben. Dabei beschäftigte sie sich aber ungewöhnlich viel mit ihm und ertappte sich darauf, seine löblichen Eigenschaften mit weit größerer Vorliebe zu studiren, als seine belächelnswerthen. Es blieb ihr ja auch leider überflüssige Zeit zu diesen Studien, da sie, wie Schnetz sich ausdrückte, seit Jansen's und Juliens Abreise Vergötterungsferien hatte. Und nicht das Wenigste, ihre Seele zärtlicher zu stimmen, trug endlich noch die gerechte Sorge bei, es stehe mit ihrem Wandnachbarn übel und könne, wenn man ihm nicht zu Hülfe komme, eines schönen Tages ein schlimmes Ende mit ihm nehmen.

Sie athmete ordentlich erleichtert auf, als sie dahinter kam, daß er hungerte und fror, und fing sofort an, ganz fröhlich darüber nachzudenken, wie ihm zu helfen wäre. Den Freunden etwas davon zu sagen, hütete sie sich sorgfältig. Nur ihr allein sollte er seine Rettung verdanken und nicht einmal eine Ahnung davon haben. Sie selbst schwamm nicht gerade im Ueberfluß; was sie verdiente, reichte nur eben hin, sie anständig durch die Welt zu bringen, da sie in ihrer Kunst alles Schwindelhafte verabscheute und streng gegen sich selbst war. Mehr als einmal hatte sie ein Bild, mit welchem die Besteller wohlzufrieden waren, zurückgenommen, da es ihr selbst nicht genügte.

Aber die unheimlich lustige Miene, mit welcher Rosenbusch ihr auf der Treppe begegnete, die ängstliche Stille nebenan, wo der Ofen nicht mehr sein Morgenlied sang, noch die Flöte den Mäusen zum Tanz aufspielte, schnitten ihr so ins Herz, daß sie sich nicht gescheut hätte, sogar Schulden zu machen, um den alten Freund vor dem Bankerott zu bewahren.

Es war im April, an einem sonnigen Morgen; sie hatte Fränzchen und seine Pflegemutter auf die Eisenbahn begleitet und somit das Letzte hergegeben, wofür sie noch schwärmen konnte; nun ging sie langsam nach dem Atelier, fest entschlossen, ihren einzigen Trost in der Kunst zu suchen. Aber oben angelangt, wo schon eine frische Leinwand ihrer wartete, irrte sie sich in der Thür und klopfte, statt in ihre eigene Werkstatt zu gehen, bei dem Schlachtenmaler an, den sie seit mehreren Tagen nicht mehr zu Gesicht bekommen hatte.

Rosenbusch erkannte ihr Klopfen wohl. Er behauptete immer, es sei schade, daß sie nicht Klavier spiele, sie habe einen so vortrefflichen Anschlag. Doch schien er nicht geneigt, sie einzulassen; wenigstens mußte sie dreimal pochen und Hineinrufen, es helfe ihm nichts, er könne sich nicht mehr verleugnen, sie habe ihn durchs Schlüsselloch sitzen sehen und müsse auf zehn Minuten hinein, da sie eine Bestellung für ihn habe: da erst erhob er sich langsam, schlich seufzend zur Thür und schob den Riegel zurück.

Sie warf beim Eintritt verstohlen einen Blick über die kahlen Wände des kellerhaft frostigen Raumes und über den verkümmerten Insassen, der, wie ein Käfer im Regen seine Flügeldecke, das Plaid fest um den Leib geschlagen hatte und mit dem spitzen, verhungerten Näschen einen wehmüthigen Versuch machte, keck und vergnügt auszusehen.

Was machen Sie denn für ein Ecce homo-Gesicht? sagte sie in ihrem gewöhnlichen barschen Ton, der ihr jetzt sehr zu Stätten kam, ihre Bewegung zu verbergen. Sie sollten sich schämen, Herr von Röschen, bei dem himmlischen Wetter hier im Winkel zu sitzen und zu melancholisiren. Kalt ist es hier auch, daß einem das Oel am Pinsel einfrieren muß. Aber freilich, Sie malen ja auch nicht. Sie haben einmal wieder einen acuten Anfall Ihrer chronischen Trägheit. Oder sind Sie krank?

