F. W. Hackländer
Der Augenblick des Glücks – Aus den Memoiren eines fürstlichen Hofes
F. W. Hackländer

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»Mir scheint, du hast mit deiner Unterhaltung reüssiert.«

»Reüssiert?« erwiderte der andere mit affektiertem Erstaunen; »ich wüßte nicht in was! Daß es mich freut, wenn Ihre Durchlaucht, eine der geistreichsten und liebenswürdigsten Damen der ganzen Welt, mit mir gnädig spricht, wirst du, denke ich, vollkommen begreiflich finden.«

»Ich würde allerdings,« entgegnete Herr von Fernow, »nur an eine gnädige Unterhaltung denken; doch will mir deine Theorie nicht aus dem Kopfe; ich weiß nicht weshalb; aber ich fange an, an dieselbe zu glauben, und möchte fast überzeugt sein, daß das heutige Diner nicht nur für dich ein Augenblick des Glückes war, sondern daß du denselben auch richtig erfaßt hast.«

»Du kannst dein Spotten nicht lassen,« versetzte der Kammerherr, »wirst aber vielleicht doch noch finden, daß meine Theorie eine ganz richtige ist.«

Es war aber noch eine dritte Person vorhanden, welche das Gespräch zwischen der Prinzessin und dem Kammerherrn nicht nur mit angesehen, sondern vielleicht auch belauscht hatte. Dies war der dienstthuende Kammerdiener des Regenten, Herr Kindermann, mit dem ewigen Lächeln. Die Prinzessin stand in der Fensternische, zunächst der Thür, welche Herr Kindermann, als die Herrschaften den Speisesaal verlassen, sanft lächelnd hinter ihnen zudrückte, – schloß, könnten wir nicht sagen, denn er ließ eine unbedeutende Spalte offen, für Auge und Ohr brauchbar, welche er denn auch, angenehm lächelnd, abwechselnd mit diesen beiden Sinneswerkzeugen benutzte. Darauf richtete er sich schmunzelnd in die Höhe, fuhr lächelnd durchs Haar, zupfte lächelnd an seiner Halsbinde und öffnete ein paar Augenblicke später beide Flügelthüren.

Ihre Durchlaucht hatte nämlich dem versammelten Hofstaate das bekannte Entlassungskompliment gemacht; dann verbeugte man sich ringsumher, krümmte den Rücken in alle Winkel, man knixte durch alle Grade, Säbel und Sporen klirrten abermals wie beim Empfang, die seidenen Kleider rauschten, und die Gesellschaft stob nach allen Richtungen auseinander. Viele der Herren und Damen behielten ihr angenehmes stereotypes Lächeln bei bis auf die Treppe des Schlosses; da aber zogen sich manche Augenbrauen zusammen, mancher Hut wurde verdrießlich aufgesetzt, mancher Säbel etwas heftig in den linken Arm genommen, und der Befehl mancher Dame an ihren Bedienten, während sie in ihren Wagen stieg: »Nach Hause!« war von einem tiefen, mißmutigen Seufzer begleitet.

Fünftes Kapitel.

Im Kabinett des Regenten.

Der Dienst des Ordonnanzoffiziers war nach der Tafel für heute beendigt. Morgen kam ein anderer Glücklicher, der im Vorzimmer auf und ab spazieren ging, der Bekannte mit einem freundlichen Gruße empfing und Fremde mit einer gewissen Verbeugung entließ.

Da Herr von Fernow in dem Vorzimmer ein kleines Buch liegen gelassen hatte, so schritt er vom Speisesaal aus abermals durch den langen Korridor nach jenem Zimmer. Das Schloß lag jetzt ebenso still wie in den Nachmittagsstunden, machte aber trotzdem nicht denselben schläfrigen und langweiligen Eindruck. Auf den Treppen und Gängen brannten Lampen, und ihr Schein zeichnete überall oft seltsame Licht- und Schattenbilder. Der einfache Dragonerposten im Vestibül war für die Nacht zu einem Doppelposten geworden, und die Lakaien, die sich ebenfalls hier befanden, saßen nicht mehr schläfrig auf den Banketts, sondern unterhielten sich leise plaudernd und waren offenbar in besserer Laune als heute nachmittag; denn die Zeit ihres täglichen Dienstes war bald verflossen, und dann kam auch für sie die Stunde, wo sie zu Hause in ihrer bescheidenen Wohnung den goldbetreßten Rock ablegen durften, wo sie den Ihrigen von den ermüdenden Herrlichkeiten des Hofes erzählen und mit Vergnügen zuschauen konnten, wie lustige Kinder ihre sämtlichen Taschen untersuchten und so glücklich waren, ein Stückchen eroberten Kuchen zu finden.

Das Adjutantenzimmer war erleuchtet, und selbst hier fand es der Ordonnanzoffizier nicht mehr so langweilig als an dem vergangenen Sonntagnachmittag, wo draußen der helle Sonnenschein blitzte und hier tiefe Schatten lagen. Jetzt war das ja umgekehrt. Die flackernden Lampen erhellten freundlich das weite Gemach, strahlten in den Spiegeln wider und glänzten auf die Goldrahmen und auf die blanke Spitze der Leibdragonerstandarte, die hier aufgestellt war. Draußen in dem Hofe dagegen brütete die finstere Nacht; doch war selbst jener nicht so einförmig wie heute nachmittag im hellen Tageslicht. Man sah Stallleute mit Laternen bei geöffneten Remisen mit den Wagen beschäftigt, die bei der heutigen Spazierfahrt gedient.

