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Drittes Kapitel.

Schnetz, der indessen beständig mit seinen langen Beinen den Saal auf und ab geschritten war, trat jetzt auf den Alten zu.

Bleiben Sie nur hier sitzen, Herr Schöpf, sagte er. Ruhen Sie sich hier im Kühlen völlig aus. Ich will indessen das Mädel aufsuchen und es ins Gebet nehmen. Es hält was auf mich, vielleicht weil ich ihm niemals schöngethan habe.

Damit verließ er den alten Herrn. Er durchsuchte erst Haus und Garten nach dem verscheuchten Vogel, und mußte sich endlich bequemen, ihm in den Wald nachzugehen.

Nach langem vergeblichem Spähen und Rufen sah er endlich das weiße Gesicht und die rothen Haare aus den grünen Schatten hervorschimmern, auf einer kleinen gelichteten Stelle der sanft ansteigenden Halde, von wo man das Gatter des Parks noch im Auge haben konnte.

Was machen Sie für Geschichten, Zenz! rief er ihr entgegen. Warum laufen Sie in den wilden Wald, am Vormittag, wo es genug im Hause zu thun giebt? Die alte Kathi hat Sie vergebens überall gesucht wie eine Stecknadel.

Das Mädchen war von dem Moossitz, auf dem es gekauert hatte, hastig in die Höhe gefahren und schien sich in Sprungbereitschaft zu halten. Ihre runden Wangen waren plötzlich dunkelroth geworden.

Ist er noch da? fragte sie.

Wer? Seien Sie doch nicht kindisch, Zenz. Vor einem guten alten Manne davonzulaufen, als wenn's der Gottseibeiuns wäre!

Ich geh' nicht heim, eh' er nicht weg ist, sagte sie mit trotzigem Kopfschütteln. Ich weiß, was er will. Einsperren will er mich, in seine einsame, abscheuliche Wohnung, wo nicht Luft und Sonne hinein kann. Ich hab' aber nichts verbrochen; ich thu's nicht, ich leid's nicht, eher soll er mich gleich umbringen.

Du bist nicht bei Trost, Mädel! Kennst du ihn denn? Was weißt du denn von ihm?

Sie antwortete nicht gleich. Er sah, wie ihre junge Brust lebhaft arbeitete, ihre Augen hingen am Boden, mit den Zähnen zerbiß sie einen kleinen Zweig, den sie in den Händen hielt.

Er ist – er ist der Vater von meiner Mutter! brach es endlich mit einem feindseligen Ausdruck aus ihr hervor. Er hat mein arm's Mutterl aus dem Haus gejagt, wegen meiner, das heißt, wie ich noch gar nicht auf der Welt gewesen bin. O er ist so streng, die Mutter hat sich ihr Lebtag nicht wieder zu ihm zurückgetraut! Wie sie nun hat sterben sollen, hat sie einen Brief an den Vater geschrieben, er sollt' nun für mich sorgen, und den Brief hat sie mir auf die Seele gebunden, wenn sie todt wär', sollt' ich ihn an den Großvater bringen. Ich hab's auch versprochen, obwohl ich keine große Lieb' zu ihm hab' fassen können, das können Sie mir nicht verdenken. Aber wie ich nun nach München gekommen bin und war ganz wie verralhen und verkauft die ersten Tag', wo ich keine Sterbensseele kannte, hab' ich gedacht, ich wollt' ihn nur erst einmal anschauen, was er wohl für ein Gesicht hätt'. Und da hab' ich an seinem Haus gewartet, das Packet in der Tasche, bis er Abends ausgegangen ist.

Sie können mir's glauben, Herr Oberlieutenant, ich war so verlassen und unglücklich – wenn er nur ein bischen ein freundliches Gesicht gemacht hält', ich wär' wahrhaftig gern zu ihm hingelaufen und halt' ihm gesagt: Ich bin die Zenz, und die Leut' sagen, ich wär' meinem armen Mutterl grad aus dem Gesicht geschnitten, und mein Mutterl war Ihre Tochter und ist jetzt todt und schickt Ihnen hier diesen Brief!