Sie irren, verehrte Gönnerin, sagte Rosenbusch mit seinem silbernen Tenor, der aber ein bischen anbrüchig klang. Mir ist ganz wohl, bis auf eine gewisse Nervosität, die bei Künstlern sich häufig findet, Atrophie des nervus rerum nennen es die Männer der Wissenschaft. Uebrigens sitze ich hier nicht so unthätig, wie Sie vielleicht denken: ich componire an meinem großen Bilde und habe mir in letzter Zeit angewöhnt, alle Bilder erst im Kopf ganz fertig zu machen, bis auf das letzte Glanzlicht auf der Nasenspitze eines Troßbuben. Man spart unglaublich viel Farbe, die man sonst bei dem ewigen Wiederabkratzen vergeudet. Sie sollten's auch einmal auf die Art probiren, Angelica.

Ich danke. Jeder hat seine Manier, und ich fange erst auf der Leinwand an, Einfälle zu kriegen. Aber hören Sie, Rosenbusch, nimmt dieses trockne Im-Kopf-malen alle Ihre Zeit in Anspruch? Könnten Sie nicht ein paar Stunden des Tags erübrigen für eine Nebenarbeit? Eine junge Offizierswittwe hat das Porträt ihres bei Kissingen gefallenen Gatten bei mir bestellt, in einem Kranz von Lorbeern, Cypressen und Passionsblumen, unter uns gesagt, eine recht stammbuchsmäßige Idee. Denken Sie nur: der Selige zu Pferde, im Hintergründe die Stadt, und der Kranz ganz ungenirt drum herum, wie der Schnittlauch um eine Schüssel Kraut mit Würsten. Ich habe einige zarte Winke fallen lassen, ob es sich nicht vielleicht besser ausnähme, wenn man den Kranz wegließe oder höchstens das Brustbild des Verklärten hineinmalte. Aber das Pferd darf nicht wegbleiben; es habe, behauptet die Wittwe, gleichsam zur Familie gehört, ein schöner Brauner mit einem weißen Stern, und sei ebenfalls an den Folgen einer Verwundung crepirt. Da die Zeiten schlecht sind und die Dame den Preis, den ich forderte, gar nicht hoch fand, habe ich's angenommen. Ich sagte mir gleich: es ist ein Unsinn; die Pferde, die du malst, sehn ungefähr wie Nilpferde aus, also kannst du's ohne Rosenbusch's Hülfe nicht fertig bringen, und da Der jetzt sein großes Bild malt – aber freilich, da Sie's erst im Kopf untermalen –

Sie wandte sich ab, damit er den schlauen Zug nicht sähe, der über ihr rundes Gesicht blitzte. In seiner leiblichen und gemüthlichen Verkümmerung war ihm aber jeder Scharfblick abhanden gekommen.

Sie wissen, Angelica, sagte er, daß ich die Alexanderschlacht malen könnte und für Sie immer noch Zeit hätte. Auch wird der eine Gaul keine Hexerei sein. Ich werde ihn mit aufgesperrten Nüstern nach dem Kranz schnuppern lassen, wie wenn ihm die Lorbeern, die seinem Herrn winken, Appetit machten. Dergleichen symbolische Beziehungen können dem dümmsten Bild einen interessanten Anstrich geben.

Sie werden die Güte haben, alle schlechten Späße bei Seite zu lassen. Die Sache ist ernsthaft, das Bild soll auf einer Art Hausaltar im Schlafzimmer der Wittwe ausgestellt und eine ewige Nachtlampe davor angezündet werden. Sie übernehmen also das Figürliche, natürlich auch das Porträt des Offiziers, – eine Photographie, auch von dem Pferde, wird mir heute noch zugeschickt werden; ich male dann den Kranz herum, und wir theilen uns redlich in den Ruhm und das Geld.

