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Siebentes Kapitel.

Auch den anderen Freunden war die sonnige Paradiesesstimmung, in der wir sie zuerst kennen lernten, in diesen Herbstnebeln mehr und mehr abhanden gekommen.

Rosenbusch ging täglich in sein Atelier; er that aber dort nicht viel mehr, als daß er seine Mäuse fütterte, die Flöte aus dem Futteral nahm, um sie zu putzen und einzuölen, ohne ihr einen Ton zu entlocken, und sich eine Stunde lang vor die nun vollendete Lützener Schlacht hinstellte, mit einem Seufzer, der nicht gerade siegesfroh klang. Er hatte längst eine neue Leinwand präparirt, auf der er den Einzug Gustav Adolfs in München malen wollte, ein Thema, für das er hoffen durfte, selbst den Kunstverein zu interessiren. Noch aber sollte der erste Strich geschehen. Die Wahrheit zu sagen, war die Temperatur in seinem Atelier dazu angethan, alle Musen zu verscheuchen und die »süßen Flötenlaute« einfrieren zu lassen. Sogar die Mäuse, die es besser gewohnt waren, pfiffen unbehaglich in ihrem Draht-Häuschen, während ihr Freund und Nährvater, die mittelalterliche Pferdedecke um sein Malwamms gewickelt, tiefsinnig auf und ab schritt und jedesmal, wenn er an dem kalten Ofen vorbeikam, ihn mit einem mißbilligenden Blick betrachtete, wie einen Freund, der einem nur so lange treu bleibt, als man ihn selber warm hält. Das Geld für jene Illustrationen der Landsknechtslieder war längst aufgebraucht. Ein Antiquitätenhändler hatte ihm freilich auf ein altes, mit künstlichem Silberbeschlag versehenes Kästchen, das von keinem Geringeren als General Illo herstammen sollte, ein ansehnliches Gebot gemacht. Aber dieses werthe Alterthum hinzugeben, um gemeines Brennholz dafür einzutauschen, konnte er sich nicht entschließen. Von Elfinger etwas zu borgen, der selbst nichts übrig hatte, oder seinen Hausgenossen sich zu entdecken, war er zu stolz. Wenn ihn Jemand in seiner wunderlichen Vermummung einsam hin und her wandelnd antraf, behauptete er mit lachendem Gesicht, er sei zu vollblütig, um die Ofenwärme zu ertragen. Auch sei er gerade in einer poetischen Periode und brüte über einem Epos, das die erstaunlichen und erbärmlichen Liebesabenteuer des schwedischen Hauptmanns mit Gustel von Blasewitz behandeln solle. Das Dichten aber sei eine sehr erhitzende Beschäftigung, wenn nicht bereits »der Schatten eines Lorbeerblattes« die Stirn kühle, auf welcher der Angstschweiß der Musen stehe.

