Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Alle guten Geister, Sie sind ja aber ein Dichter, Kohle! rief der Dicke und sprang mit einer so ungewohnten Behendigkeit auf, daß ihm der rothe Fez vom Kopfe glitt.
Ein Dichter? wiederholte der schüchterne Freund mit einem wehmüthigen Lächeln. Da sehen Sie nun, wohin wir heutzutage gekommen sind. Wenn sich Unsereiner einmal einfallen läßt, sich was einfallen zu lassen, was über einen pfeifenden Schusterjungen, eine badende Nymphe oder eine historische Haupt- und Staatsaction hinausgeht, gleich muß er sich »Dichter« schimpfen hören. Die alten Herren, die Dürer, Holbein, Mantegna und Andere, haben unbeschrieen zusammenfabeln dürfen, was sie sich Schönes oder Schnurriges ausheckten. Aber heutzutage ist Theilung der Arbeit die Losung, und wenn ein armer Narr von Pinsler oder Zeichner sich was ausdenkt, was allenfalls ein Poet in Verse bringen könnte, gleich kommt man mit Lessing's Laokoon gelaufen, den Notabene kein Hund mehr liest, und beweist, daß hier eine völlig unerlaubte Grenzüberschreitung begangen sei. Wenn der Tropf von Maler Lust zur Poesie hat, – warum macht er sich nicht ans Illustriren? Das ist denn doch ein Gewerbe, das seinen Mann nährt und wobei man ein ganz hartgesottener Realist sein kann und sich selbst vor aller Ansteckung der Poesie aufs Beste in Acht nehmen. Aber so ein hochmüthiger Wicht von Idealisten, den die Welt nicht warm hält, der darum auf dem Herde seiner Kunst dafür sorgen muß, das heilige Feuer nicht ausgehen zu lassen –
Sie erhitzen sich ohne Noth, lieber Kohle! unterbrach ihn der Andere. Mein Himmel, es ist zwar eine brodlose Kunst, Dichter zu sein, obenein, wenn man eigentlich Maler sein sollte, aber eine Todsünde ist's auch nicht, und ich für meinen Theil, ich könnte Sie fast beneiden um solche Einfälle, wie Sie mir da eben einen erzählt haben. Wissen Sie was? Machen Sie Ihre Entwürfe fertig, und dann malen wir Beide diese schöne Geschichte von der Frau Venus an die Wände unseres Eßzimmers drinnen. Es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn wir da nicht was zu Stande brächten, was die Casa Bartoldi tief in Schatten stellte.
Er wußte, welch ein großes Wort er damit in die hochaufhorchende Seele seines Gastes geworfen hatte. Kohle verachtete wie alle Kunstjünger seiner Richtung die Staffelei- und Oelmalerei, wie sie gewöhnlich betrieben wird. Dagegen war es das höchste Ziel seiner Sehnsucht und seines Ehrgeizes, sich einmal mit dem Frescopinsel recht nach Herzenslust auf einer hundert Fuß langen Mauer austoben zu können, und die Freunde neckten ihn mit einem geflügelten Wort, das ihm einst entflohen war: »Mein Leben für eine nackte Wand!« Niemand hatte ihm bisher eine Quadratelle seines Hauses oder auch nur seiner Gartenmauer anvertrauen wollen. Und nun winkte ihm hier plötzlich die schönste Erfüllung seines Dranges nach »monumentaler Kunstschöpfung« in nächster Nähe!
