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War es auch nichts Anderes, als die allgemeine Nächstenliebe, was trotz der beruhigenden Versicherungen des Arztes das Freifräulein den ganzen langen Tag an keiner Stätte und bei keiner Beschäftigung Ruhe finden ließ, sie vom Klavier zum Schreibtisch, von ihrer Mappe auf den Balcon hinaus, aus dem Garten bis an das Ufer des See's hinuntertrieb? Kein Schritt erklang im Flur und auf der Stiege, kein Wagen rollte auf der Straße vorbei, ohne daß sie zusammenfuhr. Sie hatte sich im Uebrigen hinlänglich in der Gewalt, um mit keinem Wort ihre Stimmung zu verrathen. Aber dem Oheim, der gestern Nacht einen ersten deutlichen Blick in dies sonst so stolz verschlossene Herz gethan, entging ihre fieberhafte Unruhe nicht. Er war heimlich froh darüber, so sehr ihn das arme Kind in seinem rathlosen Kummer dauerte. Zum ersten Mal seit Jahren fühlte er sich Irenen gegenüber als den Weiseren, dem der Lauf der Dinge Recht gab und dessen damals verschmähter guter Rath zu Ehren kam. Da er sie aber wirklich liebte, betrug er sich mit ausgesuchter Zartheit und Aufmerksamkeit gegen die junge Dulderin, berührte ihre heimliche Wunde mit keinem Wort und schalt nur dann und wann auf den ungetreuen Schnetz, der bei der kleinen Entfernung wohl einmal herüberkommen und von seinem Patienten mündlich hätte berichten können.
Er wußte, daß dies auch der beständige Gedanke Irenens war, daß all ihr Horchen und Harren sich nur darauf richtete. Als aber der Nachmittag herankam und keine neue Botschaft sich blicken ließ, nahm er seine Jagdflinte über die Schulter, küßte dem blassen Nichtchen die Hand und verließ das Haus, um die nahen Wälder ein wenig abzurevieren. Wenn Schnetz sich inzwischen blicken ließe, sollte man ihn ja für den Abend festhalten.
Irene sah sich kaum allein, als es ihr unmöglich däuchte, die Luft in den engen Räumen länger zu athmen. Sie nahm rasch ihre Zeichenmappe, setzte das Hütchen auf und rief ihre Jungfer, sie auf einem Spaziergang zu begleiten. Sie habe neulich tiefer im Wald einen malerischen Fleck mit alten Bäumen und hohen Farnkräutern entdeckt, den sie zeichnen wolle. Hoffentlich werde sie ihn wieder auffinden.
Draußen auf der Straße machte sie so eilige Schritte, daß das Mädchen kaum ihr zur Seite bleiben konnte. Betty war aber zu gut erzogen, um sich eine vorwitzige Frage zu erlauben. Daß ihre Herrin nicht wie sonst war, das Gesicht möglichst abgewendet hielt und auch nicht das kleinste Wort an die getreue Dienerin richtete, mußte ihr freilich auffallen. Aber Herrschaften haben Launen. Anfangs schien das gnädige Fräulein sich rechts und links nach dem Ziel ihrer künstlerischen Bestrebungen umzuschauen. Dann, als sie etwa eine Viertelstunde auf der Waldstraße hingeschritten waren und nun zur Linken ein Landhaus neben dem anderen sich am Seeufer zwischen Gärten und Parkgebüschen zeigte, konnten die schönsten alten Knorren und Vordergrunds-Motive drüben auf der anderen Seite ihr keinen Blick mehr abgewinnen. Ein paarmal stand sie an einer der Gatterthüren still und schien zu überlegen, wer in dem Hause dahinter wohnen möchte. Schnetz hatte gestern von der Villa des Dicken eine humoristische Schilderung in seinem beliebten Stil gemacht und die Silhouette des Besitzers aus einem Stück Löschpapier ausgeschnitten. Das waren schwache Anhaltspunkte. Sie ging also immer weiter, mehr und mehr rötheten sich von der hastigen Bewegung ihre Wangen und immer schwerer wurde es ihrer Begleiterin, die ein wenig zur Corpulenz neigte, sich dicht hinter ihren Spuren zu halten.
