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Indessen hatten die beiden Liebenden im Garten draußen, vertieft in ihr wiedergewonnenes Glück und dicht in Felix' weiten spanischen Mantel gehüllt, weder von dem gährenden Ungewitter im Saal etwas vernommen, noch darauf geachtet, daß die Nachtwolken sich in einen feinen Regen zu lösen anfingen. Nun aber erhob sich ein lebhafter Wind, schüttelte den weichen Schnee von den Aesten und trieb ihnen die kalten Tropfen ins Gesicht.
Sie verlangte auch jetzt noch nicht ins Haus zurück. Sie hätte ohne Ende durch Sturm und Wetter so neben ihm hinwandeln mögen. Er aber, für ihre Gesundheit besorgt, bestand scherzend darauf, »sein Schäfchen ins Trockne zu bringen«. Wir müssen uns jetzt vor Erkältung hüten, sagte er. Es giebt Verhältnisse unter vier Augen, bei denen einem ein Schnupfen sehr im Wege ist. Komm, Schatz! Ich habe Lust, die Nacht mit dir durchzutanzen. Herrgott, was man Alles nachzuholen hat!
Sie hing willenlos hingegeben an seinem Arm. Da hörten sie das Sterbegeheul des alten Thieres, das schauerlich in die Nacht hinausdrang.
Was ist das? sagte Felix. Für einen Maskenscherz klang das zu ernsthaft. In den Tropen war ich an solche Nachtstimmen gewöhnt und schlief ruhig dabei ein. Aber unter diesem Schneehimmel –
Er beschleunigte wieder ihren Schritt dem Hause zu. Da sahen sie, wie plötzlich die Hinterthür aufgerissen wurde und zwei vermummte Gestalten hastig herausstürzten, auf einen Wagen zu, der wie in jener Nacht, wo das brennende Bild verschwand, etwa dreißig Schritt vom Hause entfernt auf dem Fahrwege gewartet hatte.
Nur die Umrisse einer Mönchskutte waren zu erkennen.
Rosenbusch! rief Felix.
Sein Ruf hatte nur die Wirkung, die Eilenden noch mehr zu spornen. Im nächsten Augenblick hatten sie den Wagen erreicht, etwas Weißes blinkte auf, das Felix' scharfes Auge als die Fustanella des jungen Griechen zu erkennen glaubte, dann wurde der Schlag zugeworfen, und in rasender Eile rollte der Wagen durch die Nacht von dannen.
Betroffen sah unser Paar ihm nach.
Was das nur bedeuten mag! rief Irene.
Er verstummte kopfschüttelnd und führte sie rasch ins Haus. Sie fanden Fridolin auf seinem Posten, aber mit so vor Schreck und Schlaftrunkenheit glotzenden Augen, daß sie sich nicht damit aufhielten, ihn auszufragen, sondern die nasse Hülle abwerfend eilig in den Saal traten.
Hier zeigte sich ihnen ein erschütterndes Schauspiel.
Jansen kauerte regungslos auf dem Boden, den blutüberströmten Kopf des Hundes auf seinen Knieen, den Blick auf die langhingestreckten Glieder des alten Freundes geheftet, deren leises Zucken den letzten Pulsschlag des stockenden Blutes verrieth. Neben ihm war Julie auf die Kniee gesunken, ohne ihr goldfarbenes Unterkleid zu schonen, das die dunkle Lache mit breiter Spur befleckte. Die Freunde standen in rathloser Verstörung um die Gruppe herum, und selbst die Musiker hatten sich von ihrer Bühne heruntergeschlichen und in ihren grotesken Thiermasken unter die Gäste gemischt.
Aus dem lautlosen Gedränge trat jetzt die hagere Alba-Figur ihres Freundes Schnetz auf die bestürzten Beiden zu, führte sie beiseit und erzählte ihnen mit halblauter Stimme, was sich zugetragen hatte, während sie draußen ahnungslos ihre Herzen ausgetauscht hatten. Den Zusammenhang dieser räthselhaften Ereignisse konnte er ihnen freilich nicht deuten. Als man sich vom ersten Schrecken ermannt und nach der Anstifterin des Unheils umgesehen habe, sei diese mit dem Griechen aus dem Saal verschwunden gewesen.
Rosenbusch gesellte sich zu ihnen, Angelica und Elfinger traten heran, der Schlachtenmaler in einer wahrhaft mitleidswürdigen Niedergeschlagenheit über den tragischen Ausgang seines Abenteuers. So unschuldig er an Allem war, so klagte er sich doch als den Anstifter der ganzen Mordgeschichte an, da er die fremde Maske eingeführt. Er erzählte umständlich, wie er ihre Bekanntschaft gemacht, und betheuerte wiederholt, daß sie nicht das Geringste gethan, den Hund zu reizen. Dem sei nun aber, wie ihm wolle, das Unglück sei geschehen, das Fest verdorben und Jansen um seinen alten Gefährten gebracht.