Aber da kam er so still und strenge daher, sah nicht rechts noch links und stierte nur so auf den Boden, als ob ihn die liebe Gotteswelt rings herum nichts mehr anging'. Hu! lief mir's kalt über die Haut! Zu Dem bringt dich keine Güte und Gewalt, dacht' ich und ließ ihn vorbei wie einen Wildfremden. Aber ich dachte, den Brief könnt' ich für ihn da lassen, und erkundigte mich bei der Hausmeisterin nach ihm. Da hört' ich, daß er in seiner Wohnung häuft wie ein Schuhu in einem hohlen Baum, Niemand kommt zu ihm, und zu Niemand geht er, bekommt auch keine Briefe und schreibt keine. Ein kleiner Spiegel hing bei der Hausmeisterin, darin sah ich zufällig mein Gesicht, und es kam mir vor, als hätt' ich eine ganz aschgraue Haut und verblichene Haare – das Glas mochte wohl blau angelaufen sein, aber es war mir doch, als warnte mich's: so wirst du in Jahr und Tag aussehen, wenn du dich zu dem Großpapa einsperrst in seine dunkle Höhle, wo dich kein Sonnenstrahl auffindet.

Da bin ich gegangen und hab' mich wohl gehütet, mein Packet abzugeben, es hält' mich doch verrathen können. Und selbigen Abend machte ich die Bekanntschaft der Schwarzen, mit der ich dann zusammenzog, und erst wie ich aufs Land ging, hab' ich ihm das von meinem armen Mutterl geschickt. Wie er aber herausgebracht hat, wo ich mich jetzt aufhalt', und was er nun von mir will, da er doch merken kann, ich will nichts von ihm –

Zenz, unterbrach sie der Oberlieutenant, seien Sie vernünftig und lernen Sie Ihren einzigen Verwandten doch wenigstens erst kennen, eh' Sie sich gegen den letzten Willen Ihrer Mutter auflehnen. Ich kann Ihnen versichern, Sie würden sich nicht über ihn zu beklagen haben, und wenn er Sie wie eine Gefangene halten oder sonst chicaniren wollte – sind nicht Ihre alten Freunde noch da? Glauben Sie, der Herr Rossel, oder der Baron, oder ich selbst würden es leiden, daß man unsere kleine Zenz schlecht behandelt? Wenn Sie den alten Herrn nur einmal reden hörten, wie ihm Alles leid thut, was er gegen seine Tochter gethan und nicht gethan hat, und wie er es gern an seinem Enkelkind wieder gut machen möchte! Nein, Zenz, Sie sind ein zu gescheidtes Mädel, um sich so kindisch vor Gespenstern zu fürchten, die Sie selbst sich eingebildet haben. Und was denken Sie denn, daß aus Ihnen werden soll, wenn nun der Sommer vorbei ist und wir Alle in die Stadt zurückkehren?

Er wartete eine Weile auf ihre Antwort. Als sie aber nur mit zerstreutem Blick vor sich hin sah, trat er ihr einen Schritt näher, faßte eine ihrer Hände und sagte mit seiner treuherzigsten Stimme:

Ich weiß, was du denkst, Kind. Du bist in den Baron verliebt und denkst, du willst bei ihm bleiben, so lang es geht, vielleicht wird er dich wieder lieben, und alles Uebrige kümmert dich nicht. Aber du solltest dir auch sagen, was für ein jämmerliches Ende das nehmen muß. Heirathen thut er dich einmal nicht, und was bei einer so unglückseligen Liebschaft herauskommt, nun, das hast du ja leider an deinem armen Mutterl erlebt.

Sie zog ihre Hand aus der seinigen, sah ihn aber ganz ruhig und fast wieder mit ihrem alten Leichtmuth an.

Sie meinen's gut mit mir, gnädiger Herr, sagte sie. Aber ich bin nicht so unklug, wie ich vielleicht ausschau'. Ich bild' mir gar nicht ein, daß er mich heirathen würd', nicht einmal lieben thät' er mich, und wenn ich ihm das Leben gerettet hätt' und wär' Jahr und Tag um ihn. Er liebt eine Andere, das weiß ich gewiß, und verdenk's ihm auch gar nicht, und ob ich ihn trotzdem gern hab', oder nicht, das ist meine Sache, und daran kann Niemand 'was ändern. Bis er nicht wieder gesund ist und aufstehen kann und herumgehen, bleib' ich hier draußen, und Sie wissen am besten, daß ich hier mein Brod nicht mit Sünden ess' und daß Sie mich nicht entbehren können. Das sagen Sie nur meinem – dem alten Herrn, und was hernach geschehen wird, kann man noch nicht wissen. Aber fangen lass' ich mich nicht, und wenn er Gewalt brauchen wollt' – lieber spräng' ich in den See, als daß ich mich knechten ließ'!

