F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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Herr von Fernow hatte draußen im Vorzimmer Mühe, sich so schnell, als es notwendig war, von Herrn Kindermann zu verabschieden. Der alte Herr saß wie geknickt in seinem Lehnstuhle und machte kaum einen schwachen Versuch aufzustehen. Er hatte natürlicherweise sehr wenig von der Unterredung im Kabinett verloren und ihm, der, wie wir wissen, für eine Verbindung des Regenten mit der Prinzessin Elise schwärmte, war das, was er erfahren, so überraschend gekommen, daß es ihn ganz niedergeschmettert hatte, und er beim Eintritt des Adjutanten nicht einmal imstande war, ein ganz gewöhnliches Lächeln auf seine Züge zu zaubern. Er hätte gar zu gern seinem Kummer durch ein Gespräch Luft gemacht, doch legte Herr von Fernow den Finger auf den Mund und sagte nichts als: »Ein dringender Auftrag, Herr Kindermann, morgen das Nähere.«

Dann verließ er eilig das Kabinett des Kammerdieners und trat durch das Vorzimmer in die jetzt schon öden Gänge des Schlosses. Man hörte hier nichts mehr als das taktmäßige Auf- und Abschreiten der Schildwachen und dann und wann von weither schallend das Zuschlagen einer Thür.

Jetzt war der junge Mann an eine große Treppe gekommen, wo er hinter einem der dicken Pfeiler stehen blieb, denn droben hörte man Thüren öffnen und sah den Glanz von Lichtern, mit denen ein paar Lakaien eilfertig auf den Gang hinaussprangen. Jetzt wurden auch Schritte vernehmbar, der Tritt eines Mannes und das Rauschen eines seidenen Kleides.

»Mir scheint,« sprach der Adjutant zu sich selber, »ich bin heute einmal dazu verdammt, im Schlosse zu lauschen. Ein unangenehmes Geschäft – man erfährt da selten was Gutes. Eigentlich sehe ich nicht ein, warum ich hier verborgen stehen bleiben soll. Was kümmert mich, wer da von den Gemächern der Prinzessin kommt. – Vorwärts.«

Und doch ging er nicht vorwärts. Denn der Klang der Stimme, die jetzt auf der Treppe laut wurde, hielt ihn gewaltsam hinter dem Pfeiler fest. Es war Seine Exzellenz der Oberstjägermeister, der in seinem scharfen Tone sagte: »Sie werden nicht so grausam sein, mein Fräulein, um mir zu verbieten, daß ich Sie in meinem Wagen bis an Ihre Wohnung begleiten darf. Ich habe ja das Glück, Ihnen so nahe zu stehen, daß selbst die Oberhofmeisterin Ihrer Durchlaucht, die doch im Punkte des Anstandes fast unmöglich zu befriedigen ist, nichts dagegen einzuwenden hatte, wie Sie droben vernahmen.«

So sprach er, und was er sagte, fiel wie gewaltige Schläge auf das Herz des armen Fernow. Jetzt wußte er, wer neben dem verhaßten Nebenbuhler die Treppen hinabstieg. O, wäre der hundert Meilen von diesem Platze entfernt gewesen! Wie ein Kind nach blendendem Blitz entsetzt auf den heftigen Donnerschlag wartet, so lauschte er angstvoll auf ihre Gegenrede,

Ja sie war es. Es war Helene von Ripperda, die aus ihren Dienstzimmern im Schloß in ihre Stadtwohnung zurückkehren wollte. Und wenn sie dem Oberstjägermeister auch zur Antwort gab: »Ich will Sie wahrhaftig nicht bemühen, mein Wagen steht ja ebenfalls bereit,« wenn sie ihm auch mit diesen Worten seine Bitte verweigern zu wollen schien, so war doch der Klang der Stimme so freundlich, daß der arme Lauscher darob seine Hände zusammenballte. – O, seine Leiden waren noch nicht zu Ende. »Diesmal lasse ich mich nicht abweisen, mein schönes Fräulein,« sagte die Exzellenz lustig, »ich muß Sie sonst bei Ihrer Durchlaucht und sogar bei der Oberhofmeisterin verklagen. Schicken Sie Ihren Wagen weg. Ich erbitte es mir als eine Gunst, – ja, als eine Gnade, Sie in meiner Equipage begleiten zu dürfen.«

»Das dank' ihm der Teufel, daß das eine Gunst ist,« dachte ingrimmig Herr von Fernow, indem er mit den Zähnen knirschte. »Wenn ich mich sehen ließe? – Doch nein. Was brauche ich zu ihrer Hilfe zu erscheinen, o, dies stolze Mädchen ist selbständig genug, ihren Willen durchzusetzen. Sie ist nur nachgiebig, wo es ihr gefällt. Fahr' hin!«

Der Klang der Schritte und das Rauschen der seidenen Robe verloren sich nach dem Hauptportale zu. Herr von Fernow eilte unwillkürlich nach. Er wußte, daß er die beiden nicht mehr erreichen konnte, er wollte sich nur das unaussprechliche Vergnügen machen, die beiden traulich Beisammensitzenden davonfahren zu sehen.

Jetzt fuhr ein Wagen vor, man hörte den Tritt herabschlagen, dann die Stimme Seiner Exzellenz, welche dem Kutscher die Wohnung des Fräuleins von Ripperda angab, und die Equipage rollte davon. Der arme Adjutant stand in diesem Augenblicke unter dem Hauptportal. Was hätte er um die Stelle des Oberstjägermeisters gegeben! Neben ihr im engen Wagen ruhen zu dürfen, ein freundliches Wort mit ihr plaudernd, vielleicht sanft ihre Hand berührend – o Gott, daß Träumereien, und namentlich Träumereien eines Unglücklichen so extravagant sind!

