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Zehntes Kapitel.

Nicht viel früher waren die beiden Liebenden, die sich ebenfalls bald von den Andern getrennt hatten, an Juliens Hause angekommen. Sie hatten Umwege gemacht. Denn Jansen, der glücklich war, seine schöne Geliebte am Arm zu führen und endlich mit ihr allein zu sein, hätte stundenlang so fortwandeln mögen. Die Nachtluft erfrischte all seine Sinne, und im Zwielicht des Schnees und der Laternen erschien ihm das Gesicht an seiner Seite märchenhaft reizend. Er sprach aber wenig, wie er auch den ganzen Abend der Stillste von Allen gewesen war. Und sie verstand ihn genug, um zu wissen, daß er nur nicht mit ihr sprach, weil er beständig an sie dachte. Manchmal zog er sie inniger an sich, und sein Mund berührte, im Schatten dunkler Häuser oder mitten auf einem öden Platz, ihre kühle, weiche Wange. Dann sagte er wohl ein liebkosendes Wort, um gleich wieder zu verstummen.

Als sie endlich doch an das Gitter vor ihrem Hause gelangt waren, blieb sie stehen und zog den Schlüssel zu dem Pförtchen aus der Tasche.

Wir sind wirklich schon da! sagte sie. Schade. Ich könnte noch lange spazieren gehn, es ist, als stünde die Zeit still, wenn ich so an deinem Arm hänge. Aber ich will meinen alten Erich erlösen, der aufbleibt, bis ich nach Hause komme. Gute Nacht, mein lieber Geliebter!

Hier? fragte er, schmerzlich betroffen. Hier auf der kalten Straße? Drinnen bei dir ist's warm.

Eben deßhalb, erwiederte sie leise. Wir fänden da kein Ende.

Julie! rief er und drückte sie leidenschaftlich an sich. Muß es denn ein Ende nehmen? Kannst du mich wegschicken, nachdem wir den ganzen Abend kein vertrautes Wort mit einander haben sprechen können? Wenn du ahntest, wie es in mir aussieht –

Sie entzog sich ihm sanft. Liebster, flüsterte sie, ich ahne es nur zu sehr. Meinst du, daß es mich keinen Kampf kostet, mehr Vernunft zu haben, als du wilder Mann? noch immer das Mädchen ohne Herz vorzustellen, während ich das arme, ungeberdige Ding nur allzu lebendig klopfen fühle? O mein einziger Geliebter, wenn ich und du allein in der Welt wären –

Wer ist außer uns noch vorhanden, der uns von einander trennen könnte! rief er heftig.

Sie drückte ihm mit bittender Gewalt ihre weiche Hand auf den Mund. Es gingen Leute vorbei, die auf seine laute Stimme horchten. Still, Liebster! flüsterte sie. Sei gut, sei sanft, sei noch eine kleine Weile geduldig und denk auch an mein Gefühl. Hast du vergessen, daß ich mir vorgenommen habe, unserem Fränzchen eine brave Mutter zu sein? Ich möchte ihm immer frei in die Augen sehen können, auch an unserem Hochzeitstage, wenn ich einen Brautkranz trage, den ich mir rechtschaffen verdient habe. Das Glück, dir zu gehören, ist so groß, daß es wohl eine Probezeit werth ist. – Und nun gute Nacht! Auf morgen! Und sei mir nicht böse. Du wirst es mir noch einmal danken, daß ich mich heute stärker gemacht habe, – als ich im Grunde bin.

Mit diesen Worten schlang sie die Arme fest um seinen Hals und küßte ihn lange und innig. Dann machte sie sich rasch von ihm los, schloß das Pförtchen auf und verschwand auf dem dunklen Gartenwege, der nach dem Hausthor führte. Er wartete, daß sich ihr Fenster erhellen sollte; er konnte sich nicht darein finden, so von ihr zu scheiden. Aber sie wußte, daß er sich nur schwerer losreißen würde, wenn er noch Licht bei ihr sähe. Mit klopfenden Pulsen und heißen Wangen trat sie in ihr dunkles Zimmer und verbat die Lampe, die der alte Diener in Bereitschaft hatte. So entkleidete sie sich in der spärlichen Helle, die durch die Jalousie hereindrang, und suchte rasch ihr Lager, um noch lange schlaflos an alles kommende Glück zu denken.