Sie wandte sich kurz ab und stieg ganz gelassen die Halde hinauf, nicht mehr wie um zu fliehen, sondern nur weil sie ihr letztes Wort gesagt hatte. Schnetz war ihr immer im Stillen zugethan gewesen, obwohl er weder von ihrem Verstande, noch von ihrer Tugend eine sehr hohe Meinung hatte. Wie sie sich aber jetzt ihm gezeigt, konnte er ihr einen gewissen Respect nicht versagen. Sie weiß wenigstens, was sie will, brummte er, und läßt sich nichts einreden, nicht einmal von ihrem eigenen armen Herzen. Sapristi! Es ist Race in dem kleinen Rothfuchs. –

Als er zu Schöpf zurückkam, gab er sich alle Mühe, den alten Herrn zu überzeugen, daß vorläufig nichts zu machen sei. Er versprach ihm aber, nach Möglichkeit das Mädchen mit dem Gedanken auszusöhnen, daß sie hinfort nicht mehr ihre eigene Herrin sein dürfe, sondern sich in die Obhut des liebevollsten Pflegevaters ergeben müsse. Es rührte ihn, wie der Alte durch den Gedanken, sie werde sich doch noch an ihn anschließen, sichtbar erhoben und erheitert wurde und ihm seine Pläne für die äußere Einrichtung ihres Zusammenlebens auseinandersetzte. Als hätte es damit die größte Eile, wollte er sich durchaus nicht bewegen lassen, wenigstens über die heiße Mittagszeit draußen zu bleiben. Er müsse sogleich eine größere und freundlichere Wohnung suchen und Möbel kaufen, um seine Enkelin aufnehmen zu können, sobald sie Lust hätte, zu ihm zu ziehen. Auch wollte er nicht die Ursache sein, daß das arme Kind noch länger draußen im Walde herumirre, da sie ja doch nicht eher das Haus wieder betreten werde, als bis er gegangen.

Schnetz begleitete ihn durch den Park. Erst als sie sich der Gitterthür näherten, fragte er:

Haben Sie gar nicht vor, Schritte zu thun, um den Vater des Kindes auszukundschaften? Oder wissen Sie, daß auch er inzwischen gestorben ist?

Der Alte blieb stehen, und seine Augen nahmen den eisigen Ausdruck an, der die Zenz auf der Straße von ihm zurückgeschreckt hatte.

Der Bube! rief er mit starker Stimme, indem er den Regenschirm, den er im Sommer beständig bei sich trug, heftig gegen den Kiesweg stieß. Der elende, meineidige Schurke! Können Sie mir im Ernst zutrauen, daß ich mich an Stolz von meinem todten Kinde übertreffen lassen würde, die von dem Urheber all ihres Elends nichts mehr wissen wollte, da er sie zu vergessen schien? Können Sie mir zumuthen, das lebendige Vermächtniß meiner Tochter, das ich eben durch ein Wunder wiedergefunden habe, mit jenem Ehrenräuber zu theilen – wenn er nicht überhaupt vorzöge, seinen Antheil daran auch jetzt zu verleugnen? Eher wollt' ich –

Mein bester Herr Schöpf, unterbrach ihn Schnetz gelassen, Sie sind trotz Ihrer weißen Haare etwas hitziger, als Sie im Interesse Ihres Enkelkindes sein sollten. Wenn Ihnen nun selbst etwas Menschliches begegnete und das gute Mädchen bliebe dann zum zweiten Mal verwaist in der weiten Welt zurück? Für den äußersten Nothfall wenigstens sollte sie doch wissen, woran sie wäre, abgesehen davon, daß es nie schaden kann, wenn ein Kind weiß, wem es die zweifelhafte Wohlthat verdankt, dieser curiosen Welt anzugehören.

