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Neuntes Kapitel.

Eine nächtliche Dämmerung lag schon über dem stillen Lande, der Wind wälzte die dichtgeballten Schneewolken langsam durch die schauernde Luft, aus der hie und da noch eine verlorene Flocke niederwehte. Rechts und links von der Straße, deren tiefgepflügte Geleise mit eisigem Schlamm angefüllt waren, streckten die Bäume ihre triefenden schwarzen Aeste gen Himmel, auf denen nicht einmal eine Krähe sich niederlassen mochte.

In dieser trostlosen Winterwüste, wo kein Mensch weit und breit ihnen begegnete, kein Hund ihre Pferde anbellte, schien den Reitern das Wort an den Lippen einzufrieren. Jansen hatte Felix nur das Nothdürftigste mitgetheilt, seinen Entschluß, »ein Ende zu machen«, seine Vermuthung, daß die Entführung des Kindes nur ein Mittel sein sollte, ihm irgend welche Zugeständnisse abzudringen, wenn nicht gar eine bloße Tücke der Mutter, ihn ihre Macht fühlen zu lassen und sich selbst in den Augen der Welt als das mißhandelte Weib hinzustellen, das endlich durch eine verzweifelte That sich wieder in den Besitz seiner lang entbehrten Rechte zu bringen gesucht.

Felix hatte wenig darauf erwiedert.

Es ist bei Alledem gut, meinte er, daß es zur Entscheidung kommt. Wer weiß, wie lange sich's hingezerrt hätte, wenn du immer nur aus der Ferne hättest unterhandeln müssen. Wenn du nur gelassen bleibst und deinen ganzen Ernst zeigst, erreichst du wahrscheinlich jetzt, da sie wegen der gestrigen Komödie kein gutes Gewissen haben mag, mehr, als du sonst hoffen konntest.

Darauf gab er seinem Pferde die Sporen und versank, so sehr ihm das Schicksal des Freundes nahe ging, bald in seine eigenen Gedanken. Er war am Morgen ein paar Stunden bei Irene gewesen. Das Nachgefühl dieser glücklichen Stunden, die Gewißheit, daß nun Alles für immer gelichtet und geschlichtet sei, beherrschte ihn ganz und machte ihn unempfindlich gegen alle Schauer dieses unheimlichen Rittes. Dazu kam, daß es ihm eine tiefe Freude war, gerade jetzt auch dem Freunde helfen zu können und Zeuge zu sein, wie auch dessen Loos sich ins Helle wendete. Unter solchen Betrachtungen ertappte er sich dabei, daß er eine muntere Melodie pfiff und den Tact dazu mit der Reitgerte schlug. Als er sah, daß Jansen plötzlich sein Pferd heftig spornte und ihm von der Seite kam, brach er ab, trieb auch sein Thier zu größerer Eile an und ritt, nachdem er den Freund wieder eingeholt, im schärfsten Trabe neben dem düster Brütenden dahin.

Als sie das nächste Dorf erreichten, wo trotz der frühen Stunde schon Alles im Schlaf zu liegen schien, hielten sie am Wirthshaus und forschten nach dem Reisewagen, der hier vorbeigekommen sein mußte. Man hatte keinen gesehen. Die paar Bauern, die in der Schenkstube saßen und mit dem Wirth Karten spielten, kamen vor die Thür und gaben ihre Meinung dahin ab, daß zu dieser Jahreszeit kein anderer als etwa ein Doctorwagen oder ein Einspänner mit dem Pfarrer sich hier sehen ließe. Sie sahen den fortsprengenden Reitern kopfschüttelnd nach.

In Großheselohe, bei der Eisenbahnbrücke werden wir sie treffen, sagte Felix. Da können sie mit dem Wagen nicht hinüber und werden den Schnellzug abwarten, um morgen in aller Frühe weiterzugehen. Vorbeigekommen müssen sie sein, wenn Rosenbusch nicht geträumt hat. Die Leute im Wirthshaus sind von Bier und Tarok so benebelt, daß sie den Wagen leicht überhören konnten.