Einen Wegmacher, der mit Hacke und Schaufel ihnen entgegenkam, fragte sie endlich geradezu nach dem Hause des Herrn Eduard Rossel. Der Mann wies nach einem Parkgitter aus rauhen Fichtenstämmchen und war sehr verwundert, als ihm die junge Dame diesen geringen Dienst mit einem blanken halben Gulden belohnte.
Luise, sagte jetzt das Fräulein, indem sie einen Augenblick stehen blieb, Athem schöpfte und ihre Locken zurückstrich, du wirst hier draußen auf mich warten. Ich habe mich nur in dem Garten dort nach etwas zu erkundigen und bin gleich wieder zurück. Der Platz, wo ich zeichnen will, liegt rechts ab mitten im Wald, und ich sehe jetzt, daß die Nachmittagsbeleuchtung nicht so günstig ist, wie ich dachte. Gleichviel. Ein paar Striche werde ich noch machen können. Halte einstweilen meine Mappe – Nein, ich will sie lieber bei mir behalten – du bringst mir die Blätter am Ende in Unordnung. Setze dich da auf die Holzstämme – es dauert keine fünf Minuten.
Das Mädchen gehorchte, ohne ein Wort zu sagen. Den Namen des Herrn, nach welchem Irene gefragt, hatte sie zum ersten Male gehört. Sie versuchte, in die ganze rätselhafte Geschichte eine Art Zusammenhang zu bringen. Da es aber nicht gelingen wollte, hörte sie bald auf, darüber nachzudenken, und erfreute sich nach dem hastigen Lauf der behaglichen Rast in der kühlen Waldstille.
Indessen hatte ihre junge Herrin im Fluge die kurze Strecke zurückgelegt. Der Park hinter Rossel's Häuschen schien ganz öde und menschenverlassen, auch in den offenen Fenstern war Niemand zu erblicken. Einen Augenblick stand sie zögernd an dem Gitterpförtchen still, ehe sie sich das Herz faßte, die Klinke aufzudrücken. Dann öffnete sie mit raschem Griff und betrat den kleinen, schattigen Bezirk, den saubere Kieswege in Schlangenwindungen durchliefen.
Als sie jetzt aber aus den Fichten heraustrat und nun das Blumengärtchen vor ihr lag und der Rasen, der bis an das Haus hinunter grünte, blieb sie betroffen stehn und hätte Viel darum gegeben, um unbemerkt wieder in den Schatten zurücktreten zu können. Denn dicht vor ihr zwischen einer Gruppe hochstämmiger Rosen, von denen sie eben die schönsten zu einem Strauß abschnitt, stand die rothe Zenz, die sie auf den ersten Blick erkannte und sich nicht im Geringsten zu wundern schien, dem gnädigen Fräulein nach den gestrigen Erlebnissen hier wieder zu begegnen.
Sie nickte Irenen gutmüthig und vertraulich zu und rief, ohne eine Anrede abzuwarten:
Sie wollen sich gewiß nach dem Herrn Baron erkundigen, gelt? Nun, ich danke der Nachfrag', es geht ganz wie es gehen kann, sagt der Doctor. Er muß nur viel Ruhe haben und darf keine fremden Besuche annehmen. Darum haben wir ihn gleich gestern Abend in das Malzimmer oben hinauf gebracht, da hört er von der Küche und den Stuben unten keinen Laut, und wenn die alte Kathi ihren Sturm hat und vor sich hin wettert, kann ihm das den Schlaf nicht stören. Hinein aber darf keine Menschenseele zu ihm, als der Herr von Schnetz, der Herr Kohle, Herr Rossel und ich natürlich, weil ich ihn pflege. Eben bin ich nur auf einen Sprung in den Garten, ihm ein paar Rosen abzuschneiden. So einem armen Kranken muß man was Hübsches vors Bette stellen, daß er immer eine Freud' hat, wenn er aufwacht. Indessen sitzt der Herr Kohle bei ihm und sorgt für die Eisumschläge.
