F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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»Es wäre in der That besser,« sagte dieser, »wenn du mir offenherzig geständest, daß dieser Herr sowohl für dich, wie für mich und auch noch für eine dritte hohe Person interessant, außerordentlich interessant ist. Du wirst im Verlauf meines Referats derselben Ansicht werden.«

»So bist du noch nicht zu Ende?« fragte der Kammerherr fast ängstlich.

»O nein, jetzt kommt das Beste; und das soll dir zugleich einen Beweis geben, wie offenherzig ich gegen dich bin. Nach unserem Souper, nachdem ich diese Photographie erhalten, begab ich mich zu Seiner Hoheit, dem Regenten.«

»Ah!« rief wirklich erschrocken der andere, »und er ließ dich vor in später Nacht? – Fernow, du hast den Augenblick des Glücks wohl zu benutzen verstanden.«

»Ich glaube so,« entgegnete dieser, und setzte mit Beziehung hinzu: »Für mich und meine Freunde. – Ich war also beim Regenten,« sagte er in leichterem Tone.

»Und der Regent?« fragte fast atemlos der Kammerherr.

»Der Regent war beim Anblicke dieser Photographie augenblicklich überrascht. Doch du weißt so gut wie ich, er läßt sich von seinen Überraschungen nicht bemeistern, faßte sich auch augenblicklich wieder, dankte mir für meine Nachricht, und sprach: Gehen Sie sogleich zu Baron Wenden, das ist ein Mann, dem etwas an unserer Gunst gelegen ist, und der Ihnen in dieser Sache Aufklärung geben kann und wird. – Verstehst du das?«

Der Kammerherr war bei dieser Rede seines Freundes in seinen Fauteuil zurückgefallen, aber bei den letzten Worten mit allen Zeichen der Überraschung und des Schreckens wieder in die Höhe geschnellt.

»Fernow!« rief er mit zitternder Stimme, »du bist mein Freund. Sei ehrlich und wahr gegen mich. Bin ich verloren oder bin ich es nicht?«

»Du? – verloren?« entgegnete der Adjutant verwundert, »glaubst du denn, daß ich mich herbeiließe, dich auf so etwas vorzubereiten? Und daß meine Vorbereitungen darin bestünden, von deinen Liebschaften zu sprechen? O Wenden, du kennst mich sehr schlecht. Vom Verlorensein ist gar nicht die Rede. Im Gegenteil, ich glaube dir fast mit Bestimmtheit versichern zu können, daß du berechtigt bist, diesen Moment einen Augenblick des Glücks zu nennen, – wenn – «

»Wenn! Ah! ich verstehe dieses Wenn, und Gott sei gedankt, wenn ich es recht verstehe. Wenn Seine Hoheit die außerordentliche Gnade hat, dem gänzlich mit Netzen umgebenen Wilde einen ehrenden Rückzug zu gewähren, dem geschlagenen Feinde eine goldene Brücke zu bauen – «

»Diese Brücke,« sprach jetzt sehr ernst der Adjutant, »wird in der That sehr golden sein, wenn ihre Pfeiler Wahrheit und Aufrichtigkeit heißen.«

Trotz der gewissermaßen peinlichen Situation, in welcher sich Herr von Wenden befand, zuckte es doch wie ein Gefühl des Triumphes durch sein Herz, da er an den Brief der Prinzessin dachte, und bei sich überlegte, daß die Aufklärungen, die er im Begriff war, dem Regenten für das Versprechen seiner Gunst zu verkaufen, schon durch die nicht zu verachtende Dankbarkeit der Prinzessin im voraus bezahlt waren, – also in der That zwei Fliegen mit einem Schlage.

Der Kammerherr warf sich in die Brust, und sein Gesicht nahm einen halb wehmütigen Ausdruck an, als er, die linke Hand auf den Tisch gestützt, nach einiger Überlegung sagte:

»So will ich mich denn ohne Rückhalt der Gnade Seiner Hoheit anvertrauen, und das wirst du nicht vergessen, lieber Fernow, bei dem Regenten hervorzuheben. Ich bitte dich, ihm zu sagen, daß ich aus freiem Willen, ohne Furcht vor dem Zorne einer anderen hohen Person – der nicht ausbleiben wird,« setzte er mit einem Seufzer der Falschheit hinzu, – »alles sagen will, was ich weiß.«

Nun erzählte er in der That, was er von der Anwesenheit des Herzogs Alfred von D• durch den Baron Rigoll erfahren, und sagte eher zu viel, als zu wenig. Denn er schmückte aus, wo es ihm notwendig erschien, und wenn sich der Adjutant am Schluß ein Resümee dieses Berichtes machte, so stand der Kammerherr Baron Wenden wahrhaftig in der Glorie eines treuen Dieners des Regenten da, der mit seinem ganzen Einfluß bei der Prinzessin danach gestrebt, diese nicht gern gesehene Verbindung zu hindern. Als er geendigt, machte er mit beiden Händen eine Bewegung, als wollte er sagen: »Nun bin ich fertig, nicht nur mit dieser meiner Erzählung, sondern auch für diese Welt. Ich habe mich in die Hände meiner Feinde gegeben, da steh' ich, ein entlaubter Stamm, der keine Blätter mehr treiben wird, wenn Seiner Hoheit Gnadensonne nicht wieder wohlthätig auf ihn wirkt.«

