Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zehntes Kapitel.

Während diese gewaltsame und doch fast lächerliche Scene im Hofe spielte, war Jansen die dunkle Treppe hinaufgestiegen, mit schwerem Fuß und schwererem Athem. Man hörte in dem weiten Hause nur das Knistern und Prasseln des Herdfeuers unten in der Küche, keinen menschlichen Laut. Mitten auf der Stiege stand er still und horchte; es war ihm, als vernähme er die Stimme seines Kindes. Aber nur das Blut saus'te ihm vor den Ohren.

Sie wird schon schlafen! sagte er sich. Um so besser! So hört sie nicht, was ich ihrer Mutter zu sagen habe.

Er zitterte am ganzen Leibe. Und doch fürchtete er sich nicht vor dem Wiedersehen, das ja das letzte sein sollte. Er fürchtete sich vor sich selbst, vor dem finstern, gewaltthätigen Geist, der ihm die Hände ballte und die Zähne zusammenknirschte. Ruhig! sagte er vor sich hin, ruhig! Sie ist es nicht werth, daß ich außer mir komme.

Er tappte die letzten Stufen hastig hinauf und stand nun in dem langen, finstern Corridor. Dort an dem einen Ende bohrte sich ein schlanker Lichtstrahl durch ein Schlüsselloch, und ein breiterer Schein schlich unten über die schlecht gefugte, klaffende Thürschwelle.

Da muß es sein! sagte er.

Er nahm den Hut ab und fuhr sich durch die feuchten Haare. Kommen wir zu Ende! sagte er, unbewußt die Worte beständig wiederholend. Zu Ende – zu Ende – zu Ende –

Nun stand er vor der Thür und horchte hinein. Eine Stimme sprach, die ihm fremd vorkam; er bückte sich und spähte durch das Schlüsselloch. Sein Auge fiel gerade auf ein ältliches Frauengesicht, das mit ganz ruhiger Miene eifrige Reden führte, – er erkannte die alte Sängerin, die Mutter seiner Frau, die ihm schon in der Zeit seiner verliebten Bethörung widrig gewesen war. Sie saß in der Sophaecke und trank zwischen ihrem Sprechen dann und wann aus einem kleinen silbernen Becher, der neben einer Feldflasche stand. Dazu zerbröckelte sie ein Biscuit und steckte die Bröckchen mit einer gezierten Handbewegung in den Mund, wobei sie ihre falschen Zähne zeigte. Neben ihr, in einen Lehnstuhl zurückgesunken, lag ihre Tochter; sie war ganz in Schwarz gekleidet, was zu dem matten Weiß der Haut und den tiefblauen Augen ihr reizend stand. Sie spielte mit einem Scheerchen, das sie im Kerzenlicht blitzen ließ, und sah so matt und gleichgültig vor sich hin, als wäre sie eben aus dem Theater nach Hause gekommen, wo sie in einem langweiligen Stück mitgespielt und nur mittelmäßigen Erfolg gehabt hätte.

Plötzlich fuhr sie mit einem lauten Schrei in die Höhe. Die Thür hatte sich geräuschlos geöffnet; statt ihres jungen Begleiters, den sie eintreten zu sehen geglaubt, stand Derjenige vor ihr, vor dem sie in dies nächtliche Versteck geflüchtet war.

Das Wort erstarrte ihr an den Lippen; auch die alte Komödiantin, die sonst nicht leicht aus der Fassung zu bringen war, saß wie vom Schrecken versteinert, und nur ihre Finger, die krampfhaft die übrigen Biscuits zerkrümelten, schienen lebendig geblieben zu sein.

Verlassen Sie das Zimmer; – ich habe mit meiner Frau zu reden! sagte Jansen tonlos und ohne Heftigkeit zu ihr. – Hören Sie, was ich sage? Sie entfernen sich auf der Stelle – aber durch diese Thür, durch die ich gekommen bin.

Er wollte verhindern, daß sie das Kind mitnähme, von dem er voraussetzte, daß es im Nebenzimmer zu Bett gebracht sei.

Die Frauen wechselten einen raschen Blick. Diese wenigen Momente genügten, um der Jüngeren ihre Fassung wiederzugeben.

Du darfst mich nicht verlassen, sagte sie. Was ich hören soll – da ich mich schuldlos weiß – braucht keinen Zeugen zu scheuen, am wenigsten meine eigene Mutter.

