F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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»Sehen Sie nach, ob Graf Schuler im Schlosse ist; ich möchte ihn einen Augenblick sprechen.«

Graf Schuler aber war der erste Adjutant des Regenten.

Als der Ordonnanzoffizier sich umwandte, um diesem Befehle Folge zu leisten und als dabei sein Säbel leise klirrte, blickte der Regent in die Höhe und sagte rasch: »Ah, Sie sind es, Sie waren noch im Vorzimmer?«

»Zu befehlen, Euer Hoheit,« erwiderte Herr von Fernow; »ich suchte draußen etwas, das ich vergessen, vernahm, daß jemand gerufen wurde, und da keiner von der Dienerschaft in der Nähe war, erlaubte ich mir, einzutreten.«

»So, so,« sagte der Herzog, und dabei faßte er den Fuß der Lampe und schob sie so hoch empor, daß das volle Licht auf den jungen Offizier fiel. Dieser stand ruhig erwartend an der Thür und blickte mit seinen klaren, ehrlichen Augen nach dem Regenten hin.

»So, so,« wiederholte dieser und schien dabei über etwas nachzudenken, wobei er mit den Fingern auf dem Tisch trommelte. – – »Ich wollte meinen ersten Adjutanten rufen lassen,« sprach er nach einer Pause, indem er lächelnd aufblickte, »und nun erscheint ungerufen mein letzter.«

»Ordonnanzoffizier, Euer Hoheit,« sagte Herr von Fernow nicht ohne Absicht.

»Ganz richtig, Ordonnanzoffizier,« entgegnete der Regent freundlich; »aber was nicht ist, kann werden. – Es ist vielleicht auch so gut,« setzte er nach einem abermaligen Nachdenken hinzu.

»Ich würde mich außerordentlich glücklich schätzen, von Eurer Hoheit zu einem Dienste befohlen zu werden.«

Der Regent hatte sich bei diesen Worten des jungen Offiziers von seinem Stuhle erhoben, und indem er um einen Schritt näher trat, wobei er sich mit einem Arm auf den Kamin stützte, sagte er:

»Ich danke Ihnen für Ihre Bereitwilligkeit; aber es gibt Dienste, die man eigentlich nicht befehlen will.«

»Wenn Euer Hoheit mir die Anleitung zu einem solchen Dienste geben wollten, so stehe ich mit meinem Leben dafür ein, daß derselbe aufs pünktlichste ausgeführt werden soll.«

Der Regent betrachtete den jungen Mann, der mit so festem und bestimmtem Tone zu ihm sprach, mit augenscheinlichem Wohlgefallen, wobei seine Blicke von dem schönen, ruhigen Gesichte leicht über dessen ganze kräftige Gestalt hinabglitten.

»Wie kommt es,« sprach er nach einer Pause, »daß Sie noch nicht unter die wirklichen Adjutanten eingereiht wurden? Sie sind Rittmeister im Gardedragonerregiment und, wie ich mich beständig gehört zu haben erinnere, von musterhafter Aufführung im Dienste. Sie ziehen es wahrscheinlich vor, im Regimente fort zu dienen? – – Nicht?«

»Ich würde mich glücklich schätzen, beständig um die Person Eurer Hoheit sein zu dürfen.«

»So? – das begreife ich nicht recht. Weiß der Kriegsminister darum?«

»Er kennt meinen Wunsch ganz genau, Euer Hoheit.«

»Warum schlug er Sie alsdann nicht zu einem meiner Adjutanten vor?«

Der junge Ordonnanzoffizier lächelte bei dieser Frage eigentümlich; dann sagte er mit seiner gewöhnlichen Offenheit: »Euer Hoheit werden mir verzeihen, wenn ich diese Frage einfach mit der Bemerkung beantworte, daß ich Fernow heiße.«

»Richtig,« nickte der Regent; »ha! wahrlich! Ja, jetzt besinne ich mich, Ihr Vater stand mit dem Kriegsminister nicht auf dem allerbesten Fuße.«

»Auf dem allerschlechtesten, Euer Hoheit.«

»So ist's. – – Wer kann allen diesen Fäden folgen? Es ist aber doch ein Glück, wenn man zuweilen hineingreift.«

»Euer Hoheit haben die Macht, dies zu thun,« sagte Herr von Fernow sehr ernst; »wir anderen aber müssen geduldig zusehen, wenn auch unser Lebensglück unter so manchen Fäden, die angeknüpft werden, leidet.«

Als das der junge Ordonnanzoffizier sagte, richtete sich der Regent aus seiner ruhigen Stellung am Kamin in die Höhe und blickte dem Sprecher forschend in die Augen: »Das klingt ja ganz elegisch! Ei, ei! jetzt besinne ich mich auf mancherlei. Sie haben heute einen schlechten Tag gehabt!«

»Ja, euer Hoheit,« entgegnete Herr von Fernow mit großer Offenheit.

