F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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Dabei war sie frei von jeder Ziererei, und trotz des Fehlers an ihrem Fuß verstand es keine der übrigen Damen, sich so ungezwungen und elegant wie sie in dem größten Salon zu bewegen. Für alles, was in ihrer Anwesenheit geschah oder gesprochen wurde, schien sie sich wenig zu interessieren, und doch entging nichts ihrer Aufmerksamkeit, wobei sie es aber verstand, den ernstesten Gesprächen eine scherzhafte Wendung zu geben und so die Unbefangenen glauben zu machen, sie sei gar nicht im stande, sich für wichtige Dinge ernstlich zu interessieren. Aber, wie eben gesagt, nur die Unbefangenen waren dieser Ansicht. Wer den Hof genauer kannte, wußte, daß die Prinzessin Elise, solange ihr Schwager, der verstorbene Herzog lebte, das eigentliche Haupt der Regierung war. Daher hatte sie es auch bitter empfunden, als nun der Onkel des hochseligen Herrn, dem Familienstatut gemäß, die Zügel der Regierung ergriff und kräftig seinen geraden Weg ging, ohne sich durch die Intriguen der Prinzessin beirren zu lassen. Schlau, wie sie war, hatte sie auch augenblicklich ihre ganze Handlungsweise geändert, stellte sich mit dem Regenten scheinbar auf einen sehr guten Fuß, knüpfte aber unter der Hand nach allen Richtungen ihre geheimen Fäden an, um sich eine mächtige Partei des Hofes geneigt und dienstbar zu erhalten. Wohl niemand sah der Entbindung ihrer Schwester mit so peinlicher Spannung entgegen wie sie. Ward dieser ein Sohn, ein Thronerbe geschenkt, so hieß es nur ruhig eine Reihe von Jahren abwarten, um dann aufs neue die Zügel der Regierung zu ergreifen, was der Prinzessin um so leichter wurde, als die verwitwete Herzogin, obgleich die ältere Schwester, eine ruhige, stille und lenkbare Frau war.

Obgleich es die Prinzessin liebte, mit den geistreichen, sowie auch mit den elegantesten Männern des Hofes im fortwährenden scherzhaften kleinen Kriege zu leben, einem Kriege, der aber für beide Teile leicht gefährlich werden konnte; obgleich sie sich in jeder Beziehung mit der größten Freiheit bewegte und, von Hause aus ungeheuer reich, sozusagen ihre eigene Hofhaltung hatte, obgleich sie viel in selbstgewählten Kreisen lebte und sich ihre kleinen Gesellschaften und Parteien ganz nach Gutdünken und mit größter Freiheit zusammenstellte, so wußte doch die schlimmste aller schlimmen Zungen bei Hof in der angedeuteten Richtung über das Leben der Prinzessin nicht das geringste Nachteilige auszusagen.

Hinter der Prinzessin trat der Regent in den Saal, ein großer, eher starker als schlanker Mann, zwischen vierzig und fünfzig Jahre alt, mit einem offenen, Zutrauen erweckenden Gesichte, dem die gewölbte Stirn mit den dunklen Augenbrauen, darunter der lebhafte Blick des Auges, vor allem aber ein gewisser, nicht unliebenswürdiger Zug um den Mund einen starken Ausdruck von Entschlossenheit und Kraft gaben. Hätte sich das ehemals dunkle Haar nicht hier und da mit einem leichten, grauen Schimmer bedeckt, so würde man den Regenten für jünger gehalten haben, als er in der That war. Er sprach sehr bedächtig und mit Nachdruck, und ebenso waren alle seine Bewegungen, letztere übrigens mehr aus Zwang und Angewöhnung, was daher kam, daß ihn – er hatte längere Zeit in fremden Kriegsdiensten gestanden – der Stich eines Lanzenreiters ziemlich schwer an der Hüfte verwundet hatte, wovon, wenn auch keine Lähmung, doch so viel zurückgeblieben war, daß der Regent sich langsam wenden, überhaupt vorsichtig bewegen mußte, um keine Schmerzen zu empfinden.

Unter den Damen der Prinzessin befand sich ein noch ziemlich junges Mädchen, ebenfalls schwarz gekleidet, welches ihre Gebieterin in allem, was das Äußere betraf, so total überragte, daß man nicht begriff, wie ihre Durchlaucht sich gerade dieses zur beständigen Begleiterin und zur Vertrauten erwählt habe, – Fräulein Helene von Ripperda. Sie war in der That auffallend schön und dabei von einer wohlthuenden Schönheit. Ihre Augen sprachen verständig, ja geistreich, und wenn sie auch zuweilen Blicke hinaussenden konnte, die Zeugnis gaben von der Wärme ihres Herzens, so glänzten doch meistens ihre Augen ruhig und angenehm. Ihr Teint war trotz der dunklen Haare von einer außerordentlichen Frische und Weiße, und was vielleicht ein überaus strenger Beurteiler an diesem Gesichte hätte tadeln können, waren etwas starke Lippen, die aber dabei von den edelsten Formen in rosiger Frische der Jugend blühten. Der Wuchs dieses Mädchens war das Schönste, was man sehen konnte, und selbst von den anderen Damen so anerkannt, daß sie bei allen Vergleichungen eine Ausnahme war. Wie oft konnte man in vertrauten Gesprächen hören, wenn von einer Taille, einer Büste, von einem Arme die Rede war: Ja freilich, Helene, sie darf man da nicht nennen; sie macht freilich eine Ausnahme.