Sie war bei diesen Worten wieder in den Sessel gesunken und fuhr sich mit der Hand über die Augen, als ob schmerzliche Erinnerungen sie überkämen. Die Alte im Sopha regte sich nicht. Man hörte nur, wie sie leise vor sich hin murmelte: Mein Gott! Mein Gott! Was für Scenen! Was für Katastrophen!

Ich wiederhole meine Aufforderung! sagte jetzt der Bildhauer mit Nachdruck. Wollen Sie warten, bis ich Sie am Arm nehme und hinausführe?

Nun denn, ich gehe, ich will es nicht zum Aeußersten kommen lassen! rief die Mutter, indem sie sich mit einer pathetischen Geberde erhob. Dann neigte sie sich zu Lucie hinab und flüsterte ihr ein Wort zu. Nein! nein! erwiederte diese hastig. Kein Wort zu ihm. Das würde es nur schlimmer machen. Gehe, wenn es sein muß. Ich fürchte mich nicht!

Die letzten Worte sprach sie laut und gegen Jansen gewendet, dem sie dabei mit einem ganz unerschrockenen Blick ins Gesicht sah. Jeder Fremde hätte sich von dieser Geberde der siegesgewissen Unschuld täuschen lassen.

Die alte Sängerin schlug die Thür hinter sich zu. Man hörte, wie sie sich den Corridor entlang entfernte. Aber auch, daß sie dann zurückschlich und draußen an der Thür stehen blieb, um zu horchen, entging Jansen's feinem Ohre nicht.

Meinetwegen! sagte er, wie zu sich selbst. Wenn ich nur das Gesicht nicht zu sehen brauche. Dann wieder sein fieberhaftes: Wir müssen zu Ende kommen – zu Ende – zu Ende –!

Er hatte sich vor den Ofen gestellt, in welchem noch eine kleine Kohlenglut fortglomm. Die Hände über der Brust gekreuzt, betrachtete er die Frau, die das Unheil seines Lebens gewesen war. Mitten in seiner furchtbaren Spannung fiel es ihm auf, daß nicht ein Zug ihres Gesichts von den sieben Jahren sprach, seit denen sie getrennt gewesen waren. Sie schien eher jünger, mädchenhafter und schicksalsloser, als da er sie zuerst kennen gelernt. Nichts war auf diesen weichen Lippen, dieser klaren Stirn zu lesen, als eine Art Neugier, ein harmloses Staunen über das, was kommen würde. Ihre weiche, bewegliche Hand hatte das Scheerchen wieder ergriffen und klappte es spielend auf und zu.

Ein fast unerträglicher Gedanke, eine vernichtende Scham loderte plötzlich in ihm auf, als er sich klar wurde, daß diese Larve ihn einst betrogen, in wahnsinnige Leidenschaft verlockt und ein felsenfestes Vertrauen ihm abgeschmeichelt hatte, – diese glatte Lüge, dies kalte Lächeln, das ihr auch jetzt nicht untreu wurde, da Der, dem sie das Bitterste angethan, alle Kraft aufbieten mußte, um diese Stunde mannhaft zu überstehen.

Ich bin hier, sagte er endlich, um – um ein Ende zu machen. Ich hoffe, du wirst es mir nicht ohne Noth erschweren. Ich will nicht nach den Gründen fragen, die dich bewogen haben, gegen unsere Abrede zu handeln und mir wieder in den Weg zu treten. Du hast eine Neigung zu Maskeraden, in der ich dich gewähren lassen muß, um so mehr, da ich dich überhaupt von meiner Seite freigegeben habe. Nur möchte ich dich warnen, wenn du jemals wieder Lust hättest, mir in irgend einer Mummerei nahe zu kommen, hüte dich, die Maske zu verlieren. Ich ertrüge dein Gesicht nicht wieder, und mein Blut könnte mir einen Streich spielen.

Sie richtete ihre Augen auf ihn mit dem unbefangensten Ausdruck, wie fragend, ob es ihm Ernst mit diesen Worten sei, ob er wirklich den Anblick dieses sanften Gesichts nicht zu ertragen vermöchte.

