Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Der Zufall wollte, daß noch in einem anderen Raum desselben Hauses und fast in derselben Stunde die Maskenfreuden des Paradieses zur Sprache kamen.
Schon seit Wochen war Rosenbusch damit umgegangen, sich nach dem Befinden seiner russischen Gönnerin zu erkundigen, von der er wußte daß eine leichte Verletzung am Fuß sie ans Zimmer fesselte. Es lag ihm daran, sich als einen jungen Mann zu zeigen, der die Gesetze der Höflichkeit und Weltsitte respectire, obwohl er ein Jünger der freien Künste war.
Er fand die Gräfin in ihrem Schlafzimmer, wo es nach Juchten und Papier-Cigarren roch; ein Samovar und eine leere Champagnerflasche standen auf dem Tisch am Bett, und allerlei Notenhefte, Schreibmappen, französische Bücher und Photographieen lagen auf Stühlen herum. Nelida ruhte in einem langen seidenen Schlafrock auf dem Bette, den schwarzen Spitzenschleier nonnenhaft über den dunklen Haaren befestigt. Sie sah bleicher aus, als damals im Sommer, und als sie dem Maler mit ihrem huldvollen Lächeln eine ihrer weißen Hände entgegenstreckte, mußte er sich sagen, daß sie es vortrefflich verstand, von ihrem leidenden Zustand Vortheil zu ziehen und in der unfreiwilligen Ruhe noch interessanter zu erscheinen, als in ihrer gewöhnlichen Rastlosigkeit.
Sie war nicht allein. Auf dem Stuhl am Bett, den sie Rosenbusch anbot, hatte jene ehemalige Sängerin gesessen, die förmlich die Rolle einer Gesellschafterin bei Nelida zu spielen schien und sich jetzt im Hintergründe des Zimmers mit dem Schüren der Glut im Kamin zu schaffen machte. Dem Bette gegenüber in einem niedrigen Fauteuil saß eine jüngere Dame, die Rosenbusch noch nicht gesehen und die sein Malerauge lebhaft anzog. War es eine Frau oder ein Mädchen? Ihren Namen hatte die Gräfin nicht genannt. Aber wenn die schmiegsame Fülle ihrer Gestalt eher auf eine Frau schließen ließ, so hatten doch die Züge des reizenden Gesichts und der Blick der dunkelblauen Augen einen weichen, träumerischen Ausdruck, der völlig jungfräulich schien. Auch sah es sehr mädchenhaft aus, wenn sie von der Stickerei, an der sie emsig fortarbeitete, plötzlich aufblickte, dem Sprechenden mit einem unschuldigen Staunen fest ins Gesicht sah, dann die Lippen zu einem Lächeln öffnete, daß zwei Reihen der schönsten kleinen Zähne sichtbar wurden, und gleich darauf das Haupt wie in Verwirrung wieder senkte, daß ihr die dichten braunen Haare tief über die Stirn hereinfielen.
Rosenbusch, der gleich Feuer fing, hätte sich der bezaubernden Fremden gern ein wenig genähert. Aber die Gräfin nahm ihn völlig in Beschlag, indem sie sich umständlich nach seinem Thun und Treiben erkundigte und für die nun vollendete Schlacht bei Lützen ein ungemeines Interesse zeigte. Da sie die Kunst meisterlich verstand, jedem Menschen die Meinung beizubringen, daß gerade seine Zwecke und Ziele ihr vor allem Andern wichtig seien, bemerkte Rosenbusch in der Freude seines Herzens gar nicht, daß sie trotz ihres großen Interesses an ihm mehrmals durch die Nase gähnte, sondern plauderte von Allem, was ihm durch den Kopf ging, von seinen Arbeiten, seinen Kunstanschauungen, seinen Freunden und zuletzt auch von dem Maskenfest im Paradiese. Er erzählte unter Andern:, daß Jansen in einem echten venezianischen Costüm erscheinen würde, seine Braut desgleichen, und zwar genau nach einem Portrait des Paris Bordone in rothem Sammt mit ein wenig Goldstickerei, was zu ihrem lichten Teint und der matten Goldfarbe ihrer Haare unvergleichlich passe.
Bei dieser Schilderung hatte die schöne Fremde ihre Stickerei in den Schooß sinken lassen und die Augen mit dem neugierigen Ausdruck eines Kindes, das ein Märchen erzählen hört, auf den Sprecher geheftet.
Ihnen müßte dies Costüm auch vortrefflich stehn, meine Gnädige, stotterte der Maler, der jetzt zum ersten Mal das Wort ausdrücklich an die Unbekannte richtete.
Sie lächelte zerstreut und seufzte dabei, sagte aber nichts.