Es schlug Sechs vom Kirchthurm zu Großheselohe, als sie das Dorf erreichten. In der Schenke war eine ziemlich lebhafte Gesellschaft beisammen. Die Kellnerin aber, die beim Herannahen des Hufschlages in die Thür trat, wußte von keinem Wagen, der Fremde aus der Stadt gebracht habe. Nur ein betrunkener Knecht, der aus dem Stall herbeischwankte, deutete mit unverständlichem Lallen auf die Straße durch den Wald, war aber zu keiner deutlicheren Auskunft zu bewegen.

Vorwärts! rief Felix. Wir haben keine andere Wahl, und die Waldstraße kenn' ich. Auch Stephanopulos weiß hier ohne Zweifel Bescheid; hier herum ist der classische Boden der ehemaligen Künstler-Maifeste. Im nächsten Dorf, verlass' dich auf mich, finden wir unsere Leute.

Er trieb sein Pferd wieder an, aber die tiefe Dunkelheit nöthigte sie jetzt, ihre Eile zu mäßigen. Sie tauchten im Schritt reitend in die Nacht des kleinen Waldes ein, der das hohe Isarufer säumt und im Sommer das Ziel so vieler stadtmüder Menschen ist. Heute war er so unwirthlich, daß selbst Felix ein Schauer bis ins Mark drang. Das Wasser rauschte tief unten in dem zerklüfteten Strombett, und die kahlen Wipfel knirschten, wie der Schneewind sie schüttelte. Jansen's Pferd scheute und bäumte, aber sein Reiter saß wie der steinerne Gast im Sattel; er hatte seit einer Stunde kein Wort gesprochen.

Plötzlich zog Felix den Zügel an. Siehst du dort –? sagte er mit gedämpfter Stimme. Ich wette, wir haben sie! Es war hohe Zeit. Mein Gaul lahmt am rechten Vorderfuß.

Ueber eine Waldblöße hinweg sahen sie das Dörfchen liegen, das bei den Künstlerfesten, von denen Felix gesprochen, zum Sammelpunkt zu dienen pflegte. Ein Haus mit etwas höherem Dach zeichnete seine schwarze Silhouette gegen die graue Luft und zeigte im oberen Stockwerk eine Reihe heller Fenster.

Wenn hier nicht gerade eine Hochzeit gefeiert wird, müssen andere Gäste eingekehrt sein, sagte Felix. Laß uns heranreiten, hier quer durch den Wald, obwohl kaum zu fürchten ist, daß sie uns jetzt noch entwischen möchten, selbst wenn wir ihren Versteck von der offenen Landstraße aus belagerten.

Die Pferde, mit leisem Wiehern, da sie die Nähe der Krippe wittern mochten, stampften durch den aufgeweichten Grund und hielten bald an dem Zaun, der den Hofraum der Schenke von der Straße trennte.

Es ist richtig, flüsterte Felix, der sich in den Bügeln erhob und hinüberspähte. Der Wagen steht im Hof – zwei Leute sind eben beschäftigt, die Koffer abzupacken – der Mensch, der die Laterne hält, wird der Kutscher sein. Nun denn in Gottes Namen!

Er schwang sich vom Pferde und trat zu dem Freunde, ihm aus dem Sattel zu helfen. Komm, sagte er, dem dampfenden Thier den Hals klopfend; was du thun willst, thue bald. Du findest wahrscheinlich oben die ganze Reisegesellschaft beisammen, und während du dort nach dem Rechten siehst, versorge ich unsere Pferde und komme in fünf Minuten nach. Oder soll ich gleich mit hinauf?

Ein tiefer Athemzug, das erste Lebenszeichen, das der Schweigende von sich gab, war auch jetzt die ganze Antwort. Wie wenn seine Glieder am Sattel festgefroren wären, brauchte es einiger Mühe, bis er aus den Bügeln kam. Er stand dann noch ein paar Minuten in sich gekehrt und schien einen starken Widerwillen niederkämpfen zu müssen, ehe er sich entschließen konnte, in das Haus zu treten. Felix gab ihm bis an die Thür das Geleit.