Während dieser harmlosen Rede hatte Irene Mühe, ihren heimlichen Widerwillen gegen das Mädchen zu bekämpfen, das arglos in seinem Geschäft fortfuhr und heute ohne das Kellnerinnenschürzchen, die rothen Zöpfe einfach aufgesteckt, einen ganz sittsamen Eindruck machte.
Ich wünschte den Herrn Oberlieutenant von Schnetz nur auf einen Augenblick zu sprechen, erwiederte Irene in möglichst kühlem Ton; da er, wie Sie sagen, gerade nicht im Krankenzimmer beschäftigt ist –
Der Herr Oberlieutenant? Der schläft! Sehen Sie, gnädiges Fräulein, da unten, wo die Rouleaux heruntergelassen sind, da liegt er seit zwei Stunden und holt ein bissel nach, was er zu Nacht versäumt hat. Lieber Himmel, der Schreck war zu groß, und bis erst ein ordentlicher Verband gemacht war, hat Jeder alle Hände voll zu thun gehabt, zumal die alte Kathi aus ihrem Schlaf nicht zu wecken war, und wenn die Welt untergegangen wäre. Darum bin ich denn auch hier geblieben, daß die Herren doch eine Bedienung haben. Es giebt so Vieles, wo Mannsleute, selbst die allerklügsten, sich so dumm anstellen wie kleine Kinder. Hab' ich nicht Recht, gnädiges Fräulein? Und dann – es thät' mich auch sonst nirgend leiden, bis ich weiß, daß er auch gewiß wieder heil und gesund wird. Wenn man so gut mit einander bekannt gewesen ist, wie wir Zwei – und hernach muß so was kommen und ein so schöner und vornehmer Herr für so ein armes Mädel sich ums Haar todtstechen lassen – und ganz unschuldig obendrein –
Irene hatte eine Bewegung gemacht, als ob sie rasch wieder fort wolle. Die letzten Worte schienen sie anderen Sinnes zu machen.
Unschuldig? warf sie nachlässig hin, ohne die Zenz dabei anzusehen. Wissen Sie denn, wie Alles gekommen ist?
Nun freilich! rief das Mädchen eifrig. Bloß um mich ist es ja gekommen. Ich hab' nichts von ihm wissen wollen, von dem Hiesl nämlich, und daß ich den Herrn Baron gern hab', warum sollt' ich das nicht eingestehen? Es kann ja auf der Welt keinen schöneren und lieberen Menschen geben, und wenn er einen so freundlich anlacht – man meint gleich, man spürt's drinnen im Herzen. Und dabei ist er gar nicht stolz und auch wieder nicht unbescheiden und unartig gegen ein armes Mädel, wie andere junge Herren, und kurzum, es ist wahrlich keine Schand', wenn man ihn lieber mag, als so einen groben Burschen, wie den Hiesl. O gnädiges Fräulein, ich weiß nicht, was Sie von der Lieb' halten und ob Sie schon einen Schatz haben, ich aber – eh' ich den Herrn Baron gesehen hab', ist mir Einer wie der Andere gewesen, und jetzt mein' ich, es gäbe unter Gottes Sonne nur noch den Einen Menschen, und was der sagte und wollte, das müßt' ich thun, wie wenn's der Herrgott selbst mir anbefehlen würd'. Er aber – das können Sie mir auf Ehr' und Seligkeit glauben – ihm fällt so was gar nicht ein. Er weiß wohl, wie ich zu ihm gesinnt bin, aber er denkt gar nicht an mich, und obwohl ich nicht schön bin, so gar wüst muß ich doch auch nicht sein. Wenigstens der Herr Rossel, wenn ich nur wollt', den könnt' ich um den kleinen Finger wickeln. Ich dank' aber schön; ich will lieber Einen gern haben, der nicht nach mir fragt, als mich von Einem gern haben lassen, aus dem ich mir nichts mach'.