Auch Rosenbusch hatte sich nicht eben beeilt, seine Dame nach Haus zu bringen. Sie waren Beide sehr munter aufgelegt, und er insbesondere hatte so spaßhafte Einfälle, daß sie beständig über ihn lachen mußte. Nur aus Versehen standen sie plötzlich dennoch vor ihrem Hause, und Angelica wunderte sich, daß der Weg so kurz gewesen. Es sei so erfrischend in der Winternacht nach dem Punsch und dem vielen Lachen.

Eine Droschke fuhr langsam vorbei. Rosenbusch schlug vor, noch eine Spazierfahrt nach Nymphenburg zu machen. Davon aber wollte sie doch nichts hören, sondern rieth ihm, auch seinerseits fein anständig nach Hause zu gehen, nicht etwa noch in einem Weinhaus Kameraden zu suchen und die Nacht zu durchzechen; er habe schon mehr, als gut sei, im Kopf. Als sie aber dann nicht damit zu Stande kam, die Hausthür aufzuschließen, mußte sie sich's gefallen lassen, daß er bemerkte, auch ihre Hand scheine nicht mehr die festeste. »Ein Mann muß ihre Schritte leiten«, sang er aus der Zauberflöte, indem er ihr den Schlüssel abnahm und mit einem kräftigen Ruck die Thür öffnete. Sie wisse freilich nicht so gut mit Hausschlüsseln umzugehen, wie gewisse Nachtschwärmer, sagte sie. Aber nun schönen Dank und gute Nacht!

Damit wollte sie ins Haus treten; er aber, in der lustigen, übermüthigen Laune, in der er war, konnte sich nicht enthalten, das gute Mädchen, das in der Kapuze mit gerötheten Wangen ordentlich hübsch aussah, rasch zu umfassen und unverzagt auf den Mund zu küssen.

Das war ihr denn doch außer Spaß.

Herr von Röschen, sagte sie mit ihrem kühlsten Ton, Sie haben mehr getrunken, als Ihnen zuträglich ist, und sind nicht ganz zurechnungsfähig. Darum kann ich dies Vergessen aller Schicklichkeit nicht so schwer nehmen, wie ich sonst thun würde. Ich will ihnen nur bemerken, daß ich nicht Nanny heiße und mich Ihnen ganz gehorsamst empfehle.

Sie machte ihm einen förmlichen Knix und wollte rasch an ihm vorüberschlüpfen. Er aber hielt sie am Mantel fest und sagte mit einem drollig wehmüthigen Ton:

Sie thun mir sehr Unrecht, Angelica. Wahrhaftig, ich habe eine so teufelsmäßige Achtung vor Ihnen, ich verehre Sie so unbändig als das Musterbild aller weiblichen Tugenden, daß ich mir eher den Kopf abbeißen würde, als vergessen, was ich Ihnen schuldig bin. Wollen Sie aber gütigst bedenken: wir haben Schlittenbahn, und obwohl wir Zwei nur so zu Fuß hergeschlittet sind, habe ich doch geglaubt, als Ihr getreuer Ritter mein Schlittenrecht mir nehmen zu dürfen. Wenn dies ein Irrthum war, – können Sie mich dafür zu den ewigen Höllenstrafen Ihres sittsamen Zornes verdammen?

Sie mußte über die bußfertig zerknirschte Miene lachen, die der Schelm anzunehmen verstand.

Gehen Sie! erwiederte sie wieder im alten Ton. In der Weihnacht ist ja für alle Sünder das Heil auf die Welt gekommen. Also mag auch Ihnen vergeben werden.

Ich danke, versetzte er sehr ruhig. Und deß zum Zeichen, geliebte Mitchristin, ertheilen Sie mir jetzt Angesichts des gestirnten Himmels ihre feierliche Vergebung mit einem freiwilligen schwesterlichen Kuß. Nein, Sie dürfen mir das nicht abschlagen, wenn ich nicht eine schlaflose Nacht haben soll. Sie sind ja kein Philister, theuerste Angelica!

Ich wollte, ich wär's! seufzte sie. Dann aber bot sie ihm freundlich und ohne sich länger zu wehren ihre rothen Lippen, sagte noch einmal: Gute Nacht, lieber Rosenbusch! und die Hausthür schloß sich zwischen ihnen.


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