Gegen Mittag warf er die Pferdedecke ab und ging zu Angelica hinüber, bei der es warm und behaglich war. Das gute Mädchen führte nach wie vor ihr stilles und fleißiges Leben, verkaufte ein Blumenstück nach dem andern, billig aber sicher, malte die Kinder zärtlicher Eltern, die für die Kunst wenig Geld übrig hatten, aber ihren »Salon« doch gern mit den rothwangigen Lockenköpfen von ihrem eigenen Fleisch und Blut geschmückt sahen, und hätte eigentlich keinen Grund gehabt, das Hinsterben des schönen Sommers zu betrauern. Gleichwohl war auch sie merklich in ihrer guten Laune herabgestimmt. Ob es der sittliche Zorn über die Tändelei und verlorne Liebesmüh' ihres rothbärtigen Nachbars war, der seit jener Wasserfahrt nichts als flüchtige Blicke und Briefe mit seiner Liebsten hatte tauschen dürfen – der Vater war hinter das Starnberger Abenteuer gekommen und hatte mit Tante Babette eine heftige Scene gehabt, – ob das umwölkte Glück ihrer schönen Freundin ihr eine stille Sorge oder trotz alledem eine sehr verzeihliche Sehnsucht nach ähnlicher Erfüllung ihres irdischen Berufs erweckte, – wer mag es sagen! Sie selbst ließ nie eine Klage laut werden, und zumal den heimlichen Verlobten zeigte sie immer das zufriedenste Gesicht. Rosenbusch aber entging ihre veränderte Stimmung nicht. Er mußte sich mehr als je und in weit schärferem Tone von ihr moralisiren lassen, sowohl wegen seiner Unthätigkeit, als auch besonders wegen der unzweckmäßigen und unmannhaften Art, wie er seinen Liebeshandel betrieb. Sie konnte ihm hierüber so herbe Dinge sagen, daß jeder Andere aus dem Zimmer gelaufen wäre. Er aber begoß inzwischen mit der reuigsten Armensündermiene ihre Blumen, wusch ihr die Pinsel und versicherte zuletzt, es sei ihm niemals wohler, als wenn sie ihn rüffle; er werde dann inne, daß er auf der Welt keine bessere Freundin habe, als sie. Aber er würde nicht der Narr sein, sich zu bessern, da er ihr nur durch seine Fehler interessant sei. Für seine lobenswerthen Eigenschaften habe sie keinen Sinn, da sie lyrische Gedichte, Adagios und Mäuse nicht leiden könne. Worauf sie erst zu lachen und dann mit Achselzucken und einem vielsagenden Seufzer zu verstummen pflegte.

Nicht froher verbrachte Eduard der Dicke seine Tage, obwohl er wieder von seinen städtischen Bequemlichkeiten umgeben und der verhaßten Aufgabe, die Natur zu genießen, überhoben war. Diesem verwöhnten Schooßkinde des Glücks war zum ersten Mal ein Wunsch unerfüllt geblieben, und was den Stachel der Entbehrung noch schärfte: ein Wunsch, der gar nicht in die Wolken oder bis an die Sterne ging, sondern scheinbar mit Händen zu greifen war. Er hatte bisher über Ungnade und Grausamkeit der Frauen nicht zu klagen gehabt. Der seltsame Gegensatz seiner trägen, schlaffen und phlegmatischen Erscheinung zu der scharfen geistigen Kraft, die aus seinen Augen und von seinen Lippen sprühte, dazu die wegwerfende Art, mit der er gerade die stolzesten und anspruchsvollsten Weiber zu behandeln pflegte, reizte sie, es mit ihm aufzunehmen, ihn herauszufordern und zu mißhandeln, bis sie unversehens den Kürzern zogen. Nun war ihm zum ersten Mal ein Wesen begegnet, zu dem er sich, da sie weder schön, noch gebildet, noch sonderlich tugendhaft oder auch nur von guter Herkunft war, in jedem Sinne herablassen mußte. Und dieses sonderbare Geschöpf zeigte ihm die beharrlichste Kälte, blieb für seine besten Worte und herzlichsten Huldigungen unempfindlich wie ein Stock und war ihm zuletzt sogar völlig aus den Händen geschlüpft. Denn trotz aller Bemühungen gelang es weder ihm noch dem alten Schöpf, den Versteck des Mädchens auszukundschaften.

Seit Schnetz ihn in das Geheimniß eingeweiht, hatte Rossel sich enger an den Großpapa angeschlossen, ihm sogar den Vorschlag gemacht, eine Wohnung in seinem Hause anzunehmen. Der Alte, der indessen ein etwas größeres Quartier bezogen, um, sobald das Mädchen bei ihm anklopfte, zu ihrer Aufnahme bereit zu sein, lehnte das Anerbieten ab, trug aber seine einsamen Stunden gern zu dem geistreichen jungen Freunde. Sie konnten sich dann stundenlang, da sie Beide müßig waren, in Gespräche darüber vertiefen, worauf es in der Kunst eigentlich ankomme, was gemalt und was nicht gemalt werden müsse, und nur wenn zur ungewöhnlichen Zeit die Klingel im Hause ertönte, fuhren sie Beide zusammen und horchten gespannt hinaus, in der Hoffnung, es möchte am Ende doch die Verschwundene sein, die reuig zu ihren besten Freunden zurückkehre.

