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Sechstes Buch.

Erstes Kapitel.

Das neue Jahr war angebrochen, ohne viel Neues zu bringen.

Gegen Mitte Januars, an einem Tage, wo ein weicher Schnee in großen Flocken herabfiel, hielt der Wagen der alten Gräfin schon eine ganze Stunde vor dem Hôtel, wo Irene mit dem Onkel wohnte. Der Kutscher, in seinen hochschultrigen Bärenpelz vergraben, war eingenickt, die Pferde ließen die Köpfe hangen und über sich hereinschneien, was vom Himmel wollte. Aber eher schien der lautlose Flockenfall sich erschöpfen zu wollen, als das Gestöber von deutschen und französischen Vocabeln, mit welchem die lebhafte alte Dame das zerstreut zuhörende Freifräulein überschüttete.

Der Onkel hatte sich in eine Fensternische zurückgezogen und blätterte in einem illustrirten Jagdbuche; nur dann und wann warf er ein Wort dazwischen, eine Frage nach diesem oder jenem Bekannten, die der Gräfin sofort Anlaß bot, ein neues Kapitel ihrer Stadtchronik anzufangen.

Als jetzt der Oberlieutnant gemeldet wurde, entfuhr Irenen ein freudiges »Ah!« Sie fand heut seine von Schnee starrenden Reitstiefel und den zottigen alten Winterrock, in den er vermummt war, nicht so abschreckend wie sonst, sondern begrüßte ihn als Retter in der Noth und streckte ihm mit einem dankbaren Lächeln die Hand entgegen, die er kräftig zwischen seinen derben gemsledernen Handschuhen drückte.

Dennoch betrog er ihre Hoffnung, da er sich schweigsam in einen Sessel warf, die Beine lang vor sich hin streckte und mit dem Reitstöckchen tactmäßig an seine hohen Stiefel klopfte, während die alte Dame den abgerissenen Faden ihrer Mittheilungen eifrig fortspann.

Diese drehten sich hauptsächlich um den Festkalender der großen Welt, die Bälle, Soiréen, Routs und französischen Dilettanten-Vorstellungen bei dem und jenem Gesandten. Auch die Frage, ob Hofbälle bevorständen und wie viele, wurde mit großem Eifer und Rückblicken auf frühere Zeiten, wo die gute Dame bei Hof als eine Schönheit gefeiert worden war, ausführlich abgehandelt.

Plötzlich aber schien es ihr doch aufzufallen, daß sie ganz allein sprach.

Mais savez-vous, mon cher Schnetz, wandte sie sich zu diesem, que vous avez une mine à faire peur? Je ne parle pas de votre toilette – in diesem Punkte haben Sie uns nie verwöhnt. Aber während ich unsre Irene in das Programm ihrer Münchner Winterfreuden einweihe – denn in die Cholera und das abscheuliche Räuberland, wo man unsrer Religion und dem heiligen Vater das Messer an die Kehle setzt, lassen wir sie auf keinen Fall reisen, – sitzen Sie da wie »Hippokrates«, le dieu du silence, et on voit bien, que vous vous moquez intérieurement de tous ces plaisirs innocents. Natürlich, über das Tanzen sind die Herren heutzutage blasirt. Aber wenn Sie selbst auch an Carnevalsfreuden keinen Geschmack mehr finden –

Sie sind sehr im Irrthum, meine theure Gräfin, unterbrach sie Schnetz ernsthaft. Ich bin so wenig den Freuden des Tanzes abhold, daß ich sogar heut über vier Tage eine ganze Nacht durchzutanzen denke, vorausgesetzt, daß ich eine Tänzerin finde, die es mit einem solchen Tanzbären wagen will.

Heut über vier Tage? Vous plaisantez, mon ami. Wo wäre denn heut über vier Tage ein Ball?

