Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Kapitel.

Oben in einem kahlen, dürftig möblirten Zimmer des Wirthshauses lag Irene.

Ein schwacher Abendschein glomm durch die kleinen, vom Regen noch triefenden Fensterscheiben herein, drang aber nicht bis zu dem Sopha, wo die Aermste zusammengekauert, die Hände vor das Gesicht gedrückt, in bitterlichen Schmerzen lag und umsonst versuchte, mit den Falten ihrer Kapuze sich die Ohren so dicht zu verschließen, daß sie von der Walzermusik unten nichts mehr hörte. Von den tactmäßigen Tanzschritten erdröhnten Wände und Fußboden des leichtgebauten Obergeschosses. Nie in ihrem Leben, dachte sie, sei sie elender und mitleidswürdiger gewesen, nicht einmal in den schweren Tagen, die ihrem Entschluß, Felix den Scheidebrief zu schreiben, vorangingen. Es war noch immer eine gewisse Größe, Würde und Harmonie in ihr selbst und um sie her gerettet worden, während jetzt der Zustand bis zum wildesten Humor peinigend und empörend war. Sie hier oben in ihren Qualen, und Er unten guter Dinge, eine Kellnerin im Arm wiegend zu den Klängen einer Bauernmusik, und nicht einmal unter den übrigen Hochzeitsgästen, sondern abseits unter vier Augen, so recht in der Stille, wie man nur tanzen mag, wenn einem sehr tanzlustig oder verliebt zu Muthe ist. Auch der Trost konnte nicht Stich halten, daß er es ihr zum Trutz gethan, aus heimlichem Liebesunmuth und Gram. Er konnte ja nicht ahnen, daß sie dazukommen und ihn beim Tanz belauschen, daß sie sehen würde, wie fest das Mädchen sich an seine Brust schmiegte und wie ungern sie sich endlich aus seinen Armen wand.

Sie war heraufgeflohen, wie von einem Gespenst verfolgt, hatte mit zitternden Händen den Riegel hinter sich vorgeschoben und sich auf das harte kleine Sopha geworfen, die Augen zugedrückt, den Nacken gebeugt, als sollte nun jeden Augenblick der letzte Streich fallen. Und unten summte und brummte der joviale Contrabaß und die Clarinette erging sich in den ausgelassensten Passagen.

In diesen Augenblicken haßte sie den Liebsten, den sie bis dahin durch alle Trennung hindurch zwar als verloren, aber wie einen ewig theuren Todten betrauert hatte. Wenn sie daran dachte, daß die Hand, die ihr einst geliebkos't, das Kinn des garstigen rothhaarigen Mädchens gestreichelt hatte, durchzuckte ihr Herz ein schneidender Widerwille, als fühle sie nachträglich sich selbst erniedrigt und entehrt durch diese Gemeinschaft. Sie weinte keine Thräne, aber nur, weil ihr Stolz sich gewaltsam dagegen aufbäumte. Und doch mußte sie mit den kleinen Zähnen in das seidene Futter ihrer Kapuze beißen, um das Schluchzen zu unterdrücken und die Thränen zurückzuhalten.

Sie fühlte, daß sie irgend einen Entschluß fassen müsse, um diesem Unerträglichen ein Ende zu machen, daß gleich am morgenden Tage die so unheilvoll aufgeschobene italienische Reise angetreten werden mußte. Aber heute – aber jetzt, wo es vor Allem darauf ankam, ihm nicht wieder zu begegnen, aus diesem Tollhause zu entkommen, wo sie selbst Gefahr lief, wahnwitzig zu werden – –

Da klopfte es an ihre Thür. Erschrocken fuhr sie in die Höhe. Wenn Er es wäre, wenn er etwa gar käme, sich vor ihr zu rechtfertigen, sein unerhörtes Betragen zu entschuldigen –

Sie war unfähig, einen Laut hervorzubringen, auch aus das zweite Klopfen vermochte sie nicht zu fragen, wer da sei. Erst als sie die Stimme der Kellnerin hörte, die durch die Thür hineinrief, daß sie dem gnädigen Fräulein eine Botschaft auszurichten habe, konnte sie sich mit wankenden Knieen nach der Thür schleppen und öffnen. Sie nahm dem Mädchen den Zettel aus der Hand, schüttelte auf die Frage, ob sie Licht haben wolle, hastig den Kopf und riegelte dann hinter der eilig verabschiedeten Person, die gern ein wenig geplaudert hätte, die Thür wieder zu.