Nelida wechselte einen raschen Blick mit ihr und fragte dann, gleichsam ablenkend, welche Maske Rosenbusch selbst gewählt habe. Ihm freilich, erwiederte er unbefangen, erlaubten seine Mittel keinen so großen Aufwand; er werde sich in eine Kapuzinerkutte stecken, wozu auch sein Bart wie geschaffen sei, und da er bei solchen Anlässen immer einen gereimten Spruch loslassen müsse, denke er sich diesmal mit einer richtigen Kapuzinerpredigt aus der Affäre zu ziehen.
Sie werden das gewiß sehr geistreich und witzig machen, sagte die Gräfin. Aber ist diese Maske nicht auf die Länge heiß und unbequem, und werden Sie so leicht für Ihre Tänzerin ein Costüm finden, das zu dem Ihrigen paßt?
Meine gnädige Gräfin, seufzte Rosenbusch, ich bin leider in der Lage, das Gelübde der Enthaltsamkeit leichter auf mich zu nehmen, als die meisten meiner Ordensbrüder. Die einzige Tänzerin, um die es mir zu thun gewesen wäre – aber ich will die Damen nicht mit meinen Privatangelegenheiten langweilen –
Nicht doch, lieber Herr Rosenbusch. Beichten Sie nur dreist. Sie finden hier das theilnehmendste Verständniß.
Nun denn – ich war seit lange engagirt für diesen Ball, mit einem jungen Mädchen – ich darf wohl sagen: nächst der schönen Julie hätte sie unbestritten den Preis bei uns davongetragen. Ihre Eltern aber – beschränkte, krämerhafte Pfahlbürger – haben sich nicht erbitten lassen, dem armen Ding das unschuldige Vergnügen zu erlauben. Und so begreifen Sie, meine Damen, daß ich mich lieber dem Cölibat in die Arme werfe, als nun mit der Ersten Besten –
Er war roth geworden und trocknete sich mit der behandschuhten Rechten die Stirn.
Nelida tauschte wieder einen Blick mit der Fremden. Auch die Sängerin, jetzt darüber beruhigt, daß Rosenbusch sie wieder erkennen würde, war an das Fußende des Bettes getreten und schien das Gespräch mit besonderem Interesse zu verfolgen.
Vielleicht, sagte jetzt die Gräfin lächelnd, vielleicht kann ich Ihnen doch noch zu einem Ersatz verhelfen, der Sie einigermaßen entschädigt. Gerade ehe Sie eintraten, sprachen wir davon, wie perfide es vom Geschick sei, daß es mich gerade während des Carnevals hier festgeschmiedet hat. Ich selbst bin freilich über die tanzlustigen Jahre hinaus. Aber meine liebe Freundin hier Frau – Frau von Saint-Aubain, übrigens trotz des Namens eine gute Deutsche – stellen Sie sich vor, daß ich sie recht eigentlich zu mir eingeladen hatte, um ihr den Münchner Carneval zu zeigen, und nun muß sie hier an meinem Bette sich in den christlichen Tugenden der Geduld und Barmherzigkeit üben. Wenn sie freilich einen Ritter fände, dem ich sie mit gutem Gewissen anvertrauen könnte –
O meine Gnädigste, unterbrach sie Rosenbusch, indem er begeistert aufsprang – ist das Ihr Ernst? Madame würde es nicht verschmähen –
Sie sind sehr gütig, mein Herr, lispelte jetzt die Fremde mit einer weichen, wohlklingenden Stimme, die das Herz unseres Freundes vollends umstrickte. In der That, es wäre mein höchster Wunsch, einmal einen verstohlenen Blick in das Leben und Treiben der hiesigen Künstlerwelt thun zu können, von deren Festen ich schon so viel gehört habe. Aber ich bin zu schüchtern, um selbst unter dem besten ritterlichen Schutz mich in einen ganz fremden Kreis zu wagen, da, wie Sie sagen, die Gesichtslarven verboten sind –
Ich verstehe Sie vollkommen, gnädige Frau! rief Rosenbusch eifrig aus. Man pflegt uns Künstlern allerlei abenteuerliche Dinge nachzusagen, die eine Dame aus der höheren Gesellschaft abschrecken mögen. Aber Sie werden es erleben: wir sind besser als unser Ruf. Erlauben Sie, daß ich Ihnen einen Vorschlag mache. Ich besorge Ihnen eine Mönchskutte, ganz der meinigen gleich. Sie brauchen nur die Kapuze über den Kopf zu ziehen, um unkenntlich zu bleiben, und wenn Sie sich überdies weiße Augenbrauen und einen dito Bart anheften, können Sie so sicher wie hinter einem Vorhang oder aus einer dunklen Theaterloge Alles mitansehen, ohne daß irgend Jemand ahnt, wie viel Reiz und Anmuth – entschuldigen Sie dieses fade Compliment – unter der unförmlichen Maske versteckt ist; – höchstens würde der Verdacht entstehen, ich führte dennoch jenes junge Mädchen am Arm, – jene gehorsame Tochter grausamer Eltern, die etwa heimlich ihrem Käfich entflohen wäre.
