F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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Im Zimmer befinden sich drei Personen; an dem Tannentisch sitzt eine alte, einfach, aber reinlich gekleidete Frau mit einem guten Gesichte, auf dem sich Zufriedenheit und Wohlwollen abspiegeln. Man sieht ihr an, daß sie gern lacht, und daß die kleinste Veranlassung im stande ist, sie in eine heitere Stimmung zu versetzen. Der Besitzer der photographischen Anstalt, Herr Heinrich Böhler, befindet sich ebenfalls an dem Tische, und daß er der Sohn seiner Mutter ist, sehen wir an der außerordentlichen Ähnlichkeit zwischen beiden.

Er ist ein kräftig gewachsener schlanker junger Mann von vielleicht sechsundzwanzig Jahren, mit einem hübschen offenen und ehrlichen Gesichte, halbblondem, lockigem Haar, auf welches er etwas zu halten scheint, denn es ist sorgfältig gescheitelt, und die überall natürlich emporsteigenden krausen Locken sind mit Sorgfalt um Stirn und Schläfe geordnet.

Die dritte Person sitzt an einem besonderen Tische in der Nähe des Fensters, ebenfalls ein junger Mann von gleichem Alter wie der Photograph, aber von der Natur sehr stiefmütterlich behandelt. Sein Gesicht ist gelb und hager, von schwarzen gerade herabhängenden Haaren beschattet, seine Figur klein und dürftig, und was bei anderen gerade gewachsenen Menschen wie eine gewölbte Brust aussieht, erscheint bei ihm als Höcker, der so weit vortritt und so hoch hinauf ragt, daß er fast sein spitzes Kinn darauf stützen könnte. Obendrein ist seine linke Schulter höher als seine rechte, und da er diesen Mangel durch eine gezwungene Haltung zu verdecken sucht, so gibt ihm das etwas Geziertes, welches noch widerwärtiger erscheint, als sein krüppelhafter Körperbau. Der kleine Mann ist Maler, retouchiert die Photographien, wo es verlangt wird, und malt den jungen Damen auf denselben rote, schwindsüchtige Backen. Da er den Kopf selbst bei der Arbeit immer etwas auf die linke Seite geneigt trägt, so mag es wohl daher kommen, daß er sich angewöhnt hat, mit seinen Augen alles von unten herauf zu betrachten, wodurch sein Gesicht einen lauernden Ausdruck erhielt. Leider aber sind wir gezwungen hinzuzusetzen, daß dieses lauernde, unstäte Aufblicken in seinem Charakter begründet und anfänglich wohl aus dem Mißtrauen entstanden war, das ihn gegen alle gerade gewachsenen und von der Natur besser behandelten Menschen erfüllte. Vielleicht hatte er auch als Kind von Lust, Glück und Liebe geträumt; vielleicht hatte er sich sogar später, seiner verkümmerten Gestalt noch nicht recht bewußt und im verzweifelten Wagnis einem geliebten Wesen genähert und war durch ein sonderbares Lächeln aus allen seinen Himmeln gestürzt worden, tief hinab in die Finsternis eines zerstörten Gemütes, wo ihm alsdann Zähneknirschen und krampfhaftes Zusammenballen der Hände Linderung und Labsal war. Letzteres, das krampfhafte Schließen der Hände hatte er beibehalten, und wenn er sprach, so zuckten seine Finger ab und zu, und er hob sie meistens gegen sein Gesicht, als sollten sie ihn in seinen Reden unterstützen. Vielleicht war es auch Eitelkeit, daß er so that, denn die Natur, die ihm sonst alles versagt, hatte ihm eine wunderschöne, feingeformte weiße Hand verliehen. – Herr Krimpf, der kleine Maler, saß da und zeichnete; die alte Frau Böhler strickte an ihrem Strumpfe, und der Photograph hatte eine Glastafel vor sich, in den Putzrahmen eingespannt, die er mit einem feinen Tuch polierte und zuweilen anhauchte, um zu sehen, wo irgend noch ein fettiges Teilchen sitzen geblieben war. Wir müssen hierbei erwähnen, daß Herr Böhler die Lappen, womit er das Glas putzte, auf eine eigentümliche Art hielt, was daher kam, weil er sich durch einen unglücklichen Zufall den Zeige- und Mittelfinger vor nicht langer Zeit schwer verletzt hatte.

»Heute scheint wieder einmal niemand zu kommen,« sagte er, indem er die alte Frau anblickte; »doch will ich nicht darüber klagen, denn wenn es bei uns wie im Bäckerladen ginge, so würde ich ja am Ende noch ein reicher Mann werden, und daran denke ich doch wahrhaftig nicht.«

»Es ist noch früh,« sprach Frau Böhler, »die Leute kommen ja meistens um die Mittagsstunde, da soll das Licht am besten sein, wie du immer sagst.«

Herr Krimpf am Fenster wandte seinen Kopf noch mehr auf die linke Seite, als wolle er seine Arbeit auch in einiger Entfernung betrachten; dann ließ er sich nach einer kleinen Weile vernehmen: »Die Konkurrenz thut's, die große Konkurrenz. Auf dem Marktplatz, in der Finken-, sowie in der Rosenstraße haben sich seit einigen Tagen neue Photographen niedergelassen. Der am Markt hat ein prachtvolles Atelier gebaut, ganz von Glas und Eisen.«