Nur das Berserkerblut im Zaum gehalten! raunte er ihm zu.

Der Andere nickte und drückte ihm wie zum Gelöbniß die Hand. Dann stand er noch einmal still, lüftete den Hut, um sich die Stirn zu trocknen, und schritt hastig über die Schwelle.

Felix sah ihm mit schmerzlichem Mitgefühl nach. Das Liebste wäre ihm gewesen, diesen schweren Gang dem Freunde abzunehmen. Er kannte ihn aber zu gut, um auch nur einen solchen Vorschlag zu wagen.

So nahm er die beiden Pferde bei den Zügeln, stieß das Hofthor auf und betrat den Hof.

Die Knechte, die sich am Reisewagen zu schaffen machten, richteten sich betroffen in die Höhe, als sie den Hufschlag hörten und den fremden jungen Mann gelassen herankommen sahen.

Guten Abend! sagte Der. Ihr habt wohl noch Platz im Stall und ein paar trockene Decken. Die Gäule sind wie aus dem Wasser gezogen.

Keine Antwort. Der Kutscher leuchtete dem Ankömmling mit der Laterne ins Gesicht und zuckte die Achseln.

Es soll euer Schade nicht sein, fuhr Felix fort, wenn ihr mir die Thiere gut verpflegt. Indessen kann ich die Stallthür wohl auch allein finden.

Ohne Weiteres nahm er dem Kutscher, der in der Verwirrung nicht wußte, wie er sich dem vornehmen Herrn gegenüber benehmen sollte, die Laterne aus der Hand und schickte sich an, seinen Pferden damit nach der Krippe zu leuchten.

In diesem Augenblick hörte man eine Stimme über den Hof hin rufen und die Leute, die den Wagen abpackten, zur Eile antreiben. Der Rufende trat aus der Hinterthür des Hauses und kam, da er die Knechte müßig dastehen sah, hastig herzu, um sie zu schelten, fuhr aber, ehe er noch ein Wort von den Lippen gebracht, bestürzt zurück, da auch Felix stehen geblieben war und die Laterne erhoben hatte, die seine Gestalt deutlich erkennen ließ.

Stephanopulos, barhaupt, in einen Plaid gewickelt, stand in ziemlich kläglicher Haltung vor ihm. Bald aber, da er die ironische Miene des jungen Freiherrn sah, fand er wenigstens zum Schein seine Unbefangenheit wieder.

Sie hier! rief er. Welch unerwartetes Zusammentreffen! In der That, wenn ich es nicht mit meinen eigenen Augen sähe –

Bon soir, mon cher! kann man hier auch noch unterkommen? unterbrach ihn Felix. Ja wohl, ich bin es selbst. Wenn es Sie übrigens wundert, mich hier zu sehen, bei einem Wetter, das nicht gerade zu Landpartieen einladet, so ist das nicht wunderbarer, als daß ich Sie hier finde. Wir Nordländer sind an Winterfeldzüge gewöhnt. Aber wer am Fuß des Parthenon aufgewachsen ist –

Sind Sie – allein, oder – ist noch Jemand –? stammelte der Bestürzte.

Nur ein guter Freund ist mit mir, der hier gerade Geschäfte hat und sich gleichfalls freuen wird, Sie zu treffen. Nein, ohne Complimente; wir haben kaum darauf rechnen können, diese angenehme Begegnung schon so nahe bei der Stadt – Wohin wollen Sie, Herr? erhob er plötzlich die Stimme. Ins Haus zurück? Ich muß Sie ernstlich bitten, mir einstweilen noch hier draußen Gesellschaft zu leisten. Was mein Freund drinnen im Hause abzumachen hat – Ihr Zartgefühl wird Ihnen das selbst sagen – verträgt keine Zeugen, als die Nächstbetheiligten, und so sehr Sie sich zur Familie zu rechnen scheinen –

Lassen Sie mich! rief der Jüngling, in dessen dunklen Augen eine unheimliche Glut aufflackerte. Was vertreten Sie mir den Weg? Was kümmern Sie meine Angelegenheiten?