Herr von Fernow warf sich in den kleinen Fauteuil am Fenster und blickte mit finsteren Gedanken auf das Treiben dort. – Auch ihr Wagen war gewiß dabei. Vielleicht war sie an der Seite des Oberstjägermeisters niedergesessen, vielleicht hatte er während des Fahrens ihre Hand berührt, wenigstens ihr Kleid, ihren Mantel streifen dürfen, und wenn Fernow das dachte, so knirschte er mit den Zähnen und ballte die Faust, um gleich darauf schrecklich über sich selbst zu lachen.

»Er hat ja das Recht, ihre Hand zu berühren,« sprach er bebend zu sich selber; »er hat ja das Recht, künftig beständig in ihrer Nähe zu sein; er hat ja alles Recht über sie, sie wird ja in kurzem sein Weib sein, – die Seinige, ganz die Seinige! Und ich wäre so namenlos glücklich gewesen, wenn ich nur zuweilen einmal still und vergnügt hätte in ihrer Nähe sein dürfen, den Blick ihres Auges sehen und vielleicht – in Augenblicken des Glücks« – das sagte er in Erinnerung an das heutige Gespräch mit grimmigem Lachen – »ihre Hand hätte berühren dürfen. – Verfluchtes Schicksal, das dem einen alles, alles gibt, um dem anderen alles, alles zu nehmen.«

Er barg seinen Kopf in beiden Händen und brauchte sich nicht zu schämen, daß er plötzlich so unendlich weich gestimmt wurde, wie ihm dies seit seinen Knabenjahren nicht mehr begegnete. Er war ja allein in dem weiten Gemach, und wenn die spiegelnden Lichtstrahlen auch auf einen sonderbaren Glanz in seinen Augen fielen, so verrieten sie nichts davon; ihnen war es ja gleichgültig, ob sie einem Glücklichen oder einem Traurigen leuchteten. Dazu pickte die Uhr einförmig, und draußen hörte man die beiden Dragoner langsam auf und ab schreiten, alles Sachen, die den jungen Offizier in immer tieferes Nachdenken wiegten. Bei dem, was er verloren, war es begreiflich, daß er mit einem bitteren Gefühl an die Theorie seines Freundes dachte, an einen Augenblick des Glücks, welchen nach derselben jeder in seinem Leben einmal habe, den aber nur wenige Auserwählte zu erfassen vermögen. – – –

»Es ist das eigentlich ein gräßlicher Gedanke,« sprach er zu sich selber, indem er hastig von dem Fauteuil aufsprang, »zu denken, das Glück umschwebe einen, man brauche die Hand nur danach auszustrecken, aber man wisse weder den Augenblick, wo es uns nahe ist, noch nach welcher Seite wir fassen müssen, um es zu erlangen. Wenn ich mir,« fuhr er nach einer Pause fort, »ein Sprichwort aus der Kinderzeit vergegenwärtige, daß auf Regen Sonnenschein folge, und daran glauben würde, so müßte ja der Augenblick des Glücks nahe sein, wenn man vom tiefsten Unglück berührt würde. – – Unglücklicher, als ich heute geworden bin, kann ich wohl nimmer werden. Warum sollte mir nicht vielleicht in diesem Augenblick das Glück die Gunst erzeigen, mir nahe zu treten? Aber wo es erfassen? – wo? wo?«

Bei diesen Worten war er heftig auf und ab gegangen und hatte die letzteren lauter gesprochen, als gerade notwendig war; er erschrak auch fast über den Ton der eigenen Stimme, als die Wände des weiten Gemachs von seinem Wo wiederhallten. Er hätte lächeln können über sich selber, und seine Träume zerrannen so in der Luft, daß er sich erinnerte, er habe hier durchaus nichts mehr zu thun, als sein Buch zu nehmen und dann nach Hause zu gehen. – Da hörte er mit einmal im Nebenzimmer den Klang einer Glocke, die ziemlich stark angeschlagen wurde. Ihm war dieser Ton wohl bekannt, er kam aus dem Kabinett des Regenten.

Der Ordonnanzoffizier eilte gegen die Thür des Vestibüls, um dort einen der Lakaien oder Kammerdiener zu rufen. Als er aber schon die Hand auf den Drücker gelegt hatte, blieb er plötzlich stehen, und es war, als spräche eine Stimme in ihm: Das ist der Augenblick des Glücks! – Obgleich er diesen Gedanken abweisen wollte, so trat er doch wieder in das Zimmer zurück, überlegte ein paar Sekunden, und wenn er auch gleich darauf hinaus in das Vestibül zu gehen im Begriff war, so zog es ihn doch nach der anderen Thür, die er fast willenlos öffnete, und trat in ein Gemach, welches zu den Zimmern Seiner Hoheit führte.

»Vorwärts!« sprach er lächelnd zu sich; »was kann ein überflüssiger Diensteifer schaden? Du hast den Ruf der Glocke gehört, es ist niemand in der Nähe: also vorwärts!«

Wenige Augenblicke nachher öffnete er die nächste Thür und stand in dem Kabinett des Regenten. Es war das ein kleines, freundliches Gemach, dicke Teppiche bedeckten den Boden, im Kamin loderte des noch kühlen Frühlingsabends wegen ein behagliches Feuer, und vor diesem stand ein kleiner Tisch, bestrahlt von einer starken Carcellampe, die an Bronzeketten von der Decke herabhing und an diesen auf und ab geschoben werden konnte. Diese Lampe war bedeckt mit einem weiten grünen Schirme, welcher das ganze Licht auf den Tisch niederwarf und das übrige Zimmer in einer sanften Dämmerung ließ. Diese war auch wohl schuld daran, daß der Regent, der auf einem Sessel neben dem Tische saß, den Eintretenden nicht sogleich erkannte und in dem Glauben, es sei Herr Kindermann, ohne aufzublicken, sagte:


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