F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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Unterdessen rauscht es die Treppen hinauf in Samt und Seide, man begrüßt sich mit kurzen Worten, man eilt bei einander vorbei, um frühzeitig in den Empfangsaal zu kommen, wo sich der Hofmarschall, sowie die Obersthofmeisterin Ihrer Durchlaucht der Prinzessin Elise befindet, um die Herren und Damen vom Hofe zu empfangen: beide steif und förmlich ernst, fast trübe, wie der Sonnabend vor Ostern, mit einer Rückerinnerung an die vergangene stille Zeit und einem Vorgefühl der lustigen heiteren Tage, die beginnen werden mit dem Klang der Glocken.

Begreiflicherweise bilden sich hier oben im großen Saale die verschiedenartigsten Gruppen; alte Exzellenzen erinnern sich noch ganz genau des Tages, wo der nun schon höchstselige Herzog das Licht der Welt erblickte; es war das an einem Sonntagmorgen gewesen, es regnete unaufhörlich, bei den Freudenschüssen wollten die Kanonen nicht losgehen, und die Amme des allerhöchsten Kindes hatte die Unvorsichtigkeit begangen, dasselbe dem durchlauchtigsten Vater in schwarzen Schuhen zu präsentieren, d• h• sie, die Amme, hatte schwarze Schuhe; was den kleinen Prinzen anbelangte, so waren seine scharmanten herzoglichen Füßchen in goldgestickte Windeln eingeschlagen. – »Ach! diese Windeln!« seufzte eine bejahrte Hofdame, »ich erinnere mich ganz genau, wie meine selige Mutter an einer derselben gestickt.«

»O das ist ja durchaus unmöglich,« schmeichelte die alte Exzellenz, obgleich man wohl wußte, daß die Hofdame selbst, was Zeit und Alter anbelangt, ganz gut eine der Windeln hätte sticken können.

Ähnliche Windelgespräche, und was darum und daran hängt, werden von den jüngeren Hofdamen und Ehrenfräulein nur geführt, wenn sich kein männlicher Lauscher in der Nähe befand; sobald sich ein Kammerherr oder sonst etwas der Art näherte, ging das Gespräch ohne einen gehörigen Übergang aufs Wetter über, auf das Theater, oder auf sonst einen unschuldigen und geringfügigen Gegenstand.

Neben diesen einzelnen Gruppen, die im ganzen Saale zerstreut waren, bemerkte ein kundiges Auge auch noch zwei streng geschiedene Hauptlager: die Partei des Regenten und die Ihrer Durchlaucht der Prinzessin. Die nächste Stunde mußte für diese beiden Parteien eine wichtige Entscheidung bringen; die eine Wagschale sank, die andere stieg hoch empor. – Die Herzogin werde sicher eine Prinzessin haben, hatten alte kundige Damen versichert, die in ähnlichen Angelegenheiten Routine hatten, um durch allerlei kleine Umstände eine solche Ansicht begründen zu können. »Ja, eine Tochter – gewiß eine Prinzessin!« hörte man vielfach im Saale flüstern, und das gab denen von der Partei der Prinzessin jedesmal einen Stich ins Herz. In dem Falle hatten sie nichts zu hoffen, alles zu verlieren, in dem Falle hörte die Regentschaft auf, und der Regent trat in die Rechte und Titel des regierenden Herzogs des Landes. Daß er alsdann Ihrer Durchlaucht der Prinzessin Elise den freundlichen Rat erteilen würde, mit der verwitweten Frau Herzogin Eschenburg zu bewohnen, daran zweifelten die Anhänger des Regenten durchaus nicht; sie hofften es, während die von der Partei der Prinzessin leise flüsternd eine solche Möglichkeit als Befürchtung aussprachen.

Es war für einen unparteiischen Beobachter ganz amüsant, die Haltung dieser beiden Lager zu sehen; die Siegeshoffnung der einen drückte sich durch freudige Mienen aus, durch halblautes Lachen, durch sehr exzentrische Bewegungen mit den Fächern; die andere Partei lachte nicht, sondern sie lächelte nur, doch hatte dieses Lächeln etwas Forciertes, fast Unheimliches, und wenn man draußen Schritte hörte, so wandten sich von dieser Seite des Saales mehrere Dutzend Augen sehr erwartungsvoll nach der Eingangsthür. Wir können dabei nicht verschweigen, daß einige schwache Seelen von der Partei Ihrer Durchlaucht ins andere Lager hinüberschlichen, um dort, als sei gar nichts vorgefallen, ein harmloses Gespräch anzuknüpfen; doch las solch ein Unglücklicher in den halbgeschlossenen Augen oder dem eigentümlichen Lächeln irgend einer alten Exzellenz oder in dem raschen Fächerzuklappen einer entrüsteten Hofdame das verhängnisvolle »Zu spät!«, und verstand genau, was es heißen sollte, wenn in seiner Nachbarschaft, scheinbar ohne Beziehung auf ihn, irgend jemand sagte: »Ah! c'est trop fort!«

Freilich gab es unter dem Hofstaat einige Privilegierte, die entweder dem Treiben beider Parteien fern geblieben waren, oder die man bei der einen oder bei der anderen so hoch in Gunst stehend glaubte, daß niemand es wagte, so bevorzugte Personen mit einem schiefen Blicke anzusehen, sondern daß alle für diese ein angenehmes Wort, ein freundliches Lächeln hatten.

