F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

»Gewiß, Eure Durchlaucht,« erwiderte das junge Mädchen und beugte sich abermals und so tief auf die Prinzessin herab, daß weder der Oberstjägermeister noch der Beobachter hinter dem Vorhange in diesem Augenblicke ihr Gesicht zu sehen im stande war.

Herr von Fernow war übrigens bei dem Cercle, den der Regent hielt, sowie bei der kleinen Scene am Fauteuil der Prinzessin aus uns bekannten Gründen nicht der einzige scharfe Beobachter, wogegen er der einzige war, der die Miene des Baron Rigoll verstanden, sowie die Worte der Herzogin gehört. Er mußte alle seine Ruhe zusammennehmen; er mußte sich zehnmal ins Gedächtnis zurückrufen, wo er sich befände, und daß vielleicht manches Augenpaar, welches früher von seinen Bewerbungen um Helene etwas gesehen, jetzt ebenso aufmerksam auf ihm ruhe, wie seine Blicke auf der Gruppe an dem kleinen Fauteuil.

Obgleich Herr von Wenden anscheinend auf die unbefangenste Art von der Welt bald mit diesem, bald mit jenem sprach, sich auch soviel als thunlich zwischen den Herren und Damen bewegte, so hingen doch seine Blicke fast beständig an dem großen Blumenstrauße, den er in Gedanken rastlos umkreiste, wie die Biene, die soeben zu dem offenen Fenster hereingesummt war.

Schon oft hatte sich dieser oder jener, namentlich aber viele Damen, dem Bouquet genähert, und wenn jemand sich etwas auffallend tief darauf hinbeugte, so schlug dem Kammerherrn das Herz schneller, meistens aber alsdann mit dem Gefühl des Unmutes; denn es waren bis jetzt lauter unbedeutende Leute gewesen, welche den geheimnisvollen Blumenstrauß bewundert. Einmal freilich war der Regent, der nahe an dem Tischchen stand, mit der Hand über die Blumen hinweggefahren, als wolle er sich etwas von ihrem süßen Dufte zufächeln; – der Regent, – nein, der hatte nichts mit dem Papierstreifen zu thun; sein Gesicht war in diesem Augenblicke so ruhig wie immer, und er ging ohne alle Bewegung von dem Tische hinweg nach der Fensternische, um da ein paar Worte mit einigen älteren Herren zu sprechen.

Die Prinzessin warf einen Blick auf die Uhr über dem Kamin und sagte zum Oberstjägermeister, der eben im Begriff war, sich ehrerbietig zurückzuziehen:

»Gleich sechs, wenn ich nicht irre. O, es ist mir angenehm, daß es zum Diner geht; ich habe von unserem Ausflug einen ganz tüchtigen Appetit mitgebracht.«

Ehe aber Baron Rigoll im stande war, hierauf etwas zu erwidern, was übrigens die Prinzessin auch gar nicht zu erwarten schien, warf sie den Kopf auf die andere Seite und sagte zu Fräulein von Ripperda:

»Sehen Sie, Helene, dort das wunderbare Bouquet auf dem kleinen Tischchen? Wirklich allerliebst arrangiert. Wunderschöne Blumen!«

»In der That, Eure Durchlaucht, wunderbar schön,« antwortete das junge Mädchen. – »Magnifique!« meinte der Oberstjägermeister – und »deliciös! köstlich! superb!« erschallte es aus dem Munde eines halben Dutzend Damen, welche sich durch die ziemlich laut gesprochenen Worte der Prinzessin berechtigt glaubten, sich etwas davon zu nutze zu machen und ihre Ergebenheit dadurch zu bezeugen, daß sie ebenfalls ihren Enthusiasmus für das Blumenbouquet durch einen Ausruf an den Tag legten. Auch drängten sich mehrere vor, um die bewunderten Blumen in der Nähe zu sehen, sie nochmals ganz außerordentlich prächtig zu finden, wozu sich auch einige Herren mit fortreißen ließen, um so der Prinzessin im wahren Sinne des Wortes – durch die Blume zu huldigen.

Herr von Wenden war in Verzweiflung. Man umdrängte den kleinen Tisch so gewaltig, daß es gar nicht zu verwundern gewesen wäre, wenn sich in diesem Augenblicke ein paar Finger des Papierstreifens unbemerkt bemächtigt hätten. Er erhob sich auf den Zehen, ging selbst einige Schritte näher, konnte aber nicht von dieser Seite an das Tischchen gelangen, da ihm der Regent im Wege stand, den zu umgehen gegen allen Anstand gewesen wäre.

»Ja, es ist sehr schön arrangiert,« wiederholte die Prinzessin nach einer kleinen Pause, wobei sie ihren Fächer aufrauschen ließ und leicht gegen sich fächelte. – »O, meine liebe Helene,« fuhr sie dann in sehr nachlässigem Tone fort, »seien Sie so freundlich und schauen in dem Bouquet nach, ob Sie nicht eine Theerose finden. Ich liebe den Geruch der Theerosen außerordentlich.«

»Eine Theerose!« sprach der Kammerherr zu sich selber mit angehaltenem Atem.

