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Draußen empfing sie bald wieder der murmelnde und brausende Menschenstrom, der sie nach der Stadt zurücktrug. In einem sehr eleganten offenen Wagen fuhr die alte Gräfin vorüber, ihre Tochter saß neben ihr, auf dem Rücksitz ihr Sohn und Schwiegersohn, beide in Uniform und mit Ehrenzeichen geschmückt. Die glückliche alte Frau, die den frischen Ruhm ihrer Familie spazieren fuhr, sah mit stolzen Augen umher, erkannte Schnetz sogleich und winkte ihm mit liebenswürdiger Vertraulichkeit einen Gruß zu. Seinen Begleiter musterte sie durch das Lorgnon, schien ihn aber nicht zu erkennen.
Brave Jungens! murmelte Schnetz in den Bart. Was man auch sonst an ihnen aussetzen mag, geschlagen haben sie sich gut. Aber nun wollen wir eine Droschke requiriren. Unser junger Ehemann wohnt natürlich draußen, wo die letzten Hütten stehen.
Als sie vor Rossel's Wohnung ankamen, einem unansehnlichen Häuschen in der Schwanthalerstraße, sahen sie oben an einem blumenumblühten Fenster einen weiblichen Kopf, der sich augenblicklich zurückzog.
Madame ist zu Hause! lächelte Schnetz. Sie hat deinen Besuch natürlich erwartet und wird große Toilette gemacht haben. Halte dein Herz fest, Triumphator!
Droben empfing sie aber nicht, wie er gedacht hatte, die Hausfrau selbst, sondern eine Magd, die sie in das Atelier führte. Im Vergleich mit dem üppig ausgestatteten Raum, in welchem ihr Freund in seinem eigenen Hause auf der künstlerischen Bärenhaut zu liegen pflegte, war dieser Raum sehr dürftig decorirt. Nichts von kostbaren Gobelins, schönen Erzgeräthen und glänzenden Renaissance-Möbeln. Auf einigen Staffeleien aber standen fertige und angefangene Bilder, und der Maler selbst kam ihnen in Hemdärmeln mit der Palette in der Hand entgegen.
Da seid ihr ja! rief er. Nun, allen Göttern sei's gedankt, daß man euch mit ganzen Gliedmaßen und unzerfetzten Gesichtern wiedersteht. Ihr habt ein schön Stück Arbeit hinter euch. Unsereins ist inzwischen auch nicht ganz faul gewesen, und wenn auch nicht für Kaiser und Reich, können wir uns doch nachsagen, daß wir wenigstens pour le roi de Prusse gearbeitet haben. Aber es thut nichts, hoffentlich kommen wieder bessere Zeiten; einstweilen vertreibt man sich die Grillen mit diesen Pfuschereien. Seht die Sachen um Gotteswillen nicht an; es sind armselige Exercitien, bloß um meine Pinsel wieder zu probiren. Auch sonst dürft ihr euch hier nicht umschauen – quantum mutatus ab illo! – Von dem ganzen Hausrath habe ich nichts behalten, als meinen Böcklin; so was ist wie eine Stimmgabel, wenn einem der reine Grundton verloren gehen will. Auch mich müßt ihr nicht zu genau inspiciren. Ich bin reducirt, theure Menschen, sehr reducirt; ihr seht, daß ich aus meine unnatürlichen Gränzen heruntergeschwunden bin; wo sind meine schönen schwellenden Formen geblieben? Aber freilich, wenn man schon um Acht bei der Arbeit ist und dadurch täglich seine heiligsten Grundsätze verleugnet –! Wartet, ich hole euch meine Frau. Sie ist zwar jetzt ein bischen aus der Form gegangen, aber immer noch das Sehenswertheste im ganzen Hause.
Er nöthigte die Freunde, auf einem kleinen Ledersopha Platz zu nehmen, das wenig dem berühmten »westöstlichen Divan« aus früheren Tagen glich, und lief hinaus, nach seiner Frau rufend. So hatten sie Zeit, sich auf den Staffeleien umzusehen. So viel Vortreffliches leuchtete ihnen von all diesen Leinwänden entgegen, eine solche Klarheit und Einfachheit der Farbe und Form, daß sie in ein aufrichtiges Entzücken geriethen und ihre Freude daran lebhaft gegen einander aussprachen.
Ihr seid zu gütig! erklang plötzlich hinter ihnen die Stimme Rossel's. Es mag wahr sein, daß ich nachgerade ein passabler Colorist geworden bin. Umsonst enthält man sich nicht zehn Jahre lang aller eigenen Sünden und hat keinen anderen Gedanken, als den Geheimnissen der Großen auf die Spur zu kommen. Aber so lange kein Hahn danach kräht, bleibt es ein unfruchtbares Privatvergnügen und verkümmert am Ende wieder, wie Pflanzen im Keller. Wer fragt heutzutage danach, ob so eine Menschenhaut frisch oder gegerbt aussieht? Der Gegenstand, die Idee, nun jetzt vollends die patriotische Phrase –! Nichts für ungut, meine Herren Helden! Wir ziehen uns auch so aus der Misère, natürlich mit der Bedingung, der Nixe dort ein Röckchen über die Schenkel zu malen und dem Fischerknaben wenigstens ein paar Schwimmhosen anzuziehen.
Ueber all diesen nachdenklichen Betrachtungen sind wir wieder von der Hauptsache abgekommen, sagte Schnetz. Wo bleibt die Frau?