Sei unbesorgt, erwiederte sie leise mit fast schüchternem Ton. Ich komme nicht wieder. Ich habe gesehen, was ich sehen wollte. Es war gewiß eine verzeihliche Neugier, daß ich zu sehen wünschte, was für ein Gesicht man haben müsse, um vor deinen Augen Gnade zu finden, – und wenn ich –

Still! unterbrach er sie herrisch. Du sollst mich zu Ende hören – ganz zu Ende. Wenn du, wie ich hoffe, dein eigenes Interesse nicht verkennst und Vernunft annimmst, so endet unser letztes Zusammentreffen friedlich, und ich werde dir's Dank wissen, daß du es herbeigeführt hast. Ich nehme dann mein Kind mit mir und verspreche dir, daß ich mich bemühen werde, ohne Groll an dich zu denken.

Das Kind?

Das Kind, das du geraubt hast, das du als ein Pfand hast an dich reißen wollen, um der Himmel weiß welchen Anschlag damit durchzusetzen.

Du bist sehr im Irrthum, versetzte sie, und eine leichte Röthe stieg ihr ins Gesicht. Das Kind ist nicht hier.

Versuche nicht, mich zu täuschen! rief er mit plötzlicher Wildheit. Ich weiß, du hast das Kind entführt – es schläft im Nebenzimmer – um mir deinen Raub zu verbergen, bist du hierher geflohen – morgen in aller Frühe sollte die Flucht fortgesetzt werden –

Du rasest wieder einmal! sagte sie gelassen und legte die Scheere auf den Tisch zurück. Sieh selbst nach, ob das Kind bei mir ist. Da steht das Licht, durchsuche das Haus, wenn du mir nicht glaubst.

Er griff mechanisch nach dem Leuchter und öffnete die Thür zu dem Nebenzimmer. Die Betten, die dort standen, waren leer.

Mit einem drohenden Blick kehrte er sich nach ihr um. Soll ich Zimmer für Zimmer durchsuchen? fragte er mit zornbebender Stimme.

Es wäre vergebene Mühe. Ich schwöre dir's, ich habe das Kind nicht mitgenommen.

Gauklerin! schrie er und stieß den Leuchter gegen den Tisch, daß die Flamme zu erlöschen drohte. Nur dies eine Mal Wahrheit – nur dies eine Mal: wo ist das Kind? was hast du mit ihm angestellt? In welchen Händen –

In den besten, unterbrach sie ihn, in der allersichersten Obhut hab' ich es zurückgelassen, so wahr mir Gott helfe. Ich – es ist wahr – ich hatte eine unbezwingliche Sehnsucht, mein armes Kind wiederzusehen, das du mutterlos gemacht hast, dem du jetzt eine Mutter geben möchtest, die kein Herz für die Waise haben kann. Wenn es ein Verbrechen ist, daß die rechte Mutter ihr Kind der falschen nicht gönnen will, nun wohl, dies Verbrechen habe ich begangen. Stehlen hab' ich mir's wollen, zur Diebin werden an dem, was mein eigenstes Eigenthum ist, mit Schmerzen erkauft, mit Schmerzen verloren – aber es kam anders – ich sollte es nicht haben, zur Strafe dafür, daß ich mein Recht daran nicht besser vertheidigt hatte, – o und dieser grausame, erbarmungslose Mann – der mir Alles genommen hat – auch diesen letzten, kurzen, verzweiflungsvollen Trost –

Es schien, als versage ihr die Stimme. Sie bedeckte ihr Gesicht mit den weißen Händen und schwieg. Aber die Zeit, da sie ihn zu täuschen vermochte, war vorbei.

Wo ist das Kind? fragte er nach einer kurzen Pause, indem er dicht vor sie hintrat.

Sie nahm die Hände nicht von den Augen.

Ich habe es zu dir zurückgeschickt. Ich sah, daß man das unschuldige Wesen im Haß gegen die eigene Mutter erzogen hatte und daß ich nicht hoffen durfte, sein junges Herz mir wieder zuzuwenden. Wie mir dabei zu Muth war – genug! was kümmern dich meine Schmerzen? Ich habe das Kind zum letzten Mal an meine Brust gedrückt und es dann für immer von mir gelassen. Wenn du nach Hause kommst, wirst du es finden. Dies ist die Wahrheit. Und wenn ich in diesem Augenblick sterben sollte, ich könnte nichts Anderes bekennen.

