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Julie hatte den Brief längst zu Ende gelesen, und noch immer stand sie regungslos am Fenster, während Jansen, den Kopf auf die Brust gesenkt, wie zwischen Schlafen und Wachen dasaß.
Erst als ihr die Blätter aus der Hand glitten, ihm vor die Füße hin, fuhr er in die Höhe. Aber er hob sie nicht auf.
Was schreibt er? fragte er tonlos.
Ganz wie du vermuthet hast, erwiederte sie. Du wirst kaum etwas Neues daraus erfahren, oder doch nichts, was die Sache ändern könnte. Darum lies ihn lieber in einer ruhigeren Stunde, wenn du ausgeschlafen hast. Uebrigens wird der Brief dir trotz alledem wohlthun. Man kann von etwas Unwürdigem nicht würdiger reden, und ich wenigstens habe keine schlechtere Meinung von unserem Freunde bekommen, seit ich seine traurige Beichte gehört habe. Ich denke, es wird noch Alles gut, und nicht einmal den Freund verlieren wir. Er spricht zwar von seiner Selbstverbannung, er hat auch an Irene einen Abschiedsbrief geschickt, weil er zu ritterlich denkt, um sich ein Glück zu gönnen, um das er uns gebracht zu haben meint.
Er hob den Kopf in die Höhe und sah ihr mit einem trüben, fragenden Blick in die Augen.
Ich verstehe kein Wort! sagte er.
Sie beugte sich zu ihm hinab, schlang die Arme um seinen Hals und küßte ihn auf die Stirn.
Es ist auch gar nicht nöthig, daß du mich verstehst, liebster Mann. Halte nur still – und vertraue deiner allerbesten Freundin. Es ist wahr, die Umstände spielen uns übel mit; aber eine rechte Liebe und ein bischen Menschenverstand – sollten die nicht mit aller Tücke des blinden Zufalls am Ende noch fertig werden? Ich bin nur ein Weib; aber es empört meinen Stolz, mich so zahm und unthätig zu fügen und nichts zu wagen, wo das Leben auf dem Spiele steht. Ist denn nicht innerlich Alles zwischen uns im Reinen? Und nur, weil von außen allerlei Unreines und Feindseliges sich herandrängt, sollten wir uns nicht angehören? – Nein, mein Geliebtester, wir wollen uns nicht feige darein ergeben, daß wir in einer unvollkommenen Welt leben, wir wollen das Unsere thun, sie vollkommener zu machen, wenigstens auf dem Stückchen Erde, auf dem unsere Hütte steht.
Die Augen hatten sich ihr, während sie sprach, mit Thränen gefüllt, aber sie lächelte ihn dabei so herzlich an, daß dem Tiefgebeugten zum ersten Mal wieder ein warmer Hauch an die Seele ging.
Was meinst du, Herz? fragte er, sie erstaunt betrachtend.
Still! – Nicht jetzt! flüsterte sie und strich ihm das wirre Haar von der Stirn und küßte ihn auf die Augen. Aber wenn du mich so liebst, wie du sagst, und wie ich glauben muß, um leben zu können, so vertraue mir und thu', um was ich dich bitte. Zunächst fährst du jetzt nach Hause und holst das Frühstück nach, wobei Fränzchen dir Gesellschaft leisten soll. Und dann legst du dich nieder und schläfst, so gut und fest du nur immer kannst. Gegen Abend aber mußt du dich wecken lassen, denn ich erwarte dich pünktlich um sieben Uhr in meiner Wohnung. Wenn du dies Alles recht gehorsam thust, so erfährst du dann zur Belohnung, was ich mir ausgedacht habe, um diese ängstlichen Wirrsale zu schlichten und vier gute Menschen noch glücklich zu machen. Bis dahin aber grüble nicht darüber nach, was es etwa sein könnte, sondern verlaß dich auf deine treue Liebste. Willst du das?
Sie küßte ihn lange und innig auf den Mund, der verworrene Worte stammelte. Dann führte sie ihn hinaus. Er warf einen scheuen Blick nach der Thür zu der Heiligenfabrik.
