Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel.

Doch war der Trieb, etwas zu schaffen, allzu mächtig in ihm, als daß der Unmuth über das Dreinreden des ewigen Zauderers lange in ihm fortgewirkt und seine Kraft gelähmt hätte. Noch im eifrigsten Schellen, nachdem er das erste Blatt ärgerlich in den Winkel geworfen, fing er auf einem zweiten mit starkem Papier bespannten Rahmen an, die Scene zu entwerfen, wie die heimatlose Schönheit mit dem nackten Bübchen an der Klosterpforte von den gaffenden Nonnen umstanden und mit zweideutigen Blicken und Geberden gemustert wird. Felix hatte sich hinter ihm wieder auf sein Lager gestreckt und sah ihm rauchend und nur selten ein Wort hinwerfend auf die Hand. Die Nähe dieses so fest auf sich selbst ruhenden, unscheinbaren und doch immer ins Hohe strebenden Menschen wirkte seltsam beschwichtigend auf Felix' rastlose Seele. Er gestand ihm das, als Kohle sich zu wundern anfing, daß Jemand über Hals und Kopf die Stadt verlassen und aufs Land hinausgestürmt sei, um sich draußen in ein sonnenloses Dachzimmer einzusperren und zuzusehen, wie ein Mensch in einer längst überwundenen Kunstrichtung auf dem sogenannten Holzwege Schritt vor Schritt seinen Karren weiterschleppe.

Lieber Kohle, sagte er, lassen Sie mich nur hier. Ich möchte von Ihnen gern etwas profitiren, was mir nützlicher wäre, als ein Spaziergang oder ein Bad im See, Ihre Kunst nämlich, zu wissen, was Sie wollen, und nichts zu wollen, als was Sie können. Haben Sie die mit auf die Welt gebracht, oder sich nach und nach erst erworben und Lehrgeld dafür bezahlt, wie für andere Künste?

Das Beste davon ist freilich angeboren, versetzte der Blasse, indem er ruhig fortzeichnete. Sehen Sie, ich bin als ein blutarmer Tropf in die Welt getreten, mit einem so geringen Pflichtteil von all den Gütern und Gaben ausgestattet, die den sogenannten Glücklichen, den Majoratsherren und Schooßkindern der Mutter Natur zu Theil werden, daß ich in meinen Knabenjahren nicht viel Spaß vom Leben hatte und es sehr billig weggegeben hätte. Dann aber kam ich dahinter, daß ich doch Eins besaß, was alle glänzenden Schätze aufwog, Schönheit, Reichthum, Witz oder großen Verstand. Ich meine: die Fähigkeit, im Wachen zu träumen und mir selbst meine Träume auszulegen. Die wirkliche Welt mit ihren Freuden und Herrlichkeiten war mir armem Teufel so gut wie verschlossen. Ein so dürftiges Gewächs, wie dieser Philipp Emanuel, ein gelbes, hageres Alräunchen in schlechten Kleidern, das linkisch herumtappte und weder Weiber zu verführen noch Männern zu imponiren vermochte – wie hätte Der sich unterstehen können, seinen Platz an der vollen Tafel einzunehmen, wo sich's die Glückskinder wohl sein ließen! Darum blieb ich bei Seite und verlegte mich mit Eifer und Andacht darauf, mir eine zweite Welt zusammenzuträumen, die mir gehörte, aus der mich Niemand wegweisen konnte, und die weit schöner, erhabener und vollkommener war, als die alltägliche um mich her. Da ich nun mit nichts Anderem Zeit und Kraft verlor, weder mit armseligen Geldspeculationen, noch mit thörichtem Ehrgeiz, oder gar mit hoffnungslosen Liebesgeschichten, so konnte sich meine Natur, so weit sie nun eben reichte, gerade und aufrecht auswachsen, was nicht Jedem gelingt, und ich mußte lachen, wenn ich merkte, daß ich unter meinen Freunden für einen Einfaltspinsel, einen beschränkten Narren galt. Gerade meine Bornirtheit half mir ja zu meinem heimlichen Glück, während ich die vielfältigen Gelüste und das unumschränkte Streben der Anderen so selten zum Glück führen sah. Chi troppo abbraccia, nulla stringe, sagen die weisen Italiener. Ich umarme nichts, als meine Kunst, doch die um so feuriger, weil ich sie ganz für mich allein besitze. Da haben Sie das ganze Geheimniß. In dieser Welt ist eine gerechtere Ausgleichung des Guten und Schlimmen, des Glücks und Unglücks, als man sich's in einer mißmuthigen Stunde eingestehen will.