Hierzu gehörte auch Major von Fernow, der, schon früh im Schlosse anwesend, mit dem Hofmarschall und der Obersthofmeisterin so zu sagen die Honneurs gemacht hatte. Während alles in gespannter Erwartung harrte, trieb er sich scheinbar zweck- und planlos zwischen den plaudernden Gruppen beider Parteien umher, doch wenn er auch hier und da eine Konversation anknüpfte, so bemerkten seine genauen Bekannten wohl, daß er zerstreut sei und für Antworten, die man ihm gab, nur ein halbes Ohr habe. Auch machte er sich viel an der Seite der Fenster, von wo er den Schloßplatz übersehen konnte, zu schaffen und blickte zuweilen mit gespannter Aufmerksamkeit dort hinab. Endlich schien das zu kommen, was er erwartete. Es fuhr ein Wagen die Rampe hinauf und hielt unter dem Hauptportal. Herr von Fernow dirigierte sich gegen die Eingangsthür des Saales, und als hier gleich darauf Baron von Wenden eintrat, faßte der Major dessen Arm und ging so langsam als möglich, um kein Aufsehen zu erregen, zwischen den Umherstehenden durch bis nach einer der Fensternischen, wo er den Freund in die hinterste Ecke zog und ungeduldig sagte: »Nun, was bringst du? Du bist lange genug ausgeblieben.«

»Möglich, daß es dir lange vorgekommen ist,« versetzte der Kammerherr, »für mich war es auch kein kurzweiliges Geschäft, aber ich habe gethan, was eine menschliche Zunge und acht Pferdebeine zu thun im stande sind. Puh!« damit blies er wie echauffiert von sich und fächelte mit seinem Uniformshute sich einige Kühlung zu.

»Du hast ihn also nicht getroffen?«

»O ja, ich traf ihn, aber erst nach mehrmaligem Hin- und Herfahren. Zu Hause hieß es, er sei vor einer Viertelstunde weggefahren, nach Warrens Hotel, wo Graf Hochberg wohnte. Ich eilte dorthin, was die Pferde laufen konnten. Vor dem Hause stand der Reisewagen des Grafen, die Bedienten packten emsig auf, antworteten mir aber auf meine Frage, beide Herren, der Graf, sowie Seine Exzellenz seien vor einer Viertelstunde nach des letzteren Wohnung zurückgefahren. – Wer weiß, wo sie sich unterwegs aufgehalten. Nun gut, ich fahre dorthin zurück. – Niemand da, versichert mich der Kammerdiener des Barons, wobei er die Achseln bis an die Ohren emporzieht. Du kennst nun mein unverwüstliches Phlegma bei solchen Angelegenheiten. Ich sage also dem Kammerdiener: Gut wenn niemand da ist, so werde ich mir erlauben, zu warten, bis jemand kommt. Man führt mich in den Salon, und ich setze mich in einen Fauteuil und stelle Betrachtungen an über die Vergänglichkeit alles Irdischen.«

»Gewiß sehr schöne Betrachtungen!« entgegnete der Major ungeduldig, »die du mir später hoffentlich nicht vorenthalten wirst. Aber später, später!«

»Wenn wir wieder zusammen Dienst im Vorzimmer haben,« lachte der Kammerherr. »O du Narr des Glücks! – Da sitz' ich also eine Weile, und um zu zeigen, daß ich durchaus keine Eile habe, richte ich mich so häuslich wie möglich ein; ich nehme eine Zeitung und fange sorgfältig bei den telegraphischen Depeschen an.«

»Weiter! weiter!«

»Den Teufel auch! Treib mich nicht so! Was ich dir hier nur in der Kürze erzähle, hat mich wahrhaftig viel länger aufgehalten.«

»Das glaube ich dir gern,« erwiderte der Major, unmutig den Kopf schüttelnd, »und ich will dir heute abend still halten, sechs Stunden meinetwegen. Aber bedenke doch, daß ich wissen muß, woran ich bin, und daß wir jeden Augenblick unterbrochen werden können.«

»Bah! Sind wir wirklich schon so nahe dabei?«

»Da schau hinüber an den alten Schloßflügel,« antwortete Herr von Fernow. »Siehst du dort am offenen Fenster den Grafen Schuler, bemerkst du wohl, wie der Hofchirurg jeden Augenblick rapportiert? Ich glaube wahrhaftig, er schickt sich an, ein Zeichen zu geben.«

»Nun, und was für ein Zeichen?«

»Das hängt von der nächsten Viertelstunde ab. Haben wir eine Prinzessin, so schwingt er ein weißes Tuch, haben wir einen Prinzen, ein rotes. Hinter dem Schloßplatz erheben sich sodann augenblicklich Raketen, und ein paar Sekunden darauf verkünden die Batterien vor dem Thore der Residenz diesen Augenblick des Glücks. – Also bitt' ich dich – beeile deinen Bericht.«


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