Mein Werthester, versetzte Felix, der die Zügel der Pferde hatte fahren lassen und dicht vor Stephanopulos hingetreten war, – vor allen Dingen schreien Sie nicht so laut. In Ihrem eigensten Interesse rathe ich Ihnen, die Sache nicht aus einem so hohen Ton zu nehmen. Derjenige, auf den es hier zunächst ankommt, möchte sich eine Einrede von Ihnen minder höflich verbitten, als ich. Wenn Ihnen daran liegt, aus diesem albernen Handel auf möglichst anständige Manier herauszukommen –

Hüten Sie sich! rief der Andere. Sie beleidigen mich! Sie sollen mir Genugthuung geben, daß Sie mir eine solche Infamie zutrauen. Wie? Diese unglückliche Frau, die sich meinem Schutz anvertraut hat – im Stich lassen sollt' ich sie, einem Manne gegenüber, der sie stets mißhandelt und geschworen hat, sie zu tödten, wenn sie ihm je wieder vor die Augen käme? Lassen Sie mich, sag' ich Ihnen! Ich will – ich muß ins Haus zurück – ich muß ihr beistehen – ich muß –

Schön, daß Sie wollen! unterbrach ihn Felix kalt, indem er mit einem ehernen Griff seinen Arm faßte. Aber daß Sie nicht müssen, wollen wir einstweilen verhindern. Ich würde Ihnen einen Spaziergang in den nahen Wald vorschlagen, um Ihr heißes Blut ein wenig abzukühlen, bis der Mann mit seiner Frau die Rechnung ins Reine gebracht hat. Wenn Sie ihm dabei in die Quere kämen, müßte ich fürchten, daß er Sie über den Haufen schösse, ohne sich mehr zu besinnen, als Sie gestern, da Sie den armen Hund kalt machten. Aber Sie dauern mich, mein Bester. Und darum –, und um Sie der Kunst und Ihren ferneren Abenteuern zu erhalten –

Er hatte während dieser Worte Stephanopulos nach der Seite hin gedrängt, wo die Ställe waren. Dort stand eine Thür offen, die zum Futterboden hinaufzuführen schien.

Hier hinein! rief er gebieterisch, indem er den Arm des Jünglings plötzlich fahren ließ, so daß derselbe über die Schwelle stolperte. Der griechische Fluch, der von seinen Lippen kam, erstickte in der leidenschaftlichen Wuth, die in ihm aufloderte. Hülfe! zu Hülfe! – rief er außer sich. Aber Felix warf die Thür hinter ihm zu, drehte rasch den Schlüssel um und trat zu den Pferden zurück. Man hörte den Gefangenen drinnen toben; einen Augenblick darauf erschien sein Gesicht an dem kleinen vergitterten Fenster; ein Faustschlag zertrümmerte die Scheibe.

Wenn Sie nicht auf der Stelle öffnen – Elender – Nichtswürdiger –

Ich wiederhole meinen guten Rath! sagte Felix, dicht an das Fenster tretend. Halten Sie sich ruhig und weichen Sie der Gewalt, wenn Sie Ihre Lage nicht verschlimmern wollen. Was ich hier gethan, ist zu Ihrem Besten, und Ihre Haft wird kaum länger als eine halbe Stunde dauern. Zu jeder sogenannten Genugthuung bin ich natürlich hernach, sobald es meine Zeit erlaubt, mit Vergnügen bereit.

Er rückte ein wenig den Hut, steckte den Schlüssel in die Tasche und ergriff wieder die Zügel der Pferde. Der Kutscher und die Knechte, die dem sonderbaren Auftritt mit offenen Mäulern zugesehen, waren von seinem Auftreten dermaßen eingeschüchtert, daß sie, ohne etwas zu Gunsten des Eingekerkerten zu wagen, dienstfertig herbeieilten, um den Pferden in den Stall zu helfen. Felix gab einige Anweisungen, wie sie behandelt werden sollten, und warf Jedem einen Thaler hin. Dann nahm er die Laterne wieder in die Hand, befahl, daß ihm Niemand folgen solle, und schritt wieder über den Hof, um dem Freunde nachzugehen.


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