Sie hatte indessen immer an ihrem Strauß fortgebunden und hielt jetzt den fertigen mit einem munteren Auflachen, wobei sie all ihre blanken Zähne sehen ließ, in die Höhe. Ist er nicht schön? sagte sie. Aber Sie schauen ja nicht einmal hin, Fräulein. Haben Sie die Blumen nicht gern?
Irene fuhr aus tiefer Versonnenheit auf. Ihr Gesicht glühte, sie bemühte sich vergebens, dem Mädchen gegenüber, dessen ungebundene und ganz selbstlose Natur sie wider Willen liebenswürdig finden mußte, ihre Zurückhaltung zu behaupten.
Und Sie finden es ganz in der Ordnung – brachte sie endlich hervor – es fällt Ihnen nicht ein, daß Sie sich etwas vergeben, wenn Sie Jemand, der nichts von Ihnen wissen will, öffentlich nachlaufen, in ein fremdes Haus hinein, wo noch andere Männer – aber freilich, was geht es mich an, was Sie thun oder lassen?
Das Mädchen ließ die Hand mit dem Strauß sinken und sah der jungen Sittenpredigerin mit einem mehr erstaunten als gekränkten Blick grad ins Gesicht.
Nachlaufen? wiederholte sie. Nein, gnädiges Fräulein, das würde mir mein Lebtag nicht einfallen; es wär' ja auch dumm. Denn die schwarze Theres, bei der ich gewohnt hab', hat mir wohl gesagt, daß die Männer ein armes Mädel nur so lang gern haben, als sie ihm nachgehn müssen. Und weil ich mir nicht getraut hab' und gewußt, wenn ich in derselben Stadt mit ihm bin, kann ich's doch nicht aushalten, ohne ihn zu sehen, und passe ihm auf, wo er aus und ein zu gehen pflegt, und dann werd' ich ihm zuletzt noch verhaßt, da er jetzt doch wenigstens freundlich zu mir ist – da bin ich eben aufs Land hinaus und hab' mich drüben im Wirthshaus als Kellnerin vermiethet. Aber Sie sehen ja selbst, ich hab' nicht loskommen sollen, und jetzt, wo er um mich einfältiges Ding auf den Tod liegt und mich braucht – nein, gnädiges Fräulein, jetzt vergeb' ich mir gar nichts, daß ich ihm nachgelaufen bin, jetzt würd' ich mich für die schlechteste, herzloseste Person halten, wenn ich noch an mich denken thät' und was etwa die Leut' von mir schwätzen könnten; durch einen Wald voll wilder Thiere ging' ich ihm nach, um ihn zu pflegen, warum nicht in ein Haus voll guter Freunde von ihm, von denen mich Keiner beißt, grad weil sie's alle gemerkt haben, daß mir's um Keinen von ihnen zu thun ist, nur um den Einen, der nichts von mir weiß und will. So, und nun nehmen Sie's nicht übel, daß ich das Alles so grad herausgeschwätzt hab', jetzt muß ich ins Haus und nachsehn, ob Herr Kohle frisches Eis aus dem Keller braucht. Soll ich nichts von Ihnen ausrichten? etwa einen Gruß, und Sie ließen gute Besserung wünschen?
Irene hatte sich abgewendet. Sie fühlte sich von dem Wesen dieses Mädchens, das sie tief unter sich gesehen hatte, so sehr beschämt, ihr eignes Betragen kam ihr im Spiegel dieser rücksichtslosen, demüthig freudigen Hingebung so klein, eng und armselig vor, und der Gedanke, daß sie den Platz an seinem Wundbette nun mit Recht einer Andern überlassen mußte, schnitt ihr so heftig ins Herz, daß sie die Thränen nicht zurückzuhalten vermochte und nicht einmal daran dachte, ihre überströmenden Augen dem guten Geschöpf, das vor ihr stand, zu verbergen. Geh nur wieder zu ihm, sagte sie, – und grüß ihn von mir! – Und pfleg ihn – und – ich komme wieder – morgen um diese Zeit – es braucht's Niemand als du zu wissen. Wie heißt du denn?
Crescenz. Sie nennen mich aber nur die rothe Zenz.