Sie richtete sich bei diesen Worten auf, ihre Augen schimmerten feucht, ihre Züge hatten einen Ausdruck von ängstlicher Aufregung angenommen, ihre Geberden waren hastig und unschön.

Nun? rief sie. Bist du noch nicht zufrieden? Hab' ich noch irgend Etwas, was dein Haß mir nicht gönnt, was du mir entreißen möchtest? Nimm es, nimm Alles, was ich habe, nimm mir auch das elende Leben, das du mir bisher gelassen hast, denn ich merke wohl, dahin zielst du, wenn du sagst, du wollest ein Ende machen. Ja wohl, ein Ende mit meinen Qualen, meinen getäuschten Hoffnungen, meinem Glück und meiner Ehre, ein Ende mit dem armseligen Geschöpf, das wie ein vom Zweige gerissenes Blatt durch die Welt fährt und nirgends Ruhe findet, nirgends, bis es in den Schlamm sinkt und vermodert!

Sie warf sich auf das Sopha und brach in Thränen aus.

Er kannte diese Thränen. Er wußte, daß sie die Kunst besaß, sich selbst zu rühren, um Andern rührend zu erscheinen. Dennoch fühlte er ein tiefes Mitleiden mit dieser armen Natur, die selbst in ihren wahrsten Schmerzen nicht einmal unverfälschte Thränen hatte.

Lucie, sagte er, – es war das erste Mal, daß er sie wieder mit ihrem Namen anredete, – du hast Recht, du bist unglücklich, und ich habe es mit verschuldet. Ich hätte der Klügere sein sollen und nie daran denken, dich zu meiner Frau machen zu wollen. Wir sind von verschiedenem Blut; du bist in deinem Element, wenn du eine Andere bist, als du selbst. Ich – aber wozu davon reden? Das Alles wissen wir – wir hätten es damals wissen sollen, viel Bittres wäre uns erspart geblieben. Und nun, Lucie, – du flehst, ich bin nicht ungerecht; ich theile die Schuld zwischen uns, wie ich vom Unglück meine redliche Hälfte getragen habe. Aber soll es so fortgehn und dir und mir den ganzen Rest unseres Lebens zerrütten? Ich habe dir das Alles geschrieben. Warum hast du meine Briefe nicht besser gelesen? Wir wären jetzt weiter mit einander und könnten, was noch übrig ist, in freundlichem Ton abmachen.

Deine Briefe? sagte sie, plötzlich sich aufrichtend und ihre Thränen trocknend. Ich habe sie nur zu gut gelesen. Ich weiß, daß in und zwischen den Zeilen nur das Eine Wort steht: Ich will loskommen! Loskommen um jeden Preis! – Ich wußte auch, wer dies Wort dir in die Feder dictirt hat, und jetzt, da ich die persönliche Bekanntschaft dieser Unvergleichlichen gemacht, – nein, ohne jeden Hohn, der in meiner Lage ein kindischer Trotz wäre: ich begreife, daß du Alles daransetzen möchtest, frei zu sein, um dich in solche Fesseln zu stürzen. Aber mir zuzumuthen, mit meinem Theil unseres gemeinschaftlichen Unglücks, wie du es nennst, freiwillig zurückzutreten und zuzusehen, wie du nun recht nach Herzenslust ein neues Glück findest – oh, ihr seid treffliche Egoisten, ihr Männer, aber ihr solltet nicht so naiv sein, es uns zum Verbrechen zu machen, wenn auch wir ein wenig an uns selber denken!

Sein alter Widerwille stieg bei dieser klugberechneten leidenschaftlichen Rede wieder in ihm auf. Aber er zwang sich zur Ruhe.