Er konnte zuerst an sein überschwängliches Glück nicht glauben. Als aber der von frohem Schrecken und bangem Zweifel zitternde Blick, den er auf seinen Gastfreund warf, einer völlig ernsthaften Miene begegnete, litt es ihn nicht länger auf seinem Stuhl. Er sprang in die Höhe, ließ sein abgegriffenes schwarzes Hütchen hoch in die Luft fliegen und schickte sich eben an, mit ausgebreiteten Armen und glühendem Gesicht auf den langsam hin und her Wandelnden loszugehen. Bruder! rief er mit stockender Stimme – das – das –
Der Dicke stand plötzlich still und machte eine Bewegung mit der Hand, die den Begeisterten mitten in seiner stürmischen Erregung erstarren ließ. Es überfiel diesen jählings die Erinnerung an eine ähnliche Stunde, wo ihm sein Herz gegen den Freund übergewallt war und er schon Miene gemacht hatte, ihm in aller Form Brüderschaft anzutragen. Damals war ihm das Wort noch nicht über die Lippen gekommen, da Rossel gerade in demselben Augenblick, jedoch scheinbar absichtslos, von seinem Widerwillen gegen Zärtlichkeiten unter Männern angefangen und die brüderliche Annäherung zurückgescheucht hatte. Sollte auch jetzt das Eis zwischen ihnen noch nicht gebrochen, diese Erfüllung seines heißesten Lebenswunsches nichts Anderes sein, als eine gnädige Gönnerlaune des reichen Wirths gegen den armen Teufel, der die Füße unter seinen gastlichen Tisch streckte?
Seine reizbare, stolze Seele wollte sich eben aufbäumen, als Töne von fern an sein Ohr schlugen, die, wie er sogleich begriff, von Eduard schon vor ihm vernommen und die Ursache seiner abweisenden Geberde gewesen waren. Ein sanftes Flötenspiel drang über den See herüber und näherte sich gerade der Stelle des Ufers, wo Rossel's Landhäuschen stand.
Er ist es! sagte dieser. Solch einem romantischen Virtuosen ist selbst der Friede der Nacht nicht zu heilig, um Wehrlose zu überfallen. Sehen Sie nur, Kohle, da schwimmt der Kahn eben aus den Schatten in den hellen Silberstreifen des Mondes heraus – Röschen steht wie Lohengrin aufrecht in der Mitte, der Lange am Steuer wird Elfinger's heilige Stärke sein – sie kommen geradewegs auf unseren Altan zu – nun, der Wille der Götter geschehe!
Das Flötenspiel erstarb in einem schmelzenden Triller. Gleich darauf sprang Rosenbusch an Land.
Salem aleikum! rief er, seinen Hut schwenkend. Wir überrumpeln euch hier von der Seeseite, »der Noth gehorchend, nicht dem eignen Triebe«, denn in Starnberg ist für alles Gold Californiens kein Mausloch mehr aufzutreiben, wo zwei fahrende Leute eine Nacht lang ihr Haupt niederlegen könnten. Der Samstag und das schöne Wetter haben halb München herausgelockt. Ich dachte sogleich an dich, Dicker, und erklärte Elfinger, der es zudringlich fand, sich ohne besondere Einladung hier anzubiedern, daß du neben allerlei mir verhaßten morgenländischen Qualitäten auch drei höchst schätzbare besäßest: eine Anzahl überflüssiger Divans, einen vorzüglichen Kaffee und beduinenhafte Begriffe von Gastfreundschaft. Wenn also dein schattiges Dach nicht gerade einige Odalisken beherbergte, die sämmtliche Polster mit Beschlag belegt hätten, würdest du uns nicht von deiner Schwelle weisen. Im schlimmsten Fall kann es zwei munteren Juvenilen, wie wir, nichts verschlagen, einmal auf dem Boden eines Fischerboots zu übernachten.
Auf der Welle blinken
Tausend schwebende Sterne;
Weiche Nebel trinken
Rings die thürmende Ferne –
sang er nach selbsterfundener Melodie, den Blick nach dem duftverschleierten Gebirge gewendet.
Ihr seid willkommen unter meinem schlechten Dach, erwiederte Rossel gravitätisch, indem er dem bescheiden herantretenden Schauspieler, den er sehr schätzte, freundschaftlich die Hand schüttelte. Was an Divans vorhanden ist, steht euch zu Diensten, und auch an Decken ist kein Mangel. Nur hoff' ich zu eurem Heil, daß ihr die gröbere Leibesnothdurft bereits gestillt habt. Unser Tagesvorrath ist aufgezehrt und kein dienstbarer Geist vorhanden, etwa bei den Nachbarn herumzuforschen, ob uns eine milde Hand aushelfen will. Ich habe nur die alte Kathi draußen, und Diese –
Lebt sie noch, die ehrwürdige Jungfrau mit den Silberlocken, die an Kinder und Enkel denkt und das Haupt schüttelt? rief der Schlachtenmaler. Komm, Elfinger, es geziemt uns, der Herrin und Meisterin des Hauses unsere Huldigung darzubringen.