Lebe wohl, Crescenz, und – ich habe dir Unrecht gethan – du bist ein gutes Mädchen, viel, viel besser als Andere – Adieu!
Sie hielt der höchst Erstaunten, die sich die plötzliche Freundlichkeit des Fräuleins mit ihrer früheren Kälte und Vornehmheit nicht zu reimen wußte, ihre Hand hin. Dann wandte sie sich hastig ab und verschwand hinter den Fichten des Parks.
Kopfschüttelnd sah das Mädchen ihr nach. Die ist auch in ihn verliebt, so viel ist sicher! sagte sie bei sich selbst. Nun fiel ihr auch wieder ein, daß Felix sie gestern drüben im Wirthshaus gleich nach diesem Fräulein gefragt hatte. In Gedanken stellte sie die Beiden neben einander und mußte sich mit einem stillen Seufzer gestehen, daß sie wie für einander geschaffen seien. Wie weit es zwischen ihnen gekommen sein mochte, darüber grübelte sie nicht sonderlich nach. Sie hatte überhaupt immer nur Gedanken für das Nächste, und wie sie jetzt ihren Strauß ansah und sich sagte, daß sie Ehre damit einlegen würde, lachte sie plötzlich wieder über das ganze Gesicht und ging mit flinken Schritten ins Haus zurück.
In dem Malzimmer droben, neben dem niedrigen Lager, auf welchem Felix im Fieberschlaf ruhte, saß der Dicke, der seine Trägheit gänzlich abgeschüttelt zu haben schien, seit es sich um eine so ernsthafte Aufgabe handelte. Nur den amerikanischen Schaukelstuhl hatte er sich hinaufbringen lassen. Im Uebrigen versah er wetteifernd mit den Freunden alle Pflichten der Krankenpflege. Vielleicht auch hatte die Nähe des Mädchens, deren plötzliche Erscheinung unter seinem Dach ihn sehr nachdenklich gemacht, zu diesem Wunder mitgewirkt. Es fiel nicht nur dem sarkastischen Schnetz, sondern selbst dem arglosen, menschenunkundigen Kohle gleich in den ersten Stunden auf, mit wie respectvollem, fast ritterlichem Eifer der sonst so Schwerbewegliche sich gegen das Mädchen betrug, so wenig sie sich für seine Huldigungen empfänglich oder dankbar zeigte. Sie wollte nichts im Hause sein, als eine Dienerin mehr, hielt sich still und bescheiden zu der alten Kathi, und nur wo es die Pflege des Verwundeten galt, äußerte sie auch ungefragt ihre Meinung. Es zeigte sich, daß sie bei all ihrer Beschränktheit und äußerst geringen Bildung einen natürlichen Sinn für das Schickliche, Praktische und Anmuthige besaß, so daß der kleine Haushalt wie am Schnürchen ging und die alte Kathi gar keine Zeit behielt, über die vermehrte Einquartierung zu murren, sondern ihrem stillen Laster nach wie vor sich ergeben konnte.
Kohle stand an seiner Staffelei. Trotz der Aufregungen einer halbdurchwachten Nacht arbeitete seine Phantasie unermüdlich fort, und er war eben daran, die kleine Skizze des zweiten Bildes in das Format des ersten ausgeführten Cartons zu übertragen.
Sie sind und bleiben ein hartgesottener Idealist, sagte Rossel halblaut, indem er seine Augen nicht von der Gestalt des schlafenden Felix abwandte. Statt die Gelegenheit zu benutzen und hier die prachtvollsten Naturstudien zu machen, basteln Sie ruhig an Ihren Fabelgeschichten weiter und kehren dem schönsten Leben den Rücken.
Ich will nur noch die Conturen hinwerfen, versetzte der Zeichnende. Es ist mir heute früh aufs Herz gefallen, ob sich's im Großen auch so machen wird, wie in der Skizze. Ich glaube, ich muß am Ende diese Hauptgruppe ein wenig nach links rücken, damit mehr Gleichgewicht in den Aufbau kommt.