Nicht in den höheren Sphären, meine Gnädige, aber doch ein ganz ordentlicher und anständiger Ball, sogar in Masken, die allein schon der Mühe werth sind, den Ball mitzumachen. Wir eröffnen nämlich – damit wandte er sich an Irene – am Samstag den Carneval in unserm Paradiese, von dem ich Ihnen schon erzählt habe. Sie entsinnen sich wohl noch des jungen Freiherrn, der auf dem See damals unsern Kahn ins Schlepptau nahm und hernach mit dem Mordbuben aneinander gerieth. Der will fort, nach Amerika – Niemand weiß so recht warum; aber da wir ihn Alle gern haben, möchten wir ihm noch ein solennes Abschiedsfest veranstalten. Maskeraden, wie wir sie zu Stande bringen, sieht er doch in allen fünf Welttheilen nicht wieder.

Eine kleine Pause folgte auf diese Worte. Irene war todtenbleich geworden, der Athem schien ihr plötzlich stillzustehen; der Onkel legte das Jagd-Album aus der Hand und stand auf, wobei er Schnetz heimlich auf den Fuß trat. Dieser schien ganz harmlos sich mit seiner großen silbernen Uhrkette zu beschäftigen, an der ein Eberzahn, ein paar »Hirschkrandeln« und ein großer Siegelring befestigt waren.

Comment? sagte die alte Dame, nach Amerika will er? C'est drôle – und in dieser Jahreszeit – au coeur de l'hiver – und ich hatte Sie schon bitten wollen, lieber Schnetz, mir den jungen Mann zu bringen – er sieht ganz danach aus, als ob er ein brillanter Tänzer wäre, und seiner Geburt und Bildung nach würde er doch wohl auch die Bälle in der Gesellschaft den Tanzvergnügungen vorziehen, die Ihre Künstlerfreunde veranstalten können.

Letzteres ist sehr die Frage, Frau Gräfin, versetzte Schnetz trocken, indem er sich das verstümmelte Ohrläppchen rieb; oder vielmehr: wie ich ihn kenne, ist es durchaus nicht die Frage. Mein Freund hat einen viel zu vorurtheilsfreien Geschmack, um erst im Adelslexikon nachzuschlagen, ob er sich amüsiren darf oder nicht, und ob die feurigen Augen einer flotten Tänzerin allenfalls courfähig wären. Von dem, was Sie »die Gesellschaft« zu nennen belieben, hat er hinlängliche Proben gesehen, um ihr ohne Regrets den Rücken zu kehren. Er sucht sich jetzt seine Gesellschaft, wo er sie findet: wenn es zufällig die sogenannte »schlechte« ist – für einen Carnevalsabend ist sie ihm gut genug, schon darum, weil sie nicht die sogenannte »gute« ist, die, wie ein bekannter Geheimrath in Weimar boshaft bemerkt hat, nur darum so heißt, »weil sie zum kleinsten Gedicht keine Gelegenheit giebt.«

Toujours le même frondeur! lachte die alte Dame. Mais on doit pourtant observer les convenances; – ich meine, wenn Ihr Freund sich auch einmal zu dieser Bohème herabläßt, wie Sie selbst es thun, –

Schnetz räusperte sich stark. Von einer Herablassung, sagte er mit Nachdruck, ist hier so wenig die Rede, daß ich Ihnen versichern kann: wenn die hoffähigsten Mitglieder Ihrer exclusiven »Gesellschaft« sich zur Aufnahme in dieses Paradies meldeten, sie würden mit wenigen Ausnahmen hinausballotirt werden. Dies in Betreff der Herren. Unsere weiblichen Gäste – sollten sie auch vor zarten Damenaugen nicht immer Gnade finden – so viel wenigstens kann ich von ihnen rühmen, daß sie sich unter uns ganz anständig aufführen und durchaus die Convenancen zu beobachten wissen. Wenn dies nicht der Fall wäre, glauben Sie, daß ich es wagen würde, das gnädige Fräulein zu diesem Maskenball im Paradiese einzuladen, was der Anlaß meines heutigen Besuches war?