Ihr werdet euch damit bis morgen gedulden müssen, theures Röschen; die Alte hat sich in der Einsamkeit des langen Winters hier am See auf die Erzeugung von Enzianschnaps auf kaltem Wege verlegt und befleißigt sich den ganzen Sommer hindurch der Consumtion ihres eignen Fabrikates, so daß sie von acht Uhr Abends an zu nichts mehr zu gebrauchen ist. Das zärtlichste Flötenständchen würde sie nicht aus ihrem todähnlichen Enzianschlaf aufwecken. Wenn sie nicht über Tag leidlich bei Verstande, eine gute Köchin und treu wie ein alter Hund wäre, hätte ich sie längst in ein Spittel eingekauft.
Rosenbusch hatte indessen den Schiffer, den er nicht anders als den »Fergen« nannte, bezahlt und heimgeschickt und eilte nun die Stufen hinan dem Altane zu, wo er sich mit einem lustigen Jodelruf auf einen Stuhl warf und aus Kohle's halbgefülltem Glase den Anderen ein Hoch entgegentrank.
O wohl dem hochbeglückten Haus,
Wo das ist kleine Gabe!
rief er. Du sollst leben, theurer Westöstlicher! Wahrhaftig, Dicker, es giebt Momente, wo ich die Wahrheit des alten Spruches anerkenne und würdige: Weisheit ist gut, mit einem Erbgute! Wenn ich einen Fleck Erde mein nennte, wie diesen hier, ich wollte auch so weise sein, wie du, und am Verfall der modernen Kunst nicht ferner mitarbeiten. Oder nein, ich hielt's doch nicht aus, bloß meine Mäuse zu füttern und einer geistreichen Ruhe zu fröhnen. Indessen nichts mehr davon! Hier draußen ist Waffenstillstand und neutrales Gebiet, und ich weiß, was ich der Gastfreundschaft schuldig bin.
Da du selbst davon anfängst, sagte Rossel lächelnd, bitte ich nur um Eins. Ich habe eine Menge Singvögel hier im Garten und fürchte, du vertreibst sie mir, wenn du deiner verhängnißvollen musikalischen Leidenschaft den Zügel schießen lässest. Sie erkennen das überlegene Genie in dir und weichen der Concurrenz. Wenn du durchaus spielen mußt, rudere auf den See hinaus. Wir haben Südwestwind, der treibt die Klänge unschädlich nach Schloß Berg hinüber.
Sei's darum! versetzte der Schlachtenmaler ernsthaft. Auch werden wir dir überhaupt nicht lange auf dem Halse liegen. Denn morgen –
Er verstummte, da ihn Elfinger's Blick bedeutsam traf. Kohle war indessen in den Keller geeilt und kam mit ein paar schlanken Flaschen und dem Kühlgefäß, das er mit frischen Eis gefüllt hatte, zurück. Er hatte noch kein Wort gesprochen, glänzte aber über das ganze Gesicht vor innerem Behagen, wie man ihn selten zu sehen pflegte. Der Gedanke an die nackte Wand verklärte ihn, wie Andere das Glück einer heimlichen Liebe. Inzwischen war Elfinger wieder ans Ufer hinabgegangen, wo man auf einem schmalen Steg nach dem Badehüttchen gelangte. Bald sahen die droben Zurückgebliebenen ihn in den See hinausschwimmen, sein schwarzlockiges Haupt aus der breiten Silberfurche des Mondlichts herausragend – »wie der Kopf des Täufers auf der Schüssel der Herodias«, sagte Kohle.