Herr von Fernow hatte bei der Erzählung seines Freundes nicht im geringsten ein erstauntes Gefühl gezeigt. Wenn ihm auch manches neu war, so hatte er doch den Hauptfaden durch die Worte des Regenten erhalten. Nur eins wünschte er noch aus dem Munde des Kammerherrn zu erfahren, weshalb er sprach: »Setze deiner Aufrichtigkeit die Krone auf, lieber Freund, und sage mir, ob Baron Rigoll der Hauptagent bei eurer Verheiratungskomödie gewesen.«

»Diese Frage könnte mich fast beleidigen,« entgegnete Herr von Wenden mit einem empfindlichen Blick. »Wo ich handle, pflege ich ziemlich selbständig zu handeln. Daß Seine Exzellenz allerdings seine Dienste der Prinzessin ebenfalls mit Wärme gewidmet, findest du begreiflich.«

»Gewiß sehr begreiflich,« versetzte Herr von Fernow nicht ohne Bitterkeit, »für einen so großen Lohn kann man schon etwas riskieren. Aber unsere Dienstgeschäfte sind hiermit zu Ende. Lieber Wenden, du hast das Vertrauen, welches der Regent in dich setzte, glänzend gerechtfertigt. Du wirst aber erstaunen, wenn ich dir sage, daß derselbe bereits von der ganzen Geschichte unterrichtet war, und nur wissen wollte, wie weit du in deinem, verzeih mir den Ausdruck, blinden Eifer gehen würdest, der Prinzessin hinter seinem Rücken zu dienen.«

»Nicht weiter, als ein Mann von Ehre gehen darf, um den Wünschen einer hohen Dame gerecht zu werden und doch nicht gegen den Gehorsam zu verstoßen, den er seinem Landesherrn schuldig ist.«

Das sagte Herr von Wenden mit außerordentlicher Wichtigkeit und nahm dabei die Attitude eines Volksredners an. Er schob die rechte Hand unter seinen seidenen Schlafrock auf die Brust, aber nur einen Augenblick; dann zog er sie wieder hervor und fuhr mit einer gefälligen Bewegung fort: »Von diesen meinen vollkommen guten Gesinnungen gegen den Regenten werde ich mir erlauben, dich schwarz auf weiß zu überzeugen. Sieh hierher.«

Damit ging er an den Schreibtisch und nahm ein Blatt Papier, das er dem Adjutanten hinhielt. Es war das Konzept eines Schreibens an den Regenten, worin er denselben zur Mitteilung eines wichtigen Geheimnisses um eine Audienz bat. Herr von Fernow durchflog das Papier und blickte fast zweifelnd zu dem Kammerherrn empor.

»In der That,« sagte er dann, »diese Zeilen kann man auf eine freundschaftliche Art für dich benutzen und ich werde es thun. Vor der Hand aber,« setzte er lächelnd hinzu, »erlaube mir, dir bestens zu gratulieren, daß deine Gesundheit so plötzlich wieder hergestellt ist. Seine Hoheit wünscht morgen früh beim Rapport von dir selbst zu erfahren, ob dein Leiden ein bedeutendes gewesen oder nicht.«

Dem Kammerherrn entfuhr fast ein leichter Seufzer, als er vernahm, daß sein Zimmerarrest nun aufgehört habe. Nicht als ob ihm dies unangenehm gewesen wäre, aber er sah aus der Art und Weise seines heutigen Gesprächs mit Fernow, wie sehr dieser beim Herzog in Gunst stehen mußte, und fühlte dabei neidisch, wie richtig seine Theorie vom Augenblick des Glücks gewesen.

Als beide damals vor dem großen Blumenstrauß gestanden, da hatte beide das Glück umschwebt; und es lächelte dem, der es richtig erfaßte. Und dies war Fernow gewesen. Hätte er selbst in diesem Augenblick sich statt links zur Prinzessin, nach rechts zum Herzog gewandt, so war die Sache umgekehrt, und er hatte vielleicht einen Gesandtschaftsposten in der Tasche. Ja, das Glück ist launenhaft: es hilft nicht, nur den rechten Augenblick zu begreifen, man muß ihn auch auf die richtige Art ergreifen.

»Es scheint mir, deine Genesung macht dir kein besonderes Vergnügen,« sagte Herr von Fernow, als er bemerkte, wie der Kammerherr in tiefen Gedanken versunken vor ihm stand. – »Den Teufel auch, ich glaube fast, die Liebe zu deiner kleinen Nachbarin ist dir tief ins Herz gegangen, und es thut dir leid, keinen Vorwand mehr zu haben, um den ganzen Tag am Fenster zu stehen.«


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