Ich habe es dir nicht verhehlt, sagte er, daß ich jetzt mehr als je auf eine völlige Trennung dringe, weil ich eine neue Ehe schließen will. Wenn du dein Interesse dabei fändest, dies hindern zu wollen, wenn du mich hindern wolltest, noch einmal ein glücklicher Mensch zu werden – so wäre das von deiner Seite zu begreifen, wenn es auch wenig Stolz verriethe. Aber du solltest mich besser kennen. Du solltest wissen, daß es mein furchtbarer Ernst ist, wenn ich sage: meine Ergebung in das Schicksal, das uns noch auf einander anweis't, ist zu Ende. Ich will – ich werde mich nicht darein ergeben, daß der schadenfrohe Trotz eines Weibes mich und Die, die ich liebe, um unser Lebensglück betrügt. Ich bin zu Allem entschlossen, was mich freimachen kann, hörst du es? zu Allem. Und darum sag' ich dir: mache deinen Preis. Ich begreife, daß dein Wunsch, mich in deiner Gewalt zu wissen, der Triumph, mich ein Stück der Kette nachschleppen zu sehn, dir theuer ist. Aber noch theurere Dinge haben ihren Preis. Nenne mir den deinen; ich will deinen Haß und deine Schadenfreude dir abkaufen, und müßte ich wie ein Tagelöhner vom Morgen bis in die Nacht arbeiten.

Das würde wohl nicht nöthig sein. Deine Freundin ist reich, wie ich höre. Aber du täuschest dich. Ich bin nicht habsüchtig. Gieb mir das Kind – und ich will den Vater nie gekannt haben.

Weib! rief er, von ihrem Spiele, das er durchschaute, bis ins Innerste empört – du bist –

Dann faßte er sich. Er sank auf den Stuhl neben dem Sopha und sagte in einem Tone, wie wenn er ihr das Gleichgültigste mitzutheilen hätte:

Es ist gut. Du bleibst unzugänglich für jedes Wort, für jede Bitte. Laß dir aber sagen: ich bin so sehr entschlossen, mich frei zu machen, wie du es nur irgend sein kannst, meine elende Unfreiheit zu verewigen. Wenn du einwilligst in eine gesetzliche Scheidung, wirst du dich nicht über mich zu beklagen haben. Ich werde, was ich bisher für dich gethan, verdoppeln, ja dir zusichern, daß du diesen Mitgenuß meiner Einkünfte auch durch eine zweite Ehe, die du eingehen möchtest, nicht verscherzen sollst. Du lächelst und stellst dich ungläubig. Spielen wir ehrliches Spiel. Du bist jung und schön; wenn ich auch zweifle, daß du je einen Mann finden wirst, dem dein Herz sich hingiebt: einen Mann, der deine Sinne besticht und dessen Stellung dich anlockt, findest du leicht, und so wäre unsere Rechnung ausgeglichen. Wenn du dich gegen diesen billigen Vergleich auflehnst –

Sie sah ihn wieder mit ihrer ganzen Kinderunschuld an, mit jener lächelnden Neugier, als ob es sich um die Auflösung einer Lustspielscene handelte.

Nun – und dann? fragte sie.

Dann werde ich alle Mittel aufbieten, dir das Leben so zu zerstören, wie du meines zerstörst, dich mit meinem Hasse verfolgen, wohin du auch fliehen magst, an deinen Fersen bleiben, was du auch thun magst. Ich weiß, wie du lebst, daß du nichts versäumt hast, dich über den Verlust eines Gatten zu trösten. Ich habe dich in meinem Herzen so völlig freigegeben, daß ich nicht den Schatten eines Kummers darüber empfand, wenn du dich wegwarfst an Wen dir's beliebte. Das wird anders werden. Ich werde dir einen Wächter geben, dessen einzige Aufgabe sein soll, deine Schritte und Tritte auszuspähen und mir das zu schaffen, was mir bisher gefehlt: Beweise, daß du meine Ehre wie mein Glück mit Füßen trittst. Dann werde ich offen vor die Welt hintreten und von diesem glatten Gesicht die Larve reißen. Dann werde ich –

Es wäre besser, die Mühe zu sparen, unterbrach sie ihn kalt; da du so gütig warst, mich selbst zu warnen, wirst du begreifen, daß ich, falls ich überhaupt Lust dazu hätte, leichtfertig zu werden, gegen Spione mich schon sicher stellen würde. Du würdest also dein Geld wegwerfen und Nichts erreichen. Denn so schwache Beweise meiner Schuld gegen dich, wie ein Handschuh, den vielleicht der Arzt in meinem Zimmer liegen lassen und den ein geistreicher Hund – a propos! es thut mir aufrichtig leid, daß ich die unschuldige Ursache zu dem Verlust dieses deines Freundes sein mußte, obwohl dieser feine Menschenkenner eine eben so unüberwindliche Abneigung gegen mich zeigte, wie sein Herr. Ein anderer Ausgang wäre dir ohne Zweifel erwünschter gewesen. Indessen, so wenig mein verpfuschtes Leben werth sein mag, und so viel leichter du eine zweite Frau findest, als einen zweiten Hund –

Weib! schrie er, außer sich gebracht von ihrem dreisten Hohn in dieser qualvollen Stunde – nicht ein Wort mehr, oder –

Oder?