Nur daß ihm etwas wohler dabei ist, als jenem armen Teufel, bemerkte Rosenbusch, der behaglich trank und rauchte. Ihr müßt wissen, wir hätten den verrückten Einfall nicht gehabt, mit der ganzen Münchener Völkerwanderung am Samstag Abend hier herauszupilgern, wenn uns nicht unsere Schätze den Weg gezeigt hätten. Papa Handschuhmacher hat ihnen erlaubt, eine Frau Pathe zu besuchen, die in Starnberg ihre Sommerfrische hält. Hiervon kriegten wir durch eine getreue Mittelsperson nicht sobald Wind, als wir selbstverständlich beide der Meinung waren, wir könnten den morgenden Feiertag nirgend besser heiligen, als hier draußen. Daß wir uns morgen zusammenfinden, dafür ist natürlich gesorgt. Wir nehmen dich als unsere Ehrenwache mit, Philipp Emanuel. Du hast hoffentlich nichts dagegen?
Durchaus nicht, erwiederte Kohle gutmüthig. Auf mein Theil wird natürlich die Frau Pathe kommen.
Und Elfinger's Schatz? Ist die kleine Himmelsbraut auch im Complot? fragte der Dicke, wieder in seinem Schaukelstuhl.
Darüber weiß man nichts Gewisses, aber jedenfalls setzt unser Freund große Hoffnungen auf diese Gunst des Glücks, die ihn zum ersten Mal mehrere Stunden lang in die Nähe seiner Liebsten bringen soll. Denkt nur, daß wir seit Kurzem auch dahinter gekommen sind, was eigentlich dem guten Kinde die Welt verleidet und sie mit aller Gewalt ins Kloster treibt.
Er warf einen Blick auf den See, als messe er die Entfernung zwischen dem Altan, wo sie saßen, und dem Schwimmer draußen.
Wenn ihr dicht halten könnt, will ich's euch verrathen, fuhr er mit gedämpfter Stimme fort. Es macht dem armen Ding im Grunde nur Ehre, daß sie fremde Schuld auf ihre eigenen Schultern nehmen und lebenslang abbüßen will. Papa Handschuhmacher nämlich scheint in jungen Jahren gar kein so lederner Patron gewesen zu sein, sondern ziemlich flott gelebt und nicht immer die saubersten Streiche verübt zu haben. Wie er nun aber jung verheirathet war, kommt eine Jesuitenmission in die Stadt oder sonst wo in die Nachbarschaft – darüber schweigen die Acten – und der junge Sünder, der doch schon im Ehestande hinlänglich Gelegenheit zu Reu' und Leid gehabt hatte, läßt sich von dem Pfaffen dermaßen das Gewissen umrütteln, daß er plötzlich den von Gott selbst eingesetzten Stand für eine arge Fleischessünde ansieht und ein abgeschmacktes Gelübde auf sich nimmt, das er auch richtig Jahr und Tag mit sich herumschleppt, so hart es ihn manchmal drücken mochte. Er habe, sagte unsere Gewährsmännin, die Gott weiß wie hinter den ganzen Handel kam, aber ums Himmelswillen nicht genannt sein möchte, – er habe damals nicht nur seine junge Frau vernachlässigt, sondern auch sein Geschäft, und sei zu nichts tauglich gewesen, als in die Kirchen zu laufen, auf den Knieen herumzurutschen und mit guten Werken, die ihn fast an den Bettelstab gebracht hätten, seine Seele von den angedrohten ewigen Höllenstrafen loszukaufen.