Fräulein von Ripperda war zu dem Tischchen getreten; ihre feinen Finger suchten behutsam zwischen den Blumen; dann wandte sie ihren Kopf gegen den kleinen Fauteuil und sagte: »Ja, Eure Durchlaucht, hier in der Mitte steckt eine sehr schöne Theerose; soll ich sie herausziehen?«

»Wenn es ohne Schaden für das schöne Bouquet geschehen kann,« entgegnete die Prinzessin, anscheinend mit der größten Teilnahmlosigkeit, und wobei sie ein animiertes Gespräch mit dem Oberstjägermeister, das sie soeben begonnen, unterbrach.

Daß ihr leiser Wunsch Befehl war, versteht sich von selbst, und wenn auch das ganze Bouquet darüber zu Grunde gegangen wäre, so würde doch jeder der Anwesenden die Rose mit einem wahren Enthusiasmus hervorgezogen und überbracht haben.

Helenes zarte Hand that übrigens den anderen Blumen keinen Schaden; als sie die Rose hervorzog, hatte sie dem Fauteuil der Prinzessin den Rücken zugekehrt, und ehe sie sich wieder herumwandte, fuhren ihre leuchtenden Blicke eine Sekunde über den Kreis der Herren, die sowohl das Bouquet als die Rose und das schöne Mädchen mit außerordentlichem Interesse betrachteten.

Herr von Fernow, der noch immer halbverdeckt hinter dem Fenstervorhang stand, hätte viel darum gegeben, mit seinen Augen den Blicken Helenes begegnen zu dürfen. Er hätte es gewiß gefühlt, wenn diese Blicke auch nur den tausendsten Teil einer Sekunde bei ihm verweilt hätten. – Ah! diese süßen, heißen Blicke! Wie sich der Versinkende an einen Strohhalm anklammert, so war es ihm ein Trost, sich sagen zu können: Hätte Helene dich gesehen, vielleicht würde sie dir durch ein Zucken in ihren Augenwimpern gesagt haben, daß ihr die Scene soeben am Fauteuil schrecklich gewesen.

Unterdessen hatte Fräulein von Ripperda der Prinzessin die Rose überbracht, welche ziemlich gleichgültig daran roch und zu dem Oberstjägermeister gewendet sprach: »Wenn ich mich nicht sehr täusche, so ist das Amour offensée.«

Der gewandte Hofmann verbeugte sich mit einem augenscheinlichen Entzücken und sagte: »Eure Durchlaucht haben auch in der Botanik einen sicheren Blick, der Sie nie täuscht; es ist in der That Amour offensée. Nicht wahr, eine schöne Rose, Fräulein von Ripperda?« wandte er sich an die junge Dame.

»Amour offensée!« sagte auch diese; doch flogen ihre Blicke über die Rose hinweg, abermals durch das Zimmer.

»Amour offensée!« murmelten die zunächst stehenden Hofdamen entzückt; »Amour offensée!« pflanzte sich von Mund zu Mund fort; sämtliche Kammerherren sprachen es aus mit dem Ausdruck des unverkennbarsten Erstaunens über die Kenntnisse der Herzogin. –»Amour offensée!« sagten ein paar alte, dürre Staatsräte in vierstöckigen weißen Halsbinden, und – »Amour offensée!« wiederholte schmerzlich der junge Ordonnanzoffizier mit einem tiefen Seufzer. –

– Amour offensée. – –

Es war ein Glück, daß in diesem Augenblick die Uhr über dem Kamin hell und vernehmlich sechsmal anschlug; sonst wäre wahrscheinlich die Amour offensée zu einem allgemeinen Gesprächsthema geworden von sehr gefährlichen Folgen.

– Sechs Uhr. – Die Flügelthüren öffneten sich schneller als gewöhnlich, und der erste Kammerdiener des Regenten machte gegen Seine Königliche Hoheit eine tiefe Verbeugung, worauf dieser eine freundliche Handbewegung gegen die Prinzessin machte, die sich auch alsobald erhob und, gefolgt von ihren Damen, dem Speisesaal zuschritt. Dabei blieb sie aber wohl ein dutzendmal, wenn auch nur auf einen ganz kurzen Moment, stehen, schaute nach diesem und jenem, fragte dies und das, und wandte sich dabei so geschickt um sich selbst, daß der aufmerksamste Beobachter kaum des Fehlers an ihrem Fuße gewahr geworden wäre. Der Regent, scheinbar in angelegentlichem Gespräch mit dem Minister des Hauses, ließ fast die ganze Gesellschaft vorangehen, ehe auch er in den Speisesaal trat. An der Thür stand, ihn erwartend, noch immer Herr Kindermann, der erste Kammerdiener, den Herzog mit einer tiefen Verbeugung vorüberlassend. Während aber der Regent durch die Thür schritt, sagte er zu seinem getreuen Diener zwei Worte, die dieser durch ein ganz leichtes Kopfnicken beantwortete.


 << zurück weiter >>