»O, wir haben hier oben auch ein gutes Licht,« warf der andere hin; »ganz Norden und keine Mauern hinter uns, die Reflex geben.«

»Dazu,« fuhr Herr Krimpf fort, »hat der am Markt einen eleganten Salon eingerichtet, wo Damen und Herren warten können, auch einen gewandten Bildhauer engagiert, der die schönsten Stellungen angibt.«

»Nun, einen Salon haben wir freilich nicht,« entgegnete der Photograph, »und was den Bildhauer anbelangt, so glaube ich, daß sich Eure Stellungen damit messen können. Ihr müßt doch gestehen, Krimpf, daß wir in der letzten Zeit ganz famos gelungene Sachen gemacht haben.«

»Sehr schöne Sachen,« bekräftigte die alte Frau, und damit nahm sie die Nadel, welche sie gerade abgestrickt hatte, in die rechte Hand und zeigte auf das Porträt des jungen Mädchens. »Gibt es wohl was Besseres bei allen Photographen, als das Bild der Rosa?«

Herr Böhler hielt, als die Mutter so sprach, mit dem Reiben auf der Glasscheibe inne und blickte ebenfalls freundlich lächelnd zu dem Bilde des jungen Mädchens empor. »Ja, das ist sehr gelungen,« sprach er halblaut.

Herr Krimpf hatte ebenfalls herübergeschielt, und ein Lächeln, von dem man nicht wußte, bedeutete es Schmerz oder Freude, zuckte um seinen breiten Mund, zu dem sich die Finger erhoben. »Das ist in der That sehr gelungen,« sagte auch er, »und wenn man das öffentlich ausstellen könnte, so wäre das Porträt allein im stande, uns eine Menge Kundschaft herbeizuziehen.«

»Nein, nein, das würde ich nie zugeben,« fiel ihm der Photograph eifrig ins Wort, »selbst wenn sich Rosa dazu entschließen könnte.«

»O, seid ganz unbesorgt,« warf der andere schnell ein, während er sich auf seine Malerei niederbückte, »die wird sich nie dazu entschließen, selbst wenn es den größten Vorteil brächte. Was bekümmert sich das hochmütige Mädchen um Eure Kundschaft, um Euer Fortkommen.«

Frau Böhler hatte bei diesen Worten den Kopf geschüttelt, und zum erstenmal nahm ihr Gesicht einen ernsten Ausdruck an. »Krimpf, Krimpf,« sagte sie alsdann, »das ist ein Punkt, wo Ihr immer bösartig werdet, und wovon Ihr doch wahrhaftig nichts versteht.«

»Sieht man nicht auch Prinzessinnen und Gräfinnen an den Schaufenstern ausgestellt?«

»Daß sich eine vornehme Dame nichts daraus macht, von der Menge angegafft zu werden, begreife ich vollkommen. Wenn sie im Theater und im Konzert mit ihren Spitzen und Brillanten sitzen, so müssen sie es auch leiden, daß Tausende von Augen sie so lange anschauen, als es ihnen beliebt. Aber mit einem jungen bescheidenen Mädchen, das von der ganzen Welt nichts will, ist das doch was ganz anderes. Nehmt mir's nicht übel, Krimpf, wenn Ihr eine Schwester hättet –«

»Oder eine Geliebte,« sagte giftig der Maler.

»So möchtet Ihr es auch nicht haben,« fuhr Frau Böhler fort, ohne auf diese Worte zu achten, »daß sie jedermann anstarrte und fragte: Wer ist denn das Mädchen? Wie heißt sie? Was thut sie? Wo wohnt sie?«

»Nun, was das anbelangt,« entgegnete der Maler nach einem kleinen Stillschweigen, »so stellt Mamsell Rosa ihr Licht auch nicht gerade unter den Scheffel und läßt sich gehörig auf der Straße sehen.«

»Ja, wenn sie ausgehen muß oder mit ihrer Mutter im Schloßgarten spaziert,« bemerkte der Photograph in etwas gereiztem Tone und rieb seine Glasscheibe heftiger, als notwendig gewesen wäre.

»Der Effekt ist derselbe,« fuhr Herr Krimpf hartnäckig fort. »Ich bin ihr schon oft begegnet und habe häufig gehört, wie der oder jener Lieutenant oder sonst ein junger Herumtreiber fragte: Wer ist denn das schöne Mädchen? Wie heißt sie? Was thut sie? Wo wohnt sie?«

»Und wenn einer wirklich auch so was gefragt hat,« erwiderte der Photograph ärgerlich, »so hat Rosa doch gewiß niemals Anlaß dazu gegeben. Könnt Ihr das anders sagen?« fuhr er nach einer Pause fort, da der Maler sich achselzuckend über seine Arbeit niederbeugte; »hat sie je einen von Euern Herumtreibern angesehen oder durch ihr Betragen herausgefordert, daß er sich nach ihr umschaue und frage: Wer ist sie? Wo wohnt sie?«


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