Irene? Nun das gesteh' ich, Schnetz – c'est l'idée la plus extravagante que vous ayez jamais eue. Irene, qu'en dites-vous, ma chère enfant? Mais c'est une idée –

Es ist nämlich, wandte sich Schnetz an Irene, ohne auf die Unterbrechung zu achten, jedem Mitgliede erlaubt, eine Dame mitzubringen, gleichviel, ob sie den Andern bekannt ist oder nicht. Daß sie sich schicklich beträgt, dafür hat ihr Cavalier der Gesellschaft einzustehen. Auch hat bisher noch Jeder in seiner Wahl so viel Tact bewiesen, daß nie etwas Scandalöses vorfiel. Die guten Kinder sind natürlich von sehr verschiedener Bildung und Herkunft, wackere Bürgerstöchter, Vorstadt-Schauspielerinnen, auch wohl eine kleine Nähterin oder Putzmacherin darunter, für deren unerschütterliche Grundsätze ich keine Bürgschaft übernehmen möchte. Aber in der Maske gleichen sich diese Unterschiede aus, und man sieht nichts als die hübschen, munteren Gesichter, von ihren künstlerischen Freunden so reizend als möglich herausstaffirt. So etwas einmal mit erlebt zu haben, mein gnädiges Fräulein, wird Ihnen eine unvergeßlichere Erinnerung sein, als die parfümirten Routs unserer Aristokratie, die ohne Witz und Behagen verlaufen und von denen einer wie der andere aussieht.

Uebrigens, fuhr er fort, als Irene noch immer kein Zeichen der Zustimmung oder Ablehnung gab, Sie dürfen sich gar nicht geniren. Sollte es Ihnen unter uns Bohémiens nicht behagen, so betrachten Sie die Sache wie ein Schauspiel, dessen Ende man nicht abwartet, wenn es einen langweilt oder verstimmt. Ich kann Ihnen nur sagen, daß auch Jansen's heimliche Verlobte kommen will und unsere biedere Freundin Angelica, so daß es Ihnen an einer Ehrengarde nicht fehlen wird. Helfen Sie mir doch, Gräfin, dem gnädigen Fräulein zureden. Der gestrenge Herr Onkel, wie ich ihn kenne, hat sicher nichts dagegen.

Ich Ihnen helfen, Sie gottloser Verführer der Jugend? rief die alte Dame zwischen Lachen und aufrichtigem Entsetzen. Mais décidément vous tournez à la folie, mon eher Schnetz! Haben Sie vergessen, daß ich, pour ainsi dire, eine geistige Mutterstelle bei unserer Irene vertrete, daß ich mich verantwortlich fühle für alle Eindrücke und Erlebnisse, die ihr in unserem München begegnen könnten? Und ich sollte ihr zureden, in eine Gesellschaft zu gehen, wo Frauenzimmer de la plus basse extraction, Ladenmamsells, Grisetten und Modelle – in eine Gesellschaft, mit Einem Wort, die, so amüsant sie sein mag und so sehr ihr bösen Männer sie der unseren vorziehen mögt, doch jedenfalls völlig mauvais genre ist?

Auf Schnetz' Gesicht hatte während dieser hastig herausgesprudelten Rede ein sonderbares Wetterleuchten von Zorn, Mitleid und ingrimmigem Hohn hin und her gezuckt. Als die alte Dame jetzt schwieg und Irenen mit überfließender Zärtlichkeit, wie ein armes, vor den Fängen des Geiers zu schützendes Küchlein in ihre Arme ziehen wollte, stand der Oberlieutnant langsam auf, kreuzte, dem Sopha gegenüber sich hinpflanzend, die Arme über der Brust und sagte, jedes Wort mit einem gewissen trocknen Behagen hervorstoßend:

Sie sind zu alt, meine Gnädige, und überdies durch die Hofluft dermaßen petrificirt, daß ich nicht hoffen darf, an Ihren Begriffen von Welt und Menschen noch irgend Etwas zu ändern. Aber ich möchte Sie höflichst ersuchen, das Wort mauvais genre nicht von einer Gesellschaft zu gebrauchen, in die ich mir die Ehre gebe Fräulein Irene einzuladen. Es ist gegen meine Grundsätze, junge Damen, die ich hochschätze, in eine Umgebung zu bringen, wo etwas Unsittliches oder Gemeines sie beleidigen könnte. In diesem Punkte denke ich exclusiver als Sie, trotz Ihrer geistigen Mutterpflichten. Ich habe, so lange ich noch die »Gesellschaft« besuchte, die hier unzweifelhaft weder besser noch schlimmer ist, als in anderen Residenzstädten, Ballgespräche mitangehört, wie sie in unserem nicht eben prüden Paradiese nicht einmal durch die Maskenfreiheit entschuldigt werden würden; allerdings war die Conversation in glattes Französisch und noch glattere Zweideutigkeiten gehüllt, was natürlich macht, daß man sie bon genre findet. Dies sind nur Worte. Wenn wir vollends die Handlungen dieser haute extraction auf ihre Moralität ansehen – nun, Sie selbst führen ja lange genug die Chronik, um zu wissen, daß man sehr hoffähig sein und doch, was Freiheit der Grundsätze betrifft, es mit mancher Grisette, ja sogar mit manchem Modell ausnehmen kann, und daß das blaue Blut so gut mit dem schwachen Geschlecht durchzugehen pflegt, wie das rothe. Die Herren vollends – denen Sie Fräulein Irene dort unbedenklich einen ganzen Cotillon hindurch anvertrauen würden, – soll ich Sie an gewisse Geschichten erinnern, die Ihren eigenen Tänzern begegnet sind? An Baron £ zum Beispiel, der … Hier bog er sich zu der alten Dame hinab und wisperte ihr eine geraume Zeit ins Ohr, so drollige Bemühungen sie machte, sich dieser seltsamen aufgedrungenen Ohrenbeichte zu erwehren. Mais vouts êtes affreux! rief sie endlich und schlug mit dem Taschentuch nach ihm, wie man sich eines zudringlichen Mückenschwarms zu entledigen sucht.

Ich bitte tausendmal um Verzeihung, brummte Schnetz, indem er sich wieder zu Irene wandte. C'est contre la bienséance, de chuchoter en société, – Sie sehen, ich habe meinen Katechismus der Wohlerzogenheit noch nicht ganz vergessen, wenn ich auch einmal dagegen sündige. Ich mußte die Frau Gräfin nur davon überzeugen, daß die Bohème, aus der ich mir meine Freunde gewählt habe, zwar auch aus Menschen besteht, und nicht aus Engeln, daß ich aber das gnädige Fräulein mit Niemand dort bekannt machen könnte, von dem für die Cultur- und Sittengeschichte unserer guten Stadt so viel zu lernen wäre, wie von gewissen Mitgliedern der besten Kreise.

Die alte Gräfin erhob sich rasch. Ihr Gesicht war sehr geröthet, ihre Nasenflügel zitterten. Sie hüstelte ein wenig, und sagte dann, sich mit einem mütterlichen Lächeln zu Irenen wendend, die ihr behülflich war, ihren Sammtpelz umzunehmen:

Ce cher Schnetz, il a toujours le petit mot pour rire. Uebrigens, ma mignonne, faites ce que vous voudrez. Je m'en lave les mains. Adieu, Baron! A tantôt! Adieu, Schnetz, Sie Renegat, Sie abscheulicher Mensch! Es ist doch wahr, was die Welt sagt und was ich bisher immer bestritten habe, daß Sie die böseste Zunge in der ganzen Stadt sind.

Sie gab ihm im Hinausgehen einen kleinen Schlag, der schalkhaft sein sollte, aber mit so fester Hand geführt war, daß der Getroffene wohl merken konnte, wie gern diese Hand ihm eine deutlichere Lection ertheilt hätte, wenn der gute Ton es irgend erlaubt haben würde.


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