Der Alte sann einen Augenblick nach. Seine Miene wurde sanfter.

Sie haben Recht, sagte er endlich. Schelten Sie mich nur gehörig aus; das ist immer noch das alte unvernünftige Künstlerblut, das keine Raison annehmen will, auch wenn das ganze sonstige Künstlerthum Bankrott gemacht hat und nur ein bischen Handwerk noch übrig ist. Jener Bube aber – wenn Sie wüßten, wie freundschaftlich er bei uns aufgenommen war – freilich, auch dabei war unsre liebe Hoffahrt im Spiel: – er war ein Baron, und wir hatten sonst nur Künstlervolk zu Hausfreunden außer ein paar Offizieren – und Der da war obenein ein Fremder, ein Norddeutscher, – und er gefiel uns außerordentlich, weil er ein so munterer, aufgeweckter und ritterlicher junger Herr war, ein großer Jäger, und sprach immer davon, daß er nicht eher ruhen werde, als bis er in Afrika einmal auf Löwen Jagd gemacht –

Herr des Himmels! Auf Löwen? Und der Name – ich bitte Sie, bester Freund, es ist doch nicht am Ende –

Baron F. –, ich hatte den Namen wahrhaftig vergessen, nie seither ist er mir wieder vorgekommen, bis ich ihn in dem Testament meiner armen Lene wiederfand. Der Himmel weiß, was aus ihm geworden, ob er nicht wirklich unter der afrikanischen Sonne seine tolle Lust und zugleich Alles, was er an meinem Kinde gesündigt, in einem kläglichen Tode von wilden Bestien zerrissen gebüßt hat. Der Name scheint Ihnen aufzufallen. Sollten Sie dem Nichtswürdigen irgendwo begegnet sein, oder gar wissen, wo man ihn zu suchen hätte?

Schnetz hatte sich im Augenblick wieder gefaßt. Er überlegte, daß es im besten Fall sehr überflüssig sein, vielleicht aber unheilvoll werden könnte, wenn er dem alten Herrn sagte, wie nah' ihm der Verschollengeglaubte sei. Auch für das Mädchen sah er keinen Vortheil davon, wenn sie, ehe sie noch zu ihrem Großvater ein Herz gefaßt, einen Vater wiederfände, der ihr noch fremder sein mußte und noch weniger auf ein kindliches Gefühl rechnen konnte. Und auch im Interesse seines ahnungslosen Zeltkameraden scheute er sich vor einer übereilten Enthüllung.

Er antwortete demnach nur, daß ihm der Name allerdings nicht ganz fremd sei, ja so viel er wisse, sei der Vater des Mädchens noch am Leben; möglich aber, daß ihr selbst ein schlechter Dienst damit geschähe, wenn man sie voreilig aufklärte. Die Hauptsache werde sein, sie nur erst mit ihrem Großpapa auszusöhnen.

Da dies auch die innerste Herzensmeinung des alten Herrn war, nahm er sichtbar getröstet und voll froher Hoffnungen Abschied, immer noch zögernd, da er im Stillen hoffte, die kleine Spröde wenigstens von fern noch einmal zu sehen. Das Mädchen aber hütete sich wohl, zum Vorschein zu kommen. So mußte der Großvater endlich mit einem stillen Seufzer den Rückweg antreten.

Schnetz blieb am Gitter stehen und sah ihm nach. Eine tolle Komödie, dies Menschenleben! brummte er in den Bart. Es fehlte jetzt nur noch, daß mein alter Löwenjäger seinem Schwiegerpapa vorbeigeritten käme, eine Cigarre rauchend und ganz heiter den alten weißen Kauz betrachtend, den der Staub von den Hufen seines Gauls noch weißer puderte, und daß er hier an der Parkthür sich bei Jungfer Zenz nach dem Befinden unseres Patienten erkundigte, dem Kinde wie der ersten besten Zofe in die Wange kniffe oder ihr ein Trinkgeld schenkte, wenn sie ihm auf zehn Minuten das Pferd hielte. Und sein Nichtchen, unsre stolze Durchlaucht! Was Die für Augen machen würde, wenn ich ihr jetzt erzählte, daß die kleine rothhaarige Kellnerin ihre richtige, wenn auch nicht ganz legitime Cousine ist!


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