Sie sah ihn herausfordernd an, indem sie aufstand und die Arme kreuzte.

Oder ich mache ein anderes Ende, als du dir träumen lässest, und der Wagen, der dich Teufelin lachend und meiner spottend mit deinem sauberen Galan hiehergebracht hat, wird morgen –

Er hatte die Faust erhoben, als wollte er sie wie einen Hammer auf ihr Haupt niederfallen lassen. Sie hielt seinen Blick aus, ohne mit der Wimper zu zucken.

Morde mich, wenn du das Herz dazu hast! sagte sie kalt, mit verächtlich gerümpfter Lippe. Die Komödie, in der ein Hund eine so herrliche Charakterrolle gespielt hat, würde dann recht passend als ein Trauerspiel endigen, immer noch besser, als mit einer elenden Versöhnung. So wahr ich unschuldig bin an deinem Wahnsinn und an deiner Wuth, so wahr nie einem hülflosen Wesen eine unverdientere Schmach zugefügt worden ist, ihr Glück, ihre Ehre, ihre ganze Zukunft unbarmherziger –

Die Thür wurde aufgerissen – Felix, der die Lauscherin draußen zurückgedrängt hatte, in der Meinung, gerade zur rechten Zeit zu kommen, um eine Gewaltthat zu hindern, stürmte ins Zimmer und stand plötzlich vor der Sprecherin. Aber kaum hatte sie einen Blick auf ihn geworfen, als sie mit einem hellen Schrei, der den Männern durch Mark und Bein drang, zurücksank, die Arme wie von einem plötzlichen Starrkrampf gelähmt, die Züge verzerrt, in einem Zustande, der so sehr alle Zeichen furchtbarer Wahrheit an sich trug, daß kein Gedanke an eine neue Täuschung aufkommen konnte. Ehe noch Jansen sich fassen konnte, war die Mutter vom Corridor herein gestürzt, zu der Entseelten hin, die blicklos mit weit aufgerissenen Augen auf dem Sopha lag, ein irres Lächeln um den Mund, die Hände starr mit gespreizten Fingern weit von sich gestreckt.

Sie haben sie getödtet! rief die Alte, indem sie versuchte, den halb auf den Boden gesunkenen Körper auf das Polster zu heben. Helfen Sie – retten Sie – bringen Sie Wasser, Essig – was irgend zu haben ist – Lucie! meine ärmste Lucie! Hörst du mich? Ich bin's! Mein Gott! mein Gott! hat es dahin kommen müssen!

Es ist eine Ohnmacht, nichts weiter! hörte man jetzt Jansen's Stimme. Sie hat schon früher solche Anfälle gehabt, besonders nach großen Anstrengungen auf der Bühne. Und die heutige Scene – Das Wort versagte ihm plötzlich. Er hatte sich, während er sprach, zu Felix umgewendet, der die Augen unverwandt auf die Hingesunkene geheftet mitten im Zimmer stand. Es war, als hätte der Blitz, der sie getroffen, auch ihn gestreift. Kein Glied rührte er, keine Muskel in seinem Gesicht zuckte; kein Tropfen Bluts schien mehr durch seine Adern zu rinnen.

Felix! Um Gotteswillen, was ist dir? Was hast du? – hörst du mich, Felix? rief Jansen, seinen Arm fassend und heftig drückend.

Der Angerufene machte eine vergebliche Anstrengung, wieder Herr seiner selbst zu werden. Noch immer konnte er den Blick nicht von der für todt Daliegenden wegwenden, nickte nur ein paarmal mit dem Kopf, wie um ein Lebenszeichen zu geben, und that einen tiefen Athemzug. Dann sagte er, jedes Wort einzeln hervorstoßend: Das da – ist also – deine Frau?