Die Einzigen, deren Stimmung unverändert geblieben, waren Kohle und Schnetz; Letzterer, weil seine Thersiteslaune zu tief in seinem Wesen wurzelte, um durch Gutes oder Böses, das er erfuhr, hinauf- oder herabgestimmt zu werden, Kohle dagegen, weil er gleich den »seligen Genien« seines Hölderlin »droben im Lichte wandelte« und an die Geschicke der Menschen, mit denen er noch so eng durch Freundschaft verbunden war, doch nur stundenweis sein Herz hinzugeben vermochte. Schnetz saß in diesen menschenfeindlichen Novembertagen, wenn er nicht bei der kleinen Hoheit Dienst hatte, in seinem Silhouettenkäfig, schnitzelte schwarzgallige Satiren, rauchte, las auf Rossel's Anregung Rabelais und sprach Tage lang mit Niemand als mit seiner blassen kleinen Frau; während Kohle in einer noch viel ärmlicheren ungeheizten Kammer, die ihm eine alte Wäscherin für wenige Gulden vermiethet hatte, seine Tage mit neuen Entwürfen hinbrachte, die er mit steifgefrorenen Fingern, zitternd, aber glühend vor Seligkeit, statt auf neues Cartonpapier, das zu kaufen ihm das Geld fehlte, auf die Rückseite eines großen Ofenschirms zeichnete.

Unter diesen Umständen war es nicht zu verwundern, daß die zwei Abende im Paradiese, die noch im Laufe dieses Jahres Statt fanden, nicht den festlichen Schwung hatten, wie die meisten ihrer Vorgänger. Der alte Schöpf blieb überhaupt weg, Rossel sprach keine Silbe, Jansen kam erst um Mitternacht und sah finster aus den hellen Augen vor sich hin, während er hastig Glas auf Glas leerte, ohne doch davon warm zu werden. Nicht viel ergiebiger war Elfinger, dem sein immer hoffnungsloseres Verhältniß zu dem gottseligen Liebchen ernstlich am Gemüth nagte, und was Rosenbusch an Schnurren zum Besten gab, hatte nach dem Urtheil Rossel's einen Stich, wie eingemachte Früchte, die zu gähren angefangen. Die jüngeren, namenloseren Mitglieder empfanden wohl den Druck, der auf dem ganzen Kreise lag, waren aber theils zu bescheiden, theils nicht begabt genug, um ihrerseits das Paradies in Flor zu bringen. So vergingen die Nächte ohne bacchantische Lust und lärmende Freude, in Gesprächen, wie sie auch in anderen Künstlerkneipen geführt zu werden pflegen, und das unheimliche Gefühl beschlich Einen oder den Anderen, daß auch für diese Gesellschaft, wie für jede menschliche Vereinigung, die Zeit gekommen sein möchte, wo nach der schönsten Höhe ein plötzlicher Abfall eintritt und dann eine rasche Auflösung immer noch würdiger und willkommener erscheint, als langsames Hinsiechen und Versanden.

Einer hatte sich an diesen Abenden nicht mehr sehen lassen, obwohl er noch in der Stadt und übrigens scheinbar in der erwünschtesten Verfassung war: Angelos Stephanopulos. Dieser und Jener war ihm begegnet, zu Wagen oder zu Fuß als Ritter seiner Dame, der russischen Gräfin, die einige Monate verreis't gewesen war, für den Winter aber ihr Quartier wieder in jenem Hôtel garni bezogen hatte, wo auch Irene mit dem Oheim, aber weiter entfernt von den nächtlichen Musik-Orgien, beruhigende Nachrichten aus Italien abwartete. Sie hatte es gegen ihre Hausgenossin bei einem Höflichkeitsbesuch bewenden lassen und jeden näheren Verkehr vermieden.