»Man sprach mir von Ihrer Leidenschaft für die schöne Ripperda. Ja, mein lieber Fernow, das sind Fäden, um bei unserer Anspielung zu bleiben, die ich nicht angeknüpft habe, und in welche hineinzufahren meine Hand nicht mächtig genug ist.«

»Leider, Euer Hoheit!«

»Da hätten Sie sich mit der Prinzessin besser stellen sollen,« fuhr der Regent lächelnd fort; doch wurde er gleich darauf sehr ernst und sagte: »Verzeihen Sie mir meine Heiterkeit; ich will Ihnen damit gewiß nicht wehe thun. Glauben Sie mir, ich fühle vollkommen, wie hart und schmerzlich der Vorfall heute nach der Tafel für Sie gewesen ist.«

Dabei reichte der Regent dem jungen Offizier die Hand, der sie tief gerührt ergriff und fast an seine Lippen geführt hätte; doch hinderte dies der Fürst durch eine rasche Bewegung, die er gegen den Kamin machte, um auf die Standuhr zu sehen.

»Schon halb acht!« rief er aus; darauf schüttelte er mit dem Kopfe, legte die Hände auf den Rücken, ging bis ans Ende des Gemachs, und als er wieder zurückgekehrt war, trat er dicht vor den jungen Offizier, legte die Hand auf seine Schulter und sagte nach einem langen und festen Blick: »Wir wollen den Grafen Schuler nicht inkommodieren; vielleicht können Sie mir einen Dienst erzeigen?«

»Ich werde mich glücklich schätzen!«

»Es ist kein Dienst gewöhnlicher Art,« fuhr der Regent ernst, fast finster fort; »wenn Sie wollen, ein delikater Dienst, und indem ich Ihnen denselben übertrage, beweise ich Ihnen kein gewöhnliches Vertrauen.«

»Euer Hoheit beweisen es gewiß keinem Unwürdigen.«

Nach diesen Worten wandte sich der Regent um, ging mehrmals in dem kleinen Gemache auf und ab und nahm dann seine erste Stellung wieder ein.

»Ich brauche Ihnen,« sprach er, »als einem jungen Mann, der mit offenem Ohr und offenem Auge an unserem Hofe erscheint, wohl keine Andeutungen zu geben über die Spaltungen an demselben seit dem Tode meines Neffen. – – Sollte ich Ihnen die erst geben müssen,« setzte er mit einem eigentümlichen Lächeln hinzu, »dann freilich würde es Ihnen schwer werden, mir im vorliegenden Falle zu dienen.«

»Euer Hoheit werden mir die Bemerkung verzeihen, daß ich diese Spaltung sehr genau kenne, da ich ja selbst schwer und schmerzlich darunter zu leiden habe.«

»Sie wissen,« sagte der Regent, »daß der so plötzliche und unerwartete Tod meines Neffen den Thron erledigte, daß er starb, ohne seinen Nachfolger gesehen zu haben. Nach dem Hausgesetz übernahm ich die Regentschaft und werde sie bis nach erfolgter Niederkunft der verwitweten Herzogin behalten. Gewährt der Himmel dem Lande einen Prinzen, so würde ich nach dem Familienstatut die Regentschaft bis zur Großjährigkeit des neuen Herrschers führen, erhalten wir aber eine Prinzessin, so fällt der Thron nach dem Familienstatut, das die Kognaten ausschließt, an den nächsten Agnaten des verstorbenen Herzogs, und der bin ich – sein Onkel.«

Der junge Ordonnanzoffizier machte eine tiefe Verbeugung.

»Wie wir uns alle in den Willen des Schicksals fügen müssen, so würde das meine arme Nichte, die verwitwete Herzogin, in jedem Falle mit voller Ergebung thun und würde ihrem Kinde die gleich zärtliche Mutter sein, sei es ein Prinz, sei es eine Prinzessin. Es wird sie vielleicht vorübergehend betrüben, daß die Krone des Landes nicht bei ihren direkten Nachkommen bleibt; aber sie wird sich darein zu fügen wissen und die Vorsehung nicht anklagen, die es so gewollt.«


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