F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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»Und was will er?« fragte fast ungeduldig der Kammerherr.

»Was er will? Nun, nichts mehr und nichts weniger, als – die Prinzessin Elise heiraten.«

»Donner und Wetter!« sagte Herr von Wenden, und trat einen Schritt zurück.

»Und das habe ich einfädeln müssen,« fuhr die Exzellenz fort, indem sie sich leicht mit der Hand über die Stirn strich. »Habe die notwendigen Korrespondenzen besorgt und habe den Herzog eingeladen, hierher zu kommen.«

»Und das alles hinter dem Rücken Seiner Hoheit des Regenten?« fragte der andere in einem sonderbar gedehnten Tone.

»Diese Frage, mon cher,« antwortete ungeduldig der Oberstjägermeister, »beweist mir, wie wenig Sie die Prinzessin kennen. Hat es ihr jemals Spaß gemacht, irgend eine Sache gerade und offen zu betreiben? Ich wüßte mich der Art nichts zu erinnern, und Sie selbst vielleicht auch nicht. – Stellen Sie sich nun in meine Lage. Der Herzog, dem die Idee, die Prinzessin im geheimen kennen zu lernen, recht schön und romantisch vorkam, ist hier, die heillose Angelegenheit aber will nicht den kleinsten Schritt vorwärts thun.«

»Und aus welchem Grunde nicht?«

»Bester Wenden, nehmen Sie mir's nicht übel, Sie fragen wie ein unschuldiges Kind, aber nicht wie ein Kammerherr, der schon so und so viele Jahre an diesem Hofe gelebt. Warum? – Weil die Prinzessin nun einmal die Idee hat, die Sache nicht vorwärts zu treiben, sondern sie aufs langsamste oder vielmehr gar nicht gehen zu lassen.«

»Und sieht Sie den Herzog häufig?«

»Ihn häufig sehen? Sie hat ihn noch gar nicht gesehen, seit er hier ist. Sie will sein Porträt, er soll das ihrige haben, und dann wird sie sich vielleicht entschließen, ihm auf Gott weiß welche verzwickte und geheimnisvolle Art zu begegnen. Da haben Sie die Geschichte meiner Leiden. Zwischen diesen beiden Feuern sitze ich, und kann es mir da ein vernünftiger Mensch übel nehmen, wenn ich mich zuweilen in einer völligen Verzweiflung befinde? – Aber das habe ich mir feierlich gelobt,« fuhr er fort, indem er abermals aufstand, »geht diese Sache nun einmal glücklich vorüber, so weiß ich, was ich thue. Dann heirate ich in aller Stille, reise auf längere Zeit fort und sehe zu, wie sich die Sachen hier abwickeln.«

»O Euer Exzellenz haben eine beneidenswerte Zukunft,« sprach der Kammerherr träumerisch.

»Aber ehe ich dazu gelange, noch einen entsetzlichen Abgrund dicht vor meinen Füßen. Vielleicht einen jähen Sturz.«

»Zu dem Euer Exzellenz mich einzuladen die Freundlichkeit haben,« antwortete lachend Herr von Wenden.

»Es ist was Wahres in Ihren Worten,« sagte der Oberstjägermeister nach einer Pause, während welcher er sich mit übereinander geschlagenen Armen ans Fenster gestellt hatte. »Aber beim Teufel! nein, zwei Leute wie wir stürzen nicht so leicht. Ich wette, wir bauen uns die schönste Brücke nach Gott weiß welchem glücklichen Gefilde.«

»Eine Brücke des Glücks,« erwiderte nachdenkend der Kammerherr; »wenn nur der rechte Augenblick nicht verpaßt ist! – Und wünscht die Prinzessin,« setzte er nach einem momentanen Stillschweigen hinzu, »daß ich um die Geschichte wissen soll?«

»Wer kann daran zweifeln?« versetzte die Exzellenz nicht ohne eine kleine Verwirrung. »Sie stehen in ihrer Gunst, die Prinzessin hätte Ihnen an jenem Abend alles anvertraut; – kann ich auf Sie rechnen?«

Der Kammerherr hatte einen Gang durch das Zimmer gemacht, er kämpfte mit sich selber. Er kannte den Oberstjägermeister, und weil er ihn kannte, kam ihm die ganze Sache verdächtig vor. Zu einer Angelegenheit, bei der etwas zu gewinnen war, hätte die Exzellenz nicht wohl einen zweiten eingeladen; auch erinnerte er sich jenes Abends, als er dem Baron Rigoll im Schlosse begegnete, und es sich fand, daß sie den gleichen Weg zu den Gemächern der Prinzessin hatten, wie ihm der Oberstjägermeister in der ersten Überraschung ein nichts weniger als freundliches Gesicht machte. – Daß aber Herr von Wenden jetzt mit einer Antwort zögerte, schien dem Baron Rigoll durchaus nicht zu gefallen. Er wandte sich unmutig gegen ihn und sagte in einem etwas scharfen Tone:

»Ei, bester Baron, wie nehme ich Ihr Stillschweigen? Sie ließen mich mein Geheimnis ruhig erzählen, und jetzt, da Sie es wissen, zögern Sie auf eine für mich fast beängstigende Art.«

»Sie sollen sich in mir nicht verrechnet haben,« antwortete Herr von Wenden entschlossen. »Sagen Sie der Prinzessin in Gottes Namen, ich sei ganz zu ihren Diensten, und lassen Sie mich wissen, was ich thun soll.«

Der Oberstjägermeister schien freier aufzuatmen. Er reichte dem anderen die Hand und erwiderte: »Ich danke Ihnen herzlich und werde Ihre Bereitwilligkeit bestens anzubringen wissen. Jetzt werden Sie aber vor allen Dingen gesund, lassen Sie sich morgen bei der Prinzessin melden; sie wird von unserer Angelegenheit beginnen, und dann tragen Sie mit Ihrer ganzen Überredungskunst dazu bei, daß sie uns endlich einmal eine vernünftige Antwort gibt, die wir dem Herzog mitteilen können.«

»Daran soll's nicht fehlen. Sobald ich ausgehen kann,« setzte er mit Beziehung hinzu, »und mich die Prinzessin annimmt, werde ich mein mögliches thun.«

»Gott sei Dank, ich sehe endlich ein wenig Licht in dieser Finsternis,« sagte der Oberstjägermeister nach einem tiefen Atemzuge. »Seien Sie zufrieden, daß Sie jetzt ruhig in Ihrer Wohnung bleiben können. Ich habe noch eine Verhandlung mit dem Herzoge und fürchte, ich bekomme pikante Redensarten zu hören. Also auf Wiedersehen morgen,« – er reichte ihm die Hand, »zu Schutz und Trutz!«

»Und auf gutes Gelingen,« antwortete Herr von Wenden, und darauf trennten sie sich.

Der Oberstjägermeister warf sich in seinen Wagen, und als er nach Hause rollte, dachte er begreiflicherweise an die eben gehabte Unterredung und sprach zu sich selbst: »Helf, was helfen mag! Ich glaube einen guten Blitzableiter gefunden zu haben.«

Der Kammerherr droben blickte durch das Fenster auf die Straße, und als er die Equipage Seiner Exzellenz um die Ecke verschwinden sah, rieb er sich die Hände und meinte: »Ich glaube, diese Mitteilung könnte in der That im stande sein, mein Unwohlsein plötzlich aufhören zu machen. Fort mit diesen Intriguen! Sie sind mir schlecht bekommen. Ich werde nach Befund der Umstände bei dem Regenten schriftlich um eine Audienz nachsuchen.«

Elftes Kapitel.

Leuchtkäfer.

Als der Major von Fernow das Haus seines Gastfreundes verließ, fand er, daß es ein angenehmer Abend sei. Daß es ein wenig kühl war, achtete er nicht; erwärmten ihn doch die freundlichen Bilder und Gedanken, die ihn zahllos umschwebten und deren Mittelpunkt immer sie war. Wie fühlte er sich so glücklich, mit dem geliebten Mädchen ein Geheimnis zu haben, ein so entzückendes Geheimnis! Gesehen hatte er sie selten seit jenem Abend, sich mit ihr unterhalten so gut wie gar nicht, es müßte denn eine Unterhaltung zu nennen sein, wenn er sie nach der Tafel fragte: »Sie besuchen heute die Oper?« und sie antwortete: »Ich glaube wohl, daß ich dort sein werde.« Dagegen aber war ein so vollständiger Telegraphen- und Zeichendienst zwischen beiden eingerichtet, daß die längsten Depeschen mit Leichtigkeit aufgegeben und ebenso verstanden wurden. Die Liebe ist darin entsetzlich erfinderisch, entsetzlich für alle armen Hüter, mögen sie nun Ehemänner, Eltern, Vormünder oder wie immer heißen. Hat doch zwischen zweien, die einander verstehen, alles seine Bedeutung! Ob sie den Fächer in die rechte oder linke Hand nimmt, ob sie über ihre Stirn streift oder über ihr Haar, ob sie den Kopf auf den rechten oder linken Arm stützt, ob sie gegen ihre Nachbarin lächelt oder ernst mit ihr spricht. Und bei ihm ist es ganz der gleiche Fall. Ein Hervorziehen des Sacktuches, ein-, zwei- oder dreimal schnell hintereinander; ein Augenblick mit aufgestütztem Arm, wie in tiefes Nachdenken versunken, dann ein plötzliches Auffahren, das Betrachten der Uhr, das Ausziehen eines Handschuhs oder beider, – wer kann alle diese Zeichen einer Sprache nennen, die so verschiedenartig ist, von jedem und jeder neu erfunden und mit so außerordentlicher Leichtigkeit erlernt wird. Es geschieht das unbewußt, wir möchten sagen instinktartig, und das junge Mädchen, welches einmal beginnt, mit ihrem Gegenüber zu telegraphieren, hat, ehe es das selbst weiß, ein ganzes Alphabet bei einander und wird durch keinen Ausdruck in Verlegenheit gebracht.


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