Es war hell genug am Fenster, die martialische Handschrift des Oberlieutnants zu entziffern.

 

»Mein Freund ist plötzlich schwer erkrankt«, schrieb er. »Ich muß ihn unverzüglich nach Rossel's Villa transportiren. Bitte meine Desertion bei den Damen entschuldigen zu wollen. Meiner durchlauchtigen jungen Gebieterin mich zu Gnaden empfehlend in devotester Eile

Schnetz

 

»Mein Freund« – sie wußte, daß kein Anderer gemeint sein konnte, als Felix; und doch, was sie sonst tödtlich erschreckt haben würde, in diesem Augenblick war es ihr wie eine Erlösung von viel bittreren Qualen. War nicht Alles eher zu ertragen, als ihn froh und glücklich zu wissen, nachdem er ihr das Schnödeste angethan? Konnte nicht die unerhörte Scene, die sie belauscht, aus einer Fieberlaune, einem letzten Aufflackern der Lebenslust vor dem Zusammenbrechen erklärt werden? Dann war er trotz alledem ihrer heimlichen Gedanken noch werth, sie hatte ihm sogar etwas abzubitten, ja sie durfte mit der Theilnahme, die man allen Leidenden schuldig ist, um ihn sorgen und sich bekümmern.

Eine schwere Last fiel ihr vom Herzen. Sie las den Zettel zum zweiten Mal. Rossel's Villa – die lag ja nur eine halbe Stunde von der ihren entfernt. Heute noch konnte sie Nachricht haben – heute noch würde Schnetz vielleicht selbst kommen und erzählen –

Aber während sie in solchen Gedanken die Augen über den See schweifen ließ, sah sie den Kahn eben vom Lande stoßen, den Schnetz und Kohle ruderten. Die Dämmerung war noch hell genug, um das Mädchen in der Kellnerinnentracht deutlich zu erkennen, das da auf dem niederen Bänkchen saß und den Kopf des Jünglings in ihrem Schooße hielt. Hätte die Späherin droben noch zweifeln können, die dicken Flechten, mit denen die kleine Samariterin den Regungslosen zu streicheln schien, würden sie hinlänglich aufgeklärt haben.

Mit raschen Ruderschlägen trieb der Kahn in die weite Seefläche hinaus. Wenige Minuten – und die Gestalten darin waren zu Schatten verblüfft. Bald deutete nur ein leichter Streif auf dem blanken Spiegel des Sees die Straße an, die das stille Fahrzeug gezogen war. –

Eine Viertelstunde darauf trat Irene unten in das Zimmer neben dem Tanzsaal, wo die alte Gräfin saß, ungeduldig über das Ausbleiben ihres Cavaliers, der sie doch nur verlassen hatte, um für die Rückfahrt zu sorgen. Sie erschrak über das entfärbte Gesicht des Fräuleins und überhäufte sie mit besorgten Fragen. Statt aller Antwort reichte Irene ihr den Zettel des Oberlieutnants. Die lebhafte Aufregung, in welche der sehr fatale Zwischenfall die gute Dame versetzte, lenkte ihre Gedanken gänzlich von Irenens Befinden ab. Auch die jungen Leute, die eilig vom Tanz abgerufen wurden, waren viel zu sehr mit sich selbst und der Frage, was nun zu thun sei, beschäftigt, um das stumme und versteinerte Wesen Irenens befremdlich zu finden. Sie hatte ja auch vorhin schon über Kopfweh geklagt. Die Gräfin schalt auf Schnetz, daß er gar nicht an sie gedacht; wem sollte nun die Lenkung des Schiffes bei der Heimfahrt anvertraut werden? Elfinger's und Rosenbusch's Hülfe, die bereitwilligst angeboten wurde, lehnte sie entschieden ab, wollte auch nichts davon hören, daß man hier im Hause sich nach einem Schiffer umsähe, und erklärte, sie würde jetzt überhaupt um keinen Preis sich auf das Wasser wagen. Man habe Beispiele, daß der Wind plötzlich umspringe und ein Gewitter, das schon vorübergezogen, noch einmal zurücktreibe.

Indessen hatte der junge Graf mit dem Wirth Rücksprache genommen und meldete jetzt, daß sogleich ein Wagen angespannt werden sollte, der sie bequem in einer kleinen Stunde nach Starnberg bringen würde. Die andere Gesellschaft könne dann ihren Kahn benutzen, falls sie nicht vorzögen, zu warten, bis der Wagen zurückkäme. Da aber der Himmel klar und die Nacht warm und lieblich war, fanden es sowohl die Schwestern als auch Tante Babette rathsamer, die Fahrt über den See zu machen, statt noch ein paar Stunden in dem dumpfen Hause zu verwarten.