Wer Sie so reden hörte, Kohlechen, sollte meinen, Sie wären eine so gemüthlose Kunstmaschine, daß Sie mitten unter Mord und Todtschlag nur an Ihre Frau Venus dächten. Aber ich weiß, das war Ihnen nur so eine heimliche Herzstärkung zwischendurch, wie Schnetz ein Glas Grog trank und ich einen Tschibuk rauchte, nachdem die ersten Strapazen der Menschenliebe vorüber waren. Jeder hat sein Specificum, auf das er schwört, und das Ihre ist noch dazu von der Sorte, die nie versiegt. Aber nun kommen Sie einmal und sehn sich das Modell hier an. Diese altaristokratischen Familien bringen doch noch immer dann und wann Exemplare zu Stande, die nach dem Motto noblesse oblige zurechtgezimmert sind. Hat dieser Junker einen Hals und Nackenansatz! Und sehen Sie nur, Kohle, wie durch den straff anliegenden Hemdärmel sich der biceps markirt – ein junger Achill, corpo di Bacco! Ich hätte wahrhaftig Lust, gerade jetzt in der weichen Abendbeleuchtung – wenn ich nur Farben und Leinwand –
Damit kann ich aushelfen, unterbrach ihn Kohle, ebenfalls mit sorgsam gedämpfter Stimme. Ich habe mir gestern erst einen Blendrahmen besorgt – die alte Kathi möchte ihr Conterfey für ihre Urenkelin gemalt haben – ich dächte, das Format –
Lassen Sie nur stehen, Werthester. Es ist am Ende gescheidter, nur mit den Augen zu studiren. Sehen Sie, er wirft sich auch so oft herum. Aber jetzt wieder – prachtvoll, wie die Stirn sich herauswölbt, und die ganz famose Bildung der Augenhöhlen – kein Wunder, daß Der Glück bei den Weibern macht, daß auch die Hexe, die Zenz, die sonst nicht nur Haare im Schopf, sondern auch auf den Zähnen hat, diesem Wetterjunker nachläuft wie das Heilbronner Käthchen. Ich wollte nur –
In diesem Augenblick öffnete sich behutsam die Thür, und die eben Beredete trat auf den Fußspitzen schleichend mit ihrem Strauß herein. Aber so leise ihr Kommen war, schien es dennoch den Schläfer geweckt zu haben. Er bewegte den rechten Arm über fernem Haupt, stöhnte ein wenig und schlug dann langsam die Augen auf.
Schöne Blumen! sagte er lallend. Guten Tag! Wie steht's? Was macht die Kunst?
Dann, ohne die Antwort abzuwarten, und wie wenn er sich auf ein Gesicht besänne, das im Traum ihm vorübergegangen: Ich möchte nur wissen – ob sie es wirklich war. Hat Jemand – nach mir gefragt?
Die Zenz trat leise näher heran, reichte ihm den Strauß hin, daß sein blasses Gesicht von dem Wiederschein der dunklen Rosen sich röthete, und sagte flüsternd: Ich hab' einen Gruß für Sie bekommen, von dem schönen gnädigen Fräulein, sie war unten im Garten, um sich zu erkundigen, und läßt Ihnen gute Besserung wünschen. Gelt, Sie wissen schon, wen ich meine? Die Nämliche von drüben, die nicht mittanzen wollte.
Seine Augen hingen unbeweglich an dem Strauß, die Worte, die er hörte, überwältigten ihn mit solcher Wonne und Süße, daß er noch immer zu träumen glaubte; mit gewaltsamer Anstrengung hob er den Kopf ein wenig, um das glühende Gesicht in den Blumen zu verbergen. Zenz, sagte er, – ist das – wirklich wahr?
So gewiß wie ich lebe; und sie hat endlich sogar an zu weinen gefangen, daß mir's selber leid gethan hat, obgleich –
Ein Lächeln flog über die Lippen des Kranken. Er wollte etwas sprechen, aber die Erregung war zu heftig gewesen. Ein Schwindel umfing seine Sinne, und mit einem leisen Seufzer, der aber nicht schmerzlich klang, schloß er die Augen und war gleich darauf in seinen Halbschlummer zurückgesunken.