In diesem Punkte fügte sich der Oheim um so widerspruchsloser seiner jungen Gouvernante, da er im Grunde gegen alle Musik, die nicht kriegerisch oder tanzlustig war, eher Widerwillen als Neigung fühlte. Ein anderes Versprechen aber, das sein gestrenges Nichtchen ihm abgenommen, gegen Jedermann von ihrem früheren Verhältniß zu Felix zu schweigen, erschien ihm so unzweckmäßig, daß er sich ein Gewissen daraus gemacht hätte, es zu halten, wenigstens länger, als die Nachbarschaft auf dem Lande dauerte.

Bei seinem ersten Begegnen mit Schnetz hatte er den Freund und Waffenbruder in die alte Geschichte eingeweiht.

Er bat ihn inständigst, all seinen Einfluß aufzubieten, um Felix aus seinem verbissenen Schweigen aufzurütteln. Nur ein einziger Besuch von ihm – jetzt, mit der interessanten Blässe der Reconvalescenz – nur um für die Theilnahme während seiner Krankheit zu danken – und die Welt müsse sich auf den Kopf gestellt haben, seit er jung gewesen, wenn diese beiden brouillirten Liebesleute sich nicht wieder finden sollten.

Schnetz hörte diese Eröffnungen mit seiner gewohnten mürrischen Ruhe an, mißhandelte heftig seinen Knebelbart und äußerte dann: diese Commission sei nicht nach seinem Geschmack. Er schätze Felix zu sehr, um ihm zu einer Braut zu helfen, die ihn nicht so wie er gehe und stehe zu lieben wisse. Er zweifle selbst, ob dem Junker damit ein Gefallen geschähe. Der hause ganz wohlgemuth draußen in der einsamen Villa, gehe täglich mit Homo in den Wald, eine gute Doppelbüchse im Arm, und wenn er auch nicht viel schieße, schlage er doch die Zeit auf eine männlichere Weise todt, als wenn er sich hier um die verscherzte Gunst und Gnade einer zimperlichen Prinzessin bemühte. Ueberdies sei er Willens, bald nach Weihnachten seine Angelegenheiten zu ordnen, um dann mit dem ersten Frühling zu Schiff zu gehen, da ihm die Luft drüben in Amerika zuträglicher dünke, als die seiner Heimat.

Hierüber gerieth der Onkel in die lebhafteste Bestürzung. Er schilderte dem Freunde in so schwarzen Farben die Zukunft, die ihm selber drohe, wenn Felix diesen Entschluß ausführe, die lebenslange bevormundete Vormundschaft über ein alterndes Fräulein, das von Jahr zu Jahr grilliger und unlenksamer werden und ihn entgelten lassen würde, was sie selbst durch stolzen Unverstand an ihrem Lebensglück gesündigt, er beschwor ihn so beweglich, ihn nur diesmal nicht im Stiche zu lassen, daß endlich Schnetz sich erbarmte und wenigstens die erste Gelegenheit zu ergreifen versprach, um Felix über seine wahre Gesinnung auszuforschen.

Einen Augenblick fühlte er sich versucht, da sie doch einmal bei Bekenntnissen waren, dem munteren Junggesellen, der sich nur seines Mündels entledigen wollte, um dann wieder völlig ungebunden sein Leben zu genießen, ein Wörtchen in Bezug auf gewisse natürliche Pflichten gegen ein anderes verwais'tes Kind zuzuraunen. Es hielt ihn aber ein dunkles Gefühl zurück, als ob eine passendere Stunde dazu kommen könnte. Und da überdies die rothe Zenz vom Erdboden verschwunden schien, hatte es vorläufig keinen Zweck, Vatergefühle wachzurufen, für die der sichtbare Gegenstand vielleicht ein für alle Mal verloren war.


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