So verabschiedete man sich mit mehr oder weniger Förmlichkeit von den Hochzeitsleuten und rüstete sich zum Aufbruch. Die alte Gräfin, die sich stundenlang sehr gnädig gezeigt hatte, so lange Schnetz noch den Vermittler machte und der fremde junge Baron seinen bürgerlichen Freunden ein gewisses Ansehen gab, schien plötzlich die alte Kluft zwischen sich und ihren Lebensrettern wieder zu erblicken und würdigte zumal die Mädchen keines Wortes mehr. Sie deutete es Rosenbusch ziemlich unverblümt an, daß sie auf Schnetz sehr ungehalten sei, da er alle égards gegen sie aus den Augen gesetzt und, bevor er sich entfernte, nicht einmal persönlich sich beurlaubt habe. Dem Schlachtenmaler, der eben in einiger Verwirrung den abwesenden Freund entschuldigen wollte, stockte plötzlich das Wort in der Kehle. Man hatte das Haus verlassen, um draußen zu warten, bis der Wagen bereit sein würde. Da, auf dem weißen Kiesgrunde nah am Ufer, bemerke Rosenbusch einen dunklen Fleck, von dem aus eine breite Tropfenspur bis nach dem Landungsplatz hinablief. Herrgott! rief er, was ist das? Blut! eben erst vergossenes Blut! Meine gnädigste Gräfin, wenn dieses Blut wirklich von unserm Baron herrührt, so ist Freund Schnetz wohl selbst vor dem strengsten Ehrengericht gerechtfertigt, daß er gegen die Gesetze der Courtoisie gefehlt hat. Ich beschwöre Sie, lassen Sie die Andern nichts davon erfahren – die jungen Damen sind so verteufelt schreckhaft und blutscheu –

Die Warnung kam leider zu spät. Irene war eben herangetreten. Als sie die unheilvolle Spur erblickte, stieß sie einen leichten Schrei aus, wankte zurück und stützte sich einen Augenblick auf Rosenbusch, der beflissen herzusprang. Dieser Auftritt rief auch die Anderen herbei, und nach dem ersten Schrecken erschöpfte man sich in Vermuthungen über das räthselhafte Ereigniß. Wer konnte bei der ungewöhnlich kräftigen Gestalt des jungen Mannes an einen Blutsturz glauben? Ein Kampf dagegen – wo hatte man den Gegner zu suchen?

Noch standen die Freunde rathlos und bestürzt um die unheimliche Stelle, als einer der Knechte des Wirths herbeigelaufen kam und erzählte, auch am Brückensteg habe er Blutspuren entdeckt und dieses Messer hier hart daneben am Ufer gefunden. Es war kein gewöhnliches »im Griff feststehendes« Bauernmesser, sondern eine schmale, damascirte Dolchklinge, das Heft trug deutlich die Spuren einer blutigen Hand; wem es gehört hatte, wußte Niemand, außer Irenen.

Der Wagen war inzwischen vorgefahren, man hatte die leidende Irene, die mühsam ihre Fassung zu behaupten suchte, hineingehoben, und Mutter und Tochter nebst den beiden jungen Herren nahmen, so gut es gehen wollte, die übrigen Plätze ein. Noch ein kurzer Abschied, dessen Einsilbigkeit durch die unheimliche Stimmung vollkommen erklärt wurde, und der adlige Theil der Gesellschaft rollte davon.

Wenige Minuten später stieß der Kahn vom Lande, den Rosenbusch und Elfinger ruderten. Die Nacht war still und klar, und die gekühlte Luft glitt weich und feucht um die erhitzten Wangen der Mädchen. Sie saßen aber dicht aneinander geschmiegt und sahen schweigend auf die blinkenden Wellen, und auch von ihren Freunden sprach keiner ein Wort. Nur Tante Babette fing einmal davon an, wie liebenswürdig diese vornehmen Herrschaften bei näherer Bekanntschaft seien, und wie schade, daß man nicht zusammen nach Hause hätte fahren können, sie habe dem jungen Grafen so viel von Rosenbusch's Flötenspiel erzählt.

Als Niemand etwas hierauf erwiederte, verstummte auch sie, faltete die Hände in ihrem Schooß und schien in geistliche Betrachtungen zu versinken.


 << zurück weiter >>