Nun, das Ding konnte so in alle Ewigkeit nicht fortgehen. Aber was das Unerhörteste und wahrhaft Tolle dabei war: um nur selber ein ganz sündlos heiliges Leben zu führen, willigte er stillschweigend ein – wenn er es nicht gar veranstaltet hat, – daß sein junges Weib, die einen sündhaften Gatten einem heiligen Strohmann bei Weitem vorzog, sich nach einem Ersatzmann umsah. Ja, lieber Philipp Emanuel, unter unserem Münchener Himmel gehen Dinge vor, von denen ihr jenseits der Mainlinie mit eurem fischblütigen Protestantismus euch nichts träumen laßt. Es ist eine völlig verbürgte Thatsache, daß diese brave Frau, die sich sonst vielleicht nichts Böses hätte einfallen lassen, sich nun auch nichts dabei dachte, wenn sie mit ihrem Mann und dem Dritten im Bunde, der ein schmucker und bescheidener junger Landschaftsmaler gewesen sein soll, einträchtiglich zu Nacht aß und der Ehemann dann sich das Licht anzündete, um in sein Zimmer zu gehen, wo er eine Art Hausaltar aufgebaut hatte, um bis nach Mitternacht dort auf den Knieen zu liegen und sein Fleisch zu kasteien, während seine Frau sich von dem Hausfreunde noch eine Weile unterhalten ließ.
Zur richtigen Zeit kam denn ein Mägdlein zur Welt, welches unser College noch über die Taufe hielt und, da er Franz hieß, Fanny benamsete. Damit aber hatte sein Vice-Regiment in diesem Ehebunde ein Ende. Die Seele des eigentlichen Hausherrn mochte nun durch die langen Bußabwaschungen rein genug oder sein Leib des Fastens und Geißelns müde sein, kurz, der Pathe wurde in aller Freundschaft verabschiedet, verließ das Haus und die Stadt, besuchte aber noch regelmäßig jährlich einmal zum Geburtstage der kleinen Fanny die Familie, obwohl der Meister Handschuhmacher ihn immer weniger gern sah. Er konnte jedoch nichts ausrichten gegen den Willen seiner Frau, bei der die alte Liebe nie gänzlich einrosten wollte.
Und nun muß es bei einem dieser Geburtstage, als das Mädel schon ein bischen zu Verstand zu kommen anfing, eine Auseinandersetzung zwischen seinen drei Eltern gegeben haben, die das unglückliche junge Geschöpf belauschte. Plötzlich ging ihr ein Licht auf, das ihr unschuldiges Gemüth erschreckend blendete und verstörte, so daß sie von Stund an in sich gekehrt wurde; vielleicht auch fand sie ihrerseits einen geistlichen Berather, der ihr neue Flausen in den Kopf setzte und ihr eifrig die Hölle heiß machte. Das Nannerl, meint unsere Quelle, wisse von der ganzen teufelsmäßigen Geschichte nichts, aber auch die Fanny sei vorher ein munteres, lebfrisches Ding gewesen, und ohne diese trübselige Einbildung, die Sünde der Väter kindlich abbüßen zu müssen, würde sie ein so richtiges, wackeres und warmblütiges Evaskind sein, wie ihre jüngere Schwester.
Seitdem Elfinger hinter dieses Familiengeheimniß gekommen ist, hat er neuen Muth gefaßt, das Himmelsbräutchen dem Kloster noch abspänstig zu machen. Aber schwer wird es halten, und wenn nicht heroische Mittel angewendet werden –
Er vollendete den Satz nicht, da eben der Freund, vom Bade erfrischt, die Stufen wieder heraufsprang und sich nun mit großem Behagen, aber nach seiner stilleren Art ziemlich schweigsam, an dem kühlen Wein labte. Auch Kohle blieb einsilbig, so daß Rosenbusch und der Dicke die Kosten der Unterhaltung fast allein zu bestreiten hatten. Da überdies der Tag heiß gewesen und Jeder im Grunde ruhebedürftig war, wurden die Flaschen rasch geleert und der luftige Platz am Seeufer verlassen.