Felix hatte mit finsterer Stirn dies Alles angehört. Jetzt brach er sich Bahn durch die Umstehenden und trat zu Jansen. Der Hund hatte eben den letzten Athemzug gethan. Jansen fuhr in die Höhe, als er die Hand des Freundes auf seiner Schulter fühlte. Er richtete sich vollends empor und hob auch Julie von den Knieen auf, sprach aber kein Wort, sondern bewegte nur langsam die hellen Augen in den weitgeöffneten Höhlen, als müsse er sich besinnen, wo er war. Sind sie fort? sagte er nach einer langen Pause.
Niemand antwortete. Julie haschte nach seiner Hand und sprach leise zu ihm, worauf er nur mit einem befremdlichen Lächeln und Kopfnicken antwortete. Dann schüttelte er sich gewaltsam und schritt aus dem Kreise heraus, der das todte Thier umstand. Er näherte sich den Freunden und bat Schnetz, nun wieder mit seiner gewöhnlichen Stimme, daß er nach einem Wagen schicken möge, er wolle mit dem Hunde nach Hause fahren. Dann in kurzen Worten, aber mit einer Miene, die jede Einrede abschnitt, forderte er von ihnen, daß sie seinetwegen sich nicht stören, das Fest nicht im Stiche lassen sollten. Auch von Julie ließ er es sich versprechen und zwang sich, in einen leichteren Ton einzulenken. Dann nahm er Rosenbusch beiseit und sprach eine ganze Weile leise mit ihm, den Blick immer zu Boden gekehrt, schüttelte ihm endlich die Hand und verließ den Saal.
Julie und Felix begleiteten ihn an den Wagen hinaus, in den die Leiche des Hundes bereits hineingelegt war. Er stieg mit sichtbarer Mühe zu ihm hinein und reichte den Beiden eine eiskalte Hand zum Abschied. Das Alles that er wie noch halb umsponnen von einem Traum, aus welchem selbst die Nähe und Theilnahme seiner theuersten Menschen ihn nicht aufzuwecken vermochte.
Fridolin hatte sich zum Kutscher auf den Bock gesetzt, so fuhren sie den weiten Weg durch die kalte Regennacht und hielten vor dem Atelier, als es gerade Mitternacht schlug. Der Kutscher bot seine Hülfe dazu an, den schweren Körper des Hundes aus dem Wagen zu heben und hineinzutragen. Sie legten ihn im Gärtchen hinter dem Hause nieder und höhlten dort mit Hacke und Spaten eine hinreichend tiefe Grube, in die sie das mächtige Thier versenkten. Der Kutscher hatte sich wieder entfernt, Jansen stand unbeweglich am Rande des offenen Grabes und sah auf die dunkle Masse, die darin verwesen sollte. Fridolin aber nahm die beiden gemachten Rosen, die er noch von seinem Engelscostüm hinter den Ohren trug, und warf sie auf den Todten.
's ist Winter, sagte er, und stockfinstere Nacht, und wir haben eben nichts Frisches. Gehen Sie nur schlafen, Herr Professor. Ich schaufle ihm schon sein Bette zurecht. Uebrigens, wenn er auch bloß ein Vieh war, am Ende kriegen wir ihn doch noch mal zu sehen am jüngsten Tage, und wenn's einen Himmel für die Hunde giebt, Herr Professor, kommt er noch eher hinein, wie mancher Pfarrer. Denn warum? Er hat gewußt, was Freundschaft und Menschlichkeit ist, und das weiß der Zehnte nicht, und hat niemals keinen armen Nebenmenschen wie einen Hund behandelt, was sich auch nicht Jeder nachsagen kann. Ich denke, der Herrgott wird nichts dagegen haben, wenn ich einen Rosenkranz und ein paar Vaterunser für die arme Hundeseele bete.
Jansen nickte stumm mit dem Kopf und wandte sich ab. Dann ging er ins Haus und trat in seine dunkle Werkstatt. Es war eisig kalt in dem weiten Raum, der Wind heulte durch den Rauchfang herab und klirrte in dem eisernen Ofen. Dennoch konnte der Unglückselige sich nicht entschließen, seine eigentliche Wohnung aufzusuchen. Er warf sich auf das niedrige Sopha und breitete seinen Mantel über die erstarrten Glieder. So lag er still und horchte hinaus auf den Regenfall und das Geräusch, das die Schaufel machte. Die Augen hatte er fest zugedrückt. Gleichwohl sah er beständig in der Finsterniß seines eigenen Innern ein blasses, nur allzu wohlbekanntes Gesicht, von dem die Maske eben abgefallen war, und das trotz des entsetzten, flehenden Ausdrucks ihm wie das Haupt der Meduse entgegenstarrte.