F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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»Verflucht!« sprach der Oberstjägermeister mehr zu sich selber als zu einem der anderen. – »Das ist sehr unangenehm,« wandte sich der Kammerherr mit leiser Stimme gegen Baron Rigoll. »Was thun wir?« – »Fahren wir nach Hause, das ist offenbar das Klügste.« – »Zu mir?« fragte Baron Wenden. – »Ich habe nichts anderes vor,« versetzte der Oberstjägermeister.

»Und du, Fernow?«

»Wenn ein Platz für mich bleibt, so begleite ich dich.«

»So wollen wir gehen, wenn es Eurer Exzellenz gefällig ist.«

Was sollte der Ordonnanzoffizier thun? Blieb er zurück, um das Fräulein aus ihrem Versteck durch den Saal zu geleiten, so war er von der bekannten Wißbegierde des Oberstjägermeisters überzeugt, derselbe werde sich irgendwo placieren, um die Unbekannte zu belauschen. Den Baron Rigoll durfte er also nicht aus den Augen verlieren, wenn er auch dem Kammerherrn nicht auf Befehl des Regenten hätte folgen müssen. Wie schlug ihm jedoch das Herz vor Besorgnis und wieder vor Entzücken, als sie sich der mittleren Fensternische näherten! Wie eilte er, vorbei zu kommen, als der Baron Wenden zum Oberstjägermeister kicherte und leise sprach: »Hier war es. O, ich täusche mich nicht leicht in so etwas.«

Endlich hatten sie indessen das Ende des Saales erreicht, und als sich die Thür hinter ihnen schloß, atmete der junge Offizier lange und tief auf. Seine Gedanken blieben hinter ihm, und ungesehen von den anderen drückte er seine rechte Hand auf sein heftig schlagendes Herz. Unten vor dem Hauptportale wartete der Wagen der Exzellenz. Die drei behalfen sich so gut wie möglich in dem Coupé und erreichten nach einer kurzen Fahrt die Wohnung des Baron Wenden, ein elegantes Garçonappartement mit allen dazu gehörigen erdenklichen Bequemlichkeiten und Thorheiten, mit Bildern, Waffen, Statuetten, Fauteuils, Sesseln und den phantasiereichsten Ruheplätzen, mit blühenden Blumen und verblichenen Stickereien. – Eine Partie Whist ward in Vorschlag gebracht.

Das Spiel begann, und da es von drei guten Spielern gespielt wurde, so war es ein vollkommenes Whist. Man hörte nur das Fallen der Karten und das Ansagen der Tricks und Honneurs, mit der einzigen Unterbrechung, daß man eine Tasse Thee nahm, oder eine Zigarre anbrannte. Baron Rigoll wollte eben seinen Platz gegenüber dem Strohmann nehmen, als der Kammerdiener des Hausherrn eintrat und eine Visitenkarte überbrachte, die eben draußen ein Herr für Seine Exzellenz abgegeben. Der Oberstjägermeister warf einen Blick auf dieselbe und schien überrascht, fast erschreckt. Er erhob sich augenblicklich von seinem Stuhle und fragte: »Wo ist der Fremde?« – »Er wartet draußen im Vorzimmer,« antwortete der Bediente.

Seine Exzellenz reichte dem Kammerherrn die Karte mit einem vielsagenden Blick über den Tisch und sprach: »Sie werden mir erlauben, daß ich den Herrn bei Ihnen empfange. Ein genauer Bekannter von mir, Graf Hohenberg,« fügte er gegen den Offizier gewendet hinzu. Nach diesen Worten war er hinausgeeilt und kehrte gleich darauf mit dem Angemeldeten zurück, worauf die gewöhnliche Vorstellung stattfand.

Der Angekommene war ein Mann vielleicht an den Vierzigen, mit einem klugen, aber etwas verlebten Gesicht. Seine Figur war schlank und elegant; er trug einen militärischen Schnurrbart, und seine Haltung erschien entschlossen und aufrecht. Er grüßte ungezwungen, bat um Entschuldigung, daß er die Herren störe, und setzte hinzu, er bedaure das um so mehr, da er sich nur erlaubt habe, die Wohnung des Baron Wenden aufzusuchen, um den Oberstjägermeister von hier zu entführen.

Baron Rigoll, der gewöhnlich keine großen Umstände machte, hielt sich dem Fremden gegenüber außerordentlich verbindlich, fast ehrerbietig. Auch er entschuldigte sich flüchtig und entfernte sich alsdann mit dem Grafen.