Drinnen im Hause sorgte Kohle zuerst für Licht und schleppte dann aus einem Schrank, wo allerlei Vorräthe aufbewahrt wurden, zwei leichte wollene Decken herbei. Er ließ, während er so die Schaffnerin ersetzte, im Geheimen zärtliche Blicke über die Langwände des kleinen Saales gleiten, gleichsam den Schauplatz seiner künftigen Thaten ausmessend und in Besitz nehmend. Zwei weichgepolsterte niedrige Divans standen an diesen Wänden, ein alter Tisch mit geschnitzten Füßen nahm die Mitte ein, darüber hing ein Kronleuchter mit blanken Messingarmen. Die breite Glasthür des Sälchens öffnete sich nach dem See, und kein Ton drang in diesen luftigen Raum, als das leichte Geräusch der plätschernden Welle und ein sanftes Schnarchen aus der Kammer neben der Küche, wo die alte Enzianbrauerin ihr Lager hatte. Nachdem man sämmtliche Thüren sorgsam verschlossen hatte, verstummte auch diese Nachtmusik.
Eben hatten die beiden neuen Gäste sich zur Probe auf ihre Lagerstätten gestreckt und unter allerlei tollen Humoren ihrem Wirth gute Nacht gewünscht, als der Ton einer fernen Klingel, die am Parkpförtchen geläutet wurde, sie noch einmal aufschreckte.
Kohle lief hastig mit dem brennenden Licht hinaus. Nach fünf Minuten hörte man ihn zurückkommen; er sprach mit Jemand, dessen Stimme Keinem bekannt däuchte. Als sie aber hereintraten, riefen die Drei aus Einem Munde:
Unser Baron! So spät in der Nacht!
Sie hatten Felix mehr an der Gestalt und Haltung, als an seinen Zügen erkannt, so hell der Schein der Kerze dieselben beleuchtete. Denn das Gesicht erschien wie durch eine schwere Krankheit verzerrt und verwandelt. Seine Blicke, die unstät in dem Gemach herumflackerten, hatten einen stechenden Fieberglanz, so daß die Freunde ihn mit Fragen bestürmten, ob er krank sei, oder auf dem Wege durch den Wald ein spukhaftes Abenteuer erlebt habe.
Er lachte gezwungen, fuhr sich mit der Hand über die kalte Stirn, auf welcher große Tropfen standen, und erklärte, ihm sei nie wohler gewesen, und er sei so spukfest wie ein Kind im Mutterleibe. Dabei hatten all seine Bewegungen etwas Gewaltsames, und die Stimme, wie es bei großer Aufregung zu geschehen pflegt, klang rauh und fremd. Er erzählte, daß er ebenfalls in Starnberg kein Quartier gefunden und sein Pferd, auf dem er herausgeritten, im Wirthshaus in Verwahrung gegeben habe, um die halbe Stunde bis zu Rossel's Landsitz zu Fuß zu gehen, einigermaßen in der Irre taumelnd, da er einer nicht sehr deutlichen Beschreibung gefolgt sei. Das habe ihn in diesen fragwürdigen Zustand gebracht. Nun aber wolle er durchaus nicht stören, bitte nur um einen Tropfen Wasser und einen Winkel, wo er sich niederlegen könne, da er gerade hundsmüde genug sei, um selbst in einer Hundehütte zu schlafen.
Er stürzte ein großes Glas Wein auf Einen Zug hinunter, gab dann jedem der Freunde mit abgewandten Blicken die Hand und machte ein paar gezwungene Wortwitze, wie sonst nicht seine Art war. Kohle's Anerbieten, ihm sein Bett abzutreten, lehnte er entschieden ab, ließ sich dagegen gern in das Atelier hinaufführen, wo eine alte Gartenbank durch einige Decken, ein Rehfell und ein Plaid zu einem leidlichen Lager hergerichtet wurde; hier streckte er sich hin, noch im Beisein der Anderen, die ihm das Geleit gegeben hatten – »schon halb im Jenseits« – wie er, ihnen Gute Nacht zunickend, zu scherzen sich bemühte.
Kopfschüttelnd verließen ihn die Freunde. Es war unverkennbar, daß es mit diesem späten Besuch keine so harmlose Bewandtniß hatte, wie mit seinen Vorläufern. Sie standen aber noch draußen vor der Thür, ihre Bemerkungen über Felix' seltsamen Zustand austauschend, als sie schon an den tiefen Athemzügen drinnen hörten, daß der Gegenstand ihrer Sorge fest eingeschlafen war.