Ein zweiter Wagen hielt noch bei der Anfahrt, der Wagen der schönen Hofdame. Der Kutscher wollte gerade seine Pferde wenden, um leer in die königlichen Stallungen zurückzukehren, als ihm Herr von Fernow zurief zu halten. Auf den Türmen schlug es elf Uhr, es war eine gute Strecke bis zur Wohnung des Baron Wenden. Warum sollte er sich nicht erlauben, einen leeren herzoglichen Wagen zu benutzen! Und – woran er wohl dachte, und was ihm einen süßen Schmerz bereitete – ihren Wagen!

Der Lakai, der neben dem Coupé stand, öffnete dem Adjutanten bereitwillig den Schlag, dieser nannte die Wohnung des Baron Wenden und warf sich auf das Kissen der linken Seite. Helene pflegte in der rechten Ecke zu sitzen. An sie denkend, legte er seine Hand auf das Polster, wo ihr Kopf gewöhnlich ruhte, und als er hierauf sanft über die schwere Seide hinabfuhr, erfaßten seine Finger mit unaussprechlichem Vergnügen ein feines Batisttuch, welches sie im Wagen gelassen. Daß er es an seine Lippen drückte und es dann, ein glücklicher Dieb, sorgfältig in seine Brusttasche steckte, brauchen wir dem geneigten Leser eigentlich gar nicht zu sagen, doch war dieser kostbare Fund nicht imstande, seine schmerzliche Stimmung zu verscheuchen, vielmehr dachte er immer und immer wieder an den vorausrollenden Wagen, und wenn er zornig sagte: »Warum konnte ich nicht früher das Schloß verlassen?« so seufzte er in Übereinstimmung mit diesem Gedanken gleich darauf aus vollem Herzen: »Das war kein Augenblick des Glücks!«

Vierzehntes Kapitel.

Eine goldene Brücke.

Auf die Gefahr hin, dem geneigten Leser den Anfang des ersten Kapitels zu wiederholen, müssen wir ihn doch, dem Lauf unserer wahrhaftigen Geschichte gemäß, am heutigen Abend nochmals zur Wohnung des Kammerherrn Baron von Wenden zurückführen, obgleich wir dieselbe nach dem Diner, und zwar erst vor wenigen Stunden verlassen. Nachdem sich auch der Oberstjägermeister von ihm verabschiedet, hatten Reflexionen über seine Krankheitszustände abgewechselt mit Plänen für die Zukunft, und nebendem hatte der Dienst am Fenster eine nicht unbeträchtliche Zeit in Anspruch genommen. Doch schien der Baron in letzterer Angelegenheit keinen besonderen Schritt vorwärts machen zu können. Denn wenn sich auch das Mädchen zuweilen blicken ließ, sogar flüchtig herniederschaute, so hielt sich Rosa höchstens sekundenlang auf, von irgend einer Bewegung mit der Hand war gar keine Rede, sie sah ernst, ja, was noch schlimmer war, höchst gleichgültig aus, und alles dies gab dem Kammerherrn Stoff genug zum Nachdenken. Was die beiden erst erwähnten Angelegenheiten betraf, so glaubte er den richtigen Weg gefunden zu haben. Das kühlere Betragen seiner schönen Nachbarin dagegen konnte er sich unmöglich erklären. Sollte sie vielleicht Aufmerksamkeiten anderer Art, sollte sie eine Annäherung erwarten und darum des Schmachtens aus der Ferne überdrüssig sein? Seine Eitelkeit wollte so weit nicht gehen. Und doch, warum sollte das unmöglich sein! Warum sollte ihm seine schöne Nachbarin nicht in Wahrheit ihre ganze Liebe zugewendet haben? – Ja, und wenn das der Fall war, – und daß dieser Fall in der That denkbar war, das glaubte Herr von Wenden im Spiegel zu lesen, in welchen er in diesem Augenblicke einen mörderischen Blick warf, – so konnte er es seiner Nachbarin nicht verübeln, wenn sie von ihrem Gegenüber endlich einen anderen Beweis der Zuneigung verlangte, als das ewige Anblicken, als das beständige Zeichenmachen mit Hand, Schnupftuch und Blumenbouquets. Dieser Gedanke war dem Kammerherrn so schmeichelhaft, daß er ihm mit Vergnügen nachhing, ja, daß er nach einiger Überlegung entzückt von dem Benehmen des jungen Mädchens war. Daß er morgen am Tag Schritte thun wollte, um sie nicht länger harren zu lassen, versprach er sich freilich, war aber noch nicht recht mit sich darüber im reinen, auf welche Weise er eine Begegnung bewerkstelligen sollte. Ein anderer hätte sich vielleicht darüber nicht viel Kopfzerbrechens gemacht, aber Herr von Wenden hatte einesteils in diesem Punkte etwas sehr Kindliches und andernteils hatten ihn schon traurige Erfahrungen auf diesem Felde der Diplomatie so vorsichtig als schüchtern gemacht.

Daß er bei diesen Betrachtungen sehnlichst auf das Aufhören seines höchsten Ortes befohlenen Unwohlseins harrte, versteht sich von selbst. Noch nie hatte er seine sämtlichen Zimmer mit solcher Ungeduld durchschritten, wie am heutigen Abend. Wie lang wurden ihm die Stunden nach Beendigung seines Diners bis neun Uhr. Glücklicherweise wurde ihm alsdann sein Thee serviert, neben der sprudelnden Maschine schichtete ihm sein Kammerdiener die mit der Abendpost eingelaufenen Zeitungen und Briefe auf, und mit Durchlesung derselben verflossen eine bis anderthalb Stunden unendlich viel schneller, als wenn er im Zimmer auf und ab spazierend die Zeit tottrat.


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