Die Fremde war aufgestanden, hatte sich dem Bette genähert und, über die Gräfin herabgebeugt, ein paar halblaute Worte mit ihr gewechselt. In der Bewegung erschien sie noch verführerischer als in der Ruhe. Rosenbusch, der völlig hingerissen war, konnte kein Auge von der üppigen und doch zierlichen Gestalt abwenden und erwartete mit Herzklopfen das Ende der geheimen Berathung.
Sie wandte sich jetzt wieder zu ihm, heftete ihre sanften Augen auf sein Gesicht, wie um sich nochmals zu überzeugen, ob man ihm auch vertrauen könne, und sagte dann:
Ich will es also wirklich wagen, mein Herr. Aber nur unter zwei Bedingungen: daß Sie keinem Ihrer Freunde auch nur mit einer Silbe verrathen, die Maske an Ihrer Seite sei eine Fremde, sei nicht Diejenige, für die Alle sie halten werden, und daß Sie ferner mich aus der Gesellschaft weg und zu meinem Wagen führen, sobald ich Ihnen den Wunsch ausspreche. Sie brauchen nicht zu fürchten, fuhr sie geheimnißvoll lächelnd fort, daß ich Ihnen lange zur Last fallen werde. Ich kann nur dem Verlangen nicht widerstehen, so viel berühmte Künstler beisammen zu sehen, ihre Costüme und die schönen Frauen, die sie mitbringen, zu bewundern. Es wird also das Beste sein, Sie gehen ohne mich hin, und wenn das Fest im vollsten Gange ist – so gegen elf Uhr –, finde ich mich zu Wagen am Thor des Gartens ein, wo Sie dann die Güte haben, mich in Empfang zu nehmen. Sind Sie damit einverstanden und geben mir Ihr Wort darauf, sich streng an diese Bedingungen halten zu wollen?
Rosenbusch, dem ganz andere Herrlichkeiten vorschwebten und der im Stillen überzeugt war, es werde ihm doch noch gelingen, die schöne Fremde, wenn die Feststimmung sie nur erst ergriffen, zum Ablegen ihrer Maske zu bereden, um mit ihr im Paradiese zu glänzen – verzichtete kluger Weise auf alle Einwürfe gegen diesen Plan und gelobte feierlich, was von ihm verlangt wurde. Er versprach, am Tage vor dem Fest das Costüm und alle übrigen Requisiten hier ins Hôtel zu schaffen, da die Gräfin darauf bestand, ihre Freundin selbst in die Mönchskutte zu stecken, und verabschiedete sich dann in nicht geringer Aufregung über sein unerwartetes Glück.
Auf der Treppe fiel ihm Stephanopulos und sein Verhältniß zu der Russin ein. Es war ihm einen Augenblick befremdlich, daß die Gräfin, wenn ihr so viel daran lag, die Fremde im Paradiese einzuführen, sich nicht dieses Ritters bedient habe, da sie selbst ja auf sein Geleit verzichten mußte.
Vielleicht, dachte er, indem er sich wohlgefällig den Bart strich, ist sie auf diesen jungen Sünder und Don Juan eifersüchtig und will ihm die reizende Frau nicht anvertrauen; möglich auch, daß die Dame selbst eine Abneigung gegen den griechischen Vagabunden geäußert hat. Jedenfalls scheine ich ihr sympathischer zu sein. – Eine verdammt reizende kleine Frau! Wo ihr Mann nur stecken mag, oder ob sie am Ende Wittwe ist? Wenn das der Fall wäre –
Er vollendete den Satz nicht einmal in Gedanken. Denn hinter ihm kam Jemand die Treppe herunter, und er erkannte sofort den alten Baron wieder, den er draußen in Rossel's Villa gesehen hatte. Was aber war dem sonst so munteren Herrn begegnet, daß er mit starrem Blick, den Gruß nur mechanisch erwiedernd, an dem Maler, der stehen blieb, ihn zu erwarten, wie an einem Wildfremden vorbeiging?
Kopfschüttelnd folgte ihm Rosenbusch. Verteufelt kurzes Gedächtniß haben sie, diese Aristokraten! brummte er. Wenn diese Frau von Saint-Aubain von dem gleichen Schlage ist – mit dem Nannerl wär's allerdings lustiger gewesen; indessen, ich bin nun einmal in die höheren Kreise gerathen – mitgegangen, mitgehangen!
Er warf das Plaid in malerischen Falten um seinen historischen Sammtrock und trat mit fröhlicher Siegermiene in den Schnee hinaus. Sein einziger Kummer war, daß er Angelica nicht sogleich mittheilen durfte, welche glänzende neue Eroberung er gemacht hatte.