Sie läßt sich entschuldigen, verleugnen, will sich um keinen Preis sehen lassen in dem doch höchst ehrenwerthen Zustande, worin sie sich gerade befindet. Ich hab' es ihr auf den Kopf zugesagt, es sei nur wegen des Herrn Baron. Natürlich! erwiederte sie. Vor dem Oberlieutnant thät' ich mich nicht geniren. O lieben Freunde, wenn ich nur nicht so unter dem Pantoffel stände! Aber ich kann Ihnen versichern, so sehr ich immer für die kopflosen Weiber geschwärmt habe, jetzt sehe ich ein, daß gerade die ihren Kopf am hartnäckigsten durchzusetzen wissen. Uebrigens kommt es mir in diesem Falle zu Statten. Man kann sehr vorurtheilsfrei sein und doch ein dummes Gesicht dazu machen, wenn die eigene Frau ihrem ersten und einzigen Geliebten mit einem gewissen Erröthen guten Tag sagt. Wollt ihr morgen bei mir essen? Wenig aber herzlich; un piatto di maccheroni, una brava bistecca, un fiasco di vino sincero – ich denke, dann wird auch die Hausfrau –
Felix entschuldigte sich mit seiner auf morgen festgesetzten Abreise.
Der alte Schöpf trat jetzt herein, noch etwas mehr zusammengeschnurrt, das dunkelfarbige alte Gesicht fast ganz zugewachsen mit schneeweißem Haar und Bart. Er war in der heitersten Stimmung und fragte mit großer Lebhaftigkeit nach den Kriegsabenteuern der Freunde. Als auf Kohle die Rede kam, warf der Alte hin, daß sie Den doch jedenfalls in der Villa draußen aufsuchen würden, um seine fertigen Fresken zu sehen. Er habe sich nur für einen halben Tag abgemüßigt und sei gleich nach dem Einzug wieder hinausgeeilt, die letzte Hand an die architektonische Umrahmung zu legen. Als Felix auch dies ablehnen mußte, sah der alte Herr betroffen fragend seinen Schwiegersohn an, drang dann aber nicht weiter in den jungen Mann, dem der Münchner Boden unter den Füßen zu brennen schien.
Felix mußte den Freunden von der Stellung erzählen, die in Metz seiner wartete. Man war im Hauptquartier bei mehr als Einer Gelegenheit auf ihn aufmerksam geworden, seine Umsicht und Energie, der Umstand, daß er der französischen Sprache vollkommen mächtig war, seine juristischen Kenntnisse und vielleicht auch der Wunsch, einen Nicht-Preußen gleich mit in die Verwaltung der eroberten Provinzen zu ziehen, hatten zusammen dahin gewirkt, daß er dem neuen Gouverneur der Grenzfestung an die Seite gestellt werden sollte. Für die Aufgabe, so schwierigen und unberechenbaren Verhältnissen gerecht zu werden, brauchte man frische Kräfte, die nicht bloß in den bisherigen geregelten Regierungsformen eingelebt, sondern durch das Leben geschult und mit der nöthigen geistigen Schnellkraft auch für unvorhergesehene Fälle ausgerüstet waren.
Das ernste Gesicht unseres jungen Freundes belebte sich ein wenig, als er von dieser bevorstehenden Thätigkeit sprach. Aber ein Ausdruck von fester Resignation klang durch all seine Worte. Die Anderen schienen indessen kein Ohr dafür zu haben, und Rossel rief ihm auf der Treppe ein »Auf Wiedersehen!« nach, ganz wie vor Zeiten, als man sicher war, sich in den nächsten Tagen wieder zu begegnen.
Als sie auf die Straße hinaustraten, hörte Felix aus dem Fenster oben seinen Namen rufen. Er sah die junge Frau Rossel zwischen den immergrünen Topfgewächsen stehen und ihm munter zunicken. Ihre zarten Farben erschienen noch leuchtender, als vor Jahr und Tag, ein Häubchen, das sie kokett und etwas schief auf ihre rothgoldenen Flechten gesetzt hatte, gab dem runden Gesicht ein allerliebstes Ansehen von Häuslichkeit und Frauenwürde.
Sie sollen nicht denken, daß ich mich nicht mehr um alte Freunde bekümmere, rief sie hinunter. Ich habe schon heute beim Einzug eine Masse Blumen nach Ihnen geworfen, und Sie stolzer Herr haben kein einziges Mal hinaufgeschaut. Nun, jetzt müssen Sie wenigstens den Kopf noch einmal nach mir umdrehen. Die Uniform steht Ihnen übrigens gar nicht so gut, wie das Civil. Sie sehen nicht mehr so apart darin aus. Ich selbst – ich nehme mich so garstig aus – ich kann's nicht übers Herz bringen, mich so vor Ihnen sehen zu lassen. Aber über sechs bis acht Wochen – da müssen Sie zur Taufe kommen, hören Sie wohl? Mein Mann wird's Ihnen noch schreiben – Entschuldigungen werden nicht angenommen, und wenn's ein Bub wird, wie's den Anschein hat, muß er Felix heißen, anders thu' ich's nicht. Und nun adieu, und seien Sie nur recht glücklich, ich gönn's Ihnen gewiß, Sie haben sich's sauer genug verdient.
Damit verschwand das lachende Gesicht droben im Fenster, ohne den Männern Zeit zu einer Erwiederung zu lassen.