Kind, sagte er, ich schäme mich. Da drinnen hast du mich gesehen! Ist es denn möglich, daß du einen Rasenden lieben kannst?
Ich fürchte mich nicht ein bischen, lächelte sie. Was uns Beiden in Wahrheit heilig ist, das wird dieser wilde Geist niemals zerschlagen, auch nicht in seinen finstersten Stunden. – –
Als sie die Droschke fortrollen sah, athmete sie tief auf und ging dann langsam ins Haus zurück. Sie hatte den Freunden, die bekümmert auf Nachricht warteten, einen Wink gegeben, sich zurückzuziehen und ihm nicht in den Weg zu treten. Kohle war mit Rosenbusch in dessen Atelier gegangen; Angelica saß vor ihrer Staffelei, ohne einen Pinsel anzurühren. Als Julie jetzt bei ihr eintrat, stürzte sie ihr in ihrer stürmischen Art entgegen. Nun? rief sie. Aber du hast ja geweint!
Nicht vor Kummer, Liebste! Obwohl auch dazu Grund gewesen wäre. Denn wie viel Bitteres liegt hinter uns, und wie viel schöner könnte es sein! Aber das Beste ist nicht verloren. Höre – ich muß dir etwas anvertrauen –
Sie neigte den Kopf zu ihr herab und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Ein lauter Freudenschrei entfuhr der treuen Seele. Sie war ganz roth geworden vor frohem Schreck, im nächsten Augenblick lag sie an Juliens Halse und erstickte sie fast mit Küssen und Liebkosungen.
Närrisches Mädchen! sagte Julie, sich ihrer endlich erwehrend. Was ist es denn? Hast du nicht selbst prophezeit, daß es am Ende so kommen würde? Thu' mir nun den Gefallen und sei so vernünftig, wie es einer Künstlerin irgend möglich ist. Du mußt mir helfen; ohne dich – wie wäre es möglich, daß wir bis heute Abend fertig würden? Ich will dir nur gleich sagen, wie ich mir Alles gedacht habe.
Sie blieben noch eine halbe Stunde in eifriger Berathung beisammen und trennten sich dann nach den zärtlichsten Umarmungen und Versicherungen ewiger Freundschaft. Die beiden Männer nebenan hatten durch die Wand nur jenen Freudenschrei und dann ein unverständliches Wispern und Raunen vernommen; ihre Ungeduld war sehr auf die Folter gespannt worden. Als die Thür jetzt ging, traten auch sie mit der Miene stiller Kränkung auf den Gang hinaus.
Angelica wird Ihnen Alles sagen! rief Julie, rasch die Treppe hinuntereilend. Und ich rechne darauf, daß Sie Beide mir heut Abend das Vergnügen machen. Um Jansen seien Sie unbesorgt. Er ist jetzt zu Hause und ganz wohl aufgehoben. –
Damit entschwand sie ihren Blicken.
Fräulein Minna Engelken, sagte Rosenbusch, werden Sie endlich geruhen, uns mitzutheilen, was diese langwierige Verhandlung bei beschränkter Oeffentlichkeit bedeutet?
Nur so viel Ihnen zu wissen heilsam und nothwendig ist, Herr von Röschen! erwiederte die Malerin, die so aufgeregt und zerstreut war, daß sie ihren Hut verkehrt aufsetzte und auch ihre übrige Straßentoilette nicht eben sehr sorgfältig zu Stande brachte. Die beiden Herren sind für heute Abend auf eine Tasse Thee zu Fräulein Julie geladen und werden gebeten, diese Botschaft auch Herrn von Schnetz, Herrn Elfinger und Papa Schöpf zu überbringen. Man erscheint Punkt drei Viertel auf sieben Uhr in voller Uniform mit allen Decorationen. Das Uebrige besagen die Anschlagezettel. Und nun muß ich bitten – ich habe eine solche Flut von Commissionen – und da die Herren der Schöpfung doch zu nichts zu brauchen sind, was über Künste und Wissenschaften hinausgeht – auf Wiedersehen heut Abend, meine Herren!
Sie machte ihnen eine muthwillige Verbeugung, trieb die Erstaunten ohne viel Umstände aus ihrem Atelier und flog singend die Stiege hinunter.