Herr von Fernow war nicht betrübt darüber, daß das Spiel aufhörte, er lehnte sich in seinem Fauteuil zurück, blies die Rauchwolken seiner Havana vor sich in die Höhe und überlegte, ob er jetzt seinen unangenehmen Auftrag auf Umwegen mitteilen oder mit der Thür ins Haus fallen solle. Der Kammerherr blickte, in tiefe Gedanken versunken, in die Lichter auf dem Tisch. – »Kanntest du den Herrn, der eben da war?« fragte endlich der Offizier. – »Ich habe von ihm gehört,« versetzte Wenden. – »Woher?« – »Ich glaube aus S.« – »Und wird länger bleiben?« – »Je nach Umständen.«

»Hast du noch Lust,« sagte Herr von Fernow nach einem kurzen Stillschweigen, »mich über eine nicht unwichtige Sache anzuhören?«

»Eigentlich bin ich müde,« versetzte der Kammerherr gähnend.

»Nach der Tafel hatte ich eine zufällige Audienz beim Regenten.«

»Wie ging das zu?« fragte der Kammerherr, und nachdem ihm der Offizier die Veranlassung erzählt hatte, auf welche er das Kabinett betreten: »Was wollte er?«

»Davon später. Zunächst plauderte er mit mir, fragte mich um meine Verhältnisse, und ich erlaubte mir, ihn darüber aufzuklären, weshalb ich im Avancement zurück und noch nicht unter die wirklichen Adjutanten eingereiht sei.«

»Und das nahm er freundlich auf?« – »Aufs freundlichste.«

»Siehst du, der Augenblick des Glücks!«

»Das habe ich mir auch gedacht. Dann aber kam die Rede auf – dich.«

»Alle Teufel! auf mich?« versetzte der Kammerherr, vom wohlwollenden und gefälligen Zuhören schnell zur gespanntesten Aufmerksamkeit übergehend. – »Auf mich? Da bin ich doch begierig.« –

»Ich war es ebenfalls, mein lieber Wenden. Aber nimm mir nicht übel, ich wollte lieber, er hätte nicht von dir gesprochen.«

»Du bringst mich in eine schöne Aufregung!« rief erschrocken der Kammerherr. »Treib mit so was keine Späße! Sei ehrlich und sage die Wahrheit. Sprach er nur so im allgemeinen über mich, oder ging er in Details ein?«

»Ziemlich in Details.«

»Sei verständig, Fernow,« fuhr der Baron wirklich beunruhigt fort, indem er mit der Hand über seine Stirn strich: »Du bist doch kein Kind und weißt, daß aller Scherz seine Grenzen hat. Nun, ich will es dir verzeihen, wenn du einen schlechten Witz gemacht hast.«

»Ich habe aber keinen schlechten Witz gemacht.«

»Dann sprich in Gottes Namen,« bat kleinlaut der Kammerherr, wobei er in stiller Resignation in seinen Fauteuil zurücksank und die Zigarre neben sich auf den Spieltisch legte.

»Seine königliche Hoheit gab mir einen Auftrag an dich.«

»Den du mir als Freund ausrichten sollst?«

»Nicht so ganz. Vielmehr als Ordonnanzoffizier.«

»O-o-oh! Das könnte mich völlig überraschen. Aber sprich nur, sprich, ich bin auf alles gefaßt, obgleich ich keine Ahnung habe, was Seine Hoheit an mir auszusetzen belieben.«

»Denke an den kleinen Papierstreifen.«

»Nun?« rief der Baron, indem er emporfuhr und seinen Freund wie atemlos anstarrte.

»An deine Unterredung mit der Prinzessin Elise. Seine Hoheit scheint das mißliebig bemerkt zu haben; aus welchem Grunde? davon habe ich freilich keine Idee; du weißt das vielleicht besser als ich.«

»Ich weiß gar nichts!« rief heftig der Kammerherr. »Aber nun deinen Auftrag! Deinen Auftrag!«

»Es wird mir schwer, ihn auszurichten. Seine Hoheit, obgleich nicht ungnädig für dich gesinnt, läßt dich ersuchen, ein paar Tage zu Hause zu bleiben – du kannst ein Unwohlsein vorschützen – und nicht eher wieder im Schlosse zu erscheinen, bis der Regent dich dazu auffordert.«

»Eine Ungnade! Eine Ungnade!« jammerte aufspringend der Kammerherr. »Wer hat mir das gethan?« Und verschwunden auf einmal war die klassische Ruhe, die er so gerne zur Schau trug; verschwunden das süße und gleichförmige Lächeln seines Mundes, ja, sein ganzes Gesicht, das sonst wie der Spiegel eines stillen aber tiefen Wassers aussah, arbeitete jetzt nach allen Richtungen; die Wogen seiner Gedanken schienen über ihre Ufer schlagen zu wollen.


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