Felix! rief Jansen mit einem Ton, aus dem eine furchtbare Ahnung klang. Felix – sprich – nein – sage nichts – komm hinaus – Wir – wir sind hier überflüssig –

Das also – ist – seine Frau! wiederholte der Andere, wie zu sich selbst redend. Auf einmal schüttelte er sich mit einer Geberde des Grauens, machte ein abwehrendes Zeichen gegen den Freund und stürzte in so gewaltsamer Hast aus dem Zimmer, daß er Jansen die Möglichkeit abschnitt, ihn zurückzuhalten. Man hörte ihn gleich darauf die Treppe hinunterstürmen und die Hausthür unten hinter sich zuwerfen.

Jansen war an das Fenster geeilt und hatte es aufgerissen. Felix! rief er ihm nach. Ein Wort – nur ein einziges Wort!

Kein Laut kam von draußen zurück. Nur der Schneeregen sprühte durch das offne Fenster herein, dem schwergetroffenen Manne über Haupt und Brust. Er merkte es nicht. Er mußte sich auf das Fensterbrett stützen, um aufrecht zu bleiben; so stand er wohl zehn Minuten, blind und taub für Alles, was neben ihm vorging. Die alte Sängerin, unter beständigem Jammern, bemühte sich, die Ohnmächtige zu beleben. Sie hatte aus einer Reisetasche ein Fläschchen mit einer starken Essenz vorgekramt und bestrich damit die todblassen Schläfen und Wangen der jungen Frau. Jansen hatte die Augen auf die Gruppe gerichtet, es war aber, als nähme er nichts von Allem wahr, was mit der Leblosen geschah. Erst als sie eine schwache Bewegung mit der Hand machte, die gleich wieder auf das Polster zurückfiel, schien er sich zu besinnen. Er trat vom Fenster weg, ohne es zu schließen.

Lassen Sie die kalte Luft herein, sagte er dumpf. Es ist das beste Mittel, sie wieder zu sich zu bringen. Legen Sie ihr Schnee auf die Stirn, in wenigen Minuten wird sie die Augen wieder aufschlagen. Sagen Sie ihr dann, daß ich das Haus verlassen habe und – daß sie Ruhe vor mir haben wird. Gute Nacht!

Die Mutter richtete sich von den Knieen auf und wollte noch etwas erwiedern. Als sie sein Gesicht sah, verstummte sie und nickte bloß furchtsam und kläglich zu Allem, was er sagte. Sie sah ihn dann aus dem Zimmer gehen und fuhr eifrig fort, der schwer Athmenden Beistand zu leisten. Es gelang ihr auch endlich, sie aufrecht hinzusetzen, aber das bleiche Haupt fiel an die Lehne des Sopha's zurück. Dann lief sie zum Fenster und brachte ein paar Hände voll von dem Schnee, der draußen auf dem Gesims lag. Endlich schlug die Ohnmächtige in der That die Augen wieder auf.

Ihr erster, noch halb abwesender Blick irrte durch das Zimmer. Nach einer Weile wachte sie völlig auf und bewegte die Lippen.

Wo ist er? hauchte sie.

In demselben Augenblick hörte man draußen den Hufschlag eines davonsprengenden Pferdes.

Hörst du? flüsterte die Alte. Da reitet er eben davon. Er wird nicht wiederkommen – er läßt dir eine gute Nacht wünschen, und ich soll dir sagen, er würde dich in Ruhe lassen. O die Männer – o dieser Mann! Arme, arme Lucie!

Die blasse junge Frau schien noch immer nicht ganz zu verstehen. Ihre Züge waren noch furchtsam gespannt. Sie zog die Mutter näher an sich und flüsterte: Und – der Andere? – War er es wirklich? Oder war's – sein Gespenst!

Was meinst du, Kind? Sprichst du im Fieber? Aber sei nur stille – wir werden hoffentlich eine ruhige Nacht haben – o mein Gott, welche Auftritte, welche Katastrophen!

Sie griff nach dem Becher mit Wein und trank ihn aus. Lucie hörte nicht auf sie.

Ein Schauder überlief ihre Gestalt. Sie schloß die Augen von Neuem. Der Krampf, der sie befallen hatte, lös'te sich jetzt erst vollends in heftiges Schluchzen, dem die Mutter, die solche Nervenzufälle nicht zum ersten Male miterlebte, ohne ein weiteres Trostwort zu verschwenden, seinen Lauf ließ.


 << zurück weiter >>