Felix schwieg. Er hatte es auf der Zunge, zu sagen, daß er ihn beneide. Doch fühlte er sofort, wie Recht der stille Mensch mit seinem letzten Ausspruch hatte. Hätte er doch um keinen Frieden der Welt seinen unseligen Zustand hingegeben, der ihm mit den leidenschaftlichsten Schmerzen zugleich die Gewißheit gab, daß ein so reizendes Geschöpf, wie seine verlorene Liebste, noch immer auf der Welt und ihm nun wieder so schmerzlich nahe gerückt sei. –

Zu Mittag wurden sie von der weißhaarigen Alten, die in ihren nüchternen Tagesstunden eine sehr verständige und rüstige Schaffnerin war, in den Garten hinuntergerufen. In einer schattigen Laube nahe am Hause war der Tisch gedeckt, Rosenbusch und der Schauspieler waren von ihren Geschäfts-Ausflügen so eben heimgekehrt, der Eine mit einem Fischbehälter voll trefflicher Forellen, der Andere mit einem Gesicht, das deutlich verrieth, auch er sei nicht leer zurückgekommen, habe vielmehr Alles erreicht, was er sich von diesem Morgengang versprochen. Er war in seiner großen Gala, dem veilchenfarbenen Sammtrock, weißer Weste und einem riesigen Panamahut, unter welchem die so fruchtlos geschorenen Haare sammt dem rothen Bart schon wieder lustig zu sprossen begannen. Sein gutes, munteres und hübsches Gesicht glänzte von allen Humoren der Welt, und da auch Elfinger seinem Wirth ein möglichst angenehmer Gast zu sein und Felix den gestrigen Schrecken gut zu machen sich bestrebte, wurde das Mahl von den lustigsten Einfällen und einer übersprudelnden Fülle drolliger Geschichten gewürzt.

Es fehlte auch im Uebrigen nicht an allerlei guten Dingen, und Kohle, der freiwillig hier draußen das Amt des Kellermeisters übernommen hatte, lief alle Augenblicke weg, um noch eine staubige Flasche heraufzuholen, da der Dicke, der selbst wenig trank, es als eine Art Passion betrieb, seltene Weinsorten, wenn auch nur in wenigen Exemplaren, in seinem Keller zu verwahren.

Bald kam denn auch heraus, worauf es für den Nachmittag abgesehen war. Man wollte in Rossel's elegantem kleinen Boot nach Starnberg fahren, dort anlanden und scheinbar zufällig am Ufer hinwandelnd den beiden Schwestern begegnen, die mit ihrer Base nur einen Spaziergang zu machen vorgeben würden. Auf eine höfliche Einladung sollte dann der Kahn zusammen wieder bestiegen und in den See hinausgerudert werden, wohin die Lust und Laune des Augenblicks sie gerade tragen würde.

Der Dicke fand diesen Plan sehr weise erdacht, weigerte sich aber entschieden, daran Theil zu nehmen. Er habe eine grundsätzliche Abneigung gegen Landpartieen, zumal mit Damen, gegen die man sich artig und rücksichtsvoll benehmen, ihnen die bequemsten Plätze und besten Bissen überlassen müsse. Für Liebende sei das kein Opfer, da sie sich auf andere Art schadlos hielten. Aber Hagestolzen und freien Gemüthern könne dieser Zwang nicht ohne Unbilligkeit zugemuthet werden. Er werde daher, bis der Tag sich verkühle, zu Hause bleiben und in der Regis'schen Uebersetzung des Rabelais studiren, den er längst einmal zu illustriren sich vorgenommen. Gegen Abend wolle er in den Wald schlendern, um nach seiner Schwamm-Plantage zu sehen, da er sich die Cultur der Champignons in den Wäldern um Starnberg und die Veredlung und Einführung der eßbaren Pilze überhaupt zu seiner Aufgabe gemacht habe. Kämen sie dann, berauscht von saurem Bier und süßen Gesprächen, bei sinkender Nacht nach Hause, so sollte ein Essen auf sie warten, das »des Schweißes der Edlen werth« wäre.

Auch Felix hätte sich gern ausgeschlossen. Er konnte es aber auf keine Weise, ohne sein Geheimniß zu verrathen. Und was sollte er auch sonst beginnen, um seine heimliche Sehnsucht zu stillen, da er sich beim Tageslicht unmöglich ihr hätte nähern können? Im Stillen vertröstete er sich damit, nach der Rückkehr am dunklen Abend wieder an den Gartenzaun zu schleichen und nach dem hellen Balconzimmer hinaufzuspähen.

Ein leiser Versuch Philipp Emanuel Kohle's, sich mit seiner Schüchternheit in Damengesellschaft zu entschuldigen, wurde lebhaft überstimmt. Und da er der Einzige war, der die Seekarte im Kopfe hatte, konnte er's schon darum nicht über sein gutmüthiges Herz bringen, von der Partie zurückzubleiben.

Ein Gewitter lag in der Luft, das freilich im Westen Halt zu machen und sich unschädlich verziehen zu wollen schien. Der Himmel war tiefgefärbt, der See völlig spiegelglatt, als das schlanke und doch geräumige Schiffchen aus der kleinen Bucht auslief, vom Dicken mit wehendem Taschentuch und geschwungenem Fez entlassen. Kohle saß am Steuer, Elfinger führte die Ruder, Rosenbusch benutzte den musikalischen Freibrief, den Rossel ihm für das Wasser gegeben, und blies, während sie an dem lachenden Ufer hinglitten, seine schäferlichsten Melodieen auf der geliebten Flöte, doppelt schmelzend, da er seiner Liebsten und der Himmel mag wissen welchen romantischen Abenteuern entgegenfuhr.


 << zurück weiter >>