Nachdem sich das knixende und verbeugende Heer der Hofleute endlich beruhigt hatte, um in dem allgemeinen Sturm und Drang seine tiefe Ergebenheit an den Tag zu legen, vielleicht auch eine einzelne alte Hofdame, sich vom Blick Ihrer Durchlaucht getroffen glaubend, nochmals ehrerbietig in sich zusammensank, oder aus der Ferne die ganz unterthänige Verbeugung eines längst vergessenen Kammerherrn wetterleuchtete, während der Regent langsam im Kreise umherging, diesem eine Artigkeit sagte, jenem ein minder freundliches Wort, hier ein äußerst gnädiges Kopfnicken hatte, vielleicht sogar eine wohlwollende Handbewegung, dort dagegen einen tiefen Bückling mit sehr steifem und förmlichem Kopfnicken beantwortete, gleich daneben wieder ganz herablassend, ganz leutselig, ganz gesprächig war, und wenige Schritte davon einen ängstlich und erwartungsvoll sich vordrängenden Großen oder Kleinen des Hofes um keinen Preis zu sehen schien, ihn wie wesenlose Luft behandelte, durch die man unbekümmert dahinschreitet, – während so der Regent, ohne große Mühe, Vergnügte und Traurige, Entzückte und Unglückliche machte, mit einem Worte seinen Cercle hielt, ließ sich die Prinzessin Elise mit einer etwas affektierten Müdigkeit auf einen kleinen Fauteuil nieder, der in der Nähe eines der Fenster stand, und rief Fräulein von Ripperda zu sich. Diese beugte sich auf ihre Gebieterin herab und stützte dabei ihre Rechte auf den Fauteuil, worauf die Prinzessin unter dem Ausdruck unverkennbaren Wohlwollens mit ihrer Hand über den schönen vollen Arm des jungen Mädchens herunterfuhr, und diese dann auf den Fingern ihrer Hofdame ruhen ließ. Zu gleicher Zeit neigte sie den Kopf sehr stark rückwärts und winkte mit den Augen einem Herrn in schwarzem Fracke, der hinter dem Regenten eingetreten war.

Dieser Herr war wenige Jahre jünger als Seine Hoheit, sah aber ungleich älter aus und hatte in seinen Bewegungen etwas forciert Gelenkiges, eine Manier sich zu bewegen, durch welche sich manche bemühen, eine beginnende Hinfälligkeit des Körpers zu verdecken. Sein Gesicht war geistreich und nicht unschön, doch lag ein gewisser Ausdruck der Abspannung um Augen und Mund, und dabei spielte um den letzteren ein meistens höchst fatales Lächeln, ein Lächeln, von dem man sagen konnte, wie jener alte Oberst zu seinen Reitern: »Wenn ich lache, so lacht der Teufel aus mir!«

Der Gerufene – es war der Oberstjägermeister, Baron Rigoll – wand sich, indem er die freundlichsten Blicke an seine Umgebung spendete und sie auf diese Art bat, gefälligst Platz zu machen, wie ein Aal durch die Gruppen der Hofherren, Offiziere und Damen und glitschte mit einem wahren Schlittschuhschritt neben dem Fauteuil Ihrer Durchlaucht, der Prinzessin. Das junge Mädchen, welches an der anderen Seite stand, hob in diesem Augenblick ihren Kopf in die Höhe, und während sie scheinbar gleichgültig zum Fenster hinausblickte, that sie einen tiefen Atemzug. Ein sehr aufmerksamer Beobachter mußte in diesem Augenblicke bemerken, daß eine ganz leichte Röte auf ihren Wangen erschien, daß sie die vollen Lippen zusammenpreßte, und daß sie eine Sekunde lang seltsam mit ihren Augen zwinkerte; und dieser sehr aufmerksame Beobachter, der das in der That bemerkte, stand nicht weit von dem schönen Fräulein, durch den schweren Vorhang des Fensters geschützt, aber so aufgestellt, daß ihm nicht das Geringste von der Gruppe um den Fauteuil entging.

»Es war doch heute eine superbe Partie,« sagte die Prinzessin; »in der That reizend und erfrischend; und für die kleinen Überraschungen in Ihrem Departement, dem Walde, bin ich Ihnen zu ganz besonderem Dank verpflichtet.«

Der Oberstjägermeister verbeugte sich tief, und als er den Kopf wieder erhob, warf er einen Blick auf Helene von Ripperda, welche von der Prinzessin durch einen leichten Druck auf die Hand vermocht worden war, den Kopf herumzuwenden.

»Daß Eure Durchlaucht mit dem heutigen Tage zufrieden war,« sprach der Baron Rigoll, »ist eine Gnade, welche mich ganz glücklich macht. Ja, Eure Durchlaucht,« fuhr er in erregterem Tone fort, »es war ein entzückender Tag und, wenn ich hoffen darf, für mich von den herrlichsten und glücklichsten Folgen.«

Aus den Augen der Prinzessin leuchtete die unverkennbarste Bosheit, als sie bei diesen Worten zuerst einen Blick auf das herrliche junge Mädchen warf und dann die in Ehrfurcht gekrümmte Gestalt des Sprechers betrachtete.

»Fräulein Helene,« fuhr dieser fort, hielt aber unter seinem fatalen Lächeln inne, als ihn ein fester Blick aus den großen Augen der jungen Dame traf. Doch nahm Ihre Durchlaucht seine Rede auf und sagte mit leisem, aber bestimmtem Tone, wozu indessen ihr liebenswürdiges Lächeln nicht ganz gut paßte: »Helene weiß, wie sehr ich mich mit ihrem Glücke beschäftige. Sie weiß, daß ich wie eine Schwester für ihre Zukunft besorgt bin, und weiß ebenso, wie umsichtig und prüfend ich zu handeln pflege.«


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