Sie hatte das Doppelte der Summe genannt, die sie gefordert hatte. Denn sie war entschlossen, ihm das Ganze zu überlassen, was in seiner jetzigen Lage immerhin nicht unbeträchtlich war. Aber zu ihrem Schrecken zeigte er nicht die geringste Freude über die unverhoffte Einnahme.

Liebe Freundin, sagte er, die beiden Seligen werden gemalt, und ich verspreche Ihnen, sie sollen einem gefallenen Helden und seinem verklärten Schlachtroß so ähnlich sehen, wie eine trauernde Wittwe es nur irgend wünschen kann. Auch will ich, wenn Sie durchaus darauf bestehen, mein Monogramm auf die Schabracke des Gauls malen, damit wir Beide in der Kunstgeschichte zusammen figuriren, wie Rubens und der Blumenbreughel. Das Geld aber müssen Sie allein einnehmen. Freundschaftsdienste, zumal gegen eine Dame, und vollends gegen eine verehrte Gönnerin und Hausgenossin, lasse ich mir nicht mit schnödem Golde bezahlen. Uebrigens können wir gleich anfangen; ich bin mit meiner Composition – zumal ich etwas Schnupfen habe – und da man auch zuletzt dumm wird vor lauter guten Gedanken – wenn es also gefällig wäre –

Er näherte sich ihr mit zierlich gebogenem Arm, um sie in ihr Atelier hinüberzubegleiten.

Angelica kannte ihn hinlänglich, um zu wissen, daß nichts in der Welt ihn von diesem Vorsatz zurückbringen würde, und da Alles, was ritterlich in seinem Wesen war, ihrer stillen Neigung schmeichelte, unterließ sie jede Einwendung. Sie wollte es schon durchsetzen, ihn für seine Mühe schadlos zu halten, ohne seine Courtoisie zu kränken, und zunächst war viel damit gewonnen, daß er überhaupt wieder an eine Arbeit ging und in einen geheizten Raum kam.

Hier mußte er sich nun freilich aus seinem Plaid herausschälen und erschien in dem unglücklichen Frack, der, für Rossel's »schwellende Formen« berechnet, sehr putzig um seine eingeschnurrten Gliedmaßen herumhing. Er kam aber nicht dadurch in Verlegenheit, sondern setzte der Freundin ganz ernsthaft den Vortheil zu weiter Kleidungsstücke auseinander. Im Sommer seien sie luftig, da sich der Wind darin verfange; im Winter enthielten sie einen größeren Vorrath von erwärmter Luft, gleichsam eine bewegliche Luftwattirung zwischen dem Körper und der Tuchhülle, während sie in ungeheizten Räumen durch die größere Menge an Stoff, besonders durch ein Plaid zusammengedrückt, viel erwärmender wirkten. Er hielt diesen Vortrag bei einer Tasse Thee, die Angelica bereitet hatte, und die offenbar auch seinem inneren Menschen die lang entbehrte Wärme wiedergab. Da er nun überhaupt niemals thätiger war, als wenn er für Andere arbeitete, so war die Composition des Reiterbildes in wenigen Stunden vollständig ausgezeichnet und so geschickt in Angelica's Blumengewinde hineingefügt, daß sich das Ganze, wie Angelica sagte, »noch toll genug« ausnahm, und sofort auch mit der Untermalung begonnen werden konnte.

Ueber dieser gemeinschaftlichen Arbeit, die Beiden großes Vergnügen machte und zu unerschöpflichen Scherzreden Gelegenheit bot, war die Mittagsstunde unvermerkt verstrichen. Angelica schlug vor, heute auf ihrem Atelier zu speisen, wogegen Rosenbusch nichts einzuwenden hatte. Sie schickte den Hausmeister mit einigen geheimen Aufträgen fort und hatte in kurzer Zeit ein so treffliches Mahl improvisirt, daß Rosenbusch in große Begeisterung ausbrach und mit Emphase seine Lieblingsstelle aus Voßen's Luise declamirte:

Säße bei solchem Mahle der Ländlichkeit selbst auch der Kaiser
Und er sehnte sich ekel zurück nach den Künsten des Mundkochs,
Traun, er verdiente doch gleich an Seel' und Leib zu verhungern.


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